Archiv


Katholischer Familienbund kritisiert Betreuungsdebatte

Der Familienbund der Katholiken wirft der Großen Koalition eine einseitige Familienpolitik vor. Unter anderem mache das Elterngeld keinen Hehl daraus, dass es darum gehe, Mütter möglichst schnell wieder in die Erwerbstätigkeit zu drängen, sagte der Bundesgeschäftsführer des Familienbundes, Markus Warnke. Wahlfreiheit setzte jedoch voraus, ohne Vorwurf jedes Lebensmodell zu akzeptieren.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Man hat den Eindruck, die Debatte gerät langsam zum fanatischen Glaubensstreit, oder?

    Markus Warnke: Das ist richtig. Wir haben immer wieder angemahnt, dass man sachlich über die Dinge diskutieren muss, weil: Es gibt einiges zu tun in diesem Land, und ich glaube, den Familien hilft am meisten, wenn man wirklich sachlich und ideologiefrei über Familienpolitik spricht und diskutiert.

    Heckmann: Würden Sie denn trotzdem sagen, dass die Familienpolitik von von der Leyen unsozial ist und sogar familienfeindlich, wie es Walter Mixa formuliert hat?

    Warnke: Also noch mal: Man muss sachlich diskutieren, und die Tonlage ist hier ganz, ganz entscheidend, was ja auch Kardinal Lehmann unter anderem betont hat. Aber es ist sicherlich richtig, dass die Familienpolitik einseitig ist. Ob sie unsozial ist, da bin ich nicht ganz so sicher, aber einseitig ist sie ganz sicher, wenn man sich auf die letzten großen familienpolitischen Dinge konzentriert, die ja schon auch unter der rot-grünen Koalition begonnen wurden, also das Tagesbetreuungsausbaugesetz, wo einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz berufstätige, erwerbstätige Eltern haben, wenn man sich anguckt, wer die Betreuungskosten steuerlich absetzbar machen kann, da war vorgesehen, zunächst nur die volle Erwerbstätigkeit, dass hier die Eltern die Betreuungskosten absetzen können. Erst auf Druck im Prinzip der Union kam so eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft raus, die auch noch nicht voll befriedigend ist. Das Elterngeld macht gar keinen Hehl daraus, dass es darum geht, die Mütter möglichst schnell wieder in die Erwerbstätigkeit zu drängen und so weiter und so weiter. Insofern gibt es eine klare Konzentration auf ein klares aus unserer Sicht Leitbild von Familie, und das halten wir für bedenklich, wenn man Wahlfreiheit will, wofür wir als Familienbund eintreten.

    Heckmann: Wie erklären Sie sich denn, dass gerade in der Union eben eine solche Politik dann verfolgt wird, die aus Ihrer Sicht einseitig ist?

    Warnke: Also zunächst einmal sind wir natürlich parteiunabhängig, aber wir betrachten, beobachten die politische Szenerie natürlich sehr intensiv. Die Union ist durchaus gespalten, das kann man, glaube ich, nicht anders sagen. Auf der einen Seite gibt es starke Kräfte um Frau von der Leyen, die eine klare Zielvorstellung haben, wie Familienpolitik modern sein müsse, und auf der anderen Seite gibt es natürlich einen ganz extremen anderen Flügel, und in der Mitte tummelt sich eigentlich aus meiner Sicht die Mehrheit, die genau wie wir für Wahlfreiheit eintreten, aber die so ein bisschen zwischen den Polen hin- und hergerissen sind und auch vielleicht ein bisschen Angst haben, sich klar zu profilieren. Also ich glaube, die Union ist auf der Suche nach einem neuen Leitbild und auch auf der Suche nach neuen Wählerschichten. Vielleicht verliert sie dadurch aber alte.

    Heckmann: Das heißt, Sie sehen die Gefahr, dass nicht arbeitende Mütter in der Zukunft schief angeschaut werden und auch finanziell benachteiligt werden?

    Warnke: Also man hört ja immer dieses Bild von den Rabenmüttern, was sicherlich ein völlig falsches Bild ist und was es nur in Deutschland gibt. Aber mehr und mehr nehmen die Mütter auch wahr, dass sie schief angeguckt werden, wenn sie zu Hause bleiben. Ich kenne tatsächlich viele Mütter, die sich rechtfertigen müssen, wenn sie sagen, ja, ich bleibe bewusst die ersten drei Jahre bei meinem Kind, bei meinen Kindern zu Hause, und das ist, glaube ich, auch der falsche Weg. Wahlfreiheit heißt, ohne Vorwurf jedes Lebensmodell zu akzeptieren, sowohl das eine, also wo beide erwerbstätig sein wollen, als auch das andere, wo jemand zu Hause bleiben will, aber auch jede Mischform dazwischen. Also ohne Vorwurf alles zu akzeptieren und alles zu unterstützen, und da hat der Staat eine Verantwortung, das auch umzusetzen.

    Heckmann: Und sie kritisieren, dass finanziell schlecht dastehende Mütter und Alleinerziehende de facto gar keine Wahlfreiheit haben?

    Warnke: Das ist richtig, also de facto haben wir gar keine Wahlfreiheit, zum einen fehlen natürlich, das ist eine westdeutsche Debatte, gerade in Westdeutschland Betreuungsplätze. Aber wenn man sich anschaut, wo Kinder geboren werden, das ist ein Indikator, das ist nicht der alleinige Indikator für eine Familienpolitik, dann kann man doch im Osten einfach feststellen, da ist eine ausreichende Betreuungssituation, aber zu wenig Arbeitsplätze, also dass die Eltern sich wirklich frei entscheiden können, dass sie Wahlfreiheit haben, davon sind wir noch weit entfernt. Hier ist noch einiges zu tun.

    Heckmann: Herr Warnke, derzeit werden die familienpolitischen Leistungen insgesamt auf den Prüfstand gestellt, um ein durchdachtes Finanzierungskonzept auf den Tisch zu legen. Da ist immer wieder die Rede von einer Summe in Höhe von 185 Milliarden Euro im Jahr. Sind diese Ausgaben, ist diese Höhe aus Ihrer Sicht realistisch?

    Warnke: Also diese Zahl ist wirklich vollkommen zu hoch gegriffen. Wenn man sich diese Liste einmal ganz genau anschaut, wird man sehen, dass da verschiedene große Blöcke und verschiedene kleine Blöcke drin sind, die man wirklich stark anzweifeln muss. Zum einen sind da 40 Milliarden Witwen- und Witwerrenten drin, 40 Milliarden. Es sind 25 Milliarden Euro drin, die von den Beitragszahlern für die sozialen Sicherungssysteme, also Gesundheit, Rente, Pflege, erbracht werden. Noch mal: Diese Liste steht unter der Überschrift "Leistungen des Staates für Familien". Es ist drin 20 Milliarden Euro Freibeträge für Kinder, also Kinder haben genauso ein Existenzminimum, ein Recht darauf, dass ein gewisser Betrag nicht besteuert werden darf. Das steht ihnen verfassungsrechtlich zu. 20 Milliarden Euro sind auch da drin, aber auch kleinere Summen, wenn man sich die anschaut, zum Beispiel die Kirchensteuer. Ich glaube nicht, dass die Autoren dieser Studie für eine Staatskirche eintreten, aber Ausfall von Freibeträgen für die Kirche von einer Milliarde Euro sind auch unter Leistung des Staates mit drin und viele andere kleine Beträge. Größere Beträge, 10 Milliarden Euro Familienkomponente für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, das ist eine Sache, die die beiden Tarifpartner ausgehandelt haben, wo nicht jede Familie einen Anspruch drauf hat. Wir, der Familienbund, kommt auf eine Zahlungsgröße von 56 Milliarden Euro jährlich, und das ist schon was anderes als 185 Milliarden. Diese Zahl kursiert und suggeriert, dass es den Familien sehr, sehr gut geht, dass hier ein erhebliches Einsparpotenzial ist und dass sie sich alle mal nicht anstellen sollen, dass man hier noch einiges sparen kann, und dagegen wenden wir uns.

    Heckmann: Wenn der Ansatz von Familienministerin von der Leyen eben nicht der richtige Ansatz ist, was ist die Alternative?

    Warnke: Tatsächlich sich einzusetzen für Wahlfreiheit, und es wäre möglich, dass in den vergangenen Instrumentarien noch mal deutlich zu machen. Ich nenne noch mal die Absetzbarkeit von Betreuungskosten. Wenn man Wahlfreiheit ernst meint, dann hätte man die Betreuungskosten für alle Familien ab dem ersten Cent absetzbar machen können. Dann profitiert wirklich jeder davon. Beim Elterngeld gibt es noch Nachbesserungsmöglichkeiten, da hoffen wir auch drauf, das auch diejenigen, die zu Hause bleiben, einen entsprechenden Betrag, vielleicht eine Art Betreuungsgeld bekommen. Da kann man einiges tun und nicht nur davon reden, von Wahlfreiheit, sondern auch tatsächlich ganz konkret dort ansetzen.

    Heckmann: Aber das schafft praktisch jedenfalls keine neuen Kita-Plätze.

    Warnke: Das ist richtig. Um es klar zu sagen: Wir brauchen mehr Kita-Plätze in Westdeutschland. Wie hoch der Bedarf ist, muss man allerdings gucken. Ich wundere mich ein bisschen über diese Quote, die ermittelt wird aus einem Meridian von Großstädten und wenigen ländlichen Gemeinden. Also ich meine schon, dass man mal gucken muss, wie hoch der Bedarf ist. Man muss auch gucken, wie man mit Tagesmüttern umgehen kann, weil es doch sicherlich eine sehr, sehr gute Alternative auch zu Kita-Plätzen bildet, auch gerade aus Sicht von Müttern und Vätern. Aber dass wir in dieser rein westdeutschen Debatte, gerade in Westdeutschland, mehr Angebote für Kinder unter drei Jahren brauchen, also das ist vollkommen unbestritten.

    Heckmann: Markus Warnke war das, Bundesgeschäftsführer des Familienbunds der Katholiken. Vielen Dank und auf Wiederhören.

    Warnke: Bitteschön.