Freitag, 19. April 2024

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Katalanische Unabhängigkeitsbestrebung
Politologe hält Referendum für illegal

Der Politikwissenschaftler Emanuel Richter hält das katalonische Referendum aus rechtlichen und formellen Gründen für problematisch. Im Dlf erklärte er, die EU müsse bestrebt sein, Präzedenzfälle dieser Art zu verhindern - der Zusammenhalt von ärmeren und reicheren Regionen sei Teil der europäischen Identität.

Emanuel Richter im Gespräch mit Birgid Becker | 01.10.2017
    Demonstranten fordern in Barcelona vor dem Referendum die Einheit Spaniens und tragen eine riesige gelb-rote Fahne.
    "Lasst uns dieses Referendum nicht vollziehen." Demonstranten fordern in Barcelona vor dem Referendum die Einheit Spaniens. (dpa / AP / Manu Fernandez)
    Das Referendum sei eindeutig illegal, so der Politikwissenschaftler Emanuel Richter.
    Zwar gebe es einerseits ein Selbstbestimmungsrecht der Völker: "Wenn ein Volk unterdrückt ist, muss es seine Freiheit bekommen." "Andererseits gibt es natürlich den Grundsatz der Staatenstabilität - und darauf beruft sich Madrid." Schon 2010 habe das Verfassungsgericht erklärt, dass sich ein solches Referendum nicht mit der spanischen Verfassung vereinbaren lasse. "Dort steht, dass die unauflösliche Einheit der spanischen Nation gewahrt werden muss."
    Abgesehen davon sei die Durchführung des Referendums schwierig, weil es gar keinen formellen Rahmen gebe, der die genauen Bedingungen dafür festlege. So sei beispielsweise nicht geklärt, wie hoch die Mindestbeteiligung sein müsse, damit das Referendum Gültigkeit besitzt. Darüber hinaus stünden längst nicht alle Katalanen hinter diesem Referendum. "Das haben wir ja in den letzten Tagen und Stunden gesehen: Es gibt eine Menge Katalanen, die für die spanische Einheit auf die Straße gehen und die sagen: Lasst uns dieses Referendum nicht vollziehen – weil es illegal ist und weil es keinen Sinn macht und weil auch überhaupt nicht klar ist, wohin es führen soll und was die Konsequenz eines so genannten erfolgreichen Referendums wäre."
    Angst vor Präzedenzfällen
    Die EU fürchte ihrerseits zurecht, dass hier ein Präzedenzfall entstehen könnte, zumal es in der EU ähnliche Autonomiebestrebungen in anderen Staaten gebe, wie zum Beispiel in Belgien mit der Wallonie und Flandern, dann auch in Italien mit Südtirol, Wales und Schottland in Großbritannien.
    In der Regel seien es immer die wohlhabenderen Regionen, die nach Autonomie strebten, so die Beobachtung Richters – die Regionen begründeten ihr Autonomiebestreben in der Regel damit, dass sie nicht länger bereit seien, für den Rest des Landes Extraleistungen zu erbringen.
    "Die Starken helfen den Schwachen"
    Das Verhältnis zwischen Spanien und Katalonien habe eine konfliktreiche Geschichte, die bis 1714, in die Zeit der spanischen Erbfolgekriege zurückgehe, so Richter. Damals sei Katalonien gewaltsam in den spanischen Staat eingegliedert worden. "Insofern gibt es da schon immer eine Unterdrückungsgeschichte, eine Differenzgeschichte." Allerdings hätten die meisten europäischen Nationalstaaten solche Geschichten des Bruchs, Geschichten der Zusammenfügung, der Autonomie von Teilen erlebt, erklärte Richter "Und ich würde sagen: Das gehört zu Europa." Und es gelte jetzt, diese Brüche und Unterschiede irgendwie zusammen zu führen. "Auch das ist Teil der EU-Geschichte."
    Diesem "Wohlstandsregionalismus" könne man aber entgegnen, dass genau das ein Stück der europäischen Identität sei: "Die Starken helfen den Schwachen."