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Katar
Notfalls Fußball-WM absagen

Das Emirat Katar plane zwar Gesetze, um die Bedingungen für Arbeiter auf den WM-Baustellen zu verbessern, sagte die Grünen-Europapolitikerin Barbara Lochbihler im Deutschlandfunk. Nur die Arbeiter wüssten davon nichts. Solange es keine grundsätzlichen Änderungen gebe, müsse der Druck auf Katar bestehen bleiben. Im Notfall müsse man die WM absagen.

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.03.2014
    Christoph Heinemann: Der Druck auf den umstrittenen Fußball-Weltverband FIFA wächst. Nach den jüngsten Bestechungsvorwürfen rund um die Weltmeisterschaft 2022 in Katar werden die Rufe nach einer Neuvergabe lauter. Die englische Tageszeitung "Telegraph" hatte über den früheren FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner berichtet. Der langjährige Funktionär aus Trinidad und Tobago und seine beiden Söhne sollen nach der WM-Vergabe im Dezember 2010 rund zwei Millionen Dollar von einer Firma aus Katar erhalten haben, die dem früheren FIFA-Präsidentschaftskandidaten Mohammed bin Hammam gehörte. Warner bezeichnete die Berichte als Hexenjagd gegen Katar. Die mutmaßliche Bestechung ist das I-Tüpfelchen in einer Reihe von Skandalen und mutmaßlich schweren Straftaten beim Bau der Spielstätten in Katar. Ein Bild über die Lage an Ort und Stelle hat sich jetzt Barbara Lochbihler machen können, Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag.
    Barbara Lochbihler: Guten Tag.
    Heinemann: Frau Lochbihler, welchen Eindruck haben Sie von den Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen?
    Lochbihler: Ich war gestern in Katar und habe geredet mit dem Arbeitsministerium, mit dem Menschenrechts-Departement im Inneren und im Außenministerium, und da habe ich gesehen, dass die Regierung reagiert auf den Druck, dass es sehr viele Gesetzesvorhaben gibt, das zu verbessern, dass man mehr Inspektoren einsetzen will, dass auch Leute sich stärker an die Gerichte wenden können. Ich habe aber auch gesehen, dass bei einem ganz zentralen Punkt, warum es noch immer zu solcher extremen Ausbeutung von Arbeitern kommt, dieses Sponsorensystem, dass man nur einen Arbeitsvertrag und ein Visum bekommt, wenn man bei einer Firma, bei einem Arbeitgeber bleibt und dessen Erlaubnis braucht, das Land zu verlassen oder zu wechseln. Das muss angegangen werden und da ist mir gesagt worden im Außenministerium, das würde man angehen, nicht mit einem kleinen Reförmchen, sondern mit einer großen Reform. Aber sie waren nicht präzise, wann. Das konnten sie mir nicht sagen und auch den Inhalt nicht. Deshalb muss ich eigentlich feststellen, dass man noch nicht so weit ist, das wirklich im Kern zu ändern. Ich hoffe, dass wir schon im nächsten Monat so etwas sehen werden. Dann hätte dieser Druck, der von außen auch auf die Regierung kommt, seine Wirkung gehabt.
    Ich habe dann nachmittags - Entschuldigung, wenn ich das noch sagen darf - mit Arbeitern und Arbeiterinnen selber gesprochen, die in einem großen Abschiebelager in Katar sind. Das hat uns auch die Regierung gezeigt. Jeder Einzelne, mit dem ich gesprochen habe, der schildert die immer noch bestehenden Probleme. Der Lohn wird nicht bezahlt ...
    Heinemann: Das heißt, die konnten nicht bestätigen, was man Ihnen auf politischer Seite alles vorgestellt hatte oder in Aussicht gestellt hatte?
    Lochbihler: Na ja, ich kann bestätigen, dass es Gesetzesinitiativen gibt, aber ich kann genauso …
    "Lebensbedingungen und Arbeitsbedingungen dort sind nach wie vor extrem"
    Heinemann: Nein, nein! Aber die Arbeiter konnten das nicht bestätigen, das ist bei denen noch nicht angekommen?
