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Katholische Kirche
Benediktinerin Rath: Bischöfe müssen sich katastrophaler Vertrauenskrise stellen

Sie habe das Gefühl, dass sehr viele erleichtert seien, dass Kardinal Reinhard Marx im Amt bleibe, sagte die Benediktinerin und Autorin Philippa Rath im Dlf. Sie verstehe die Antwort des Papstes auch als Aufruf an Marx, sich wirklich einzusetzen und die Dinge zu ändern - aber das könne er nicht alleine.

Philippa Rath im Gespräch mit Christoph Heinemann | 11.06.2021
Erzbischof von Muenchen und Freising, Reinhard Kardinal Marx (re, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz) und Erzbischof von Koeln, Rainer Maria Kardinal Woelki (li)
Die katholische Kirche ist extrem beschädigt, sagt die Benediktinerin und Autorin Philippa Rath (dpa/picture alliance/Pressebildagentur ULMER)
Papst Franziskus hat den Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, aufgefordert, im Amt zu bleiben. Marx hatte dem Papst seinen Rückzug angeboten - auch um Mitverantwortung für den sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung durch Amtsträger der Kirche zu tragen. Auch Marx wird aus seiner Zeit als Bischof von Trier Fehlverhalten im Umgang mit möglichen Missbrauchsfällen vorgeworfen.
Die Theologin und Benediktinernonne Philippa Rath.
Die Theologin und Benediktinernonne Philippa Rath. (Philippa Rath)
Philippa Rath ist Ordensschwester im Benediktinerinnen-Kloster St. Hildegard in Rüdesheim am Rhein und aktiv in der Reformbewegung Synodaler Weg. Sie fordert seit Jahren eine Gleichberechtigung der Frauen in der Katholischen Kirche. Zuletzt hat sie unter dem Titel "Weil Gott es so will" ein Buch vorgelegt mit Lebens- und Berufungszeugnissen von 150 Frauen, die sich zur Diakonin oder Priesterin berufen fühlen.
Im Dlf sagte sie, dass nach der Entscheidung des Papstes wahrscheinlich viele erleichtert seien, dass Marx im Amt bleibe. Er sei eine starke Stimme die sich sowohl für den synodalen Weg als auch für Aufklärung eingesetzt habe. Rath kritisierte weiter die mangelnde Reformbereitschaft in der katholischen Kirche. Alle deutschen Bischöfe müssten sich jetzt der "katastrophalen Vertrauenskrise" stellen, forderte Rath.

Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Wie wirkt es auf die Gläubigen, wenn in München ein Erzbischof im Amt ist, der nicht mehr Erzbischof sein möchte?
Philippa Rath: Ja, ich muss Ihnen gestehen, ich bin mir da nicht so sicher, ob Kardinal Marx wirklich nicht mehr im Amt sein möchte, denn er hat ja in seinem Rücktrittsgesuch durchaus auch gesagt, dass er gerne Bischof ist und nicht amtsmüde ist. Er wollte ein Zeichen setzen, und zwar ein sehr deutliches Signal, dass Bischöfe nicht nur für persönliches Versagen die Verantwortung übernehmen müssen, sondern auch für das Systemversagen der Kirche als Ganzes im Rahmen dieser furchtbaren Verbrechen der Missbrauchsgeschichten. Und das hat er getan als einziger bisher. Das verlangt Respekt und Hochachtung, das ist ja auch ihm entgegengekommen, und ich habe eher das Gefühl, dass im Moment sehr viele erleichtert sind, dass er im Amt bleibt, denn er ist ja eine ganz starke Stimme, die sich sowohl für den synodalen Weg eingesetzt hat als auch jetzt wirklich für Aufklärung, für Transparenz in der Missbrauchsaffäre und der sich jetzt stark machen muss, glaube ich auch, nach dem Brief von Papst Franziskus für Reformen in der Kirche. Da ist es vielleicht ganz gut, wenn der Papst ihn jetzt beim Wort nimmt.
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"Möglich, dass am Ende Kardinal Woelki sein Amt aufgeben muss"

