Arnold: Sie sind seit über einem Jahr Purpurträger, sind Kurienkardinal in Rom, Sie gehören damit auch zu den engen Beratern des Papstes. Hat die Kardinalswürde Ihr Leben verändert hier in Rom?
Kasper: Mein persönliches Leben hat es überhaupt nicht verändert. Ich habe mehr an Verantwortung bekommen, aber mein persönliches Leben vollzieht sich in der gleichen Weise wie vorher als Professor oder als Bischof. Das Kardinalat ist der Titel, und das ist aber auch mehr an Verantwortung, jetzt gerade für den ökumenischen Bereich. Und das nimmt mich dann schon sehr in Beschlag, es ist ein sehr interessantes Gebiet.
Arnold: Sie haben nicht mehr so viel Kontakt zu den Menschen, zu den Gläubigen, zu den Katholiken wie früher, als Sie Bischof waren in Rottenburg-Stuttgart?
Kasper: Das fehlt mir auch, da ich das sehr geliebt habe, die Beziehungen jeden Sonntag in einer Gemeinde, auch oft am Werktag. Aber es ist nicht so, dass man hier keine Beziehungen hat. Gerade die Dikasterien, unsere Behörde ist auf Kontakt angewiesen. Ich bin mindestens ein Drittel des Jahres nicht hier in Rom, bin unterwegs. Da trifft man die vielen Menschen, und zwar weltweit. Und es kommen sehr viele Menschen zu uns her. Es ist ja nicht das einzige Gespräch, das Sie jetzt mit mir führen, sondern das geht jetzt schon den ganzen Morgen so. Es kommen auch Gruppen von Studenten, von Priestern, natürlich kommen Diplomaten, es kommen Bischöfe hierher. Und wenn ich in der Welt herumfahre, treffe ich natürlich sehr viele Menschen. Ich würde sagen, mein Radius hat sich in gewisser Hinsicht auch erweitert. Es ist nicht auf ein Land oder nur auf eine Diözese eingegrenzt, sondern es ist inzwischen weltweit geworden.
Arnold: Sie sind ein Weltreisender in Sachen Ökumene. Der Papst hat Sie bereits 1999 zum Sekretär des ‚Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen‘ ernannt. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Kasper: Das Wichtigste in dieser Arbeit sind die persönlichen Begegnungen. Und die offiziellen Dialoge, die theologischen Gespräche kann man alle vergessen, wenn es nicht gelingt, persönlichen Kontakt zu gewinnen und Freundschaft zu schließen. Und da muss man sich von Angesicht zu Angesicht einfach begegnen. So treffe ich laufend Bischöfe aus aller Welt hier oder wenn ich unterwegs bin. Man hat mit den Botschaftern hier Kontakt, mit vielen Journalisten aus aller Welt Kontakt, mit Gruppen, die nach Rom kommen, die hierher kommen – also sehr viele Gespräche. Das ist sehr abwechslungsreich, sehr spannend, weil das ökumenische Gespräch sich hier in Rom ja nicht nur auf das Verhältnis evangelisch / katholisch bezieht, was in Deutschland selbstverständlich im Vordergrund steht. Wir haben schon mit den altorientalischen Kirchen zu tun, das sind zunächst sehr archaisch anmutende Kirchen – die Kopten, die Syrer, die Armenier, die Äthiopier –, aber sehr lebendige Kirchen, die sind schon seit dem fünften Jahrhundert von uns getrennt. Dann kommen die ganzen orthodoxen Kirchen, die Byzantiner, die slawischen, die Russen. Also, es ist ein ganz breites Spektrum, mit dem man es hier zu tun hat
Arnold: Welche der Gruppen sind im Augenblick am verschlossensten, wenn es um Brüderlichkeit, um Versöhnung geht?
Kasper: Gut, man hat also sehr weitgehende neue Sekten, die sind vor allem in Lateinamerika, in Afrika, aber auch in Asien tätig. Die sind zum Teil sehr fundamentalistisch, sehr aggressiv, damit kann man keinen Dialog natürlich führen. Ein Dialog setzt voraus, dass man sich gegenseitig achtet, sich anerkennt und dann auch aufeinander eingeht. Momentan haben wir dann ganz große Schwierigkeiten auch mit der russisch-orthodoxen Kirche. Aber mit den anderen orthodoxen Kirchen, also Konstantinopel, Antiochien, Alexandrien, Jerusalem und in dem ganzen Bereich der Diaspora ist es sehr gut, ein sehr freundschaftliches, enges Verhältnis. Mit der russisch-orthodoxen Kirche ist es momentan sehr, sehr schwierig geworden. Wir hoffen, dass wir das verbessern können, aber es liegt eben nicht nur an uns. Ich muss allerdings dazufügen, dass der Dialog etwa mit den Lutheranern in Amerika viel, viel leichter ist als er momentan leider in Deutschland ist.
Arnold: Was ist denn im Augenblick das Problem mit den Russisch-Orthodoxen? Der Papst, das weiß man, würde wahnsinnig gerne nach Moskau fahren; eine Einladung gibt es immer noch nicht. Woran spalten sich nach wie vor die Geister?
Kasper: Also, wir haben auf jeden Fall eine sehr große Hochachtung vor der russisch-orthodoxen Kirche, wir wollen einen brüderlichen oder geschwisterlichen Dialog. Wir anerkennen sie als eine Schwesterkirche. Es sind zunächst mal auch interne Schwierigkeiten in Russland selber. Sie müssen denken, die sind zum ersten mal in ihrer Geschichte frei, frei vom Zar, frei von der kommunistischen Unterdrückung, die ja 70 Jahre gedauert hat, sehr hart war – jetzt erst seit zwölf Jahren frei. Die müssen sich sicherlich auch orientieren. Da gibt es auch interne Spannungen, denen muss der Patriarch Rechnung tragen. Ein Zweites kommt hinzu: Sie beanspruchen eben, die traditionelle Kirche in Russland zu sein, sprechen von einem kanonischen Territorium. Das anerkennen wir, dass sie die traditionelle Kirche sind. Es wäre ja absurd, wenn wir uns vornehmen würden, Russland katholisch zu machen. Das ist ja eine ganz kleine Minderheit von Katholiken, die dort wohnt. Aber jede ‚Bekehrung‘ eines Russen zur römisch-katholischen Kirche ist dann gleich Proselytismus. Da sagen wir, man muss die Religionsfreiheit anerkennen. Es gibt ja auch Katholiken, die orthodox werden in den Diözesen, die sie in Berlin, Wien, London, Paris oder Brüssel haben. Das freut einen nicht, aber man muss es respektieren – die Entscheidungen. Das fällt ihnen noch etwas schwer, diese Anerkennung der Religionsfreiheit. Und das sind so innerpolitische Probleme, könnte man sagen. Und dann solche Probleme, so wie Freiheitsrechte, die für uns im Westen inzwischen eben fundamental sind, anzuerkennen – natürlich wird bei uns auch gelegentlich ein Fehler gemacht, aber wo gibt es das nicht, es ist kein Privileg der Katholischen Kirche, gelegentlich Fehler zu machen, das ist auf der anderen Seite auch so. Und dort braucht es im Augenblick sehr viel Geduld, um weiterzukommen.
