Levy: Guten Morgen.
Capellan: Herr Levy, warum wurde Arafat kein freies Geleit nach Ramallah zurück garantiert?
Levy: Es ist seine Entscheidung letztendlich gewesen, nicht dabei zu sein, und ich glaube, dass er sicherlich nicht gekommen ist, weil von ihm eine Waffenruhe verlangt wurde. Es ist offenbar, dass Arafat nicht dafür optiert hat, jetzt eine Waffenruhe auszurufen - das waren ja die Anforderungen von Scharon aus -, und er scheint eher für die Gewalttätigkeit und für den Selbstmordterrorismus weiter zu optieren. Damit findet er sich auch im Einklang mit der Stimmung seiner eigenen Bevölkerung und offenbar war das ihm viel wichtiger, als so auszusehen, als ob er irgendwelche Konzessionen mit seinem Beisein in Beirut verbunden hat.
Capellan: Also, die Sorge davor, dass er möglicherweise nicht zurückkehren dürfte, die ist Ihrer Ansicht nach unbegründet und vorgeschoben gewesen?
Levy: Das weiß ich nicht. Soweit ich das aus der Presse entnommen habe, war durchaus hier eine von Scharon aus versteckte Möglichkeit, dass er, wenn es zu weiteren Anschlägen kommt, wenn er in Beirut ist, wohlmöglich nicht zurückkommen könnte. Sie müssen auch verstehen, dass Arafat ja im Grunde genommen überhaupt seine Präsenz in der Westbank und Gaza aufgrund der israelischen Zustimmung zu Oslo 93 gegeben hat. Er ist ja durch uns, durch die Haupttür hereingegangen und hat damit auch sein Exil-Dasein in Tunis beendet, und ich glaube, wenn er sich an Oslo gehalten hätte, wäre diese Frage überhaupt nicht aufgekommen.
Capellan: Aber aus der heutigen Sicht gesehen: Ist das nicht eine schlechte Voraussetzung für Verhandlungen, wenn man damit droht, den Palästinenser-Präsidenten ins Exil zu verbannen?
Levy: Nein, ich glaube, Sie verkennen hier die eigentliche Priorität, die Israel hat. Die Priorität, die Israel hat, ist natürlich, die Waffenruhe herzustellen, um danach wirklich die politischen Öffnungen zu ermöglichen und dann wirklich zu einem Verhandlungsfrieden zu kommen. Ich habe so den Eindruck, dass heute mit der Woge der Empathie und Sympathie, die Arafat sicherlich in den arabischen Massen, einschließlich seiner eigenen hat, er sich so weit gestärkt fühlt, dass er auch ohne Waffenruhe seine politischen Ziele vielleicht erreichen kann, und es ist nur natürlich, dass Israel das unterbinden will.
Capellan: Nun gibt es aber auch verstärkt Kritik der Amerikaner an der Haltung der israelischen Regierung. Die US-Regierung hat heute noch einmal erklärt, man hätte es gerne gesehen, wenn Arafat dabei gewesen wäre. Wie lange kann sich Scharon diesem ja doch wohl wachsendem Druck Washingtons noch entziehen?
Levy: Wissen Sie, ich glaube, die Amerikaner haben alles richtig gemacht, denn im Grunde genommen, sowohl die Palästinenser als auch die Israelis sind nicht ganz zufrieden. Sie haben wahrscheinlich weniger Fehler gemacht, als sie angedeutet haben. Ich glaube auch, dass hier die Problematik, ob Arafat in Beirut ist oder nicht, weit überzogen ist. Es ist nicht so wichtig, wie Sie es vielleicht darstellen. Viel wichtiger ist, was die Zukunft der saudischen Initiative bringen wird, obwohl ich den Abend nicht vor dem Tag loben möchte, aber es gibt hier sicherlich eine neue Dramatik, die eine neue Dynamik entwickeln kann. Das darf man nicht außer Acht lassen und das hat mit dem Beisein oder der Abwesenheit von Arafat nichts zu tun.
