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Katamaranbauer Allen Marine
Erfolg im Schatten des Terrors

Nach den Anschlägen vom 11. September wurden die Wasserwege rund um die Insel Manhattan zur wichtigsten Rettungsinfrastruktur. Besonders fielen dabei die schnellen Katamaran-Boote auf, die man in den Jahren zuvor beim Schiffsbauer Allen Marine im weit entfernten Alaska erstanden hatte. Dort sorgte 9/11 in der Folge für eine Auftragsflut.

Von Miriam Braun |
    Schiffe auf dem Hudson vor der Skyline von Manhattan im Jahr 2013
    Nach 2001 erging aus New York City ein Großauftrag an den Schiffsbauer in Alaska (dpa / picture alliance / Andreas Engelhard)
    Die Sonne strahlt in Sitka, Alaska. Die 7000-Einwohner-Stadt liegt auf einer der Inseln in Südost-Alaska. Fjorde und Gletscher prägen den Süden des US-Bundesstaates, westlich von Kanada. Jamey Cagle steht auf einem Steg:
    "Das ist ein rund 45 Meter langes Landungsboot, es hat den Namen Gletscher. Wir haben es hier auf unser Trockendock gehievt, um ein paar Reparaturen am Boden zu machen."
    Wer sich im südlichsten Teil Alaskas fortbewegen will, muss entweder Flugzeug oder Boot nehmen. Brücken gibt zwischen den Inseln nicht.
    Ein Schiffsbauer mit Geschichte
    Jamey Cagle ist die dritte Generation im Familienbetrieb Allen Marine. Sein Großvater Bob Allen hat vor rund 45 Jahren mit dem Bootsbau begonnen. Heute ist Allen Marine einer der ältesten Betriebe in der Gegend. Kleine Tagesboote, Arbeitsschiffe oder Forschungsschiffe werden gebaut. Fast immer Katamarane. Rund 30 Leute arbeiten in der Produktion, eine Handvoll macht Bürotätigkeiten. In der Sommersaison verdoppelt sich die Mitarbeiterzahl oft, denn es werden lokale Fährrouten gefahren und Bootstouren für Touristen angeboten. Die kommen um Wale, Robben, Vögel und andere seltene Tiere zu sehen:
    "Katamaran-Boote sind in nördlichen Breiten einfach nötig: Sie schwanken weniger und sind schneller. Den Wasserstrahlantrieb haben wir selbst entwickelt, um unter Wasser leiser zu sein, um Tiere nicht zu vertreiben, die wir sehen wollen. In den 80ern, als es noch viel Holzwirtschaft in Alaska gab, wollten wir uns nicht mit rumtreibendem Holz die Propeller abschlagen."
    1987 war Allen Marine die erste Werft, die ihre Katamarane mit vier Wasserstrahlantrieben ausstattete. Eine für jede Richtung. Vier Pumpen saugen Wasser auf der einen Seite ein und pumpen es auf der anderen mit Druck wieder heraus. Die Richtung ändert sich wenn man der einen Pumpe mehr Gas gibt als der anderen, während ein Propellermotor für jede der Richtungen zuständig ist:
    "Jedes Manöver ist ein positives. Man muss nicht mehr Gas wegnehmen oder rückwärts propellern. Vorwärts, Leerlauf, rückwärts, das braucht es nicht. Das Getriebe sind Pumpen, das macht es möglich, dass man zentimetergenau manövrieren kann.
    Das Gelände ist übersichtlich. Es sind nur wenige Schritte vom Trockendock zur Fertigungshalle:
    "1800 Quadratmeter. Das ist nicht groß. Rund zwölf Meter hoch. Aber groß genug, dass wir hier fünf Schiffe mit mehr als 20 Meter Länge gleichzeitig bauen konnten."
    Kaum vorstellbar, dass hier fünf Passagierfähren gleichzeitig gebaut wurden. Denn nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 kam ein Großauftrag von der anderen Seite des Kontinents. Aus einer anderen Welt, kann man fast sagen, der Millionenmetropole New York City.
    Die dortige Fährgesellschaft New York Waterway hatte bereits in den Jahren zuvor vier gebrauchte Fähren bei Allen Marine gekauft.
    "Any passengers that are going downtown: The boat is now arriving on slip no.3"
    Import aus Alaska lohnte sich
    Ortswechsel: New Jersey, mit Blick auf die Skyline von Manhattan. Kapitän Alan Warren, heute Vizepräsident der Fährgesellschaft NY Waterway erinnert sich:
    "Ende der 90er ist unser Inhaber Arthur Imperatore in Sitka gewesen und hat sich Boote angeschaut, die dort in Betrieb waren. Bei Allen Marine Tours, die haben ihre Boote selbst gebaut. Die Schiffe ließen sich wunderbar auf unsere Bedürfnisse anpassen. Ich war damals Kapitän hier in New York, einer der ersten die die zwei ersten Schiffe die im Jahr 2000 hier ankamen fahren durfte."
    Obwohl es auch Werften in näherer Umgebung, beispielsweise in Maine, gibt, hat sich der weite Import aus Alaska aus Warrens Sicht gelohnt: Die Sicht allein schon. Man konnte 360 Grad um sich blicken auf der Fährbrücke. Und die Beweglichkeit wegen des Düsensystems: vorwärts, seitwärts, links, was auch immer du willst."
    Die Fähren wurden aufgrund ihrer Geschwindigkeit für die längeren Routen eingesetzt. Ihre Beweglichkeit machte es möglich, dass Menschen wie bei einem Bus zu- und aussteigen konnten, ohne dass man die Boote mit Tauen festmachen musste.
    Der Tag, der alles änderte
    Dann kam der 11. September 2001 ...
    "Wir haben von drei unterschiedlichen Orten aus evakuiert. Wir haben einfach pausenlos Menschen von New York nach New Jersey gebracht."
    New York Waterway evakuierten an diesem Tag allein mehr als 200.000 Menschen von Downtown Manhattan. Die flache Konstruktion der Fähren und die präzise Manövrierfähigkeit machten es möglich, auch an Behelf-Docks anzulegen.
    "Nach den Anschlägen waren die Hauptverkehrswege, auch der Zug unterm Hudson fährt, zerstört. Drei Jahre lang haben wir 60.000 Menschen täglich transportiert."
    Die vier Katamarane aus Alaska überzeugten in der Extremsituation. Kurzerhand wurden die weiteren 15 Fähren bestellt. Preis pro Stück: Zwischen einer und 1,5 Millionen Dollar, je nach Modell:
    "Das war gar nicht so kompliziert. Sie sind mit ihnen nach Vancouver gefahren. Haben sie dort auf große Frachtschiffe geladen und 32 Tage später an der Ostküste abgeladen. In Connecticut, ein paar hier in Brooklyn, aber die meisten in Florida. Von da ist es noch mal ein drei Tagestrip für die Boote hier hoch gewesen."
    In den kommenden Jahren mussten 100 zusätzliche Mitarbeiter bei Allen Marine eingestellt werden. Ein Großauftrag für Allen Marine und der größte Einzelexport von in Alaska hergestellten Produkten der Geschichte.