Arnold: Es gilt hier ja als Problem, das päpstliche Primat, und Ihr Kollege, Kardinal Ratzinger, hat mit seiner Erklärung ‚Dominus Jesus‘ ja auch für Irritationen gesorgt. Ist durch diese Erklärung das ökumenische Gespräch mit der orthodoxen Kirche zum Stillstand gekommen und praktisch zu einem Punkt, wo es wieder eine Eiszeit gab?
Kasper: Also, von einer Eiszeit würde ich auf gar keinen Fall sprechen - gewisse Schwierigkeiten und Verstimmungen, das kommt in den besten Familien sozusagen vor, und es sind auch ‚Familienkräche‘ inzwischen geworden. Und das ist ja etwas Positives. Man fühlt sich als Familie, und da kracht es gelegentlich. Aber diese Erklärung ‚Dominus Jesus‘ hat eher Verstimmungen bei den protestantischen Kirchen und Kirchengemeinschaften ausgelöst, Die Orthodoxen sind ja in dieser Erklärung anerkannt worden als wahre volle Kirchen. Da war mehr der Brief über das Problem der Schwesterkirchen, das da für Verstimmungen oder Fragen – Nachfragen – Anlass war. Ich denke, inzwischen ist das auch weitgehend überwunden. Die Sprache hätte vielleicht ein bisschen freundlicher sein können, dann hätte es nicht so viele Mißverständnisse gegeben. Aber das konnte man in der Zwischenzeit auch erklären und verständlich machen bei denen, die guten Willens sind.
Arnold: Sie sprechen ja ganz offen davon, dass es verschiedene Kirchentypen gibt. Dagegen spricht Kardinal Ratzinger ja von der ‚Universalkirche‘. Das ist ja schon, sagen wir mal, ein grundlegender Unterschied
Kasper: Von der Universalkirche spreche ich natürlich auch, das ist klar . . .
Arnold: . . . von der Akzentsetzung . . .
Kasper: . . . ja, auch der katholischen Akzente zwischen Kardinal Ratzinger und mir. Im übrigen haben wir uns weitgehend in der Zwischenzeit auch verständigt. Beide natürlich sprechen von der ‚Universalkirche‘, er spricht selbstverständlich auch von den ‚Ortskirchen‘, und er sagt selbstverständlich, was das Konzil sagt, dass die orthodoxen Kirchen wahre Kirchen im Sinn von Ortskirchen sind, mit einer eigenen Würde, eigenen Geschichte und auch eigenen Rechtsvorgängen. Also, da sind gewisse Akzentunterschiede, aber kein fundamentaler Dissens zwischen uns.
Arnold: Sie werden immer wieder als der liberale Gegenspieler von Kardinal Ratzinger, dem obersten Glaubenshüter, genannt. Sie mögen das nicht so gerne, Sie haben diesem Vorwurf oft widersprochen. Sie sagen auch: ‚Wir ziehen an einem Strang‘. Wie sieht denn eine Auseinandersetzung in den Diskussionen mit Kardinal Ratzinger aus?
Kasper: Sobald man dem Kardinal Ratzinger persönlich begegnet, hat man einen völlig anderen Eindruck, als der, der in der Öffentlichkeit oft von ihm vermittelt wird. Er ist ja ein sehr intelligenter, ein sehr differenzierter Mann, mit dem man sehr gescheit und differenziert diskutieren kann, und es ist auch jedes mal fast ein Vergnügen, mit ihm dann auch ein bisschen die Klinge zu kreuzen, weil das erstens natürlich in menschlich sehr kultivierter Form geht und dann auch sehr differenziert und auf hohem Niveau geschieht. Die Begegnungen geschehen entweder persönlich oder - ich bin Mitglied der Glaubenskongregation - bei den entsprechenden Sitzungen der sogenannten ‚Feria Quarta‘, da ist das ein offener, freundschaftlicher Dialog. Aber auch andere Kardinäle sagen da ihre Meinung, und am Schluss wird zusammengefasst. Und insofern ist das auch dort immer ein sehr offenes und ehrliches Gespräch mit unterschiedlichen Akzenten und Meinungen. Es wäre ja komisch, wenn alle Kardinäle immer genau das Gleiche sagen würden; die sind nicht als Papageien abgerichtet, sondern haben unterschiedliche Erfahrungshintergründe, unterschiedliche Temperamente und auch unterschiedliche Akzente. Und das muss zusammenkommen und gebündelt werden dann in der Entscheidung.
Arnold: Bei den Gesprächen geht es mitunter schon heftig und temperamentvoll zu . . .
Kasper: . . . temperamentvoll eigentlich nicht, dass man da nun aus der Rolle fällt. Es ist im allgemeinen schon ein sehr kultivierter Ton, aber mit sachlichen Argumenten und in einer objektiven, guten menschlichen und christlichen Form.
Arnold: Ich möchte noch auf einen ganz kurzen Unterschied eingehen. Sie treten ja für eine Stärkung der Ortskirche und der Bischöfe ein. Kardinal Ratzinger sieht das nicht als so wichtig an . . .
Kasper: . . . mindestens in seinen früheren Schriften ist er sehr dafür eingetreten auch für eine Stärkung der Ortskirche. Er ist sicher auch heute noch dafür, aber er setzt den Akzent mehr auf Universalkirche. Ich meine, auch gerade in dieser globalisierten Welt sind die Situationen so verschieden, dass die Ortskirchen ihren eigenen Spielraum innerhalb des Rahmens natürlich der Gesamtkirche mehr haben sollten, als das gegenwärtig der Fall ist.
Arnold: Nun, die Gläubigen gehen ja nun nicht in der Universalkirche zum Gottesdienst, sondern in den Ortskirchen. Aber in ganz Europa, vor allem auch in Deutschland, gehen ja immer weniger Menschen in die Kirche, vor allen Dingen junge Menschen. Wie kann man Menschen wieder in die Kirche bringen, Ihrer Ansicht nach?
