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Katalonien-Spanien
"Sie werden nicht von alleine miteinander sprechen"

Jahrzehntelang habe sich ein Großteil der katalanischen Bevölkerung positioniert, man wolle nicht in einem spanischen Staat leben. Darauf hätte Spanien eingehen müssen, sagte Politologe Klaus Stolz im Dlf. "Es braucht eine Vermittlung". Er plädiere daher dafür, sich aus europäischer Sicht um dieses Problem zu kümmern.

Klaus Stolz im Gespräch mit Christine Heuer | 04.10.2017
    Flaggen von Katalonien und Spanien mit tiefem Graben und Schatten eines Fragezeichen
    Es braucht Vermittlung in der Spanien-Katalonien-Krise, sagte Politologe Klaus Stolz im Dlf (imago)
    Christine Heuer: Am Telefon ist Klaus Stolz, vergleichender Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz. Er hat unter anderem sehr ausführlich über katalanischen Nationalismus geforscht. Ich bin sehr dankbar, dass er heute Abend live bei uns ist. Guten Abend, Herr Stolz.
    Klaus Stolz: Guten Abend.
    Heuer: Nun hat der katalanische Regionalpräsident Puigdemont heute Abend ja gesagt, wir wollen Mediation, aber wir rücken nicht von der Unabhängigkeit ab. Wie, Herr Stolz, passt das zusammen?
    Stolz: Na ja. Von der Unabhängigkeit abrücken kann er nicht. Er hat seinen Anhängern, den Separatisten versprochen, Unabhängigkeit zu bringen. Er hat ein Referendum abhalten lassen unter großen Aufwendungen, unheimlich viele Menschen mobilisiert für das Ganze. Und jetzt dann zu sagen, jetzt machen wir es aber nicht, das geht schlecht.
    Auf der anderen Seite weiß er natürlich – und ich glaube, da ist er einen Schritt weiter als Rajoy -, er weiß, dass er das Ganze allein nicht gewinnen kann. Er weiß, dass er letztlich, wenn es hart auf hart kommt, dem spanischen Staat unterlegen sein wird. Und deshalb ist seine Option, tatsächlich jetzt gestärkt durch dieses Referendum in Verhandlungen eintreten zu können.
    Heuer: Aber worüber, Herr Stolz, wollen die katalanischen Separatisten verhandeln, wenn sie das Ziel schon vorwegnehmen und sagen, diese Unabhängigkeit wird es auf jeden Fall geben, und Madrid sagt, die wird es auf gar keinen Fall geben? Welchen Sinn haben dann Verhandlungen?
    Stolz: Das ist eine gute Frage. Im Moment spricht hier jeder davon, dass Verhandlungen und Dialog jetzt dringend notwendig ist. Es gibt aber zwei große Frage. Das eine ist, wer soll verhandeln, wer soll miteinander sprechen. Da gibt es ja schon Probleme, haben wir gerade vorher in Ihrem Beitrag schon gehört. Und Ihre Frage jetzt, über was soll verhandelt werden, ist genauso offen. Aber es ist klar, dass es in diesen Verhandlungen zumindest aus der separatistischen Sicht von Puigdemont und der katalanischen Regierung aus in diesen Verhandlungen nicht mehr darum gehen kann, ein Autonomiestatut Kataloniens etwas zu verbessern, oder auch die genauen Bestimmungen des Finanzausgleiches, um die es auch immer wieder ging, da ein bisschen was zu bekommen. Es müsste um ein paktiertes Referendum gehen. Das ist das Ziel, das Puigdemont anstrebt. Ein Referendum mit rechtsstaatlichen Garantien.
    "Dieses Referendum kann Unabhängigkeit nicht legitimieren"
    Heuer: Das Ziel nach dem Referendum wäre ein neues Referendum, das dann aber von allen gebilligt wird.
    Stolz: Ich behaupte, das ist das Ziel von Puigdemont. Das ist nicht das Ziel der CUP, das haben wir vorher gehört. Die will die sofortige Erklärung der Unabhängigkeit mit allen Konsequenzen. Ich bin sicher, dass die Gemäßigten in der katalanischen Regierung mit einem paktierten Referendum hoch zufrieden wären, aber auch das ist illusorisch, weil Rajoy und die PP, der spanische Staat dazu - ich sehe da überhaupt keine Verhandlungsbasis.
    Heuer: Ja, ich sehe die auch nicht, und das ist auch gleich eine Frage an Sie, Herr Stolz. Das ist ja nicht, weil Herr Rajoy keine Lust hat, die Katalanen abstimmen zu lassen, sondern die Unabhängigkeit und auch ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens widerspricht der spanischen Verfassung. Das ist ja nun keine Kleinigkeit, kann man ja nicht mal eben zur Seite räumen.
    Stolz: Nein, das kann man nicht einfach so zur Seite räumen. Das ist ein riesen Problem. Das ist auch für die gemäßigten Katalanen in der Regierung lange ein Problem gewesen. Auf der anderen Seite ist es auch keine Kleinigkeit, wenn über Jahre hinweg etwa die Hälfte der katalanischen Gesellschaft mobilisiert ist, mobilisiert wird, sich immer für Reformen ausspricht und nicht gehört wird. Und mittlerweile, denke ich, etwa die Hälfte der katalanischen Gesellschaft will die Unabhängigkeit. Das ist auch keine Kleinigkeit, ob es der Verfassung entspricht oder nicht.
    Heuer: Das mal noch zur Erinnerung: Bei dem Referendum am Sonntag hat nicht die Hälfte und auch schon gar nicht mehr als die Hälfte der Katalanen Ja gesagt bei dem Referendum über die Unabhängigkeit. Es ist ja sehr unklar, wer da eigentlich die Mehrheit hat in der Bevölkerung.
    Stolz: Ja, das ist sehr unklar, und das würde man herausfinden, wenn man ein Referendum abhält. Dieses Referendum, das da abgehalten wurde, das ist natürlich keines, das die Unabhängigkeit in irgendeiner Weise legitimieren kann. Das muss jedem klar sein und ich glaube auch, dass das der katalanischen Regierung klar ist. Es ist ein weiteres Druckmittel und man muss natürlich schon sagen, unter den Bedingungen, unter denen dieses Referendum stattgefunden hat, ist das Ergebnis – ich spreche jetzt eher von der Beteiligung als von dem tatsächlichen Ergebnis – natürlich ein riesen Erfolg.
    Auch kleine Staaten sind überlebensfähig
    Heuer: Herr Stolz, dann spielen wir das noch mal kurz gedanklich durch. Nehmen wir mal an, auch wenn das sehr unwahrscheinlich ist, höre ich ja auch bei Ihnen, nehmen wir mal an, es gäbe ein zweites Referendum. Madrid sagt, gut, ihr dürft abstimmen, und heraus käme, die Katalanen wollen gehen. Und dann? Dann gehen die wirklich? Dann verlassen die wirklich Spanien?
    Stolz: Ja.
    Heuer: Mit welchen Folgen denn?
    Stolz: Das wird man dann sehen müssen. Wenn es zu einem Referendum kommt und wenn eine Mehrheit dafür stimmt, dann, wenn man das vorher genau so abmacht, wird es tatsächlich zur Separation kommen. Dafür wird es ja gemacht. Man könnte natürlich – das ist alles Spekulation – in den Verhandlungen um ein solches Referendum die Hürden höher setzen. Es ist natürlich schlecht für eine Gesellschaft, wenn so eine zentrale Frage mit einer ganz knappen Mehrheit entschieden wird. Wenn die Katalanen mit 51 Prozent abstimmen für die Separation und dann wird sie durchgeführt, das ist schwierig. Das sind alles Dinge, die eventuell in so einem Verhandlungsprozess über ein solches Referendum reinkommen können.
    Heuer: Ich frage mal anders herum. Ist Katalonien alleine überlebensfähig?
    Stolz: Ist Dänemark überlebensfähig?
    Heuer: Ja!
    Stolz: Ist die Schweiz überlebensfähig?
    Heuer: Ja!
    Stolz: Warum sollen kleine Staaten alleine nicht überlebensfähig sein.
    Heuer: Dass Katalonien die EU verlassen müsste, den Binnenmarkt, den Schengen-Raum, die Eurozone, aus Ihrer Sicht könnte Katalonien das wirtschaftlich überstehen?
    Stolz: Das ist eine Frage, in welcher Zeitspanne man denkt. Selbstverständlich! Aus meiner Sicht wäre das ein großes Problem für Katalonien. Ich würde auch nicht sagen, dass die Separation, die Unabhängigkeit gut ist für Katalonien. Das ist nicht die Frage. Aber wenn wir über Jahre eine klare, deutliche Positionierung von ganz großen Teil der Gesellschaft haben, dass sie das wollen, dass sie in diesem spanischen Staat nicht mehr leben wollen, dann kann man das nicht ignorieren, wie es die Rajoy-Regierung gemacht hat, sondern man muss darauf eingehen, und das ist nicht getan worden. Und jetzt hat sich so was aufgestaut, dass es ganz schwierig ist, davon wieder runterzukommen. Und ich denke, ohne dass man die Unabhängigkeit tatsächlich als Option mit in den Entscheidungsprozess reinnimmt, wird man diesen Konflikt nicht lösen können.
    "Es gibt noch Zeit für Intervention"
    Heuer: Wer kann vermitteln? Ist das die Europäische Union, die es ja nicht will?
    Stolz: Es ist schwierig zu sagen, wer vermitteln kann. Mir fällt niemand ein, niemand besseres als die Europäische Kommission. Sie haben recht, die hat bisher schon ganz deutlich gesagt, dass sie wenig Interesse daran hat. Aber ich denke, es braucht eine Vermittlung, denn die beiden möglichen Gesprächspartner, die werden nicht miteinander sprechen von alleine. Von daher würde ich schon dafür plädieren, dass man aus europäischer Sicht sich frühzeitig um dieses Problem kümmert.
    Heuer: Wenn das alles nicht funktioniert, wenn es keine Verhandlungen gibt, wenn die Katalanen möglicherweise schon nächste Woche am Montag – weiß man ja nicht so genau, aber in wenigen Tagen – ihre Unabhängigkeit erklären, Herr Stolz, kurz zum Schluss, was passiert dann? Gibt es dann Bürgerkrieg in Spanien?
    Stolz: Nein, so schnell nicht. Das ist eine gefährliche Situation, da gibt es überhaupt keine Frage. Aber so schnell passiert das nicht. Denn was am Montag passieren wird, ist eventuell eine Deklaration der Unabhängigkeit, gleichzeitig verbunden damit, dass man sagt, man wird einen Prozess schaffen, eine verfassungsgebende Versammlung, um eine Verfassung auszuarbeiten, über die dann hinterher wieder abgestimmt wird. Das heißt, es ist noch ein langer Prozess. Jeder weiß genau, dass man nicht von heute auf morgen sich unabhängig erklärt und dann unabhängig ist. Das heißt, es gibt schon noch Zeit für Intervention, aber es wird immer schwieriger.
    Heuer: Der vergleichende Politikwissenschaftler Klaus Stolz von der TU Chemnitz. Haben Sie vielen Dank für das Interview und dass Sie sich heute Abend die Zeit für uns genommen haben, Herr Stolz. Danke sehr!
    Stolz: Bitte sehr! Auf Wiedersehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.