Capellan: Wie steht denn Israel zu dieser Friedensinitiative des saudi-arabischen Kronprinzen? Wir haben es eben im Beitrag gehört: Da werden ja weitreichende Forderungen, beispielsweise nach einem eigenen Palästinenserstaat, erhoben, aber als Gegenleistung wird auch die Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten in Aussicht gestellt. Was ist für Israel verhandelbar?
Levy: Also, erstens würde ich sagen: Die Initiative ist noch nicht unter Dach und Fach. Sie muss erst vorher beschlossen werden. Vorerst ist es eine Vision. Auch dann glaube ich, wird es nicht ein detailliertes Programm sein, sondern eher eine Richtlinie, wie eine Lösung aussehen sollte, wobei noch in Aussicht gestellt wird und offen ist, wie man die erreichen soll. Aber es ist sicherlich ein positiver Schritt, wahrscheinlich der interessanteste Vorstoß seit eineinhalb Jahren. Mit dem palästinensischen Staat hat Israel keine Probleme. Es ist also nicht so, dass wir uns hier dagegen stemmen, sondern unser Problem ist, erstens, unter welchen Bedingungen dieser Staat existieren soll und zweitens, wie es zu erreichen ist. Er wird sicherlich nicht existieren, solange Arafat seinem eigenen Volk keine Waffenruhe gönnt. Ich glaube, dass er offenbar missversteht: Man kann kein Friedensfürst oder Friedensprinz sein, solange man keine Waffenruhe ausruft, und das ist ja, was Scharon - und nicht nur Scharon, auch die Europäer und die Amerikaner - von ihm verlangt haben. Dies hat er nicht getan und deswegen ist er auch nicht nach Beirut gegangen.
Capellan: Der Friedensplan lässt natürlich auch einige Fragen offen, zum Beispiel die, was mit den palästinensischen Flüchtlingen geschehen soll. Kann sich Israel vorstellen, denen eine Rückkehrrecht zu genehmigen?
Levy: Wissen Sie, das ist eine Streitpunkt, der auch schon den Camp David II vor fast eineinhalb Jahren zum scheitern gebracht hat, unter anderem. Es ist undenkbar, dass Israel 3,5 Millionen Flüchtlinge hier künstlich als Faustpfand, politisches Faustpfand von arabischer Seite aus, seit 50 Jahren gehalten hat, praktisch die Existenz unterminieren wird - das versteht jeder. Natürlich wird man hier eine ziemlich kreative Formulierung finden müssen, damit einerseits irgendwie ein Recht, zumindest kosmetisch befriedigt wird, aber andererseits nicht diese Invasion, friedlich oder unfriedlich von 3,5 Millionen ermöglicht. Außerdem ist diese berühmte Resolution 194 der UN so gestaltet, dass man nicht unbedingt von einer palästinensischen Flüchtlingsproblematik spricht, sondern von Flüchtlingen als solche. Und es gab auch jüdische Flüchtlinge, die aus arabischen Staaten nach Israel geflohen sind oder abziehen mussten. Und außerdem ist die Einschränkung der Rückkehr: Nur wenn sie bereit sind, friedlich miteinander, mit den Bewohnern des Landes zu leben. Das ist eine Einschränkung, die nicht garantiert, dass alle dieser Flüchtlinge in Beirut, oder im Libanon oder in Syrien auch tatsächlich diese Haltung teilen. Das heißt, diese Einschränkung wird unterschlagen, auch wenn sie in der Resolution feststeht.
Capellan: Eine andere Frage ist die der israelischen Siedlungen in den Palästinensergebieten: Was soll damit passieren?
Levy: Gut, das ist natürlich eine Streitfrage, die sicherlich ausdiskutiert werden muss. Sie wurde ja im Camp David II zu 80 Prozent gelöst. Aber das ist leider noch nicht unter Dach und Fach gewesen und auch noch nicht unterschriftsreif, so dass man also dieses noch mal diskutieren muss. Ich nehme an, dass, wenn die saudische Initiative sehr gut formuliert ist und man im Grunde genommen nicht nur über Abkommen spricht, sondern über eine Normalisierung der Beziehungen aller arabischen Staaten mit Israel - und das wäre ein Novum natürlich: kein kalter Frieden, der irgendwie mit einem formellen Abschluss eines Vertrages ist, sondern der wirklich Fleisch in das Skelett des Friedens bringt -, dann wird sich sicherlich die israelische Öffentlichkeit einer neuen Diskussion ausgesetzt sehen, wie die Zukunft der Siedlungen und der Westbank aussehen soll.