Kasper: Ich meine – gut, die Kirche muss ein menschliches Antlitz zeigen, und das ist das allerwichtigste. Glaube entsteht nicht durch Bücher und nicht durch Erklärungen, Glaube entsteht in menschlicher Begegnung. Ein menschliches, menschenfreundliches, barmherziges, ein frohes Antlitz muss die Kirche zeigen. Zum anderen: Es bringt gar nichts, da jetzt – sagen wir mal – liberal aufzulösen. Die Kirche muss eine Identität haben. Auch gerade junge Menschen wollen ja ein Gegenüber, an dem sie sich reiben können. Sonst nehmen sie einen nicht ernst, wenn das nur eine Gummiwand ist. Ich denke, die Kirche muss Profil zeigen. Das ist schon wichtig, aber sie muss argumentativ dafür eintreten. Und vielleicht ein drittes Moment: Die junge Generation hat einen anderen Stil als wir Älteren – schon in der Kleidung und in der ganzen Art, wie sie sich geben, wie sie sprechen, welche Art von Musik sie mögen. Und da muss man ein Feeling, wie man da heute sagt, dafür bekommen, sonst ist man ‚out‘, wie sie sagen. Einer, der das vorzüglich kann, ist ja der Papst, obwohl der – sagen wir – zwei Generationen Unterschied hat zu den jungen Leuten, hat er ja noch einen Draht zur jungen Generation. Umgekehrt: Die verstehen ihn, diesen alten Mann, der einen völlig anderen Erfahrungshintergrund, eine andere Biographie hat. Also, so etwas ist möglich. Aber warum akzeptieren sie den Papst? Sicher, weil sie den Eindruck haben, der ist ‚echt‘. Er steht für das, was er sagt. Vielleicht übernehmen sie das nicht alles in ihren Lebensstil, was er sagt, aber sie nehmen es ihm ab. Und ich denke, das zeigt, wie man doch mit jungen Menschen umgehen kann.
Arnold: Der Papst ist wirklich ein großer Star für die Jugendlichen. Aber wenn man hier am Vatikan mit den hohen Mauern vorbeigeht – ich empfinde sie immer noch als abweisend –, also müsste sich nicht der Vatikan öffnen, müssten nicht andere Kirchenvertreter auch offen werden wie der Papst?
Kasper: Das ist richtig. Deshalb gehe ich ja auch hinaus und bleibe nicht nur im Vatikan, sondern gehe hinaus. Es gehen aber auch andere Kardinäle und Bischöfe mit entsprechenden Aufgaben hinaus. Das ist aber dann auch in erster Linie die Aufgabe der Ortsbischöfe und der Priester vor Ort, auf die Menschen zuzugehen. Wir müssen eine ‚Geh hin – Kirche‘ werden und nicht eine ‚Komm her – Kirche‘ sein. Sicher ist auch in Rom noch einiges hinzuzulernen, das ist richtig. Aber der Papst gibt uns ein ganz gutes und herausforderndes Beispiel.
Arnold: Der Papst ist alt, der Papst ist krank. Dennoch führt er die Kirche nach wie vor, und er ist kein schwacher Papst?
Kasper: Natürlich muss er viele Dinge jetzt lassen in dem Alter und auch in seinem gesundheitlichen Zustand. Er konzentriert sich auf die wesentlichen, die entscheidenden Sachen. Das andere delegiert er. Vielleicht ist das aber auch ein providentielles Zeichen. Ein Papst muss nicht ein Supermanager sein, wie man eine Großfirma, eine internationale Firma führt, sondern der Papst kann sehr vieles delegieren, anderen überlassen. Das Entscheidende ist das Zeugnis, das er gibt. Und ich denke auch, in dieser Schwachheit gehört ja Mut dazu, so vor die Kamera zu treten. Sich so zu zeigen, gibt er doch auch ein Zeugnis, wie man das nennt: Der Sieg des Geistes über das schwache Fleisch.
Arnold: Aber er scheint mehr zu delegieren als früher?
Kasper: Das sicher, das muss er jetzt natürlich tun und sich auch auf Mitarbeiter verlassen. Das ist auch ein Akt des Vertrauens, den er damit setzt. Und ich denke, das ist ja heute ein ganz gutes Führungsprinzip.
Arnold: Man ist natürlich versucht, als Fremder, als jemand, der nicht im Vatikan ist, zu denken, dass es hier ganz furchtbare Ränkespiele gibt und dass keiner dem anderen über den Weg traut. Kommt diese Idee und diese Vorstellung eigentlich nur von schlechten Büchern und Filmen?
Kasper: Ja gut, da gibt es viel Phantasie, und das schlägt sich ja zum Teil auch in den meisten Medien nieder. Ich denke, im Vatikan - das sind Menschen, wie alle anderen Menschen auch, Menschen mit ihren Schwierigkeiten, mit ihren Schwächen, aber auch Menschen mit ihrem großen Elan, mit ihrer Begeisterung, mit ihrem Einsatz für die Kirche. Und da wird nun miteinander verhandelt und gesprochen und versucht, auch die eigene Idee durchzubringen, wie das fast überall ist. Aber ich meine, dieses Schreckensbild des Vatikans, von den Verliesen des Vatikans und was da geschieht, das gehört mehr in das Reich des Mythos als der Realität. Ich denke, wir sind sicher nicht schlechter als es sonst wo ist – manchmal auch ein bisschen, was die ethische Einstellung ist, besser.
Arnold: Der Papst wird nicht zurücktreten. Diese Gerüchte sind nun endgültig vom Tisch, auch nach den letzten Äußerungen von Johannes Paul II selbst.
Kasper: Der Papst hat völlig klar gesagt, was er will. Und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Arnold: Indirekt sind Sie auch mit dem interreligiösen Gespräch beschäftigt - zwar ist die Ökumene Ihr Schwerpunkt. Wie hat sich denn dieses Gespräch mit den Moslems seit dem 11. September vergangenen Jahres verändert?
Kasper: Es ist intensiver geworden und es ist dringender geworden. Aber da muss man sehr aufpassen. Wir dürfen den Islam nicht identifizieren mit diesen Fundamentalisten, die solche verbrecherische Akte begehen wie der Angriff auf das World-Trade-Center. Das war natürlich Massenmord, und das kann man auf gar keinen Fall rechtfertigen. Solche Kräfte gibt es im Islam, aber das ist nicht ‚Der Islam‘. Natürlich – unser Gespräch ist da mit Vertretern des Islams. Die sagen auch: Der Islam ist eine friedliche Religion, will den Frieden, ist eine kultivierte Religion. Auch führende Islamvertreter sagen, einen Krieg zu führen oder Menschen zu töten mit Berufung auf Gott ist Beleidigung für Gott und ist ein Unrecht gegenüber den Menschen. Die sagen auch, Selbstmord ist auch im Koran verboten. Also, diese Selbstmordattentate im Nahen Osten, das ist auch etwas, was mit dem Koran nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Also, es gibt so eine ganze Reihe von sehr hochkultivierten, auch einflussreichen Muslimen, die das sagen, und ich denke, die Mehrheit des Volkes will Frieden. Es gibt diese anderen radikalisierten Kräfte, ganz gewiss. Die kann man nicht durch Dialog allein überzeugen, das ist wahr, aber wir führen diesen Dialog nach wie vor weiter, versuchen auch, Dialog zu machen zwischen Muslimen und Juden und Christen. Das ist ein Dreier-Dialog, es sind drei monotheistische Religionen. Dialog ist ein mühsames Geschäft, aber ich glaube, es gibt keine Alternative zum Dialog.
