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Katalanist: Als Katalane ist man etwas anderes als Spanier

Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist nicht ein Staat, sondern eine europäische Region: Katalonien, im nordöstlichen Teil Spaniens gelegen und mit eigener Autonomie-Regierung ausgestattet. Vor diesem Hintergrund zeigte sich der Katalanist Tilbert Dídac Stegmann dennoch skeptisch, ob bei einem Referendum heutzutage eine Mehrheit für einen eigenen katalanischen Staat wäre.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 08.10.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Frankfurter Buchmesse, morgen wird sie offiziell eröffnet. Schon jetzt aber sorgt sie für allerlei Gesprächsstoff. Diesmal nämlich ist nicht ein Land zu Gast, sondern eine Region, deren Einwohner sich allerdings sehr wohl als eigenständig sehen und von denen sich viele nichts sehnlicher wünschen als einen eigenständigen Staat. Die Rede ist von Katalonien, im nordöstlichen Teil Spaniens gelegen. Im Norden liegt Frankreich, im Osten das Mittelmeer, mit Barcelona als Hauptstadt. Viele Besucher der Messe werden sich vielleicht zum ersten Mal mit den kulturellen Wurzeln und den politischen Forderungen der Katalanen konfrontiert sehen. Die stehen allerdings auch nur beispielhaft für einen Trend in Europa, in dem die Regionen, die mehr Eigenständigkeit fordern, zahlreicher werden und lauter. Professor Tilbert Stegmann ist geboren in Barcelona als Sohn deutscher Eltern, Katalanist an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Kenner der katalanischen Literatur in Deutschland überhaupt. Jetzt ist er bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Tilbert Dídac Stegmann: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Stegmann, woher rührt der Wunsch vieler Katalanen nach Unabhängigkeit? Weshalb reicht ihnen nicht die Autonomie, die ihnen gewährt wird?

    Stegmann: Die Wurzeln sind, dass man eine eigene Sprache hat und eine eigene Kultur und eine eigene endlos lange Geschichte. 500 Jahre war ja das Grafenhaus und Königshaus Barcelona für die Geschicke Kataloniens, also der katalanisch-aragonesischen Krone zuständig, also sozusagen ein historischer Hintergrund, dann ein sprachlicher Hintergrund und dann jetzt ein Identitätsgefühl, dass man als Katalane etwas anderes ist als Spanier.

    Heckmann: Ein Gefühl jetzt, sagen Sie, das neuerdings entstanden ist oder sich zumindest verstärkt hat?

    Stegmann: Nein, nein. Wie ich Ihnen sagte: das ist eine historisch verwurzelte Angelegenheit. Das wurde während der Franco-Diktatur natürlich schwer in Mitleidenschaft gezogen. Andererseits verband man mit dem katalanischen Identitätsgefühl gleichzeitig ein Gefühl der Sehnsucht nach Demokratie, nach Freiheit. Das hatte alles sehr positive Richtungen. Und jetzt ist natürlich in Spanien insgesamt die Demokratie und die Freiheit in diesem Sinne, wenn man das mit der Franco-Zeit vergleicht, eingezogen.

    Heckmann: Welche Rolle spielt die Franco-Ära in dieser Frage heute in Katalonien?

    Stegmann: Ich denke das ist Vergangenheit. Man ist froh, dass man aus dieser Situation heraus ist und dass man jetzt irgendwie in Kontakt, in Kommunikation tritt. Aber die Verfassungslage ist natürlich noch sehr zentralistisch. Die spanische Verfassung ist eine Verfassung, die die Katalanen und das katalanische Parlament in den zweiten Rang verweist.

    Heckmann: Die aber allerdings auch Autonomie einräumt?

    Stegmann: Die Autonomie einräumt, aber eben im zweiten Rang, nicht gleichrangig mit dem spanischen Parlament und das ist sicherlich eine ungerechte Lage.

