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Katakomben von Neapel
Arbeitsplätze im Untergrund

Neapel macht oft negative Schlagzeilen: Der Müll, die Camorra, eine horrend hohe Arbeitslosigkeit. Ein anderes Neapel zeigt sich im Untergrund: Ein Labyrinth aus Katakomben lockt Touristen aus aller Welt und ist zugleich ein erfolgreiches Arbeitsbeschaffungsprogramm - ganz ohne staatliche Gelder.

Von Kirstin Hausen | 19.07.2017
    Beleuchtete Säulen in den Katakomben von Neapel.
    Die Katabomben von Neapel locken Touristen aus aller Welt an. (imago / Milestone Media)
    9 Uhr morgens in Neapel im Viertel Sanità, Filippo, 31 Jahre alt, klein und drahtig, öffnet sein Lebensmittelgeschäft.
    Er sagt: "Mal abgesehen davon, dass wir den Leuten gute Preise machen, bekommen sie bei uns auch menschliche Wärme. Man kennt sich, man vertraut sich, man heult sich auch mal aus. Das ist das Schöne an Neapel - und dieses Viertel hier ist das Herz der Stadt, hier ist das echte Neapel."
    Und trotzdem verirrten sich bis vor einigen Jahren nur wenige Besucher hierher. Zu gefährlich, zu schmutzig. Sanità ist eines der ärmeren Viertel von Neapel. Filippo engagiert sich im Verein "La Paranza", einem Verein, der in Sanità viel bewirkt hat. Gegründet wurde er im Juni 2006, auf Initiative des Pfarrers, Padre Antonio Loffredo. Ihm ging es darum, den jungen Leute, die Tag aus Tag ein auf den Straßen rund um die Kirche Santa Maria della Sanità herumlungerten, Arbeit und eine Perspektive zu geben: im Tourismus. Das Viertel hat kunsthistorisch einiges zu bieten, wie Vereinsmitglied Flora erklärt.
    "Wir wollen Touristen ins Viertel bringen. Der Staat hilft uns nicht, aber es gibt private Stiftungen, die unsere Projekte zur Restaurierung von Kulturdenkmälern finanziell unterstützen. Was uns auszeichnet, ist unsere Begeisterung für dieses Viertel. Wir wollen die positiven Aspekte herausstreichen, seine Schönheit zeigen."
    Die Wiedereröffnung der Katakomben belebt das ganze Stadtviertel
    Begeistert ist die junge Frau vor allem von der Unterwelt der Sanità: den Katakomben. Einer der Einstiege liegt beim Hauptaltar der Kirche Santa Maria della Sanità. Ein Labyrinth aus Gängen und Grabkammern, durch das Flora täglich Besucher führt - mehrere Meter tief unter den Straßen. Eine unterirdische Stadt - eine Totenstadt. In frühchristlicher Zeit wurden hier die Verstorbenen beigesetzt.
    Flora geht weiter hinein in die Katakomben - bis zu einem unterirdischen Wandelgang, der im 16. Jahrhundert hinzugebaut worden ist. Hier besaßen die adligen Familien der Stadt eigene Grabkammern. Die Schädel der Toten wurden in Steinmulden gelegt, der Körper vor der letzten Ruhe von Flüssigkeit befreit. Das erledigte der sogenannte "schiattamuorto", der Totengräber. "Schiattare" bedeutet auspressen, zusammenpressen. Unwillkürlich stellt sich ein Schaudern ein.
    Flora aber lächelt fröhlich und sagt: "Viele sehen in den Katakomben das Ende eines Weges, des Lebensweges. Für mich symbolisieren sie den Beginn eines neuen Lebens. Mit ihrer Öffnung begann die Wiedergeburt des Viertels. 78.000 Besucher pro Jahr sind für uns und das Viertel Sanità ein tolles Ergebnis."
    Die meisten Besucher beschränken sich nämlich nicht auf die Katakomben. Sie trinken einen Kaffee auf dem Platz vor der Kirche, spazieren die Hauptstraße entlang, kaufen etwas. Und die Pizzerien sind jetzt auch mittags immer voll.
    Junge Neapolitaner finden Jobs
    Antonio Oliva hat aus dem Takeaway-Verkauf seiner Eltern eine große Pizzeria gemacht. Die Wände leuchten in orange, der riesige Holzkohleofen ist durch eine Glaswand zu sehen. Acht Männer von Anfang 20 bedienen die Gäste. "I miei ragazzi", meine Jungs, nennt Antonio Oliva sie: "Wir müssen doch zusehen, dass in Sanità Jobs geschaffen werden. Wie soll das Viertel sonst wachsen? Du musst säen und gießen, sonst kann nichts wachsen."
    Der Pizzeriabesitzer ist froh über die gute Entwicklung seines Viertels und unterstützt wie andere Geschäftsleute auch den Verein finanziell. "Unser Viertel ist lebendig, und es gibt viel zu sehen. Wir haben diese wunderbaren Bauten aus dem 15. Jahrhundert, und wenn wir die ins rechte Licht rücken, wird unser Stadtteil in einem ganz neuen Glanz erstrahlen", so Antonio Oliva.
    Neun Katakomben liegen unter dem Viertel Sanità. Drei sind bisher zugänglich. Es gibt also noch viel zu tun für die jungen Vereinsmitglieder.
    Flora schaut zuversichtlich in die Zukunft: "Früher mussten die Jungen auf der Suche nach Arbeit von hier weggehen. Wir dagegen haben uns eine Einkommensquelle geschaffen und werden natürlich hierbleiben."