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Katholische Frauen in einer sehr schwierigen Situation

Koczian: Ein Thema in Berlin ist heute "100 Jahre deutscher evangelischer Frauenbund", und am Telefon in Hannover begrüße ich die Bischöfin der evangelischen Kirche dort, Margot Kässmann. Guten Morgen Frau Kässmann!

    Kässmann: Guten Morgen Herr Koczian.

    Koczian: Bevor wir auf das Verhältnis Kirche, Staat und Gesellschaft kommen, sollten wir vielleicht auf die Frauen in der evangelischen Kirche eingehen. Sie sind der zweite weibliche Bischof, eine Episkopa nach Nordelbien. Einen weiblichen Bundeskanzler hatten wir noch nicht. Ist die Kirche inzwischen fortschrittlicher als andere Institutionen?

    Kässmann: Die evangelische Kirche hat sich auf jeden Fall in den letzten Jahren enorm gewandelt. Wir haben beispielsweise hier in meiner Landeskirche ein Viertel aller Pastorenstellen mit Frauen besetzt. Das sind Pastorinnen. An vielen Ebenen fangen die Frauen nun an, nachdem die Ordination ja erst in den 60er Jahren zugelassen wurde, leitende Ämter zu besetzen. Das ist, glaube ich, ein normaler Prozess. Ich wünsche mir, dass die Frauen in der Kirche auch Vorreiterfunktionen ausüben können, aber es gibt allerdings noch viel zu tun. Das Jubiläum von Frauenbund und Frauenhilfe wird das auch zeigen.

    Koczian: Aber ist die Fixierung auf den Rang, zum Beispiel Bischof, nicht insoweit bedauerlich, als es zum Beispiel die so wertvolle Arbeit der Diakonissen seit Jahrhunderten in den Hintergrund drängt?

    Kässmann: Das drängt nicht in den Hintergrund. Die Diakonissen haben sich beispielsweise auch gefreut. Mit der Bischöfin ist natürlich ein gewisses Symbol geschaffen: auch der leitende Posten kann von einer Frau besetzt werden. Lange Jahre war es in der Kirche so, dass die Frauen den ehrenamtlichen Dienst vor allen Dingen in den Gemeinden getan haben, den Dienst vor Ort in den Kindergärten und so weiter, aber in die leitende Position nicht vorgerückt sind. Insofern ist das, sagen wir mal, ein Zeichen, ein Signal vielleicht, aber macht natürlich nicht das ganze aus.

    Koczian: Die katholische Kirche Deutschlands macht gerade wegen der Schwangeren-Konfliktberatung schwere Zeiten durch. Das gute interkonfessionelle Verhältnis rät zur Zurückhaltung. Dennoch die Frage: Warum gibt es eigentlich keine ökumenische Beratung?

    Kässmann: Das kann ich natürlich so nicht beantworten. Wir Evangelischen werden unsere Beratungsstellen aufrecht erhalten. Für die EKD wird auch Präses Kock insgesamt etwas dazu sagen. Wir einzelnen Landeskirchen wollten uns etwas zurückhalten. Wir sehen es aber so, dass wir die Frau beraten für das Leben. Natürlich wollen wir auch Frauen helfen, dass sie nicht abtreiben müssen, dass sie einen Weg finden mit dem Kind. Wenn sie aber abtreiben, dann wollen wir sie in diesem Prozess begleiten und auch dann nicht alleine lassen. Insofern gibt es keine ökumenischen Beratungsstellen, weil die Konzeptionen doch sehr unterschiedlich sind.

    Koczian: Damit geht das aber auch nicht, was so mancher Bürger sich vielleicht vorstellt: man kann sich katholisch beraten lassen und dann einen evangelischen Schein bekommen?

    Kässmann: Das wäre natürlich auch kompliziert. Das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Das wäre doch ein merkwürdiges Vorgehen. Wenn eine Beratungsstelle, dann muss sie meiner Meinung nach auch diesen Beratungsschein ausstellen.