Heinemann: Muss Kardinal Marx im Amt bleiben, damit Kardinal Woelki im Amt bleiben darf?
Rath: Diesen Zusammenhang würde ich nicht herstellen. Ich möchte dieser Visitation, dieser apostolischen Visitation in Köln da nicht vorgreifen. Ich halte es durchaus für möglich, dass am Ende Kardinal Woelki sein Amt aufgeben muss. Das sind zwei doch jetzt unterschiedliche Fälle, denn Kardinal Marx hat ja nun von sich aus diese Initiative ergriffen, während dem Kardinal Woelki jetzt die Dinge aus der Hand genommen werden. Da sind jetzt apostolische Visitatoren, die am Ende nicht entscheidend, aber doch eine Empfehlung abgeben. Das würde ich voneinander trennen – ganz eindeutig.
Heinemann: Wie blicken Sie auf die Lage im Erzbistum Köln?
Rath: Ich komme gebürtig aus dem Erzbistum Köln und leide jetzt seit einiger Zeit sehr an den Zuständen dort. Es ist ein absoluter Vertrauensbruch. Die Menschen – und ich glaube, es ist tatsächlich eine deutliche Mehrheit – haben kein Vertrauen mehr in die Glaubwürdigkeit der Bistumsleitung. Es gibt natürlich immer auch Menschen, die auf der Seite des amtierenden Erzbischofs stehen und die da von Kampagnen sprechen, aber unterm Strich war dieser Umgang mit den verschiedenen Gutachten zum Thema Missbrauch doch eher katastrophal.
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"Aufruf an Kardinal Marx, dass er sich wirklich einsetzt, dass die Dinge sich ändern"

Heinemann: Schwester Philippa, Kardinal Marx hat in seinem Brief an den Papst geschrieben, er sehe die Kirche an einem toten Punkt. Wie beschädigt ist die Katholische Kirche?
Rath: Sie ist extrem beschädigt. Der tote Punkt - auf den ist ja auch der Papst ein wenig eingegangen in seiner Antwort – bedeutet aber nicht, dass nichts mehr geht. Wenn man das Ganze – und der Papst hat das ja in einen, wie er sagt, geistlichen, sogar österlichen Rahmen eingebettet – am Karfreitag, wenn man im Bild bleibt, war der tote Punkt. Aber aus dem toten Punkt kann Neues erwachsen, neues Leben, und ich glaube, das ist jetzt auch der Aufruf an Kardinal Marx, dass er sich wirklich einsetzt, dass die Dinge sich ändern, dass nicht nur er, sondern möglichst alle deutschen Bischöfe sich dem stellen, sich dieser katastrophalen Vertrauenskrise stellen. Und der Papst spricht ja sogar von Heuchelei. Ich finde das ein sehr starkes Wort. Sich der Heuchelei in seiner Art, den Glauben zu leben, bewusst zu werden, ist eine Gnade. Also es ist ein Aufruf zur Umkehr, zur Erneuerung und damit auch zur Reform, und insofern finde ich diese Antwort des Papstes eigentlich sehr aufrüttelnd und sehr ermutigend für die Zukunft.
Heinemann: Das setzt Reformwillen voraus. Welche Rolle spielt die Machtfrage in der Katholischen Kirche?
Rath: Eine große! Aber Macht als solches kann man ja so oder so einsetzen. Die Souveränität würde darin bestehen, dass jemand, der Macht hat, sich dafür einsetzt, dass die Macht begrenzt wird, und ich glaube, das ist ganz dringend erforderlich und eines unserer Hauptthemen im synodalen Weg.

"Überzeugt, dass dieser synodale Weg etwas sehr Gutes ist"

Heinemann: Was kann man von diesem synodalen Weg erwarten, in dem Sie sehr engagiert sind, solange die Hierarchie das letzte Wort hat? Oder diese Hierarchie, muss man sagen.
Rath: Diese Hierarchie gibt es ja nicht. Wir haben ja sehr verschiedene Standpunkte, Meinungen, sehr verschiedene Persönlichkeiten von Bischöfen im synodalen Weg. Ich bin nach wie vor und weiter überzeugt, dass dieser synodale Weg etwas sehr Gutes ist und dass wir dort zu gemeinsamen Beschlüssen kommen - wir ringen im Moment um die ersten Textvorlagen -, die uns in der Kirche in Deutschland weiterbringen.
Natürlich gibt es auch viele Fragen, die nicht in Deutschland, sondern die am Ende in Rom umgesetzt werden müssen. Das ist ja klar. Aber auch da sind wir doch als Deutsche auch eine starke Stimme und es kommen andere dazu.
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"Wir möchten, dass Frauen an allen Ämtern der Kirche teilhaben können"

Heinemann: Nehmen wir eine Frage, die in Rom entschieden werden muss. Sie haben Ihr Buch über Frauen, die sich zu Weiheämtern berufen fühlen, betitelt "Weil Gott es so will".
Rath: Es geht bei uns in dem Frauenthema darum, dass es sehr viele Frauen in unserer Kirche gibt, die eine Berufung zur Priesterin und zur Diakonin in sich nicht nur spüren, sondern die darum wissen und die sich von Gott berufen wissen, und deshalb der Titel "Weil Gott es so will", dass Menschen, wie man das so schön sagt, in die engere Nachfolge Christi gerufen sind, und das ist unabhängig vom Geschlecht. Das ist das Thema beim Thema Frauenberufungen oder Frauen in Ämtern und Diensten. Wir möchten und haben als Ziel, dass Frauen an allen Ämtern der Kirche teilhaben können und dass sie genauso Priester werden können, Priesterin werden können wie die Männer.

