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Kein Gesetz nur für Google

Es gehe vor allem darum, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Geschäfts- und Verbraucherinteressen zu schaffen, so Ilse Aigner über die heutigen Beratungen des Bundeskabinetts zu Google Street View. Eine gesetzliche Regelung nur für Google soll es jedoch nicht geben.

Ilse Aigner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.08.2010
    Tobias Armbrüster: Der Internet-Bilderdienst Google Street View wird seit Tagen in Deutschland sehr kontrovers diskutiert. Anfang vergangener Woche hatte Google bekannt gegeben, dass Street View Ende des Jahres ans Netz gehen soll, zunächst mit den 20 größten deutschen Städten. Im Klartext heißt das: jeder Internet-Nutzer kann sich dann Fotos von jeder beliebigen Straße und jeder beliebigen Hausfassade ansehen. Heute wird sich nun das Bundeskabinett mit Street View beschäftigen. Im Einzelnen soll es um die Frage gehen, ob und wie der Gesetzgeber Bürger davor schützen soll, dass Bilder ihrer Häuser im Internet veröffentlicht werden. Besprochen werden soll dabei auch eine Gesetzesinitiative aus dem Bundesrat. – Darüber wollen wir jetzt mit Ilse Aigner sprechen, der Bundesministerin für Verbraucherschutz. Schönen guten Morgen, Frau Aigner.

    Ilse Aigner: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Frau Aigner, brauchen wir neue Gesetze, um Internet-Dienste wie Google Street View besser zu kontrollieren?

    Aigner: Als erstes haben wir mal Regelungen jetzt für die konkrete Frage schon über das ganze Jahr diskutiert und wir haben in Deutschland die Regelungen erreicht, wie es sie in keinem anderen Land gibt, nämlich, dass es eine Widerspruchsmöglichkeit gibt, für diejenigen, die nicht ihre Häuser im Internet finden wollen. Aber insgesamt muss man natürlich sagen, dass solche Aufnahmen wie von Google zum Beispiel und anderen ja nicht nur sozusagen kritisch gesehen werden, sondern auch von vielen sehr positiv gesehen werden.

    Armbrüster: Aber müssen wir solche Widerspruchsregelungen zum Beispiel auch in Gesetzesform bringen?

    Aigner: Über diese Frage werden wir auch diskutieren, aber eben nicht, wie der Bundesrat es ja im Prinzip vorsieht, nur für Google Street View, sondern es gibt hier eine generelle Frage, wie sich Verbraucher im Internet, wie sich Geodaten im Internet zu verhalten haben, und deshalb werden wir dazu auch am 20. September ein Gespräch führen, der Innenminister und ich gemeinsam, wo wir gerade mit der Wirtschaft, aber auch mit Datenschützern vor allem und natürlich Verbraucherschützern gemeinsam überlegen, wie eine Regelung aussehen kann.

    Armbrüster: Frau Aigner, ist denn die Fassade des Hauses, in dem ich wohne, ist das Teil meiner Privatsphäre?

    Aigner: Genau das ist eben die Frage, genauso wie bei einer Presseveröffentlichung sie auch eine Fassade im Hintergrund haben und nicht Gerichte sozusagen abfragen können, ist jetzt hier die Frage zu klären, wie sich das im Internet bei einer konkreten Suche nach einer Adresse dann auch verhält. Darum müssen wir auch vielleicht wieder unterscheiden: ist es ein öffentliches Gebäude, oder ist es ein Gebäude von einer Privatwohnung. Auch hier gibt es vielleicht unterschiedliche Betrachtungsweisen.
    Vielleicht als analoges Beispiel: Als Privatperson haben Sie das Recht am Bild, also es darf nicht jederzeit veröffentlicht werden. Eine Person wie ich, die im öffentlichen Leben steht, ich habe zum Beispiel wesentlich eingeschränktere Rechte.

    Armbrüster: Nun machen sich viele Bundesbürger Sorgen über diesen neuen Internet-Dienst. Der Bundesrat wie gesagt hat ein Gesetz vorgeschlagen. Was spricht dagegen, diesem Gesetz jetzt zu folgen und gesetzliche Regelungen zu schaffen?

    Aigner: Weil es eben eine Einzelfallregelung für Google und für diesen Dienst Street View bedeutet, aber es gibt auch andere Anbieter letztlich, aber auch andere Möglichkeiten wie zum Beispiel jetzt auch wieder bei der Firma Google Earth, wo wir hier grundsätzliche Fragen auch klären müssen. Wie gesagt, für Google speziell haben wir ein Widerspruchsrecht und Rechte, die es sonst in keinem anderen Land gibt, durch Verhandlungen auch erreicht und die ganz klare Zusage, dass alle Widersprüche vor Veröffentlichung im Internet berücksichtigt werden.

