Donnerstag, 28. März 2024

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Katholische Kirche hat "als Institution komplett versagt"

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche steht vorläufig vor dem Aus. Der Autor und Schauspieler Miguel Abrantes Ostrowski glaubt, dass die katholische Kirche nicht wirklich die Absicht gehabt habe, ihre Archive komplett zu öffnen.

Miguel Abrantes Ostrowski im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.01.2013
    Christiane Kaess: Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche ist vorerst gescheitert. Gestern kündigten die Bischöfe vorzeitig den Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, dessen Leiter Christian Pfeiffer der Kirche Zensur vorwarf. Meine Kollegin Sandra Schulz sprach gestern Abend mit dem Schauspieler Miguel Abrantes Ostrowski, Ende der 1980er-Jahre bis Anfang der 90er Schüler am jesuitischen Aloisius-Kollegs in Bonn-Bad Godesberg und Autor des Buchs "Sacro Pop - Ein Schuljungen-Report", in dem er auch sexuelle Belästigungen schildert. Die Aufarbeitung ist jetzt vorerst gestoppt. Sandra Schulz hat Miguel Abrantes Ostrowski zuerst gefragt, welches Signal davon ausgeht.

    Miguel Abrantes Ostrowski: Zuerst einmal: Das hat mich überhaupt nicht gewundert, muss ich sagen. Ich habe jetzt nicht wirklich daran geglaubt, dass Selbstaufklärung irgendwie da funktioniert in der katholischen Kirche. Das Projekt an sich ist komplett gescheitert und laut dem Professor Pfeiffer sind ja sogar auch in den Diözesen sogar Akten und so was und irgendwelche Beweise sogar vernichtet worden, und genau die Erfahrung habe ich ja auch gemacht, also ich im Kleinen in meinem Internat. Da wurden genauso Fotos verbrannt, da wurden genauso irgendwelche Sachen vernichtet. Deswegen habe ich eigentlich wenig Hoffnung, dass das jetzt irgendwie eine Kehrtwende nimmt und irgendwie neu in die Hand genommen wird. Das wird genau so weitergehen und weiter vertuscht werden und versucht, irgendwie seinen eigenen Hintern zu retten.

    Sandra Schulz: Sie sagen jetzt, das habe Sie überhaupt nicht überrascht. Warum tut sich die katholische Kirche so schwer mit dieser Art von ja auch wissenschaftlicher Aufarbeitung?

    Abrantes Ostrowski: Ich glaube, dass es zum einen einfach ganz schlicht und das menschlichste auch Angst ist. Die haben, glaube ich, Angst, einfach vor dieser säkularen Gesellschaft, die weiterbohrt, und das beginnt irgendwie schon bei der Frage, was ist mit Homosexualität und Priesteraufnahme, da kommen sie ja ins Stottern, und dann, was ist mit Pädophilie, da kommen sie gleich wieder ins Stottern. Ich glaube schlicht und einfach, dass da totale Angst herrscht.

    Schulz: Auf der anderen Seite ist gerade durch diesen vergleichsweise spektakulären Schritt die Aufregung, die Aufregung der Gesellschaft ja auch wieder besonders groß kalkulierbarermaßen. Verstehen Sie, warum die Kirche sich trotzdem zu diesem Schritt entschlossen hat?

    Abrantes Ostrowski: Ich glaube einfach, dieser Pressehype, der so vor drei Jahren war, der ist natürlich jetzt irgendwie abgeebbt, und da hat man jetzt einen Zeitpunkt natürlich wieder gesucht, wo man eigentlich sich fein aus der Affäre schleichen kann. Ich glaube nicht, dass die ernsthaft daran gedacht haben, jetzt sämtliche Archive aufzuschließen und da wirklich kompletten Einblick reinzugeben. Das hat man vielleicht vor sechs Monaten mal wieder so alibihalber unterschrieben und jetzt, wo es so weit ist, bekommt man wieder kalte Füße und lässt es halt sein. Ich meine, das ist das, wie seit Jahrhunderten eigentlich das funktioniert.

    Schulz: Jetzt hat der Missbrauchsbeauftragte Ackermann ja gesagt, dass schlichtweg das Vertrauensverhältnis zerstört oder zerrüttet gewesen sei. Stimmt es nicht, dass es auch wirklich gegenseitiges Vertrauen braucht für eine ja so sensible Zusammenarbeit?

