Donnerstag, 28. März 2024

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"Katholische Kirche muss von der Reformation lernen"

Der Theologe und Kirchenkritiker Drewermann hat sich für eine Öffnung der Katholischen Kirche ausgesprochen. Diese müsse von der Reformation lernen und nicht jedem Aufbruch zur Mündigkeit mit den Lehren der Vergangenheit begegnen, betonte Drewermann.

Moderation: Klaus Remme | 19.04.2005
    Klaus Remme: "Extra omnis", alles hinaus, hieß es gestern am frühen Abend in Rom. Die Türen der sixtinischen Kapelle sind nun geschlossen und das eigentliche Konklave hat begonnen. Der Führungswechsel in der katholischen Kirche, ein Medienereignis ersten Ranges und wie schon die Trauer in den vergangenen Tagen Event-Charakter hatte, so wird auch der strenge Ablauf des Konklaves vor den Medien zelebriert. Kaum ein Programm, das den schwarzen Rauch nach dem ersten Wahlgang gestern Abend nicht zeigt.

    Ich habe vor der Sendung mit dem Theologen Eugen Drewermann über diese Tage des Übergangs in Rom gesprochen. Wegen seiner kirchenkritischen Publikationen wurde ihm 1991 die Lehrerlaubnis und das Priesteramt entzogen. Ich habe ihn zunächst gefragt, ob er Trauer verspürt hat angesichts des Todes von Papst Johannes Paul II.?

    Eugen Drewermann: Mir geht es nicht um mich selber. Die Konflikte mit der katholischen Kirche wurden ja der Not der Menschen wegen begonnen. Der Fundamentalismus in der Bibel-Lektüre, die oft absurde Folgerung in der Sexualmoral, die Unfreiheit im Ganzen. Man müsste die Menschen mündig machen, statt abhängig zu halten von einem Papstamt, das sich als Stellvertreterschaft Gottes jetzt seit rund tausend Jahren schon versteht. Jesus meinte im neuen Testament mal, "lasst ihr euch nicht Vater nennen. Ein einziger sei euer Vater, der im Himmel ist". Dieser Unmittelbarkeit zwischen den Menschen und Gott darf kein Papst auf Erden im Wege stehen und dass jetzt eine Milliarde Menschen darauf starren sollen, wie weißer Rauch aufsteigt aus der sixtinischen Kapelle, ist ja ein Zustand, wie wenn wir unter Ramses II. oder Ludwig XIV. leben würden.

    Remme: Aber spricht das gewaltige Echo auf den Tod des Papstes nicht eine deutliche Sprache dahin gehend, dass Johannes Paul II. die katholische Kirche gestärkt hat?

    Drewermann: Was wir jetzt erleben ist eine Richtungsverschiebung im Sinne der Traditionalisten, der Fundamentalisten, der Konservativen, machtvoll geschart um Kreise des Opus Dei, deren Unterwanderung in den Medien jetzt ihren Triumph feiert. Man darf diesen triumphalistischen Aufmarsch der Kollektivpsychologie, der Bindung aller an einen einzigen doch nicht für christliche Mündigkeit halten oder gar für eine spirituelle Erfahrung. Dieser Zustand, den Siegmund Freud 1921 in der Massenpsychologie genau so schmerzhaft beschrieben hat, muss doch irgendwann im Sinne Jesu überwindbar sein. Dann müsste die katholische Kirche lernen von der Reformation. Das tut sie seit 500 Jahren nicht und das hindert sie daran, in entscheidenden Punkten die Güte, das Verstehen, die Begleitung, die Personalisierung, den Mut zum Leben aufzubringen.

    Remme: Herr Drewermann, wenn Sie also die Stellung des Papstes prinzipiell in Frage stellen, ist es dann egal, wer Nachfolger von Johannes Paul II. wird?