Capellan: Mordechai Levy war das, israelischer Gesandter in Berlin. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören. Mitgehört auf der anderen Leitung hat Jürgen Möllemann, FDP-Landesvorsitzender in Nordrhein Westfalen, vor allem aber hier bei uns in seiner Funktion als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Guten Morgen.
Möllemann: Guten Morgen.
Capellan: Herr Möllemann, das sind ja doch einige Vorbedingungen, die da gestellt werden bezüglich der Friedensverhandlungen. Wie stehen Sie dazu?
Möllemann: Zunächst einmal ist es natürlich ein Skandal, dass die israelische Regierung Präsident Arafat nicht hat zu dem Treffen reisen lassen. Es ist Ausdruck einer wirklich schwer erträglichen Arroganz, dem Präsidenten eines anderen Landes vorzuschreiben, wann er wohin reisen kann, und das erst Recht bei einem Gipfel, der Friedensverhandlungen vorbereiten soll. Daraus kann man entnehmen, dass Herr Scharon offenbar beabsichtigt, seine kriegstreiberische Politik fortzusetzen. Das was als saudische Initiative in Beirut auf dem Tisch liegt, verdient den Begriff historisch tatsächlich, den der jordanische Außenminister verwandt hat, weil hier ein umfassender Ansatz für eine Friedensordnung im Nahen Osten gewählt worden ist, die die Welt so dringend braucht, und ich hoffe, dass trotz des Affronts, Arafat nicht anreisen zu lassen, die arabische Seite ganz kühl, diesen Vorschlag Saudi-Arabiens beschließen wird und ihn tatsächlich auch Israel offiziell unterbreitet.
Capellan: Erkennen Sie denn in den Vorschlägen, die da gerade von Mordechai Levy gemacht worden sind, Kompromissbereitschaft seitens der Israelis?
Möllemann: Nun muss man vorsichtig sein, wenn ein Beamter des öffentlichen Dienstes sich in einer Botschaft äußert, der sich ja offenbar auch ganz bewusst zurückhaltend geäußert hat. Vielleicht auch deswegen, weil in Israel zwischen dem Premierminister und dem Außenminister ziemlich große Meinungsverschiedenheiten bestehen. Man muss vorsichtig mit der Bewertung von solchen Äußerungen sein. Ich glaube, es wäre jetzt wirklich dringend geboten - und die Tatsache dass Kofi Annan und die außenpolitische Spitze der EU in Beirut sind, könnte ja auch die Voraussetzung dafür schaffen -, dass nach dem Gipfel, wenn er das alles beschließt, was auf dem Tisch liegt, tatsächlich die Staatengemeinschaft unterstützt, vor allem aber durch die USA und Europa ein politisches Spitzengespräch - ich sage ganz offen - erzwingt. Es hat keinen Zweck, wenn sich hier nachrangige Beamte öffentlich äußern und die politische Führung der betroffenen Länder nicht dahinter steht. Wenn jetzt dieser Friedensvorschlag kommt, dann meine ich, ist es höchste Zeit Schluss zu machen mit dem Theater, das dort jetzt in diesen Tagen gespielt wird und zu erzwingen, dass die politisch Verantwortlichen sich an einen Tisch setzten. Die Machtmittel dazu haben die USA und Europa allemal. Wer sich einer solchen direkten Verhandlung entziehen wollte, dem gehörte jede politische, wirtschaftlichen und militärische Unterstützung sofort entzogen, und ich bin sicher, diese Sprache würden auch alle Beteiligten verstehen.
Capellan: Welche Rolle sollte denn in diesem Zusammenhang die deutsche Bundesregierung spielen?
