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Keimfreier Punk

Die Punk-Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum of Art zeigt in erster Linie Designermode. Eine historische, ideelle oder musikbezogene Sichtung von Punk sucht man vergeblich. Das hat für Kritik gesorgt, doch letztlich wurden die Zeichen und Codes des einst provokanten Rockgenres ja auch längst von der Konsumkultur absorbiert.

Von Christian Lehner | 09.05.2013
    Punks auf dem Red Carpet. Die Gala zur Schau im Metropolitian Museum wird von Vogue-Chefin Anna Wintour ausgerichtet. Es ist das Society-Event des New Yorker Frühlings. Und so tanzen sie an, die Promis: in Nieten, Leder und mit Igelfrisur. Stars wie Beyoncé, Madonna oder Ann Hathaway, sie alle sind "Punk für eine Nacht".

    Im ersten Raum der Schau wird man stilgerecht empfangen. Zwei Schaufensterpuppen flankieren einen Videoscreen, der Größen wie Richard Hell und Patti Smith zeigt. Die Puppen sind in Outfits von Vivian Westwood und John Galliano gewandet. Eine trägt einen knallroten Anzug aus Stoffstreifen, die andere eine Plastikjacke mit Metall und Gummiteilen. Eine der Puppen streckt den Besuchern den Mittelfinger entgegen – allerding bloß andeutungsweise. Das ist typisch für die gesamte Ausstellung: Punk wird hier keimfrei präsentiert.

    Die einzige Ausnahme befindet sich in der zweiten Gallerie. Dort ist ein Nachbau des wohl berühmtesten und alles andere als stillen Örtchens des Punkrock zu sehen: das Klo des New Yorker CBGB-Clubs, der als Geburtsort des Genres gilt. Das einzige Objekt, das sich nicht mit Mode befasst. Die Besucher sind beeindruckt.

    Wer bei der Schau eine historische, ideelle oder Musik bezogene Sichtung von Punk sucht, sucht vergeblich. "Chaos To Couture", also "Vom Chaos zur Mode", lautet der Untertitel der Ausstellung. Kurator Andrew Bolton hat über einhundert Designerstücke aus England und den USA zusammengetragen. Nicht etwa Mode von der Straße sondern ausschließlich vom Laufsteg - für Bolton kein Widerspruch:

    "Punk ist der ultimative Ausdruck des Indidivuums. Und darum geht es auch in der Mode. Der Einfluss auf die Kunst im Allgemeinen war enorm. Punk hat die Grenzen zwischen Hochkultur und sogenannter low culture niedergerissen und über das Mittel der Provokation enorme kreative Energien freigesetzt."

    Punk hat in der Mode den Gebrauch von Materialien und Techniken revolutioniert. Die Sicherheitsnadel ersetzt die Naht, ein Riss im T-Shirt das Muster. Lack, Leder und Fesseln wurden aus der Fetischszene befreit. Punk und High Fashion treffen sich im Prinzip der Einzelanfertigung: Kein Stück gleicht dem anderen. Doch zu welchem Preis? Dazu Gillian McCain, Autorin der Punk-Retrospekive "Please Kill Me. The Oral History Of Punk".

    "Mir gefällt die Schau eigentlich ganz gut. Die Installationen mit den Ikonen der Bewegung wie etwa Patti Smith sind gelungen. Aber wenn es um die Fashion Designer geht, steige ich aus. Vivian Westwood ist natürlich cool, aber Yves Saint Laurent, Calvin Klein und Punk? Das Zeug ist einfach unerschwinglich! Das ist doch absurd und Kapitalismus in Reinkultur."

    Klingende Namen, edle Klamotten. Zu sehen sind unter anderen auch Entwürfe aus den Häusern Dior, Givenchy und Chanel. Versaces berühmtes Kleid für Liz Hurley, das nur von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurde, ist ebenso dabei wie die T-Shirt-Serie von Malcom McLaren und Vivian Westwood für die Sex Pistols.

    Die britische Designerin Zandra Rhodes war die erste, die den Punkstil für den Laufsteg adaptierte, auch sie ist in der Schau mit zwei punkigen Roben vertreten.

    "Ich habe die ersten Couture-Stücke bereits 1977 entworfen. Ich dachte damals, dass es exotisch wäre, Sicherheitsnadeln, Ketten und Löcher zu verwenden. Mittlerweile hat der Punkstil in der Mode eine eigene Kultur begründet, die auch ohne Musik funktioniert."

    Schein oder Sein, Posertum oder Authentizität? Diese Fragen stellte sich schon Punk-Urvater Malcom MacLaren Ende der 70er-Jahre. Der Visionär sah nicht nur den Ausverkauf der rebellischen Jugendkultur voraus, er hat ihn selbst vorangetrieben und stets als "Teil des Plans" bezeichnet. McLaren sprach bereits damals vom "Great Rock’n’Roll Swindle".
    Der historische Punk ist jedenfalls Geschichte und daher reif fürs Museum. Seine Zeichen und Codes wurden längst von der Konsumkultur absorbiert. Vielleicht ist die Schau im Metropolitan Museum diesbezüglich authentischer als die in Medien geäußerte Kritik, sie würde die usprünglichen Ideale des Punk verraten.

    Wer sich Punk-Chic von Prada und Co. nicht leisten kann, im Museumsshop werden für eine Handvoll Dollars Ausstellungs-T-Shirts angeboten. Schweissränder, Risse und Blutflecken kann man sich ja noch selbst reinmachen.