    Drewermann: Schon dass wir dauernd fragen was macht der Papst, will der Papst, wer wird der Papst zeigt, dass alles außengelenkt ist, fremdgesteuert, entmündigt im Grunde. Wer sagt den Menschen mal, dass sie nicht warten können, bis irgendeine Versammlung von 115 Kardinälen, die meisten über 70 Jahre, die Freiheit gibt zu überlegen, ob sie nach einer gescheiterten Ehe in einer neuen Beziehung nicht glücklich werden könnten. Wir dürfen die Fragen unseres Lebens nicht delegieren an irgendeine Kirchenbehörde. Wir leben heute und Hoffnung kann nicht sein jenseits der Gräber.

    Remme: Ich frage aber noch mal: Ist es dann egal, wenn das so ist, wer Nachfolger wird?

    Drewermann: Nein. Der Papst hat ja eine unglaubliche Machtstellung. Insofern hängt von der individuellen Person und wie er das Amt dann ausfüllt enorm viel ab. Auf der anderen Seite ist das alles irrational. Jetzt ist die gesamte katholische Kirche im Wartezustand, voller Überraschungen. Sie hat keinerlei Mitspracherecht, nur dieses Gremium in der Sixtina. Und diesen Ausschluss von aller Demokratie nennt man das Wirken des heiligen Geistes oder gar den Willen Gottes. Es ist gelinde gesagt theologisch betrachtet unverschämt.

    Remme: Herr Drewermann, wenn wir uns für einen Moment vorstellen, Sie müssten diesen nächsten Papst mitwählen, welche Kriterien müsste er erfüllen?

    Drewermann: Ich stelle mir die Religion von morgen so vor, dass sie psychologisch integrativ ist, also die psychoanalytische Aufklärung nacharbeitet, die Integration des Unbewussten, dass sie integrativ kulturell ist, den Dialog mit den Religionen, vor allem Buddhismus, Hinduismus, Islam, enorm verstärkt und dass sie integrativ ökologisch ist, dass sie das Thema der Umwelt, der Schutz der Tiere mit einer ganz neuen, in der katholischen Kirche nie gewesenen Ethik nacharbeitet. Dann kann der Papst im Grunde sein, wie er will, wenn er diesen Zielsetzungen einer Religiosität von morgen entsprechend wäre.

    Das Problem ist: Wir haben 1963 im zweiten Vatikanum mit großer Hoffnung geglaubt, es werden jetzt die Türen und die Fenster geöffnet. Johannes Paul II. hat 20 Jahre später im Gesetzbuch der katholischen Kirche diese Hoffnung endgültig beerdigt. Er hat eine zentrale Machtfülle dem Papsttum wieder zugesprochen. Davon müsste sein Nachfolger dringend schrittweise wieder Abschied nehmen.

    Remme: Herr Drewermann, was würde geschehen, wenn sein Nachfolger Kardinal Ratzinger werden würde?

    Drewermann: Jedes autokratische System ist irrational und der Ratzinger ist ein vernünftiger Mensch, so lange es sich um intellektuelle Reflexionsmuster handelt. Ihm ist vieles zuzutrauen, sogar eine Reform seiner eigenen Gegenreformation. Ich kann nicht über Personen handeln. Als Person muss jeder wissen, was er selber meint, verantworten zu sollen. Aber was ich dennoch glaube, dass es geändert gehört, ist die Überich-Struktur derer, die da Kirchenämter bekleiden. Wenn man Menschen erst mal glauben macht, sie sind von Amtswegen unfehlbar, hat man gleich zwei Fehler. Man hat ein Amt, das von unten her nicht mehr lernfähig bleibt, und man verlangt die totale Identifikation des Amtsträgers mit seiner Aufgabe, psychoanalytisch mit seinem Überich.

    Remme: Könnte dieses neue Pontifikat auch eine Zäsur in Ihrem Konflikt mit der Amtskirche sein?

    Drewermann: Das mag ich nicht glauben, obwohl ich mir natürlich wünschen würde, dass man die Bibel gestützt auf die Forschungsergebnisse von 200 Jahren historisch-kritischer Exegese symbolisch, poetisch, existenziell verbindlich statt fundamentalistisch und objektivistisch lesen könnte. Ich würde mir wünschen, man käme von dem dogmatischen Fetischismus herunter, dass man den Menschen wortidentisch vorschreibt, wie sie sprechen müssen, und nennt das angeblich dann Glauben.

