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Katholische Kirche
Thomas Frings: Gottesdienste müssen lebensdienlich sein

Gottesdienste in Deutschland sind eigentlich nur noch zu Weihnachten gut besucht. Die katholische Kirche müsse sich öffnen und versuchen, den Menschen mehr entgegenzukommen, sagte der Kölner Pfarrvikar Thomas Frings im Dlf. Sie dürfe nicht länger an allen Orten das Gleiche anbieten.

Thomas Frings im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.12.2018
    Christoph Heinemann: Nur wenige Journalistinnen oder Journalisten schaffen es, je nach Betrachtungsweise, Ratlosigkeit oder Verantwortungslosigkeit hörbar zu machen. Unserer Kollegin Christiane Florin ist das vor einigen Wochen gelungen mit einer Frage anlässlich einer Pressekonferenz nach der Tagung der katholischen deutschen Bischöfe. Der ausführlichen Frage - Sie hören sie gleich - folgte eine einsilbige Antwort des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Marx.
    O-Ton Christiane Florin: "Christiane Florin vom Deutschlandfunk. Eine Frage noch zur persönlichen Verantwortung. Hier sind jetzt über 60 Bischöfe versammelt. Gab es einen oder zwei, die im Zuge Ihrer Beratungen gesagt hätten, ich habe so viel persönliche Schuld auf mich geladen, ich kann eigentlich diese Verantwortung des Amtes nicht mehr tragen?"
    O-Ton Kardinal Marx: "Nein."
    Heinemann: Das ist die eine Seite der Amtskirche. Zur anderen gehören Priester, die sich mit einem "weiter so" nicht abfinden wollen, etwa Thomas Frings. 2016 hat er sein Amt als Pfarrer in Münster niedergelegt und er hat sich zunächst in ein Kloster zurückgezogen. Inzwischen lebt er in Köln.
    Thomas Frings hat 2017 ein Buch geschrieben mit dem Titel "Aus, Amen, Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein". Frings ist Großneffe des ehemaligen Kölner Erzbischofs, der die deutsche Sprache um ein Verb bereichert hat: das Fringsen.
    Als katholischer Priester hat Thomas Frings oft erlebt, dass Kirchen zu Weihnachten voll, aber vorher und nachher leer waren. Dort hat unser Gespräch gestern begonnen. Ich habe ihn gefragt, wie er als Pfarrer diese Weihnachtsmessen erlebt hat.
    Thomas Frings: Ich habe bei mir selber eine Veränderung festgestellt. Ich bin jetzt über 30 Jahre im Dienst und habe festgestellt, ich muss mit einer anderen Haltung manchmal reingehen. Nämlich die, die da kommen, kommen gerne und freiwillig. Das ist übrigens der einzige Gottesdienst im Jahr, den wir nicht bewerben müssen und der trotzdem der vollste ist.
    Und wir müssen auch sagen: Die Menschen, die kommen, gehören ja schon fast zu den Aktiven, auch die nur Weihnachten kommen, weil über die Hälfte der Katholiken oder der Christen auch nicht an Weihnachten in die Kirche kommen. Deswegen den Leuten mit Sympathie und Freude begegnen. Und wir haben uns auch im Team in der Sakristei oft vorher eingestimmt und sagen: Wir gehen jetzt da rein, um einen schönen Gottesdienst mit den Menschen zu feiern, die da sind.
    Thomas Frings vor dem Kirchengebäude seiner ehemaligen Gemeinde in Münster.
    Thomas Frings vor dem Kirchengebäude seiner ehemaligen Gemeinde in Münster. (picture-allinace / dpa / Bernd Thissen)
    Heinemann: Trotz des Rummels?
    Frings: Das ist ein Rummel und den kann man sogar vorher artikulieren. Ich sage das vorher sogar an. Ich sage: Wir sind jetzt eine Kirche, die enorm voll ist, mit ganz vielen Kindern; das wird kein ruhiger meditativer Gottesdienst, das wissen wir alle. Aber wenn jeder ein kleines bisschen darauf achtet, dann wird er vielleicht nicht rummelig, aber lebendig.
    "Ich kenne immer mehr Menschen, denen nichts fehlt - auch Gott nicht"
    Heinemann: Herr Frings, dieser Gottesdienstbesuch ist die Ausnahme. An 50 Sonntagen sind viele Kirchen ziemlich leer. Was läuft falsch?
    Frings: Das ist ja ein Phänomen, das fortschreitet, und das seit Jahrzehnten. Da ist ja nicht ein plötzlicher Abbruch gewesen, sondern ein kontinuierlicher. Vielleicht gibt es ja auch Menschen, die gar nicht bei uns suchen.
