Archiv


Kein Geld, kein Personal

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, hat eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Bundeswehr gefordert. So benötige die Bundeswehr beispielsweise 400 zusätzliche Mediziner, um die truppenärztliche Versorgung zu gewährleisten. Kirsch forderte die Politik auf, sich stärker für die Belange der Bundeswehr einzusetzen.

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Christoph Heinemann: Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, hat schwerwiegende Mängel bei Ausrüstung und Unterkunft beklagt. In seinem Jahresbericht übt er außerdem Kritik an dem teilweise überbordenden Bürokratismus in der Bundeswehr. Robbe sagte, teilweise werde gegen Vorschriften gearbeitet, um den Laden am laufen zu halten. Er beklagte vor allem die angespannte Personalsituation im Sanitätsdienst. So habe die Bundeswehr fast 100 Abgänge von Ärzten zu beklagen, die keine Berufsperspektiven sähen.

    Über die Kritik des Wehrbeauftragten sprach mein Kollege Jürgen Liminski mit Ulrich Kirsch, dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes. Hat die Politik versagt, weil sie auf die Bedeutung der Bundeswehr nicht ausreichend hinweist?

    Ulrich Kirsch: Ja. Es müssen eben alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages - und nicht nur diejenigen, die Zuständigkeit für Verteidigung haben, - in ihren Wahlkreisen auch das darstellen, was die Streitkräfte in den Einsätzen leisten, denn alle stimmen ja darüber ab.

    Jürgen Liminski: Der Wehrbeauftragte hat einen neuen gravierenden Mangel an Ärzten festgestellt. Was ist da zu tun?

    Kirsch: Der Zentrale Sanitätsdienst muss aus unserer Sicht komplett auf den Prüfstand. Die 100 Ärzte sind weg. Es fehlen darüber hinaus noch mal 300. Wir können derzeit die Einsätze bedienen, so dass die Rettungskette auch tatsächlich funktioniert. Das hat sie ja auch oft genug bewiesen.

    Aber wir haben Defizite im Inland und wir haben ja in den Streitkräften die Regelung, dass es die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung gibt, und das muss gewährleistet werden. Das können wir im Moment nicht und es werden zunehmend Vertragsärzte verpflichtet. Also da muss man insgesamt neu darüber nachdenken und da gibt es ja auch eine Arbeitsgruppe. Nun läuft das immer ein bisschen unter der Überschrift: "Und wenn du nicht mehr weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis." Aber ich bin gespannt, was diese Arbeitsgruppe erarbeitet. Die Ergebnisse sollen demnächst vorliegen und dann wird das weiter zu beurteilen sein.

    Auf jeden Fall ist eines mal sicher: Mit 600 Euro zusätzlichem Geld kann ich die Abwanderung nicht stoppen, weil: Das ist nicht die Ursache. Sondern die Ursachen liegen ganz woanders. Sie liegen in der Berufszufriedenheit, sie liegen an der Tatsache, dass die Bürokratie überbordet, und diese Berufsunzufriedenheit führt dazu, dass viele Ärzte den Streitkräften den Rücken kehren.

    Liminski: Unabhängig von dem Bericht stehen wichtige Fragen im Raum. Über die Wehrpflicht wird wieder öffentlich debattiert. So hat ein Gericht die Frage an Karlsruhe weitergeleitet. Und auch der Einsatz in Afghanistan sorgt in letzter Zeit für Schlagzeilen. Hat der Wehrbeauftragte da bewusst ein unterbelichtetes Bild gezeigt?

    Kirsch: Die Wehrpflicht ist sehr kurz behandelt, in der Tat. Auf der anderen Seite ist das Wesentliche von ihm zunächst einmal gesagt worden. Wir haben bei kleiner werdenden Streitkräften natürlich auch einen geringeren Bedarf an Grundwehrdienstleistenden, wobei wir ja jetzt noch mal die Gesamtansatzstärke um 5000 erhöht haben, die aber aus unserer Sicht auch nicht so sinnvoll beschäftigt werden können, wie es eigentlich sein müsste, damit der Grundwehrdienst auch Sinn macht. Also es ist eine schwierige Phase, in der wir dort drinstehen.