Möllemann: Genau auf eine solche Initiative hinzuwirken. Sicher wird es ja so sein, dass Herr Solana der EU über die Initiative berichten wird, wenn er von Beirut zurückkehrt, und dann muss sich ja Europa und dann eben auch Deutschland in Europa entscheiden, wie man weiter politisch vorgehen wird, und ich hätte die Erwartung - geradezu die dringende Bitte an den Bundeskanzler -, dass er diese Initiative zum Anlass nimmt für deutsches, energisches Vorgehen in der EU, nämlich zusammen mit den USA den Beteiligten die dringende Aufforderung zu unterbreiten - auch mit Ankündigung von Sanktionen -, jetzt sich sofort an den Tisch zu setzten und über diese saudische Initiative, die dann eine arabische ist, zu verhandeln.
Capellan: Was stimmt Sie denn optimistisch, dass man anders als im Jahre 2000, bei Camp David sich möglicherweise wird einigen können, über die Flüchtlingsfrage zum Beispiel.
Möllemann: Das ist in der Tat eine schwierige, weil man ja gar nicht weiß, wie viele von den Palästinensern, die heute über die ganze Welt verteilt leben - auch in Deutschland leben ja viele - überhaupt interessiert sein könnten zurückzugehen. Das wird gewiss nicht die volle Zahl sein, so wenig das ja in anderen Fällen immer 100 Prozent sind. Aber es ist eine beachtlich große Zahl, die aber prinzipiell das Recht natürlich hat, in ihre Heimat zurückzukehren. Ich vermute, dass das nicht die vorrangigste Frage ist. Das wird im Moment ein bisschen nach vorne geschoben. Mein Eindruck ist, dass viele Palästinenser im Moment gar ich daran denken, nach Palästina zurückzugehen. Sie haben sich in vielen arabischen Ländern, in den Vereinigten Staaten, in Europa, auch bei uns in Deutschland durchaus niedergelassen und wollen dort bleiben.
Capellan: Jürgen Möllemann war das, Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft heute morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen.
Capellan: Herr Levy, warum wurde Arafat kein freies Geleit nach Ramallah zurück garantiert?
Levy: Es ist seine Entscheidung letztendlich gewesen, nicht dabei zu sein, und ich glaube, dass er sicherlich nicht gekommen ist, weil von ihm eine Waffenruhe verlangt wurde. Es ist offenbar, dass Arafat nicht dafür optiert hat, jetzt eine Waffenruhe auszurufen - das waren ja die Anforderungen von Scharon aus -, und er scheint eher für die Gewalttätigkeit und für den Selbstmordterrorismus weiter zu optieren. Damit findet er sich auch im Einklang mit der Stimmung seiner eigenen Bevölkerung und offenbar war das ihm viel wichtiger, als so auszusehen, als ob er irgendwelche Konzessionen mit seinem Beisein in Beirut verbunden hat.
Capellan: Also, die Sorge davor, dass er möglicherweise nicht zurückkehren dürfte, die ist Ihrer Ansicht nach unbegründet und vorgeschoben gewesen?
Levy: Das weiß ich nicht. Soweit ich das aus der Presse entnommen habe, war durchaus hier eine von Scharon aus versteckte Möglichkeit, dass er, wenn es zu weiteren Anschlägen kommt, wenn er in Beirut ist, wohlmöglich nicht zurückkommen könnte. Sie müssen auch verstehen, dass Arafat ja im Grunde genommen überhaupt seine Präsenz in der Westbank und Gaza aufgrund der israelischen Zustimmung zu Oslo 93 gegeben hat. Er ist ja durch uns, durch die Haupttür hereingegangen und hat damit auch sein Exil-Dasein in Tunis beendet, und ich glaube, wenn er sich an Oslo gehalten hätte, wäre diese Frage überhaupt nicht aufgekommen.
Capellan: Aber aus der heutigen Sicht gesehen: Ist das nicht eine schlechte Voraussetzung für Verhandlungen, wenn man damit droht, den Palästinenser-Präsidenten ins Exil zu verbannen?