    Vielleicht sind ja Menschen auch so ganz glücklich. Ich kenne inzwischen immer mehr Menschen, die ganz glücklich sind, denen nichts fehlt, wenn sie auch Gott - und dann kommt ja erst Gottesdienst dahinter - in ihrem Leben nicht haben, er nicht vorkommt, die sagen, da fehlt mir nichts.
    Mir sagte letztens noch eine Dame, ihre 82-jährige Freundin wäre jetzt aus der Kirche ausgetreten und hätte ihr daraufhin nachher gesagt: "Und weißt Du was? Gott fehlt mir überhaupt nicht."
    Das fällt uns in der Kirche natürlich sehr schwer, das zu hören und zu akzeptieren. Auf der anderen Seite sind vielleicht auch unsere Gottesdienste manchmal nicht so, dass sie dem Gefühl der Menschen entsprechen und ihrer Erwartung entsprechen. Deswegen müssen wir nicht immer gleich alle Erwartungen bedienen, aber es muss doch lebensdienlich sein, was wir da machen.
    Heinemann: Sie haben deshalb ein Buch geschrieben und in dem Zusammenhang in dem Buch den Begriff der Entscheidungsgemeinde geprägt. Wie stellen Sie sich Gemeinden der Zukunft vor?
    Frings: Wir kennen das lang bewährte Modell der Territorialgemeinde. Es war großartig. Die Katholische Kirche war ja das einzige Unternehmen vor dem Internet, das weltweit vertreten war. Egal wo Sie wohnten in der Welt - Sie gehörten zu einer Pfarrgemeinde und zu einem Bistum. Das alles konnte schon mal mehrere hundert Kilometer auseinanderliegen, aber es war eine flächendeckende Organisation.
    Wir erleben aber in unserer Gesellschaft immer mehr, dass die Menschen sich nicht territorial einfach automatisch verorten nach der Devise, ich wohne hier, also gehöre ich hierzu.
    Wir müssen vielleicht auch neue Wege suchen, den Neigungen der Menschen mehr entgegenzukommen. Das können wir nicht, indem an jedem Ort das immer gleiche Modell angeboten wird. Das hat lange Zeit, Jahrzehnte, vielleicht sogar bald Jahrhunderte gut funktioniert; jetzt tut es das immer weniger.
    "Das Wort lebensdienlich finde ich so hilfreich für unsere ganze Tätigkeit"
    Heinemann: Konkret: Was könnte da oder was sollte da anders sein?
    Frings: Ich arbeite jetzt ja in dem Team der Kölner Innenstadt mit, und da sind wir genau auf der Suche nach Antworten, dass wir nicht sagen, wir haben hier auf Dauer 26 Kirchen, die irgendwo da stehen. Wir können nicht an allen Orten das gleiche anbieten, sondern dass man sich spezialisiert, dann aber auch Menschen vielleicht Wege suchen müssen. Sie müssen sich entscheiden für etwas.
    Ich bin sogar in meinem Buch noch einen Schritt weitergegangen und habe gesucht: Wie wäre das mal, wenn ein Bischof hingehen würde, statt Gemeinden aufzulösen, er würde eine neue Gemeinde gründen, die sich gar nicht territorial festlegt, sondern nur aufgrund der Menschen, die sich für diese Gemeinde bewusst entscheiden.
    Heinemann: Eine ganz andere fringssche Idee: Gläubige, die das Evangelium in einer Gaststätte hören, sonntags, und beim Essen darüber sprechen, was das Gehörte mit ihrem Leben ab Montag zu tun haben könnte - ohne Priester. Welches Echo gab es auf diesen Vorschlag?
    Frings: Wir überlegen gerade, wo wir das aktiv einsetzen können. Es gibt aber ein Echo darauf. Ich habe das an verschiedenen Stellen, wo ich eingeladen war, vorgetragen, und die Diözese Lienz in Österreich ist zum Beispiel hingegangen und hat das Modell für die erste Jahreshälfte 2019 übernommen. Sie haben mich freundlicherweise informiert, noch mal nachgefragt: Ist es ungefähr das, was Sie sich da vorstellen?
    Wir haben eine Gaststätte gefunden, wir haben eine Einladung designt, wir wollen das so machen, dass wir sonntagsabends einladen. Man meldet sich an, dann kann man wählen, ein Essen mit oder ohne Fleisch, so dass der Gastwirt und die Einladenden auch wissen, wie viele Essen sie vorbereiten müssen, und dann wird bei Tisch, bevor man beginnt mit dem Essen, das Evangelium des Sonntags gelesen.
    Und während man da sitzt und isst, in den kleinen Gruppen - die Menschen, die gekommen sind, sie wollen ja alle dasselbe; deswegen ist die Hürde gar nicht mal so hoch -, sprechen sie über dieses Evangelium und sagen, was hat das morgen mit meinem Leben noch zu tun.
    Das Wort lebensdienlich finde ich so hilfreich für unsere ganze Tätigkeit und das wäre etwas, dass die nicht, wenn sie rausgehen, sagen, das war's jetzt für heute, sondern ja, das fällt mir morgen wieder ein.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Ein oft gesehenes Bild: Spärlich besetzte Bänke während eines Gottesdiensts. (imago/ Steinach)
    Heinemann: Sie haben geschrieben: "Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht." Warum und wonach?
    Frings: Wenn Menschen mir zum Beispiel sagen - und das habe ich an der Erstkommunion festgemacht -, dass die kommen und sagen, wir sind da nicht hingekommen, bisher nicht, die letzten Jahre nicht, wir haben die Kirche noch nie von innen gesehen, sagten die sehr deutlich, wir wollen auch während der Vorbereitung gar nicht da hinkommen, das stört uns am Sonntagmorgen, und wir werden nachher auch nicht mehr wiederkommen.
    Heinemann: Warum kommen sie dann?
    Frings: Wegen der Tradition. Da ist etwas, das sich so sehr tradiert, auch in der Erinnerung, dass man wirklich meint, das gehört unbedingt dazu. Aber wir schaffen nicht mehr davon den Schritt ins Leben. Es bleibt in der Tradition, denn die Leute sagen von vornherein, wir werden auch nachher nicht mehr kommen.
    "Es hat leichtere und schönere Zeiten gegeben, auch um Priester zu sein"
    Heinemann: Aber Kirche ist kein Traditionsverein. Sollte Kirche solche Bedürfnisse bedienen?
    Frings: Schwierig. Ich würde nie Leute wegschicken und ausschließen geht auch nicht. Aber vielleicht könnten wir auch nach anderen Modellen suchen, wo die Leute nachher sagen - und die Kommunion ist nun mal an den Sonntagmorgen gebunden, an die Eucharistiefeier dann da. Aber wenn ich von vornherein weiß, dass ich das gar nicht will, haben wir was anderes im Angebot für diese Menschen, dass sie nachher auch sagen, Mensch, das war gut, das konnte ich verorten in meinem Leben, das hat nicht am Sonntag eine Stunde was da mit mir zu tun gehabt, aber nicht mit dem Rest meines Lebens. Das ist ja unser Problem: Wir kriegen die Brücke immer schwerer hin.
    Heinemann: Hat aber vielleicht auch mit dem Bild der Kirche zu tun: Eine von alten Männern geleitete Organisation, die lange Zeit schwere Straftaten nach besten Kräften vertuscht hat. Wie können junge Menschen, wie können vor allem junge Frauen heute katholisch sein?
    Frings: Jetzt fragen Sie einen, der auf die 60 zugeht - einen Mann. Die Antwort kann ich Ihnen nicht geben. Aber ich kann inzwischen immer mehr verstehen und ich merke, wie das Bild bei mir auch ankommt, dass wenn ich hinten in einer Kirche stehe und ich sehe ein festliches Hochamt da vorne, dass das wirklich Männerbild ist, von dem Frauen vielleicht sagen, nee, da kann ich nichts mehr mit anfangen.
    Es gibt andere Meinungen dazu, selbstverständlich. Aber ich kann die verstehen, die sagen, das ist mir fremd. Und ich bin nie Opfer gewesen eines Missbrauchs. Ich habe nie missbraucht und ich habe nie vertuscht. Aber ich gehöre zur Täterseite und das ist mir sehr wohl bewusst, und es macht uns die Verkündigung und das Leben von Kirche wirklich schwer. Es hat leichtere und schönere Zeiten gegeben, auch um Priester zu sein.
    Heinemann: Dass er zur Täterseite gehört, das hat jetzt auch ein anderer gesagt: Heiner Wilmer, der neue Bischof von Hildesheim. Er hat den Skandal um die sexuellen Straftaten mit der "Eroberung und Plünderung Roms durch Alarichs Westgoten im fünften Jahrhundert" verglichen. Eine Sinnkrise war die Folge, die man wozu nutzen sollte?
    Frings: Was nicht sein darf ist, dass es so weitergeht. Wir hatten vor Jahren schon einmal – vielleicht können sich schon manche gar nicht mehr daran erinnern, aber es ist erst drei, vier Jahre her – so einen synodalen Prozess, dass die Bischöfe gesagt haben, wir laden dazu ein. Da gab es viermal in Mannheim große Treffen auf Bundesebene und da wurde gesagt: Wenn sich jetzt nichts ändert, dann wird das ganz schlimm ausgehen.
    Von dem, was da umgesetzt wurde, was da gesprochen wurde, ist alles wieder versickert. Zumindest habe ich davon nichts gemerkt, und ich gehöre zum Laden dazu!
    "Die Hierarchie ist Teil des Problems. Auf jeden Fall!"
    Heinemann: Warum?
    Frings: Weil vielleicht grundsätzliche Änderungen anstehen und man sich davor wirklich schwertut. Die sind - und das ist das Problem - oft theologisch begründet, und da wagt man sich dann nicht ranzugehen. Ob diese Begründungen noch halten, das ist die Frage.
    Heinemann: Nicht nur theologisch begründet. Ein Kardinal Gerhard Müller sagt: Laien könnten nach der heiligen Ordnung der Kirche nicht über geweihte Amtsträger urteilen. Ist die Hierarchie Teil des Problems?
    Frings: Ja. Kurze Antwort. Mehr will ich gar nicht sagen. Ja, sie ist Teil des Problems. Auf jeden Fall! Es hat auch viele Menschen gegeben, die diese Hierarchie unglaublich gestützt haben. Das ist nicht nur von oben erzwungen worden; das ist auch von unten über weite Strecken mitgetragen worden, dieses Modell. Das Beharrungsvermögen zieht sich prozentual, glaube ich, durch alle Schichten durch.
    Heinemann: Bischof Wilmer hat den Theologen Eugen Drewermann als einen, von der Kirche verkannten Propheten bezeichnet, weil er schon vor vier Jahrzehnten die Strukturen des Bösen beschrieben hat. Ebenso der Jesuitenpater Klaus Mertes. Wie wichtig sind diese, wie wichtig sind andere Propheten für die Katholische Kirche?
    Frings: Sie sind von großer Wichtigkeit und vielleicht im Moment von überragender Wichtigkeit. Ich fand das mutig, dass Bischof Wilmer hingegangen ist und gerade Drewermann noch mal wieder erwähnt hat, der ja inzwischen sein Priesteramt nicht nur niedergelegt hat, sondern aus der Katholischen Kirche ausgetreten ist.
    Heinemann: Nach den schlimmen Erfahrungen mit dem Vatikan.
    Frings: Richtig, und jetzt ein Bischof hingeht und ihn quasi öffentlich rehabilitiert. Es ist ein System, das wir in der Katholischen Kirche kennen. Wie viele Theologen hatten Schwierigkeiten und sind am Ende doch wieder rehabilitiert worden. Das scheint, auch in unseren Strukturen so drin zu sein. Wenn jemand "Veränderung" ruft, ist der Reflex dagegen in unserer Gruppierung von Katholischer Kirche vielleicht stärker als in den meisten anderen Gruppierungen.
    Heinemann: Müssen sich die Laien die Kirche vielleicht von der Hierarchie zurückerobern?
    Frings: Die Wortwahl "erobern" lässt mich ein bisschen stolpern.
    Heinemann: Oder zurückaneignen?
    Frings: Ja! Wir waren eine Kirche der Priester. Das muss man deutlich sagen. Als ich geweiht wurde, Mitte der 80er-Jahre, waren wir eine Priesterkirche und wurden dann immer mehr eine Hauptamtlichenkirche in Deutschland, in der bezahlte Laienkräfte die Aufgaben übernommen haben, die mangels Priesternachwuchs nicht mehr gestemmt werden konnten.
    Ich weiß jetzt hier vom Bistum Köln, dass 1.200 Männer und Frauen, Priester und Laien in der Seelsorge hat, und bis zum Jahre 2030 - und das ist nicht mehr weit - die Hälfte davon verlieren wird, und übrig bleiben werden 600 mit einem Durchschnittsalter von 58, das noch steigen wird.
    Es wird deutlich: Wir sind aus der Priesterkirche eine Hauptamtlichenkirche geworden, und wir müssen aus einer Hauptamtlichenkirche eine Kirche der Getauften machen - und das sind die Laien -, in der die Priester eine Aufgabe haben - auf jeden Fall! Aber wir müssen eine Kirche der Getauften und nicht mehr nur der Geweihten werden. Die Geweihten hatten ein zu schweres Gewicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.