Arnold: Ganz am Anfang unseres Gesprächs sagten Sie, dass es vor allen Dingen Probleme gibt mit Deutschland im ökumenischen Gespräch, das heißt mit den Lutheranern. Was für Probleme sind da aufgetaucht?
Kasper: Ich würde das gar nicht auf die Lutheraner beziehen. Deutschland, das muss man sehen, ist das Land der Reformation der deutschen Protestanten, der deutschen Evangelischen. Es sieht sich dann auch in besonderer Weise herausgerufen, das Erbe der Reformation zu bewahren, die protestantische und evangelische Identität zu wahren. Das ist etwas durchaus Positives. Aber es haben sich die Dinge ein bisschen – was soll ich sagen – verhärtet momentan. Das mag damit zusammenhängen, dass es auch momentan interne Strukturprobleme gibt in Deutschland, wie die künftige Gestalt der EKD. Das sind Fragen, in die wir uns zumindestens öffentlich nicht einmischen. Aber es gibt auch vor allem auf der Gemeindeebene, auf der Diözesanebene nach wie vor eine gute Zusammenarbeit, das ist inzwischen fast selbstverständlich geworden, und es kann niemand zurück wollen hinter den ökumenischen Dialog.
Arnold: Fühlten sich die Kirchen in Deutschland von der Erklärung von Ratzinger und dem päpstlichen Brief im vergangenen Jahr schlecht behandelt?
Kasper: Nun, der Brief ist ja nicht nur an die Deutschen Protestanten gegangen, sondern hat ja praktisch alle evangelischen Kirchengemeinschaften betroffen. Insofern gibt es da keinen besonderen Grund in Deutschland.
Arnold: Die Deutschen sind vielleicht empfindlicher.
Kasper: Mag sein, sie sind empfindlich, und inzwischen gibt es aber auch Reaktionen und Erklärungen von evangelischer Seite, die wir auch nicht nur als freundlich empfinden. Ich denke, man muss über Empfindlichkeiten hinwegkommen. Das bringt nicht, immer so einander vorzurechnen: ‚Du hast das gesagt‘ – ‚Du hast das gesagt‘. Wir müssen nach vorne blicken, und es ist ein Auftrag, den wir von Christus selber haben – die Einheit der Kirche. Und in der gegenwärtigen Weltsituation ist der Auftrag um so dringender geworden. Die Spaltung der Christen ist ein Skandal und zur Ökumene gibt es keine Alternative. Wir hier sind entschlossen, weiterzugehen. Der Papst hat mehrfach gesagt: Die Entscheidung für die Ökumene ist irreversibel, unwiderrufbar. Wir wollen vorangehen, allerdings mit gegenseitigem Respekt und unter Anerkennung der jeweiligen Tradition des anderen.
Arnold: Im kommenden Jahr in Berlin wird es den ersten evangelisch-katholischen Kirchentag geben. Werden dann zum ersten mal beide gemeinsam zum Abendmahl gehen?
Kasper: Also, das Letztere ist inzwischen geklärt, dass wir leider Gottes noch nicht so weit sind, das guten Gewissens tun zu können, das wird auch von den Führungsleuten auf beiden Seiten anerkannt. Das bedeutet aber nicht, dass der Kirchentag keinen Sinn hat. Ganz im Gegenteil. Ich denke einerseits: Das Verhältnis zwischen den großen Kirchen in Deutschland hat sich inzwischen in den letzten Jahrzehnten so positiv entwickelt, und die Weltsituation ist dringend – genug dass es Grund gibt, dass die Christen gemeinsam Zeugnis geben von dem, was sie gemeinsam haben - das, was sie gemeinsam haben, ist weit mehr als das, was sie trennt -, sie gemeinsam Zeugnis geben von ihren menschlichen christlichen Grundwerten, für den Frieden, für die Gerechtigkeit in der Welt, für die Familie; die ganzen neuen Herausforderungen, die es in der Biomedizin usw. gibt, aufgreifen; dass sie gemeinsam sprechen und zeigen: Nein, wir Christen haben gemeinsam etwas zu sagen, auch wenn es da noch Unterschied gibt, die wir beide respektieren und ernst nehmen.
Arnold: Aber im religiösen Alltag ist es doch inzwischen durchaus schon möglich, dass Katholiken und Evangelen gemeinsam zur Messe gehen, sogar gemeinsam das Abendmahl einnehmen. Das gibt es doch in kleineren Gemeinden durchaus, nur nicht im großen Rahmen.
Kasper: Wird faktisch oft getan; die Frage ist, ob es wirklich möglich ist. Ich sage immer: Einer, der bei uns zur Eucharistie, zur Kommunion gehen will, der muss ehrlich ‚Amen‘ sagen können zu dem, was dort gesagt wird, was dort geschieht. Und man kann ja nicht bloß hingehen und die Hand hinhalten. Das ist zu einfach, zu billig. Also kann er ‚Amen‘ sagen das, was wir glauben bei der Eucharistie. Wir nennen etwa den Namen des Papstes zum Ausdruck dafür: Wir tun das in Gemeinschaft mit ihm; es ist von Maria die Rede, von den Heiligen die Rede im Kanon der Messe. Das zeigt, da sind Fragen zu stellen, und da muss der Einzelne fragen: Kann ich dazu ‚ja‘ sagen oder habe ich da Vorbehalte? Und je nach dem, wenn er grundsätzliche Vorbehalte hat, kann er ja ehrlicherweise nicht hingehen wollen.
Arnold: Die Menschen untereinander sind oft unkomplizierter im Umgang als die Institution, die Vertreter der Institutionen. Die tun sich einfach schwerer, Normalität anzuerkennen und sie zu formulieren.
Kasper: Ich würde zwei Dinge sagen. Einmal: Gewisse Spannung von oben und unten, wenn man das so sagen kann, ist normal und tut auch gut und die muss sein. Spannungen gehören zum Leben; wo keine Spannungen sind, da ist der Tod. Man will eine lebendige Kirche. Das Zweite möchte ich hinzufügen: Wenn alle Menschen, evangelische wie katholische, in Deutschland heute schon so weit wären wie der Papst es ist, wären wir ein ganz gutes Stück weiter. Es gibt durchaus Punkte, wo das Oben, wie Sie sagen – die Kirchenleitungen – weiter sind und weiter wollen, wo aber auch von unten gebremst wird. Also, das Bild von oben und unten allein stimmt nicht. Auch in der sogenannten Basis gibt es unterschiedliche Strömungen, denen beide Kirchen gerecht werden wollen / müssen, denn man kann ja keine neuen Spaltungen produzieren um der Einheit willen. Das wäre absurd. Aber ich denke, es gibt viele Punkte, da ist der Papst weiter als viele Gläubige an der Basis.