    Heckmann: Ist es eigentlich Konsens in der Bevölkerung in Katalonien, dass man eben wirklich eigenständig sein will, oder ist die Bevölkerung eher gespalten? Gibt es da auch viele, die darin vielleicht auch Nachteile sehen?

    Stegmann: Gespalten würde ich nicht sagen, denn es zeichnet sich Katalonien gerade durch solch eine ziemlich einheitliche harmonische, vielleicht zu harmonische - aber ich meine harmonisch ist immer positiv - Situation aus und ich weiß auch nicht zu sagen, ob bei einem Referendum eine Mehrheit für einen eigenen katalanischen Staat da wäre. Das hängt wahrscheinlich davon ab, wie man bei einem Referendum die Frage stellt. Wenn man die geschickt stellt, also im katalanistischen Sinne, dann würde vielleicht eine Mehrheit zusammen kommen. Wenn man die ganz krass stellt, sozusagen unter separatistischem Gesichtspunkt, dann würde das abgelehnt werden.

    Heckmann: Am Nationalfeiertag, am 11. September, waren in Barcelona viele junge Leute zu sehen mit der katalanischen Flagge. Auch Jugendliche aus dem linken politischen Spektrum haben eine nationale Agenda. Auf uns Deutsche wirkt das seltsam.

    Stegmann: Ja, überhaupt der Begriff Nationalismus. Ich möchte ihn gar nicht auf Katalonien angewendet wissen. Das ist mit Recht besonders für uns Deutsche ein ganz negativ beladener Begriff. Wenn man vielleicht das irgendwie durch andere Begriffe ersetzen könnte wie zum Beispiel Identität schaffendes Gruppengefühl oder Sorge dafür, dass eben auch eine Zukunft für die katalanische Sprache da ist, eine Zukunft für eine differenzierte katalanische Kultur. So eine Zukunft bedarf natürlich eines gemeinsamen Projektes und eines gemeinsamen Zieles. Ohne eine solche gruppendynamische Bewegung hat eine eigene Sprache, die in doch einer schwierigen Situation ist - es sind nur 13 Millionen Personen, die in den katalanischen Ländern wohnen -, gegenüber den großen Sprachen - ich nenne jetzt keine -, die um das katalanische Sprachgebiet herum sind und eben bis ins katalanische Sprachgebiet hinein gehören und hinein regieren, seine Probleme. Da ist die Situation für das Katalanische nicht einfach und wenn man dem Katalanischen eine gesicherte Zukunft wünscht, dann muss man auch wünschen, dass solch ein Gruppenidentitätsgefühl stark genug ist, um diese Zukunft zu garantieren.

    Heckmann: Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums Johano Strasser hat am Wochenende vor einer Überbetonung des Separierens gewarnt, vor einer Gefahr des Provinzialismus. Ist diese Warnung aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

    Stegmann: Ja. Ich finde auch das Separierende, ein aggressives Feindbilder schaffen mit Nachbarn, ist das schlechteste, was man tun kann. Das wichtige ist, dass die Kulturen sich immer besser kennen lernen, Brücken schlagen. Das tut ja zum Beispiel jetzt die Frankfurter Buchmesse dadurch, dass die katalanische Kultur ein Forum bekommt, in dem sie bekannt wird den anderen Kulturen Europas gegenüber. Aber dass in einem gemeinsamen Europa einzelne Nationen wie die katalanische eigentlich auch ohne Gefahr der Aggressivität, gerade die friedlichen Katalanen, dann auch eine wirkliche Eigenständigkeit bekommen, die dann auf gleicher Augenhöhe sitzt mit der staatlichen Selbständigkeit des nichtkatalanischen Spaniens, das lässt sich auch denken. Es ist auch eine Sache, die durchaus einer Betonung der Regionen und der vielen schönen und den Reichtum Europas ausmachenden Kulturen stärkt.

    Heckmann: Professor Tilbert Stegmann, Katalanist an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, über Katalonien als Gastland der Frankfurter Buchmesse. Danke Ihnen für das Gespräch!