    Lochbihler: Nein! Die Arbeiter, die wussten nichts davon. Diese große Lücke, dass es so etwas gibt, wussten sie nicht, und sie haben aber natürlich auch, nachdem ich es angesprochen habe, gesagt, sie glauben nicht, dass es so schnell sich ändern wird. Ihre Lebensbedingungen und Arbeitsbedingungen dort sind nach wie vor extrem. Lohn wird zurückbehalten oder gar nicht ausbezahlt und auch die Unterkünfte ... Ich meine, ich habe jetzt da nicht eine eigene Untersuchung gemacht in der Kürze der Zeit. Aber wenn ich noch mal auf den Bericht gehen darf von dem Internationalen Gewerkschaftsbund, der sich die erste Baustelle von einem solchen großen Stadion angeschaut hat, ist es immer noch so, dass die Arbeiter da zu zehnt in einem Zimmer waren. Und Wasser - da gab es dann eben nur Salzwasser und sonst nichts.
    Heinemann: Ist bekannt, Frau Lochbihler, wie viele Arbeitsmigranten auf den WM-Baustellen bisher ums Leben gekommen sind?
    Lochbihler: Es gibt ja die Dokumentation, wie viele Nepalesen letzten Sommer gestorben sind, weil sie dehydriert waren. Das waren über 100.
    Heinemann: Das heißt, sie haben kein Wasser bekommen?
    Lochbihler: Sie haben kein kostenloses Trinkwasser bekommen und haben dann gespart und sind dehydriert. Es ist aber auch so, dass die Unfallhäufigkeit auf Baustellen in Katar, ob WM oder nicht WM, neunmal höher ist als in den Nachbarstaaten, weil da eben an allem gespart wird. Was jetzt angenommen wird, wenn mehr Arbeiter angeworben werden ins Land und die Dinge ändern sich nicht, dann wird immer hochgerechnet, wie viel mehr Tote das geben wird.
    "FIFA muss nicht nachlassen mit diesem Druck auf die katarische Regierung"
    Heinemann: Frau Lochbihler, es wird gespart auf den Baustellen, haben Sie gerade gesagt. Sollte man sich die Fußball-WM 2022 in Katar sparen?
    Lochbihler: Ich meine, zuerst muss die FIFA nicht nachlassen mit diesem Druck auf die katarische Regierung, dass sie dieses Sponsorensystem ändert. Sollten sie weiter verfahren mit der Fußball-Weltmeisterschaft, dann müssen auch die Unternehmen, auch große europäische Unternehmen darauf achten, dass sie nicht Arbeiter zu solchen Bedingungen beschäftigen. Sollte sich Katar überhaupt nicht bewegen und auch nicht wirklich ernsthaft grundlegende Sachen verändern, dann, glaube ich, sollte man auch die Fußball-Weltmeisterschaft dort nicht abhalten.
    Heinemann: Kann man das denn jetzt überhaupt noch machen, nachdem so viele Menschen, wie Sie das eben gesagt haben, wegen Wassermangels gestorben sind? Kann man da noch Fußball spielen?
    Lochbihler: Wenn Sie mit den Arbeitern selber reden, auch die, die in den Abschiebegefängnissen saßen, die wollen alle Arbeit. Da hängen so viele Menschen in Südasien dran. Die haben nicht gesagt, sie wollen hier nie mehr herkommen, obwohl es extreme Bedingungen gibt, sondern sie wollen Arbeit, aber zu guten Arbeitsbedingungen.
    Heinemann: Das heißt, Sie sind dafür, dass da gespielt wird?
    Lochbihler: Ich muss sagen, als Politikerin denke ich, wenn sie das nicht schaffen, das Kafalla-System im Grunde zu ändern und das ernsthaft anfangen, dann bin ich durchaus dafür, dass man dort nicht die Fußball-Weltmeisterschaft abhält.
    Heinemann: Barbara Lochbihler, Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Lochbihler: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.