Arnold: Herr Kardinal, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Kasper: Mein persönliches Leben hat es überhaupt nicht verändert. Ich habe mehr an Verantwortung bekommen, aber mein persönliches Leben vollzieht sich in der gleichen Weise wie vorher als Professor oder als Bischof. Das Kardinalat ist der Titel, und das ist aber auch mehr an Verantwortung, jetzt gerade für den ökumenischen Bereich. Und das nimmt mich dann schon sehr in Beschlag, es ist ein sehr interessantes Gebiet.
Arnold: Sie haben nicht mehr so viel Kontakt zu den Menschen, zu den Gläubigen, zu den Katholiken wie früher, als Sie Bischof waren in Rottenburg-Stuttgart?
Kasper: Das fehlt mir auch, da ich das sehr geliebt habe, die Beziehungen jeden Sonntag in einer Gemeinde, auch oft am Werktag. Aber es ist nicht so, dass man hier keine Beziehungen hat. Gerade die Dikasterien, unsere Behörde ist auf Kontakt angewiesen. Ich bin mindestens ein Drittel des Jahres nicht hier in Rom, bin unterwegs. Da trifft man die vielen Menschen, und zwar weltweit. Und es kommen sehr viele Menschen zu uns her. Es ist ja nicht das einzige Gespräch, das Sie jetzt mit mir führen, sondern das geht jetzt schon den ganzen Morgen so. Es kommen auch Gruppen von Studenten, von Priestern, natürlich kommen Diplomaten, es kommen Bischöfe hierher. Und wenn ich in der Welt herumfahre, treffe ich natürlich sehr viele Menschen. Ich würde sagen, mein Radius hat sich in gewisser Hinsicht auch erweitert. Es ist nicht auf ein Land oder nur auf eine Diözese eingegrenzt, sondern es ist inzwischen weltweit geworden.
Arnold: Sie sind ein Weltreisender in Sachen Ökumene. Der Papst hat Sie bereits 1999 zum Sekretär des ‚Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen‘ ernannt. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Kasper: Das Wichtigste in dieser Arbeit sind die persönlichen Begegnungen. Und die offiziellen Dialoge, die theologischen Gespräche kann man alle vergessen, wenn es nicht gelingt, persönlichen Kontakt zu gewinnen und Freundschaft zu schließen. Und da muss man sich von Angesicht zu Angesicht einfach begegnen. So treffe ich laufend Bischöfe aus aller Welt hier oder wenn ich unterwegs bin. Man hat mit den Botschaftern hier Kontakt, mit vielen Journalisten aus aller Welt Kontakt, mit Gruppen, die nach Rom kommen, die hierher kommen – also sehr viele Gespräche. Das ist sehr abwechslungsreich, sehr spannend, weil das ökumenische Gespräch sich hier in Rom ja nicht nur auf das Verhältnis evangelisch / katholisch bezieht, was in Deutschland selbstverständlich im Vordergrund steht. Wir haben schon mit den altorientalischen Kirchen zu tun, das sind zunächst sehr archaisch anmutende Kirchen – die Kopten, die Syrer, die Armenier, die Äthiopier –, aber sehr lebendige Kirchen, die sind schon seit dem fünften Jahrhundert von uns getrennt. Dann kommen die ganzen orthodoxen Kirchen, die Byzantiner, die slawischen, die Russen. Also, es ist ein ganz breites Spektrum, mit dem man es hier zu tun hat
Arnold: Welche der Gruppen sind im Augenblick am verschlossensten, wenn es um Brüderlichkeit, um Versöhnung geht?
Kasper: Gut, man hat also sehr weitgehende neue Sekten, die sind vor allem in Lateinamerika, in Afrika, aber auch in Asien tätig. Die sind zum Teil sehr fundamentalistisch, sehr aggressiv, damit kann man keinen Dialog natürlich führen. Ein Dialog setzt voraus, dass man sich gegenseitig achtet, sich anerkennt und dann auch aufeinander eingeht. Momentan haben wir dann ganz große Schwierigkeiten auch mit der russisch-orthodoxen Kirche. Aber mit den anderen orthodoxen Kirchen, also Konstantinopel, Antiochien, Alexandrien, Jerusalem und in dem ganzen Bereich der Diaspora ist es sehr gut, ein sehr freundschaftliches, enges Verhältnis. Mit der russisch-orthodoxen Kirche ist es momentan sehr, sehr schwierig geworden. Wir hoffen, dass wir das verbessern können, aber es liegt eben nicht nur an uns. Ich muss allerdings dazufügen, dass der Dialog etwa mit den Lutheranern in Amerika viel, viel leichter ist als er momentan leider in Deutschland ist.
Arnold: Was ist denn im Augenblick das Problem mit den Russisch-Orthodoxen? Der Papst, das weiß man, würde wahnsinnig gerne nach Moskau fahren; eine Einladung gibt es immer noch nicht. Woran spalten sich nach wie vor die Geister?
Kasper: Also, wir haben auf jeden Fall eine sehr große Hochachtung vor der russisch-orthodoxen Kirche, wir wollen einen brüderlichen oder geschwisterlichen Dialog. Wir anerkennen sie als eine Schwesterkirche. Es sind zunächst mal auch interne Schwierigkeiten in Russland selber. Sie müssen denken, die sind zum ersten mal in ihrer Geschichte frei, frei vom Zar, frei von der kommunistischen Unterdrückung, die ja 70 Jahre gedauert hat, sehr hart war – jetzt erst seit zwölf Jahren frei. Die müssen sich sicherlich auch orientieren. Da gibt es auch interne Spannungen, denen muss der Patriarch Rechnung tragen. Ein Zweites kommt hinzu: Sie beanspruchen eben, die traditionelle Kirche in Russland zu sein, sprechen von einem kanonischen Territorium. Das anerkennen wir, dass sie die traditionelle Kirche sind. Es wäre ja absurd, wenn wir uns vornehmen würden, Russland katholisch zu machen. Das ist ja eine ganz kleine Minderheit von Katholiken, die dort wohnt. Aber jede ‚Bekehrung‘ eines Russen zur römisch-katholischen Kirche ist dann gleich Proselytismus. Da sagen wir, man muss die Religionsfreiheit anerkennen. Es gibt ja auch Katholiken, die orthodox werden in den Diözesen, die sie in Berlin, Wien, London, Paris oder Brüssel haben. Das freut einen nicht, aber man muss es respektieren – die Entscheidungen. Das fällt ihnen noch etwas schwer, diese Anerkennung der Religionsfreiheit. Und das sind so innerpolitische Probleme, könnte man sagen. Und dann solche Probleme, so wie Freiheitsrechte, die für uns im Westen inzwischen eben fundamental sind, anzuerkennen – natürlich wird bei uns auch gelegentlich ein Fehler gemacht, aber wo gibt es das nicht, es ist kein Privileg der Katholischen Kirche, gelegentlich Fehler zu machen, das ist auf der anderen Seite auch so. Und dort braucht es im Augenblick sehr viel Geduld, um weiterzukommen.
