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Kathrin Aehnlich: „Wie Frau Krause die DDR erfand“
Wem gehört die deutsche Geschichte?

Ein Besser-Wessi will in Kathrin Aehnlichs Satire einen Film über DDR-Bürger machen. Und natürlich hat er klare Vorstellungen, wie die Ostdeutschen darin auszusehen haben: typisch Ossimäßig eben. Hilfe kommt von Frau Krause. Leider gerät der Roman zu brav und holzschnittartig. Die Figuren bleiben blass.

Von Ralph Gerstenberg | 15.01.2020
Die Schriftstellerin Kathrin Aehnlich und ihr Buch „Wie Frau Krause die DDR erfand“
Die Schriftstellerin Kathrin Aehnlich und ihr Buch „Wie Frau Krause die DDR erfand“ (Foto: Verlag Antje Kunstmann/Christiane Eisler, Buchcover: Verlag Antje Kunstmann)
Isabella Krause ist Schauspielerin - eine von denen, die keiner kennt. Sie ist nur 1,50 Meter groß und hatte an einem DDR-Kindertheater ihr erstes Engagement. Doch das wurde zwei Jahre nach dem Mauerfall geschlossen. Seither schlägt sich Frau Krause als Nebendarstellerin, Moderatorin, Synchronsprecherin und Animateurin im Altenheim durch. Ein Casting für eine Fernsehwerbung verspricht Entlastung auf dem Konto der stets klammen Aktrice. Ihr breiter sächsischer Dialekt sorgt sogar für Begeisterung bei den Mitarbeitern der Produktionsfirma. Den Auftrag für den Werbespot bekommt sie dennoch nicht. Dafür wird sie für ein parallel laufendes Projekt, eine Doku-Reihe mit dem Titel "Wild-Ost", engagiert. Sie soll - quasi als Expertin - fünf bis zehn "repräsentative" Protagonisten für die Serie finden, die vor der Kamera von ihrem "ganz normalen" Leben in der DDR erzählen. Der als "der Chief" bezeichnete Westredakteur hat bereits konkrete Vorstellungen: "kämpferische Frauen, die den Alltag organisiert haben. Und die politischen Aspekte nicht vergessen: die Mangelwirtschaft und die Bevormundung durch den Staat. Sie wissen schon."
Die DDR muss ins Bild passen
Dreißig Jahre nach dem Mauerfall widmet sich die zweiundsechzigjährige Autorin Kathrin Aehnlich in ihrem Roman "Wie Frau Krause die DDR erfand" also der derzeit prominent platzierten Ost-West-Thematik, will zeigen, was sich verändert hat, wie der Blick von heute auf das Vergangene ausfällt. Dass es dabei nicht sonderlich differenziert zugeht, liegt in der Natur der Sache. Schließlich handelt es sich um eine Satire. Die Westler sind selbstgefällig, arrogant, wissen genau, was sie wollen, und haben das Sagen. Isabella Krause, die aus dem Osten, hingegen ist klein, vom dauerprekären Dasein gestresst und dementsprechend ernüchtert. Zwar sind die Züge nicht mehr so rappelvoll wie früher und kommen – verglichen mit der Deutschen Reichsbahn – relativ pünktlich, doch "der Bonus, den alles nach dem Mauerfall gehabt hatte, ist aufgebraucht", lässt Aehnlich ihre Hauptfigur resümieren.
Die Ostdeutschen, die Frau Krause für die Fernsehserie ausfindig macht und dem Autor, einem gewissen Fuchs, präsentiert, fallen allesamt durch: Sie erscheinen ihm zu selbstbewusst oder zu uneinsichtig, zu alt, auf jeden Fall zu wenig repräsentativ. Die ehemalige Mitropa-Betreiberin, die Ex-Kindergärtnerin und der nach der Wende in den Vorruhestand abgewickelte Stahlwerker wollen sich ihre Vergangenheit nicht schlecht reden, ihre Biografien nicht entwerten lassen. Auch im DDR-Sozialismus gab es jenseits von Stasi und SED-Herrschaft Alltag und Alltagskultur, so lautet in etwa die Botschaft, die das Westteam jedoch nicht hören will, das vielmehr nach Spuren der Unterdrückung fahndet. Also erfindet Frau Krause kurzerhand und titelgemäß eine DDR, die ins Bild passt, das man sich im Westen längst von den Ostdeutschen gemacht hat.
Ostdeutsche Geschichte, westdeutsche Deutungshoheit
Eine Konstellation, die durchaus Potential gehabt hätte. Auch die Idee, DDR-Zeitzeugen von westdeutschen Schauspielern in Ermangelung überzeugender Protagonisten darstellen zu lassen, hat in Zeiten von Fake News ihren Reiz. Geht es doch um Deutungshoheiten und die Veränderung von ostdeutscher Geschichte durch westdeutsche Interpretationen. Hatte nicht erst Christoph Hein in seinem Buch "Gegenlauschangriff" gezeigt, wie Florian Henckel von Donnersmarcks fiktionale DDR in seinem Oskar-prämierten Stasi-Melodram "Das Leben der anderen" die tatsächliche Realität längst überlagert? Hat das Erzählen über die DDR mittlerweile nicht eine ganz eigene Wirklichkeit kreiert? Wie fühlt es sich an, wenn diejenigen, die nicht dort gelebt haben, inzwischen besser zu wissen meinen, wie es "im Osten" war? Das wäre in der Tat ein Stoff für eine Satire gewesen.
Zu brav, zu blass, zu lasch, zu unklar
Doch dafür ist Kathrin Aehnlichs Roman viel zu brav, ihre Erzählerin wird zur Erklärerin. Sie erklärt uns die DDR. Wie das zum Beispiel damals war mit der Ernährung in der Mangelwirtschaft. Man habe saisongerecht gekocht, eigentlich vorbildlich – findet Frau Krause, abgesehen von dem Mangel. So verliert Kathrin Aehnlich die großen Fragen, die ihr Roman aufwirft nach und nach aus den Augen. Zudem bleibt ihr Personal merkwürdig blass und holzschnittartig. Und der "normale Alltag" in der DDR, für den sich das TV-Team aus dem Westen in ihrem Buch nur unter ideologischen Vorzeichen interessiert, ist durchaus nicht undokumentiert. Mit TV-Produktionen wie "Ostfrauen" oder "FKK – Im Osten total normal" hat sich gerade die ARD-Anstalt, für die Kathrin Aehnlich als Redakteurin arbeitet, der MDR, profiliert. So stellt sich die Frage, ob ihr Roman vielleicht als Kritik am eigenen Sender zu verstehen ist, der vermutlich - wie fast alles im Osten - von Westlern dominiert wird? Oder will sie damit eher auf den Qualitätsjournalismus im eigenen Haus verweisen, wo solche Geschichten, die das ignorante Westteam in ihrem Buch nicht interessieren, sehr wohl ihren Platz finden?
Man weiß es nicht. Die Schlagrichtung bleibt unklar. Und wenn Kathrin Aehnlich am Ende noch eine individualpsychologische Erklärung für das zementierte DDR-Bild des Westautors aus dem Hut zaubert, zieht sie ihrer laschen Satire den letzten Zahn.
Kathrin Aehnlich: "Wie Frau Krause die DDR erfand"
Verlag Antje Kunstmann, München. 176 Seiten, 18 Euro.