Der Druck wird wachsen

Heinemann: Nur synodaler Weg hin oder her – man hat ja nicht den Eindruck, dass sich Rom in der Frage in irgendeiner Weise bewegen würde.
Rath: Im Moment haben Sie recht, aber das heißt nicht, dass das auf Zukunft so bleibt. Ich bin überzeugt, schon in der Amazonas-Synode wurde ja das Thema sehr deutlich angesprochen. Der Papst ist darauf in seinem nachsynodalen Schreiben nicht eingegangen. Aber je mehr Ortskirchen, Teilkirchen – und dazu gehören auch die deutsche Kirche – sich einsetzen für eine Teilhabe der Frauen an den Ämtern, desto öfter oder desto mehr wird auch der Druck wachsen, dass sich die kirchliche Lehre ändert. Und die kirchliche Lehre ist kein Betonklotz; die hat sich in der Kirchengeschichte immer wieder verändert, und es ist offen. Natürlich: Im Moment sieht es so aus, aber ich bin fest überzeugt, dass sich die kirchliche Lehre in den nächsten 20 Jahren in diesem Punkt ändern wird.
Heinemann: Schwester Philippa, Katholikinnen haben in den letzten Wochen in katholischen Kirchen gepredigt. Sollten sich Frauen – übrigens durchaus auch im Interesse von Männern – die Kirche durch solche vollendeten Tatsachen aneignen?
Rath: Das kann man so sagen. Es gibt ja das berühmte Wort der normativen Kraft des Faktischen. Wenn man etwas tut und oft genug tut, dann wird es irgendwann zur Normalität. Aber nichts desto trotz bin ich der Meinung, wir sollten schon darauf dringen, dass zum Beispiel Predigterlaubnis für Frauen verankert wird im Kirchenrecht, dass sie Sakramente spenden können. Aber es ist ein Weg dahin und mir ist es immer sehr wichtig: Es geht nicht nur um Rechte für Frauen, sondern es geht darum, dass die Kirche als Ganzes gewinnen würde, wenn Männer und Frauen gemeinsam in dieser Kirche sie gestalten, sie leiten und in die Zukunft führen würden. Es ist um der Kirche willen notwendig und die Frauen, wie Sie schon sagen, die können auch in Wort-Gottes-Feiern oder sonst wo, auch in Heiligen Messen predigen, aber das sind bis jetzt Ausnahmen und wir möchten, dass aus den Ausnahmen die Regel wird.

"Der Wille Gottes ist nichts Abstraktes"

Heinemann: Sie haben als Benediktinerin Gehorsam gelobt. Stoßen Sie manchmal an die Grenze dessen, was Sie noch gehorsam ertragen können in dieser Kirche?
Rath: Bisher bin ich an diese Grenze noch nicht gestoßen. Wir als Benediktinerinnen, wir haben ein dialogisches Verständnis von Gehorsam. Das Wort Gehorsam kommt ja von hören. Wir verstehen es so, dass die Gemeinschaft gemeinsam darauf hört, was der Wille Gottes für unsere Zeit – das ist auch wichtig -, für unsere Zeit ist. Der Wille Gottes ist nichts Abstraktes. Der muss sich inkarnieren, der muss Wirklichkeit werden in der jeweiligen Zeit. Und der Gehorsam ist insofern ein gemeinsamer Akt gegenüber dem Willen Gottes, und das ist ja auch das, was wir im synodalen Weg tun. Wir versuchen ja, wir bemühen uns, gemeinsam zu hören, was heute der Wille Gottes für unsere Zeit ist, und da ringen wir. Es gibt verschiedene Meinungen. Aber nichts desto trotz versuchen wir, am Ende eine gemeinsame Unterscheidung der Geister und ein gemeinsames Votum zu erreichen.
Heinemann: Was raten Sie den vielen Menschen, gläubigen oder nicht mehr gläubigen, die die Kirche verlassen haben oder verlassen möchten?
Rath: Mir tut es leid! Ich kann es sehr gut verstehen, dass die Menschen die Kirche verlassen, und das ist ja im Erzbistum Köln im Moment in ganz besonderem Maße der Fall. Mir tut es leid um jede und jeden Gläubigen, der oder die geht. Und zwar deshalb, weil ich glaube, wir können letztlich Veränderungen nur erreichen, wenn wir sie von innen und gemeinsam auf den Weg bringen. Das ist mir sehr wichtig und ich möchte auch nicht denjenigen das Feld überlassen – wenn ich austrete, tue ich das -, die sich gegen jede Veränderung, gegen jede Erneuerung sperren und blockieren. Es gibt dieses berühmte Wort ecclesia semper reformanda, die Kirche ist immer eine, die sich wandelt, und das wird auch in Zukunft so sein und wir müssen das gemeinsam versuchen und von außen ist es immer schlechter und viel schwieriger, etwas zu verändern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.