Levy: Nein, ich glaube, Sie verkennen hier die eigentliche Priorität, die Israel hat. Die Priorität, die Israel hat, ist natürlich, die Waffenruhe herzustellen, um danach wirklich die politischen Öffnungen zu ermöglichen und dann wirklich zu einem Verhandlungsfrieden zu kommen. Ich habe so den Eindruck, dass heute mit der Woge der Empathie und Sympathie, die Arafat sicherlich in den arabischen Massen, einschließlich seiner eigenen hat, er sich so weit gestärkt fühlt, dass er auch ohne Waffenruhe seine politischen Ziele vielleicht erreichen kann, und es ist nur natürlich, dass Israel das unterbinden will.
Capellan: Nun gibt es aber auch verstärkt Kritik der Amerikaner an der Haltung der israelischen Regierung. Die US-Regierung hat heute noch einmal erklärt, man hätte es gerne gesehen, wenn Arafat dabei gewesen wäre. Wie lange kann sich Scharon diesem ja doch wohl wachsendem Druck Washingtons noch entziehen?
Levy: Wissen Sie, ich glaube, die Amerikaner haben alles richtig gemacht, denn im Grunde genommen, sowohl die Palästinenser als auch die Israelis sind nicht ganz zufrieden. Sie haben wahrscheinlich weniger Fehler gemacht, als sie angedeutet haben. Ich glaube auch, dass hier die Problematik, ob Arafat in Beirut ist oder nicht, weit überzogen ist. Es ist nicht so wichtig, wie Sie es vielleicht darstellen. Viel wichtiger ist, was die Zukunft der saudischen Initiative bringen wird, obwohl ich den Abend nicht vor dem Tag loben möchte, aber es gibt hier sicherlich eine neue Dramatik, die eine neue Dynamik entwickeln kann. Das darf man nicht außer Acht lassen und das hat mit dem Beisein oder der Abwesenheit von Arafat nichts zu tun.
Capellan: Wie steht denn Israel zu dieser Friedensinitiative des saudi-arabischen Kronprinzen? Wir haben es eben im Beitrag gehört: Da werden ja weitreichende Forderungen, beispielsweise nach einem eigenen Palästinenserstaat, erhoben, aber als Gegenleistung wird auch die Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten in Aussicht gestellt. Was ist für Israel verhandelbar?
Levy: Also, erstens würde ich sagen: Die Initiative ist noch nicht unter Dach und Fach. Sie muss erst vorher beschlossen werden. Vorerst ist es eine Vision. Auch dann glaube ich, wird es nicht ein detailliertes Programm sein, sondern eher eine Richtlinie, wie eine Lösung aussehen sollte, wobei noch in Aussicht gestellt wird und offen ist, wie man die erreichen soll. Aber es ist sicherlich ein positiver Schritt, wahrscheinlich der interessanteste Vorstoß seit eineinhalb Jahren. Mit dem palästinensischen Staat hat Israel keine Probleme. Es ist also nicht so, dass wir uns hier dagegen stemmen, sondern unser Problem ist, erstens, unter welchen Bedingungen dieser Staat existieren soll und zweitens, wie es zu erreichen ist. Er wird sicherlich nicht existieren, solange Arafat seinem eigenen Volk keine Waffenruhe gönnt. Ich glaube, dass er offenbar missversteht: Man kann kein Friedensfürst oder Friedensprinz sein, solange man keine Waffenruhe ausruft, und das ist ja, was Scharon - und nicht nur Scharon, auch die Europäer und die Amerikaner - von ihm verlangt haben. Dies hat er nicht getan und deswegen ist er auch nicht nach Beirut gegangen.
Capellan: Der Friedensplan lässt natürlich auch einige Fragen offen, zum Beispiel die, was mit den palästinensischen Flüchtlingen geschehen soll. Kann sich Israel vorstellen, denen eine Rückkehrrecht zu genehmigen?