    Koczian: Aber katholische Frauen sind in Ihren Beratungsstellen willkommen?

    Kässmann: Natürlich sind katholische Frauen in unseren Beratungsstellen willkommen. Ich wünsche mir auch sehr für die Frauen in den Beratungsstellen der katholischen Kirche, dass sie dort einen Weg finden, weil für die ist das natürlich auch eine ganz problematische Situation. 270 Beratungsstellen der katholischen Kirche gibt es; ich glaube, 245 haben wir. Da ist natürlich auch die Frage, was das für die Fläche bedeutet, wo eine Frau dann Zugang zu einer kirchlichen Beratungsstelle noch findet.

    Koczian: Man muss den Konflikt bei den Katholiken wohl so sehen, dass die Position gegen Abtreibung konsequent christlich durchgehalten wird und ohne Augenzwinkern daherkommen soll, dass dies aber leicht zum Ergebnis geführt hätte, die Ehre der reinen Lehre der Hirten gerettet, die Herde verloren. Diesen Konflikt müsste es doch bei den Evangelischen auch geben, vielleicht nur nicht so sichtbar, weil die Dogmatik nicht in Rom gebündelt ist, sondern bei Gruppen, die am Tötungsverbot konsequent festhalten?

    Kässmann: Ich finde es ganz schwierig, wenn es so aussieht als ob die evangelische Kirche dort keine klare Position hat. Sie hat aber gesagt, erst mal geht der Mensch vor die Lehre. Wir müssen den Menschen begleiten und die Notsituation der Frau sehen. Das ist, glaube ich, ein Stück Realität. Es werden so viele Millionen, ich glaube 70 Millionen Schwangerschaftsabbrüche weltweit gemacht, 20 Millionen illegal und dabei sterben 20.000 Frauen. Das ist die Realität dieser Welt. Ich habe ja gesagt, wir versuchen auch für das Leben zu beraten. Das lasse ich mir als Evangelische nicht nehmen, dass wir dort gleichrangig sind. Aber im Konfliktfall wollen wir der Frau zur Seite stehen, die ja in irgendeinem Konflikt steht, der übrigens die ganze Gesellschaft angeht und nicht nur die einzelne, die diesen Konflikt austragen muss. Warum ist es so, dass manche Frauen glauben, sie können hier kein Kind bekommen. Ich würde auch ganz gerne immer mal nach den Vätern dieser Kinder fragen.

    Koczian: Notlagen der Frau zu erkennen wird halt dann zweifelhaft, wenn man in die Dritte Welt blickt. Armut und Not werden in Europa doch gesellschaftlich definiert durch Rollenerwartungen, denen die Frauen ausgesetzt werden. Muss sich die Kirche dort nicht noch viel massiver engagieren?

    Kässmann: Ich wünsche mir das, aber ich kann im Moment den Konflikt der einzelnen Frau nicht für sie lösen. Die Evangelischen sagen, sie muss diese Verantwortung übernehmen, und ich finde es schade, wenn die Kirchen, die katholische Kirche in diesem Fall, aus der Beratung aussteigt, weil sie sagt, die Lehre muss rein erhalten bleiben.

    Koczian: Andere Länder, Frankreich zum Beispiel, kennen diese Probleme insoweit nicht, weil Staat und Kirche nebeneinander herleben. Die Kirche ist für die Passage-Riten zuständig, also Geburt, Heirat, Tot, der Staat für den Rest, zum Beispiel die Schwangerschaftsabbruch-Regelung. Ist die viel gescholtene Verbindung von Staat und Kirche in Deutschland, meist festgemacht am Kirchensteuereinzug, dann nicht doch von hohem Wert?