Arnold: Es gilt hier ja als Problem, das päpstliche Primat, und Ihr Kollege, Kardinal Ratzinger, hat mit seiner Erklärung ‚Dominus Jesus‘ ja auch für Irritationen gesorgt. Ist durch diese Erklärung das ökumenische Gespräch mit der orthodoxen Kirche zum Stillstand gekommen und praktisch zu einem Punkt, wo es wieder eine Eiszeit gab?
Kasper: Also, von einer Eiszeit würde ich auf gar keinen Fall sprechen - gewisse Schwierigkeiten und Verstimmungen, das kommt in den besten Familien sozusagen vor, und es sind auch ‚Familienkräche‘ inzwischen geworden. Und das ist ja etwas Positives. Man fühlt sich als Familie, und da kracht es gelegentlich. Aber diese Erklärung ‚Dominus Jesus‘ hat eher Verstimmungen bei den protestantischen Kirchen und Kirchengemeinschaften ausgelöst, Die Orthodoxen sind ja in dieser Erklärung anerkannt worden als wahre volle Kirchen. Da war mehr der Brief über das Problem der Schwesterkirchen, das da für Verstimmungen oder Fragen – Nachfragen – Anlass war. Ich denke, inzwischen ist das auch weitgehend überwunden. Die Sprache hätte vielleicht ein bisschen freundlicher sein können, dann hätte es nicht so viele Mißverständnisse gegeben. Aber das konnte man in der Zwischenzeit auch erklären und verständlich machen bei denen, die guten Willens sind.
Arnold: Sie sprechen ja ganz offen davon, dass es verschiedene Kirchentypen gibt. Dagegen spricht Kardinal Ratzinger ja von der ‚Universalkirche‘. Das ist ja schon, sagen wir mal, ein grundlegender Unterschied
Kasper: Von der Universalkirche spreche ich natürlich auch, das ist klar . . .
Arnold: . . . von der Akzentsetzung . . .
Kasper: . . . ja, auch der katholischen Akzente zwischen Kardinal Ratzinger und mir. Im übrigen haben wir uns weitgehend in der Zwischenzeit auch verständigt. Beide natürlich sprechen von der ‚Universalkirche‘, er spricht selbstverständlich auch von den ‚Ortskirchen‘, und er sagt selbstverständlich, was das Konzil sagt, dass die orthodoxen Kirchen wahre Kirchen im Sinn von Ortskirchen sind, mit einer eigenen Würde, eigenen Geschichte und auch eigenen Rechtsvorgängen. Also, da sind gewisse Akzentunterschiede, aber kein fundamentaler Dissens zwischen uns.
Arnold: Sie werden immer wieder als der liberale Gegenspieler von Kardinal Ratzinger, dem obersten Glaubenshüter, genannt. Sie mögen das nicht so gerne, Sie haben diesem Vorwurf oft widersprochen. Sie sagen auch: ‚Wir ziehen an einem Strang‘. Wie sieht denn eine Auseinandersetzung in den Diskussionen mit Kardinal Ratzinger aus?
Kasper: Sobald man dem Kardinal Ratzinger persönlich begegnet, hat man einen völlig anderen Eindruck, als der, der in der Öffentlichkeit oft von ihm vermittelt wird. Er ist ja ein sehr intelligenter, ein sehr differenzierter Mann, mit dem man sehr gescheit und differenziert diskutieren kann, und es ist auch jedes mal fast ein Vergnügen, mit ihm dann auch ein bisschen die Klinge zu kreuzen, weil das erstens natürlich in menschlich sehr kultivierter Form geht und dann auch sehr differenziert und auf hohem Niveau geschieht. Die Begegnungen geschehen entweder persönlich oder - ich bin Mitglied der Glaubenskongregation - bei den entsprechenden Sitzungen der sogenannten ‚Feria Quarta‘, da ist das ein offener, freundschaftlicher Dialog. Aber auch andere Kardinäle sagen da ihre Meinung, und am Schluss wird zusammengefasst. Und insofern ist das auch dort immer ein sehr offenes und ehrliches Gespräch mit unterschiedlichen Akzenten und Meinungen. Es wäre ja komisch, wenn alle Kardinäle immer genau das Gleiche sagen würden; die sind nicht als Papageien abgerichtet, sondern haben unterschiedliche Erfahrungshintergründe, unterschiedliche Temperamente und auch unterschiedliche Akzente. Und das muss zusammenkommen und gebündelt werden dann in der Entscheidung.
Arnold: Bei den Gesprächen geht es mitunter schon heftig und temperamentvoll zu . . .
Kasper: . . . temperamentvoll eigentlich nicht, dass man da nun aus der Rolle fällt. Es ist im allgemeinen schon ein sehr kultivierter Ton, aber mit sachlichen Argumenten und in einer objektiven, guten menschlichen und christlichen Form.
Arnold: Ich möchte noch auf einen ganz kurzen Unterschied eingehen. Sie treten ja für eine Stärkung der Ortskirche und der Bischöfe ein. Kardinal Ratzinger sieht das nicht als so wichtig an . . .
Kasper: . . . mindestens in seinen früheren Schriften ist er sehr dafür eingetreten auch für eine Stärkung der Ortskirche. Er ist sicher auch heute noch dafür, aber er setzt den Akzent mehr auf Universalkirche. Ich meine, auch gerade in dieser globalisierten Welt sind die Situationen so verschieden, dass die Ortskirchen ihren eigenen Spielraum innerhalb des Rahmens natürlich der Gesamtkirche mehr haben sollten, als das gegenwärtig der Fall ist.
Arnold: Nun, die Gläubigen gehen ja nun nicht in der Universalkirche zum Gottesdienst, sondern in den Ortskirchen. Aber in ganz Europa, vor allem auch in Deutschland, gehen ja immer weniger Menschen in die Kirche, vor allen Dingen junge Menschen. Wie kann man Menschen wieder in die Kirche bringen, Ihrer Ansicht nach?