Levy: Wissen Sie, das ist eine Streitpunkt, der auch schon den Camp David II vor fast eineinhalb Jahren zum scheitern gebracht hat, unter anderem. Es ist undenkbar, dass Israel 3,5 Millionen Flüchtlinge hier künstlich als Faustpfand, politisches Faustpfand von arabischer Seite aus, seit 50 Jahren gehalten hat, praktisch die Existenz unterminieren wird - das versteht jeder. Natürlich wird man hier eine ziemlich kreative Formulierung finden müssen, damit einerseits irgendwie ein Recht, zumindest kosmetisch befriedigt wird, aber andererseits nicht diese Invasion, friedlich oder unfriedlich von 3,5 Millionen ermöglicht. Außerdem ist diese berühmte Resolution 194 der UN so gestaltet, dass man nicht unbedingt von einer palästinensischen Flüchtlingsproblematik spricht, sondern von Flüchtlingen als solche. Und es gab auch jüdische Flüchtlinge, die aus arabischen Staaten nach Israel geflohen sind oder abziehen mussten. Und außerdem ist die Einschränkung der Rückkehr: Nur wenn sie bereit sind, friedlich miteinander, mit den Bewohnern des Landes zu leben. Das ist eine Einschränkung, die nicht garantiert, dass alle dieser Flüchtlinge in Beirut, oder im Libanon oder in Syrien auch tatsächlich diese Haltung teilen. Das heißt, diese Einschränkung wird unterschlagen, auch wenn sie in der Resolution feststeht.
Capellan: Eine andere Frage ist die der israelischen Siedlungen in den Palästinensergebieten: Was soll damit passieren?
Levy: Gut, das ist natürlich eine Streitfrage, die sicherlich ausdiskutiert werden muss. Sie wurde ja im Camp David II zu 80 Prozent gelöst. Aber das ist leider noch nicht unter Dach und Fach gewesen und auch noch nicht unterschriftsreif, so dass man also dieses noch mal diskutieren muss. Ich nehme an, dass, wenn die saudische Initiative sehr gut formuliert ist und man im Grunde genommen nicht nur über Abkommen spricht, sondern über eine Normalisierung der Beziehungen aller arabischen Staaten mit Israel - und das wäre ein Novum natürlich: kein kalter Frieden, der irgendwie mit einem formellen Abschluss eines Vertrages ist, sondern der wirklich Fleisch in das Skelett des Friedens bringt -, dann wird sich sicherlich die israelische Öffentlichkeit einer neuen Diskussion ausgesetzt sehen, wie die Zukunft der Siedlungen und der Westbank aussehen soll.
Capellan: Mordechai Levy war das, israelischer Gesandter in Berlin. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören. Mitgehört auf der anderen Leitung hat Jürgen Möllemann, FDP-Landesvorsitzender in Nordrhein Westfalen, vor allem aber hier bei uns in seiner Funktion als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Guten Morgen.
Möllemann: Guten Morgen.
Capellan: Herr Möllemann, das sind ja doch einige Vorbedingungen, die da gestellt werden bezüglich der Friedensverhandlungen. Wie stehen Sie dazu?
Möllemann: Zunächst einmal ist es natürlich ein Skandal, dass die israelische Regierung Präsident Arafat nicht hat zu dem Treffen reisen lassen. Es ist Ausdruck einer wirklich schwer erträglichen Arroganz, dem Präsidenten eines anderen Landes vorzuschreiben, wann er wohin reisen kann, und das erst Recht bei einem Gipfel, der Friedensverhandlungen vorbereiten soll. Daraus kann man entnehmen, dass Herr Scharon offenbar beabsichtigt, seine kriegstreiberische Politik fortzusetzen. Das was als saudische Initiative in Beirut auf dem Tisch liegt, verdient den Begriff historisch tatsächlich, den der jordanische Außenminister verwandt hat, weil hier ein umfassender Ansatz für eine Friedensordnung im Nahen Osten gewählt worden ist, die die Welt so dringend braucht, und ich hoffe, dass trotz des Affronts, Arafat nicht anreisen zu lassen, die arabische Seite ganz kühl, diesen Vorschlag Saudi-Arabiens beschließen wird und ihn tatsächlich auch Israel offiziell unterbreitet.