    Aus unserer Sicht muss die Wehrpflicht weiterentwickelt werden. Man muss sich dann neue Dinge einfallen lassen. Wir haben durchaus Ansätze in der Vergangenheit schon mal gewählt, was eine Verkürzung angeht, was auch Überlegungen betrifft, wie man das ganze attraktiv gestalten kann. Da gibt es auch von der SPD ein paar Vorschläge, wobei diese freiwillige Wehrpflicht, die es mal gab in den Köpfen der Sozialdemokratischen Partei, inzwischen ja kein Thema mehr ist. Das wäre so ähnlich wie eine freiwillige Steuerpflicht. Aber man muss einfach da in die Zukunft gerichtet denken. Sonst wird die Wehrpflicht ausgehöhlt und dann haben wir die Situation, dass sie eines schönen Tages weg ist und keiner hat es gemerkt. Also da muss man schon dagegenhalten.

    Man muss aber auch die rein pragmatischen Punkte sehen. Wenn ich mir vorstelle, dass wir 40 Prozent unseres guten Nachwuchses über die Wehrpflichtigen bekommen, dann würde man uns ein Bein abschlagen als Streitkräfte, wenn die Wehrpflicht nicht mehr da wäre. Dazu kommt, dass die letzte Bindungswirkung in die Gesellschaft nicht mehr da wäre, und ich denke immer an einen französischen General, den ich mal bei einem Vortrag gehört habe, der gesagt hat - auf die französische Armee bezogen: "Seitdem wir die Wehrpflicht nicht mehr haben, sind wir dümmer geworden."

    Liminski: Braucht man die Wehrpflicht nicht auch wegen der Zivildienstleistenden bei der Alten- und Krankenpflege?

    Kirsch: Da muss ich ehrlich zugeben, dass ich das so intensiv noch nie betrachtet habe, aber ich kann mir vorstellen, dass das ein ziemlicher Einbruch wäre, wenn die Zivildienstleistenden nicht mehr da wären.

    Liminski: Stichwort Afghanistan, Herr Kirsch. Kann Deutschland sich auf Dauer einer Ausweitung des Einsatzes, also Kampfeinsätzen im Süden, verweigern?

    Kirsch: Da habe ich auch sehr, sehr intensiv darüber nachgedacht, und nun wissen wir ja alle, dass die Niederländer im Süden rausgehen werden. Die Niederländer haben ja ähnliche Ansätze, wie wir sie auch fahren im Norden. Ich könnte mir schon vorstellen, dass dieses Ansinnen kommen wird, wobei es ja ganz interessant ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eigentlich gar nicht mehr Truppen von uns wollen, die wollen Geld, weil die Vereinigten Staaten von Amerika in einer finanziell schwierigen Lage sind. 960 Milliarden Dollar werden benötigt für die Konjunkturspritzen, 500 Milliarden Dollar werden benötigt fürs Gesundheitssystem, 260 Milliarden Dollar für alles mögliche sonst noch, und zum Teil soll das über die Streitkräfte im Irak und auch in Afghanistan eingespart werden.

    Man hat darüber hinaus den Eindruck, dass die Amerikaner auch im Moment sagen, da machen wir das eine oder andere ohne die NATO, weil wir der Auffassung sind, dass wir das besser und schneller können. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Amerikaner mehr Truppen von uns wollen und auch nicht mehr Truppen im Süden. Wir müssen uns nur die Frage stellen, wie stumm verhalten wir uns in dieser ganzen Strategiedebatte, und wir sind aus unserer Sicht viel zu zurückhaltend.

    Wir müssten aktiv in diese Debatte mit einsteigen, und nun hat das die Bundeskanzlerin heute Morgen zumindest mal bei ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, dass wir als dritter größter Truppensteller schon einen signifikanten Beitrag leisten und dass aus ihrer Sicht auch nicht mehr erforderlich ist. Man wird das abwarten müssen. Ich glaube nicht, dass bei diesem NATO-Gipfel diese Forderung kommen wird.

    Heinemann: Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.