Kasper: Ich meine – gut, die Kirche muss ein menschliches Antlitz zeigen, und das ist das allerwichtigste. Glaube entsteht nicht durch Bücher und nicht durch Erklärungen, Glaube entsteht in menschlicher Begegnung. Ein menschliches, menschenfreundliches, barmherziges, ein frohes Antlitz muss die Kirche zeigen. Zum anderen: Es bringt gar nichts, da jetzt – sagen wir mal – liberal aufzulösen. Die Kirche muss eine Identität haben. Auch gerade junge Menschen wollen ja ein Gegenüber, an dem sie sich reiben können. Sonst nehmen sie einen nicht ernst, wenn das nur eine Gummiwand ist. Ich denke, die Kirche muss Profil zeigen. Das ist schon wichtig, aber sie muss argumentativ dafür eintreten. Und vielleicht ein drittes Moment: Die junge Generation hat einen anderen Stil als wir Älteren – schon in der Kleidung und in der ganzen Art, wie sie sich geben, wie sie sprechen, welche Art von Musik sie mögen. Und da muss man ein Feeling, wie man da heute sagt, dafür bekommen, sonst ist man ‚out‘, wie sie sagen. Einer, der das vorzüglich kann, ist ja der Papst, obwohl der – sagen wir – zwei Generationen Unterschied hat zu den jungen Leuten, hat er ja noch einen Draht zur jungen Generation. Umgekehrt: Die verstehen ihn, diesen alten Mann, der einen völlig anderen Erfahrungshintergrund, eine andere Biographie hat. Also, so etwas ist möglich. Aber warum akzeptieren sie den Papst? Sicher, weil sie den Eindruck haben, der ist ‚echt‘. Er steht für das, was er sagt. Vielleicht übernehmen sie das nicht alles in ihren Lebensstil, was er sagt, aber sie nehmen es ihm ab. Und ich denke, das zeigt, wie man doch mit jungen Menschen umgehen kann.
Arnold: Der Papst ist wirklich ein großer Star für die Jugendlichen. Aber wenn man hier am Vatikan mit den hohen Mauern vorbeigeht – ich empfinde sie immer noch als abweisend –, also müsste sich nicht der Vatikan öffnen, müssten nicht andere Kirchenvertreter auch offen werden wie der Papst?
Kasper: Das ist richtig. Deshalb gehe ich ja auch hinaus und bleibe nicht nur im Vatikan, sondern gehe hinaus. Es gehen aber auch andere Kardinäle und Bischöfe mit entsprechenden Aufgaben hinaus. Das ist aber dann auch in erster Linie die Aufgabe der Ortsbischöfe und der Priester vor Ort, auf die Menschen zuzugehen. Wir müssen eine ‚Geh hin – Kirche‘ werden und nicht eine ‚Komm her – Kirche‘ sein. Sicher ist auch in Rom noch einiges hinzuzulernen, das ist richtig. Aber der Papst gibt uns ein ganz gutes und herausforderndes Beispiel.
Arnold: Der Papst ist alt, der Papst ist krank. Dennoch führt er die Kirche nach wie vor, und er ist kein schwacher Papst?
Kasper: Natürlich muss er viele Dinge jetzt lassen in dem Alter und auch in seinem gesundheitlichen Zustand. Er konzentriert sich auf die wesentlichen, die entscheidenden Sachen. Das andere delegiert er. Vielleicht ist das aber auch ein providentielles Zeichen. Ein Papst muss nicht ein Supermanager sein, wie man eine Großfirma, eine internationale Firma führt, sondern der Papst kann sehr vieles delegieren, anderen überlassen. Das Entscheidende ist das Zeugnis, das er gibt. Und ich denke auch, in dieser Schwachheit gehört ja Mut dazu, so vor die Kamera zu treten. Sich so zu zeigen, gibt er doch auch ein Zeugnis, wie man das nennt: Der Sieg des Geistes über das schwache Fleisch.
Arnold: Aber er scheint mehr zu delegieren als früher?
Kasper: Das sicher, das muss er jetzt natürlich tun und sich auch auf Mitarbeiter verlassen. Das ist auch ein Akt des Vertrauens, den er damit setzt. Und ich denke, das ist ja heute ein ganz gutes Führungsprinzip.
Arnold: Man ist natürlich versucht, als Fremder, als jemand, der nicht im Vatikan ist, zu denken, dass es hier ganz furchtbare Ränkespiele gibt und dass keiner dem anderen über den Weg traut. Kommt diese Idee und diese Vorstellung eigentlich nur von schlechten Büchern und Filmen?
Kasper: Ja gut, da gibt es viel Phantasie, und das schlägt sich ja zum Teil auch in den meisten Medien nieder. Ich denke, im Vatikan - das sind Menschen, wie alle anderen Menschen auch, Menschen mit ihren Schwierigkeiten, mit ihren Schwächen, aber auch Menschen mit ihrem großen Elan, mit ihrer Begeisterung, mit ihrem Einsatz für die Kirche. Und da wird nun miteinander verhandelt und gesprochen und versucht, auch die eigene Idee durchzubringen, wie das fast überall ist. Aber ich meine, dieses Schreckensbild des Vatikans, von den Verliesen des Vatikans und was da geschieht, das gehört mehr in das Reich des Mythos als der Realität. Ich denke, wir sind sicher nicht schlechter als es sonst wo ist – manchmal auch ein bisschen, was die ethische Einstellung ist, besser.
Arnold: Der Papst wird nicht zurücktreten. Diese Gerüchte sind nun endgültig vom Tisch, auch nach den letzten Äußerungen von Johannes Paul II selbst.
Kasper: Der Papst hat völlig klar gesagt, was er will. Und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Arnold: Indirekt sind Sie auch mit dem interreligiösen Gespräch beschäftigt - zwar ist die Ökumene Ihr Schwerpunkt. Wie hat sich denn dieses Gespräch mit den Moslems seit dem 11. September vergangenen Jahres verändert?
Kasper: Es ist intensiver geworden und es ist dringender geworden. Aber da muss man sehr aufpassen. Wir dürfen den Islam nicht identifizieren mit diesen Fundamentalisten, die solche verbrecherische Akte begehen wie der Angriff auf das World-Trade-Center. Das war natürlich Massenmord, und das kann man auf gar keinen Fall rechtfertigen. Solche Kräfte gibt es im Islam, aber das ist nicht ‚Der Islam‘. Natürlich – unser Gespräch ist da mit Vertretern des Islams. Die sagen auch: Der Islam ist eine friedliche Religion, will den Frieden, ist eine kultivierte Religion. Auch führende Islamvertreter sagen, einen Krieg zu führen oder Menschen zu töten mit Berufung auf Gott ist Beleidigung für Gott und ist ein Unrecht gegenüber den Menschen. Die sagen auch, Selbstmord ist auch im Koran verboten. Also, diese Selbstmordattentate im Nahen Osten, das ist auch etwas, was mit dem Koran nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Also, es gibt so eine ganze Reihe von sehr hochkultivierten, auch einflussreichen Muslimen, die das sagen, und ich denke, die Mehrheit des Volkes will Frieden. Es gibt diese anderen radikalisierten Kräfte, ganz gewiss. Die kann man nicht durch Dialog allein überzeugen, das ist wahr, aber wir führen diesen Dialog nach wie vor weiter, versuchen auch, Dialog zu machen zwischen Muslimen und Juden und Christen. Das ist ein Dreier-Dialog, es sind drei monotheistische Religionen. Dialog ist ein mühsames Geschäft, aber ich glaube, es gibt keine Alternative zum Dialog.