Capellan: Erkennen Sie denn in den Vorschlägen, die da gerade von Mordechai Levy gemacht worden sind, Kompromissbereitschaft seitens der Israelis?
Möllemann: Nun muss man vorsichtig sein, wenn ein Beamter des öffentlichen Dienstes sich in einer Botschaft äußert, der sich ja offenbar auch ganz bewusst zurückhaltend geäußert hat. Vielleicht auch deswegen, weil in Israel zwischen dem Premierminister und dem Außenminister ziemlich große Meinungsverschiedenheiten bestehen. Man muss vorsichtig mit der Bewertung von solchen Äußerungen sein. Ich glaube, es wäre jetzt wirklich dringend geboten - und die Tatsache dass Kofi Annan und die außenpolitische Spitze der EU in Beirut sind, könnte ja auch die Voraussetzung dafür schaffen -, dass nach dem Gipfel, wenn er das alles beschließt, was auf dem Tisch liegt, tatsächlich die Staatengemeinschaft unterstützt, vor allem aber durch die USA und Europa ein politisches Spitzengespräch - ich sage ganz offen - erzwingt. Es hat keinen Zweck, wenn sich hier nachrangige Beamte öffentlich äußern und die politische Führung der betroffenen Länder nicht dahinter steht. Wenn jetzt dieser Friedensvorschlag kommt, dann meine ich, ist es höchste Zeit Schluss zu machen mit dem Theater, das dort jetzt in diesen Tagen gespielt wird und zu erzwingen, dass die politisch Verantwortlichen sich an einen Tisch setzten. Die Machtmittel dazu haben die USA und Europa allemal. Wer sich einer solchen direkten Verhandlung entziehen wollte, dem gehörte jede politische, wirtschaftlichen und militärische Unterstützung sofort entzogen, und ich bin sicher, diese Sprache würden auch alle Beteiligten verstehen.
Capellan: Welche Rolle sollte denn in diesem Zusammenhang die deutsche Bundesregierung spielen?
Möllemann: Genau auf eine solche Initiative hinzuwirken. Sicher wird es ja so sein, dass Herr Solana der EU über die Initiative berichten wird, wenn er von Beirut zurückkehrt, und dann muss sich ja Europa und dann eben auch Deutschland in Europa entscheiden, wie man weiter politisch vorgehen wird, und ich hätte die Erwartung - geradezu die dringende Bitte an den Bundeskanzler -, dass er diese Initiative zum Anlass nimmt für deutsches, energisches Vorgehen in der EU, nämlich zusammen mit den USA den Beteiligten die dringende Aufforderung zu unterbreiten - auch mit Ankündigung von Sanktionen -, jetzt sich sofort an den Tisch zu setzten und über diese saudische Initiative, die dann eine arabische ist, zu verhandeln.
Capellan: Was stimmt Sie denn optimistisch, dass man anders als im Jahre 2000, bei Camp David sich möglicherweise wird einigen können, über die Flüchtlingsfrage zum Beispiel.
Möllemann: Das ist in der Tat eine schwierige, weil man ja gar nicht weiß, wie viele von den Palästinensern, die heute über die ganze Welt verteilt leben - auch in Deutschland leben ja viele - überhaupt interessiert sein könnten zurückzugehen. Das wird gewiss nicht die volle Zahl sein, so wenig das ja in anderen Fällen immer 100 Prozent sind. Aber es ist eine beachtlich große Zahl, die aber prinzipiell das Recht natürlich hat, in ihre Heimat zurückzukehren. Ich vermute, dass das nicht die vorrangigste Frage ist. Das wird im Moment ein bisschen nach vorne geschoben. Mein Eindruck ist, dass viele Palästinenser im Moment gar ich daran denken, nach Palästina zurückzugehen. Sie haben sich in vielen arabischen Ländern, in den Vereinigten Staaten, in Europa, auch bei uns in Deutschland durchaus niedergelassen und wollen dort bleiben.
Capellan: Jürgen Möllemann war das, Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft heute morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen.