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Katalonien vor den Wahlen
Das Ende der Zwangsverwaltung?

Die Hoffnungen sind auf beiden Seiten groß: Während sich die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien von einem Wahlsieg das Ende der juristischen Verfolgung erhoffen, wünschen sich die Gegner das Ende der separatistischen Bestrebungen. Doch noch ist unklar, wer bei der heutigen Neuwahlen das Rennen macht.

Von Julia Macher | 21.12.2017
    Die Flaggen Spaniens und Kataloniens
    Nach der Absetzung der katalanischen Regionalregierung fallen die Zwangsmaßnahmen aus Barcelona weniger drastisch aus als befürchtet (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Der Kandidatin der antiseparatistischen Bürgerpartei Ciudadanos hat man übel zugesetzt: Ihr Gesicht ist beschmiert, die Spanienfahne, die sie über dem Herzen trägt, ist mit dickem Filzstift durchgestrichen: Das verunstaltete Plakat an einer Straßenecke in Barcelona ist Zeugnis des polarisierten Wahlkampfs in Barcelona. Ein älterer Herr betrachtet kopfschüttelnd das Bild seiner Lieblingskandidatin, schimpft dann:
    "Die katalanischen Nationalisten haben in den letzten Monaten eine gewalttätige Situation geschaffen, die vielen Sorgen und Angst gemacht hat. Sie haben sich einfach über die Regeln des Zusammenlebens hinweggesetzt."
    So wie die Gegner der Sezessionisten über die Pläne der Separatisten schimpfen, so empört zeigen sich die Befürworter über das harte Vorgehen aus Madrid. Auf der anderen Straße befestigt eine Frau eine gelbe Schleife an der Ladentür, Zeichen der Solidarität mit den in Untersuchungshaft sitzenden katalanischen Politikern:
    "Ich hoffe einfach, dass alle Inhaftierten bald frei gelassen werden, dass es Gerechtigkeit gibt. Die Repression und diese mangelhafte Demokratie haben mich in den letzten Monaten sehr getroffen."
    Repression, Freiheit, Gerechtigkeit
    Repression, Freiheit, Gerechtigkeit: Das waren in den letzten Wochen die großen Schlagworte der Unabhängigkeitsbefürworter.
    Auf den Meetings der Liste Junts per Catalunya verspricht der per Videoscreen aus Brüssel zugeschaltete Expräsident Carles Puigdemont, bei einem Wahlsieg zurückzukehren und die – Zitat – legitime Regierung wiedereinzusetzen. Die Konkurrenten von der linksrepublikanischen Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana wollen dafür sorgen, dass ihr Spitzenkandidat Oriol Junqueras aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Doch: Wie sie das erreichen wollen, und was danach passiert, wie und wann der Traum von der Republik zur Wirklichkeit werden soll: Das sagen sie nicht.
    "Sie können jetzt noch nicht ihren Plan verraten, sie müssen sehr vorsichtig sein. Wir wissen nur, dass wir weiter kämpfen und unsere Regierung unterstützen müssen", verteidigt eine junge Puigdemont-Anhängerin ihren Kandidaten.
    "Wir wissen auf jeden Fall, was wir nicht wollen", ergänzt die Nachbarin: "Und das ist eine Regierung aus Madrid."
    Die Folgen des Artikels 155
    Nach der suspendierten Unabhängigkeitserklärung Ende Oktober hat die spanische Regierung offiziell die Regierungsgeschäfte in Katalonien übernommen. Die Zwangsmaßnahmen nach Artikel 155 der spanischen Verfassung haben im Vorfeld für große Aufregung gesorgt. Im Alltag ist von ihnen allerdings wenig zu spüren. Assumpta Barbens von der Gewerkschaft CATAC, der Mehrheitsgewerkschaft der Angestellten des öffentlichen Dienstes, will trotzdem nicht von einem "milden Eingriff" sprechen.
    "Nur weil es keine wesentlichen Eingriffe in die öffentlich-rechtlichen Medien und das Erziehungswesen gab, ist das noch lange nicht harmlos. Es wurde ja nicht nur nur die Regierung, sondern auch viele Vertrauensleute entlassen. Im Arbeitsminsterium wurden Budgets gekürzt, das hat für Chaos bei wichtigen Projekten wie dem Mindesteinkommen gesorgt. "
    Auch Joan Manel Martín Almansa klagt über die Folgen des Artikels 155. Sein Forschungsinstitut I2Cat untersteht der katalanischen Verwaltung. Seit Madrid die Amtsgeschäfte übernommen hat, lägen wichtige Projekte auf Eis.
    "Wir haben mit anderen Institutionen ein Projekt zur Errichtung eines digitalen HUB geplant. Aber für solche Vereinbarungen brauchen wir die Unterschrift des zuständigen Ministers. Der ist abgesetzt – und deswegen bleiben solche strategischen Projekte liegen."
    Theoretisch endet die Zeit der Zwangsverwaltung mit der Amtseinführung des neuen Präsidenten.
    Weit entfernt von der Normalität
    Auf "ganz normal" werden die Zeichen in Katalonien dennoch nicht stehen: Das Hickhack um die Unabhängigkeit hat tiefe Wunden hinterlassen. Nachdenklich steht Joan, Mitte 60, vor einem Kiosk und blättert durch die Zeitung.
    "Alles ist den Bach herunter gegangen. Der Tourismus, die Wirtschaft, die Hoffnungen der Menschen. Der Traum von der Republik war vielleicht auf dem Papier ganz hübsch, aber in der Praxis war das doch ein totales Fiasko. Egal, wer gewinnt: Er muss auf jeden Fall zu irgendeiner Einigung mit den anderen Parteien kommen – und mehr an uns ganz normale Bürger und weniger an sich selbst denken."