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Kehrtwende um 180 Grad

Auch andere Religionen und Konfessionen beinhalten Wahres und Wichtiges über Gott: Diese Einsicht des Konzilserklärung "Nostra Aetate" bedeutete für die katholische Kirche einen radikalen Bruch. Fortan war es ihr möglich, offen den Dialog mit Andersdenkenden zu suchen.

Von Corinna Mühlstedt | 11.10.2012
    "Alles begann an Pfingsten, am 17. Mai 1964. Das Zweite Vatikanische Konzil war voll im Gange, als Papst Paul VI verkündete, dass eine neue vatikanische Institution künftig das Gespräch mit anderen Religionen fördern sollte. Zwei Tage später, am 19. Mai, ließ er das 'Sekretariat für die Nichtchristen' einrichten, das dann zum 'Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog' wurde."

    Erinnert sich der langjährige Präsident des Dialog-Rates, Kardinal Franzis Arinze. 1965 schuf das Konzilsdokument "Nostra Aetate" die inhaltliche Grundlage für den neuen Rat: Darin heißt es: "Die katholische Kirche lehnt nichts von all dem ab, was in anderen Religionen heilig und wahr ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selbst für wahr hält, doch nicht selten einen Strahl von jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet."

    "Nostra Aetate – hat die Art, wie sich die römisch-katholische Kirche zu anderen Religionen verhält, grundlegend verändert. Denn das Dokument erklärt, dass auch diese Religionen uns Wichtiges und Wahres über Gott sagen können. Das war für uns Katholiken etwas völlig Neues. Heute behaupten manche, das Zweite Vatikanum habe die alte Lehrtradition kontinuierlich fortgeführt. Das stimmt nicht. Die Offenheit, die das Konzil lehrte, war ein Bruch mit der Tradition und zugleich eine enorme Bereicherung."

    Weiß der amerikanische Abt John Klassen, dessen Kloster seit damals im interreligiösen Dialog aktiv ist. Zu den Zeitzeugen, die den Umschwung, den das Konzil bewirkte, hautnah miterlebten, gehört auch die Leiterin des buddhistischen Zentrums von Rom, Mitchiko Nojiri.

    "Ich kam vor über 50 Jahren aus Japan nach Rom, genau zur Zeit des Zweiten Vatikanums. Unser buddhistisches Zentrum besuchten schon damals einzelne katholische Geistliche, um dort die Zen-Meditation zu lernen. Nach dem Konzil kamen immer mehr von ihnen, denn anders als zuvor durften sie das jetzt ganz offiziell tun. Sie wagten sogar, länger mit den buddhistischen Mönchen zu sprechen, die hier lebten. 1979 begannen wir ein interreligiöses Austauschprogramm. Seither besuchen Buddhistische Mönche regelmäßig christliche Klöster in Europa und umgekehrt reisen christliche Mönche nach Asien."

    Vielen Vertretern nicht-christlicher Religionen wurde allerdings erst durch die Reisen Johannes Pauls II. ab den 80er-Jahren bewusst, wie sehr das Zweite Vatikanum die Atmosphäre verändert hatte. Als erster Papst besuchte Johannes Paul in Rom eine Synagoge und in Damaskus eine Moschee. Bei einer Begegnung in Neu Delhi erklärte er 1999 vor Hindus, Buddhisten und Muslimen:

    "Der interreligiöse Dialog ist nie ein Versuch, unsere eigene Sicht der Dinge anderen aufzuzwingen. Er bedeutet auch nicht, dass wir unsere eigenen Überzeugungen aufgeben. Nein, Dialog bedeutet vielmehr, dass wir fest zu dem stehen, woran wir glauben, während wir gleichzeitig den anderen voller Respekt zuhören und dabei das suchen, was gut und heilig ist, was den Frieden und die Kooperation fördert."

    Auf internationale Resonanz stießen die Friedensgebete, zu denen Johannes Paul II. 1986 und 2002 Vertreter aller Weltreligionen nach Assisi einlud. An ihnen nahm auch Rai Srivastva teil. Der Hindu ist leitendes Mitglied der sozial engagierten indischen Laienbewegung Swadhyaya.

    "Früher haben wir Nicht-Christen, das Christentum immer als geschlossene Gesellschaft empfunden, als Verein, der sich nicht öffnete, oder der sich nur mit dem Ziel öffnete, andere zu bekehren. Durch Johannes Paul II. haben wir uns zum ersten Mal nicht bedrängt gefühlt. Das war eine große Befreiung. Der Papst hat uns ermutigt, anders Denkende zu akzeptieren und ihre Existenz als Bereicherung zu sehen. Er hat der Welt eine neue Dimension eröffnet, die es vorher nicht gab."

    In den Jahren zwischen den Weltgebetstagen war der päpstliche Dialog-Rat bemüht, die theologische Basis für den Austausch mit anderen Religionen zu stärken. 1994 veröffentlichte er das Dokument "Dialog und Verkündigung".

    "Wir haben in diesem Dokument versucht zu zeigen, dass im Dialog der eigene Glaube ebenso wichtig ist, wie die Achtung vor der Überzeugung anderer. Gott arbeitet auch außerhalb der sichtbaren Kirche, er wirkt in heiligen Menschen, die keine Christen sind."

    Betont Michael Fitzgerald. Er gehört zum Missionsorden der "Weißen Väter" und ist Islamwissenschaftler. Der britische Erzbischof war schon in den 70er-Jahren Berater des Päpstlichen Dialogrates und wurde 2002 von Johannes Paul II. zu dessen Präsidenten ernannt.

    "Leider habe ich in all den Jahren aber auch erlebt, dass manche die ungewohnte Offenheit der Kirche nicht gut hießen. Das gilt nicht nur für die Lefèvre-Bewegung, die sich von der katholischen Kirche losgelöst hat, sondern auch für Menschen, die noch in der Kirche sind, und trotzdem ähnlich denken. Sie alle haben das neue Selbstverständnis nicht akzeptiert, das die Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt hat: Die Kirche ist ein Zeichen, ein Symbol, keine Größe, die die ganze Realität umfasst."

    Vatikanische Verlautbarungen rund um das Jahr 2000 dokumentieren das Ringen innerhalb der katholischen Kirche um das Verhältnis zu anderen Religionen und Konfessionen: So auch das Lehrschreiben "Dominus Jesus", das die Glaubenskongregation unter der Leitung ihres damaligen Präfekten Josef Ratzinger veröffentlichte. In vorkonziliarem Ton unterstreicht es die einzigartige Bedeutung der römisch-katholischen Kirche. Der Text löste nicht nur bei Vertretern anderer Religionsgemeinschaften heftige Kritik aus.

    Als Josef Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, bekundete er schon bald großes Interesse am interreligiösen Dialog. Doch als Michael Fitzgerald im Frühjahr 2006 sein Amt als Präsident des päpstlichen Dialogrates niederlegen musste und Nuntius in Ägypten wurde, drohte der Rat seine Bedeutung zu verlieren. 2007 belebte Benedikt XVI. die Institution neu. Bei einem interreligiösen Treffen in Neapel versicherte er:

    "Die katholische Kirche beabsichtigt, den Weg des Dialogs weiterzugehen und voranzutreiben, damit das Verständnis wächst zwischen den verschiedenen Kulturen und religiösen Traditionen. Ich hoffe wirklich, dass dieser Geist sich immer weiter verbreitet, vor allem dort, wo die Spannungen groß sind."

    Neuer Präsident des Dialog-Rates ist seitdem der französische Kardinal Jean Louis Tauran. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Arbeit des Rates im Sinne des Zweiten Vatikanums fortzuführen:

    "Im interreligiösen Dialog müssen wir unseren gewohnten, abgesicherten Bereich verlassen, um anderen zu begegnen. Das ist ein Risiko. Wenn ich den anderen frage: 'Wie sieht Dein Gottesbild aus? Wie lebst Du Deinen Glauben?', wird er mir dieselben Fragen stellen. Ich bin dann gezwungen, mir über meinen eigenen Glauben Rechenschaft abzulegen. Aber wenn das gelingt, ist der Dialog ein Austausch von Gaben."

    Diese positive Erfahrung machen bis heute auch Ordensleute in aller Welt. Der Benediktiner William Skudlarek ist Generalsekretär des "Monastischen interreligiösen Dialogs", eines Gremiums, das vor über 40 Jahren auf Anregung des Päpstlichen Dialog-Rates gegründet wurde. Es fördert den Austausch zwischen Geistlichen aller Religionen. Pater William hofft:

    "Das Zweite Vatikanum hat in dem Dokument "Nostra Aetate" gesagt, dass wir die religiösen Werte anderer Religionen 'entdecken, schätzen und sogar fördern sollten'. Das war in der Haltung der katholischen Kirche eine Kehrtwende von 180 Grad. Wir haben heute erst angefangen, ihre Bedeutung und die Bereicherung, die von ihr ausgeht, zu erkennen. Es geht um die Veränderung eines 2000 Jahre alten Kurses der Kirche. Dass es dabei auch Irritationen gibt, ist normal. Aber ich denke, der Kurswechsel, der damals stattfand, ist nicht mehr umkehrbar."