    Kässmann: Ich finde, sie ist von hohem Wert und wir haben damit in den letzten Jahrzehnten sehr gut gelebt, Kirche wie Staat, will ich einmal sagen. Die Kirche hat vieles eingebracht in den Bezug, und der Staat und die Kirche haben gut kooperiert. Nehmen wir beispielsweise den Religionsunterricht. Mir ist es sehr wichtig, dass wir an den Schulen präsent sind als Kirchen. Wenn alle im Moment den Verlust von Werten, den Verlust von Substanz an Wissen und Kenntnis bei den Jugendlichen reklamieren und bedauern, dann kann ich nur sagen, wir geben uns große Mühe, beispielsweise im Religionsunterricht dort gegenzuwirken. Auch das Kirchensteuer-System hat sich letzten Endes bewährt. Es wird manchmal so getan, als hätten die Kirchen dort nur das große Absahnen im Sinn, aber wir bezahlen ja auch dafür, dass der Staat die Kirchensteuer für uns einzieht. Es sind unsere Mitglieder, die sich mit diesem System einverstanden erklären.

    Koczian: Andererseits, um beim Beispiel Frankreichs zu bleiben: Das Institut der regelmäßigen Amnestie ist dort bekannt, meist auch nur um die überfüllten Gefängnisse zu lehren. Jetzt fordern die Grünen eine Amnestie wegen des Millenniums. Das heißt, die Magie der Zahl ist entscheidend. Können Sie das mittragen?

    Kässmann: Die evangelische Kirche ist gegenüber dieser Zahl relativ nüchtern. Das Jahr 2000 ist für viele natürlich so ein großer Übergang, weil es eine Zahl ist. Ob Jesus nun genau vor 2000 Jahren geboren ist, ist die eine Frage, die andere, ob wir uns nicht im Gott vertrauen, all diesen Zeiten wenden, Zeiten enden, gelassen gegenüberstellen sollten. Das ist jedenfalls meine Haltung dazu und die der meisten Evangelischen. Wir werden das auch feiern, wir werden Kirchen anbieten, die um Mitternacht offen sind, zur Stunde null. Aber das Jahr 2000 zu überhöhen, das halte ich für falsch.

    Koczian: Auch nicht für eine Amnestie?

    Kässmann: Ich habe das Konzept der Grünen dazu nicht gesehen. Damit bin ich jetzt im Moment überfragt.

    Koczian: Die nächste Frage ist möglicherweise nicht politisch korrekt, aber die Parteien, die sich "christlich" nennen, sind auf dem Siegeszug. Wäre nicht für die Führung des Titels "christlich" seitens der Kirche etwas einzufordern, zum Beispiel in der Asylpolitik?

    Kässmann: Wir tun das doch in den Gesprächen mit den Parteien, dass wir sagen, wer in einer christlichen Partei ist, aber auch wer in einem Staat lebt, der soziale Verantwortung übernimmt - und das gilt dann für alle Parteien -, müssen wir als Christen die Anfrage stellen: wird die Sorge für die Fremden, die Sorge für die Armen, Gerechtigkeit, wie es biblisch heißt, die sich am Maßstab der Situation der Schwachen im Lande zeigt, wird das eingehalten. Und in der Asylpolitik fragen wir das an, aber genauso was beispielsweise alleinerziehende Mütter und ihre Situation betrifft, was Menschen betrifft, die von Sozialhilfe leben müssen, und die Frage, ob wir dort immer mehr kürzen können, oder die Situation der Rentnerinnen und Rentner. Das sehe ich schon als Gesamtpaket, und diese Diskussionen werden geführt., gerade mit den christlichen Parteien, aber auch mit den anderen.

    Koczian: Und hat das jemals etwas gebracht?

    Kässmann: Ich glaube schon. Das ist natürlich nichts, was sie öffentlich spektakulär darlegen können. Aber diese Gespräche im Hintergrund, manchmal kommt es ja auch in den Vordergrund wie bei dem Sozialwort der Kirchen, gemeinsam in diesem Land, das nützt, glaube ich, schon etwas, weil eine andere Perspektive in die politischen Gespräche hineinkommt. Als Politiker sind sie ja oft auch sehr weit weg von der Realität im Alltag vor Ort, und unsere diakonischen Werke, das ist oft die Suchtkranken-Hilfe vor Ort am Bahnhof und das sind diejenigen, die mit den Obdachlosen unmittelbar zu tun haben. Die können schon eine andere Perspektive in diese Gespräche einbringen.

    Koczian: Ein Blick in die Ex-DDR. Das ist ja, mit einem alten Wort gesprochen, weitgehend Haidenland. Die Liberalen beispielsweise haben dort keine Chance. Der Grundwert der Staatsfreiheit ist dort, wie der Prediger Salomon sagen würde, "Haschen nach Wind", weil man so sehr Staatsbetreuung wünscht, dass man Freiheit nicht genießt, sondern sich wie ein mutterloses Kind fühlt. Auf der einen Seite also fast eine Heilserwartung an den Staat, auf der anderen Seite hält man starrsinnig an der Jugendweihe fest. Wie geht das zusammen?

    Kässmann: Ich würde so hart nicht urteilen über die Menschen in Ostdeutschland, wie Sie das jetzt getan haben. Das ist eine völlig andere Situation, die wir auch schwer verstehen, weil wir in einer ganz anderen Situation in Westdeutschland gelebt haben. Bei der Vorbereitung des Leipziger Kirchentages ist mir schon deutlich geworden was das heißt, wenn eine Fläche dieser Größe, sage ich mal, derartig vom Christentum entwöhnt ist, ganz anders aufgewachsen ist, in Leipzig beispielsweise nur noch 12 Prozent der Bevölkerung der Kirche angehören. Dass dann bei den Rieten auch geguckt wird, wie kann ich die großen Übergänge meines Lebens gestalten und säkulare Formen gesucht werden, dafür habe ich ein gewisses Verständnis. Ich wünsche mir, dass die Kirchen einen so guten Konfirmandenunterricht anbieten, die Konfirmation so gut ins Gespräch bringen, die evangelische Kirche so attraktiv ist, dass Menschen sagen, wir könnten doch gucken, ob nicht unser Kind oder das Kind sagt, ich könnte doch gucken ob das nicht vielleicht auch ein Weg für mich ist, einen Zugang zum Glauben zu finden.

    Koczian: Hat das möglicherweise damit zu tun, dass gerade die evangelische Kirche selten gegen den Strom, meistens mit ihm schwamm? Sie war in den 20er Jahren beispielsweise arg völkisch. Nun ist sie arg grün. Kirchentage erscheinen als gern benutzte Podien für Trendpolitiker. Warum wird nicht mehr wider den Stachel gelenkt?

    Kässmann: Dass Sie das so sehen, ist natürlich für mich auch lustig zu hören, weil in der Kirche ja heftig diskutiert wird, ob wir nicht zu viel wider den Stachel lenken. Es ist natürlich auch so, ob wir gerade in gesellschaftspolitischen Fragen nicht zu deutlich gerade gegen das herrschende Meinungsbild agiert haben, die Gruppen, die hier Asyl beispielsweise in Kirchen gewährten, dass wir uns zur Zeit gerade überlegen müssen, ob wir uns nicht stärker zurückziehen aus dieser Gesellschaft. Dann denken wir darüber nach, ob wir nicht einen Akzent darauf legen sollten, den Unterricht in unseren Angeboten klarer zu sagen, was ist eigentlich evangelisches Profil, was ist evangelischer Glaube.

    Koczian: Mit der Bitte um eine Kurze Antwort: Am Reformationstag, dem 31. Oktober, wird in diesem Jahr in Augsburg, der Stadt des augsburgischen Bekenntnisses, die Kirchenspaltung in geistliche Brüderlichkeit sozusagen geheilt. Freut Sie das?

    Kässmann: Mich freut das Sehr. Ich werde in Augsburg auch dabei sein. Es geht nicht nur um geistliche Brüderlichkeit, sondern ich denke, dass wir dort Geschwister im Glauben sind. Das wird deutlich werden.

    Koczian: Im Deutschlandfunk war das Margot Kässmann, Bischöfin der Hannoverschen Kirche. Danke schön!