    Abrantes Ostrowski: Ja klar! Aber ich finde, das Vertrauen ist ja eigentlich aufseiten der Kirche eigentlich nie da gewesen, eigentlich das Mal zu vertreten, was gepredigt wird. Ich meine, irgendwie so eine Art Wahrhaftigkeit oder Nächstenliebe in Bezug auf die Opfer hat ja nicht einmal stattgefunden. Es wurde ja permanent daran gedacht, wie man in den eigenen Reihen die Täter schützen kann. Auch Bischof Ackermann meinte, aus Datenschutzgründen müsste man natürlich auch vorsichtig sein und in den eigenen Reihen versuchen, die Leute zu schützen, auch wenn sie vielleicht angeklagt wären, das könnte sehr schnell Rufmord werden und so weiter und so fort. Also eigentlich in erster Reihe wurden die Täter verteidigt vom ersten Tag an und dann erst immer an die Opfer gedacht, und ich finde, das ist eklatant auffällig und ein Unding.

    Schulz: Was heißt diese Kündigung, also diese gescheiterte Aufarbeitung denn jetzt für die Opfer?

    Abrantes Ostrowski: Ich glaube, kaum ein Opfer war so naiv zu glauben, dass jetzt wirklich ein Schritt in die richtige Richtung weitergeht. Ich war zum Beispiel einer wirklich der Ersten, der sich damals rausgewagt hat, und ich habe viele Leute, mit denen ich Kontakt habe, habe wirklich jetzt wieder 40 Mails bekommen von Leuten, die eben auch denken, was ist jetzt und was machen wir. Es gibt da, glaube ich, schwer kranke und beschädigte Menschen, die da wirklich Hoffnung draufgesetzt hatten und die auch gar nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben normal zu führen. Aber ich gehöre jetzt zu der Fraktion eigentlich, die voll im Leben stehen und die auch wirklich nur eine Light-Variante an Missbrauch erfahren haben. Und die Leute, wenn ich jetzt mit denen spreche, die sagen alle, da habe ich sowieso nicht dran geglaubt. Also das erschüttert mich jetzt überhaupt nicht und ich bin auch nicht entsetzt, weil das, was eigentlich jetzt wieder läuft, genau das ist ja das, was auch bei uns am Internat in Bonn eigentlich bis heute noch abläuft. Es wurden Fotos vernichtet, Beweismaterial wurde versucht, irgendwie untern Tisch zu kehren, bis heute keine Entschuldigungen, keiner hat einem Mal in die Augen geschaut, weder vom Internatsleiter noch vom Provinzial der Jesuiten. Alle haben eigentlich permanent versucht, ihren Job zu verteidigen, und so getan, als ob Opfer interessieren, aber letztendlich ist nichts geschehen, außer 5000 Euro Schmerzensgeld für die meisten, aber auch nach einem Antrag, der ausgefüllt werden musste, bei einigen sogar noch ein Gutachten eingereicht werden, was ja eigentlich eine lächerliche Summe ist, wenn man denkt, was da nur allein die Eltern bezahlt haben in zehn Jahren Internat oder so.

    Schulz: Sehen Sie eine Chance für die Zukunft, für einen neuen Anlauf? Das hat sich die katholische Kirche ja weiterhin vorgenommen.

    Abrantes Ostrowski: Ja den sehe ich eigentlich schon. Aber das funktioniert halt nicht irgendwie mit Selbstaufklärung. Das kann überhaupt nicht funktionieren. Ich glaube, dass da wirklich der Bundestag eine Untersuchungskommission einsetzen muss, wo man auf jeden Fall Opfer- und Täteraussagen irgendwie richtig prüft, ihnen endlich einmal zuhört und irgendwie Verantwortung übernimmt für das und eben auch guckt, dass die katholische Kirche als Institution komplett versagt hat bisher, und auch, dass das untersucht werden muss, wie das sein kann, dass man immer noch bei, ich glaube, nicht mal 30 Prozent Katholiken in Deutschland, dass man immer noch so tut, dass da irgendwie Exekutive, Legislative und Judikative, da wirklich alles irgendwie von der Kirche aus ausgehen kann, von einer Person. Da werden ja immer noch Priester verschoben, sobald irgendwie eine kleine Sache oder eine Ungereimtheit auftaucht oder Missbrauch geschehen ist, und in den eigenen Reihen wir das geklärt, es darf immer noch keiner eingeschaltet werden. Und solange das nicht aufhört, sehe ich da keine Chance, dass auch man zum Thema Missbrauch und Entschädigung irgendwie ein Stückchen weiterkommt.

    Kaess: Der Schauspieler und Buchautor Miguel Abrantes Ostrowski im Gespräch mit meiner Kollegin Sandra Schulz.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.