Arnold: Ganz am Anfang unseres Gesprächs sagten Sie, dass es vor allen Dingen Probleme gibt mit Deutschland im ökumenischen Gespräch, das heißt mit den Lutheranern. Was für Probleme sind da aufgetaucht?
Kasper: Ich würde das gar nicht auf die Lutheraner beziehen. Deutschland, das muss man sehen, ist das Land der Reformation der deutschen Protestanten, der deutschen Evangelischen. Es sieht sich dann auch in besonderer Weise herausgerufen, das Erbe der Reformation zu bewahren, die protestantische und evangelische Identität zu wahren. Das ist etwas durchaus Positives. Aber es haben sich die Dinge ein bisschen – was soll ich sagen – verhärtet momentan. Das mag damit zusammenhängen, dass es auch momentan interne Strukturprobleme gibt in Deutschland, wie die künftige Gestalt der EKD. Das sind Fragen, in die wir uns zumindestens öffentlich nicht einmischen. Aber es gibt auch vor allem auf der Gemeindeebene, auf der Diözesanebene nach wie vor eine gute Zusammenarbeit, das ist inzwischen fast selbstverständlich geworden, und es kann niemand zurück wollen hinter den ökumenischen Dialog.
Arnold: Fühlten sich die Kirchen in Deutschland von der Erklärung von Ratzinger und dem päpstlichen Brief im vergangenen Jahr schlecht behandelt?
Kasper: Nun, der Brief ist ja nicht nur an die Deutschen Protestanten gegangen, sondern hat ja praktisch alle evangelischen Kirchengemeinschaften betroffen. Insofern gibt es da keinen besonderen Grund in Deutschland.
Arnold: Die Deutschen sind vielleicht empfindlicher.
Kasper: Mag sein, sie sind empfindlich, und inzwischen gibt es aber auch Reaktionen und Erklärungen von evangelischer Seite, die wir auch nicht nur als freundlich empfinden. Ich denke, man muss über Empfindlichkeiten hinwegkommen. Das bringt nicht, immer so einander vorzurechnen: ‚Du hast das gesagt‘ – ‚Du hast das gesagt‘. Wir müssen nach vorne blicken, und es ist ein Auftrag, den wir von Christus selber haben – die Einheit der Kirche. Und in der gegenwärtigen Weltsituation ist der Auftrag um so dringender geworden. Die Spaltung der Christen ist ein Skandal und zur Ökumene gibt es keine Alternative. Wir hier sind entschlossen, weiterzugehen. Der Papst hat mehrfach gesagt: Die Entscheidung für die Ökumene ist irreversibel, unwiderrufbar. Wir wollen vorangehen, allerdings mit gegenseitigem Respekt und unter Anerkennung der jeweiligen Tradition des anderen.
Arnold: Im kommenden Jahr in Berlin wird es den ersten evangelisch-katholischen Kirchentag geben. Werden dann zum ersten mal beide gemeinsam zum Abendmahl gehen?
Kasper: Also, das Letztere ist inzwischen geklärt, dass wir leider Gottes noch nicht so weit sind, das guten Gewissens tun zu können, das wird auch von den Führungsleuten auf beiden Seiten anerkannt. Das bedeutet aber nicht, dass der Kirchentag keinen Sinn hat. Ganz im Gegenteil. Ich denke einerseits: Das Verhältnis zwischen den großen Kirchen in Deutschland hat sich inzwischen in den letzten Jahrzehnten so positiv entwickelt, und die Weltsituation ist dringend – genug dass es Grund gibt, dass die Christen gemeinsam Zeugnis geben von dem, was sie gemeinsam haben - das, was sie gemeinsam haben, ist weit mehr als das, was sie trennt -, sie gemeinsam Zeugnis geben von ihren menschlichen christlichen Grundwerten, für den Frieden, für die Gerechtigkeit in der Welt, für die Familie; die ganzen neuen Herausforderungen, die es in der Biomedizin usw. gibt, aufgreifen; dass sie gemeinsam sprechen und zeigen: Nein, wir Christen haben gemeinsam etwas zu sagen, auch wenn es da noch Unterschied gibt, die wir beide respektieren und ernst nehmen.
Arnold: Aber im religiösen Alltag ist es doch inzwischen durchaus schon möglich, dass Katholiken und Evangelen gemeinsam zur Messe gehen, sogar gemeinsam das Abendmahl einnehmen. Das gibt es doch in kleineren Gemeinden durchaus, nur nicht im großen Rahmen.
Kasper: Wird faktisch oft getan; die Frage ist, ob es wirklich möglich ist. Ich sage immer: Einer, der bei uns zur Eucharistie, zur Kommunion gehen will, der muss ehrlich ‚Amen‘ sagen können zu dem, was dort gesagt wird, was dort geschieht. Und man kann ja nicht bloß hingehen und die Hand hinhalten. Das ist zu einfach, zu billig. Also kann er ‚Amen‘ sagen das, was wir glauben bei der Eucharistie. Wir nennen etwa den Namen des Papstes zum Ausdruck dafür: Wir tun das in Gemeinschaft mit ihm; es ist von Maria die Rede, von den Heiligen die Rede im Kanon der Messe. Das zeigt, da sind Fragen zu stellen, und da muss der Einzelne fragen: Kann ich dazu ‚ja‘ sagen oder habe ich da Vorbehalte? Und je nach dem, wenn er grundsätzliche Vorbehalte hat, kann er ja ehrlicherweise nicht hingehen wollen.
Arnold: Die Menschen untereinander sind oft unkomplizierter im Umgang als die Institution, die Vertreter der Institutionen. Die tun sich einfach schwerer, Normalität anzuerkennen und sie zu formulieren.
Kasper: Ich würde zwei Dinge sagen. Einmal: Gewisse Spannung von oben und unten, wenn man das so sagen kann, ist normal und tut auch gut und die muss sein. Spannungen gehören zum Leben; wo keine Spannungen sind, da ist der Tod. Man will eine lebendige Kirche. Das Zweite möchte ich hinzufügen: Wenn alle Menschen, evangelische wie katholische, in Deutschland heute schon so weit wären wie der Papst es ist, wären wir ein ganz gutes Stück weiter. Es gibt durchaus Punkte, wo das Oben, wie Sie sagen – die Kirchenleitungen – weiter sind und weiter wollen, wo aber auch von unten gebremst wird. Also, das Bild von oben und unten allein stimmt nicht. Auch in der sogenannten Basis gibt es unterschiedliche Strömungen, denen beide Kirchen gerecht werden wollen / müssen, denn man kann ja keine neuen Spaltungen produzieren um der Einheit willen. Das wäre absurd. Aber ich denke, es gibt viele Punkte, da ist der Papst weiter als viele Gläubige an der Basis.
Arnold: Herr Kardinal, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.