    Remme: Ist denn Ihr Konflikt mit der Amtskirche ein im Kern theologisches Problem oder ein Machtkonflikt?

    Drewermann: Ich habe nicht geglaubt, dass wer Menschen frei sehen möchte im Sinne Jesu mit der Kirche Roms augenblicklich in einen Machtkonflikt kommt, aber ich finde man muss ihn eingehen als Theologe und vor allem als Mensch. Ich sehe jeden Tag Leute, die zu mir kommen in Gespräche, bewundere deren Mut, mit dem sie in ihrem Leben neue Entscheidungen treffen, und ich kann nicht länger akzeptieren, dass die katholische Kirche jeden Aufbruch zur Mündigkeit, zur Freiheit, zur Eigenverantwortung mit vorgefertigten Moralstandards, mit fertigen Dogmen, mit einer Lehre aus der Vergangenheit so im Wege steht, dass es die Zukunft verhindert.

    Remme: Herr Drewermann, warum sind Sie nicht längst aus der katholischen Kirche ausgetreten?

    Drewermann: Ich überlege das seit langem und wenn es nur an mir läge, hätte ich keine Schwierigkeiten. Aber ich bin angetreten für Menschen, die in dieser Kirche an dieser Kirche leiden, und so bin ich in der katholischen Kirche gegen die katholische Kirche. Rom muss lernen, in gewissem Sinne die Anliegen der Reformation in sich aufzunehmen, um christlich zu werden. Man kann nicht das Vorbild der Pharaonen am Nil oder der römischen Cäsaren mit der Botschaft Christi weiter verwechseln.

    Remme: Schließen Sie also einen Austritt aus, oder ist das ein permanenter Konflikt, mit dem Sie ringen?

    Drewermann: Ich sage ja: Für mich persönlich habe ich den Konflikt längst gelöst. Das Thema sollte nicht länger sein die katholische Kirche. Die wenigsten fragen heute, sind sie katholisch oder evangelisch. Beides ist ganz einfach, nur in einer Konfession zu bleiben, aber Christ zu werden ist die wirkliche Aufgabe oder Mensch zu werden. Und dann sage ich gern: Es muss sogar das ganze Christentum in gewissem Sinne von den Buddhisten lernen, die Botschaft Jesu zu verstehen. Es ist nicht möglich, auf solch einem Schmalspurweg, wie wir ihn im Abendland gegangen sind, die Botschaft des Menschensohnes zu integrieren.

    Remme: Wo Sie das Abendland nennen, die Mehrheit der Kardinäle, Herr Drewermann, ist Europäer. Die Mehrheit der Gläubigen lebt anderswo. Wie problematisch ist diese Schieflage?

    Drewermann: Die ist enorm. Die Zukunft der römischen Kirche liegt rein religionsstatistisch ganz sicher in den Ländern der so genannten Dritten Welt. Europa spielt in der nahen Zukunft bereits nicht mehr die Rolle, die es einmal gehabt hat. Gleichwohl sind die Probleme, die wir vor 200 Jahren in der Aufklärung philosophisch formuliert haben, seit 100 Jahren psychologisch in der Psychoanalyse formuliert haben, für jede zukünftige Kultur von allerhöchstem Rang. Und wenn Rom verweigert, diese Konflikte mit geistigen Mitteln zu lösen und immer noch dabei bleibt, rein machtpolitisch sie zu ignorieren, zu verdrängen, unter Verbot zu stellen, ist die Zukunftsfähigkeit dieser Kirche arg gefährdet. Es ist dann die Wahl zwischen einem geistigen Museum, das nur noch sich selber verwaltet, oder dem völligen Kollaps beim ersten Versuch, das Leben an sich ran zu lassen.

    Remme: Der Theologe und Kirchenkritiker Eugen Drewermann war das.