    Armbrüster: Sie haben nun in dieser Woche von Google gefordert, die Frist, in der man Widerspruch gegen solche Fotos einlegen kann, auf 8 Wochen zu verdoppeln. Haben Sie schon von Google gehört?

    Aigner: Sie sind in Gesprächen auch gewesen weiter zu dieser Frage, aber es geht noch mal ausdrücklich hier um die Widerspruchsfrist nur für diesen Online-Dienst und ausschließlich für diese 20 Städte. Insgesamt besteht das Widerspruchsrecht auch in schriftlicher Form sowohl jetzt, als auch in Zukunft weiter, übrigens auch nach Freischaltung des Dienstes. Also es geht nicht nur um die Möglichkeit für alle, in diesen vier Wochen sozusagen sich zu melden. Trotzdem halte ich diese Frist für die 20 Städte für zu kurz.

    Armbrüster: Aber Google macht da keine Bewegung?

    Aigner: Wir haben noch keine Rückmeldung, aber ich halte diese Forderung für nach wie vor richtig und werde sie auch aufrecht erhalten.

    Armbrüster: Dieser Widerspruch bei Google, der ist nun nicht ganz so leicht, wie sich das einige wahrscheinlich gedacht haben. Man bekommt zuerst mal mit der Post einen Code zugeschickt, den man dann wieder bei Google eingeben muss, um sein Haus tatsächlich zu verifizieren. Was halten Sie davon?

    Aigner: Die Frage ist natürlich: Man muss ja auch klarstellen, dass sie berechtigt sind, sozusagen sich zu löschen. Vielleicht mal ein ganz klassisches Beispiel: Wenn ein Restaurantbesitzer vielleicht nicht will, dass sein Nachbar erscheint, oder sein Konkurrent, kann er sich ja theoretisch für ihn ausgeben. Deshalb muss man auch sicherstellen, dass diejenigen, die die Löschung beantragen, auch wirklich die Berechtigten sind.

    Armbrüster: Frau Aigner, in anderen Ländern hatte Google mit Street View bislang keine besonderen Probleme, in Deutschland jetzt gewaltige. Ist Deutschland möglicherweise zu technikfeindlich?

    Aigner: Ich weiß nicht. Das hat, glaube ich, weniger mit der Technik zu tun, sondern das hat einfach mit einem sehr, sehr hohen Datenschutzstandard, aber auch mit einem sehr hohen Datenschutzbewusstsein in Deutschland zu tun, hat vielleicht auch mit unserer Vergangenheit zu tun, und deshalb sind wir vielleicht auch ein Schrittmacher in diesem Bereich, was Datenschutzrecht betrifft, in diesem Bereich, aber auch in anderen Bereichen, die Verbraucherrechte betreffen.

    Armbrüster: Viele Wirtschaftsfachleute sagen, dass wir damit deutschen Unternehmen Geschäftsinteressen verbauen.

    Aigner: Es geht darum, eben ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Geschäftsinteressen und auch vor allem Verbraucherinteressen – es ist ja auch für Verbraucher interessant, sich im Internet hier zu erkundigen und umzusehen – auf der einen Seite, aber eben auf der anderen Seite die klaren persönlichen Rechte auch zu wahren, oder auch vor allem die persönlichen Einstellungen zu respektieren.

    Armbrüster: Brauchen wir denn Bußgeldregelungen für den Fall beispielsweise, dass sich Google nicht an Widersprüche von Bürgern hält?

    Aigner: Erstens noch mal: Wir haben die klare Zusage und ich glaube nicht, dass sich Google dieses jetzt momentan überhaupt noch leisten kann. Der Image-Verlust ist doch schon relativ groß. Das wurde auch schon durch Umfragen belegt und sie wollen ja auch vielleicht in Zukunft in Deutschland weiter mit uns zusammenarbeiten. Deshalb gehe ich hundertprozentig davon aus, dass sie sich an diese Zusagen auch halten werden, die sie uns gegeben haben.

    Armbrüster: Das heißt, Sie verlassen sich da voll und ganz auf die Zusage eines Unternehmens?

    Aigner: Nein, nicht nur das. Wir werden es natürlich auch selbstverständlich kontrollieren. Kontrollieren insofern: wir haben ja einige, die Widerspruch eingelegt haben, ich persönlich auch, aber auch viele andere, die nicht namentlich bekannt sind, und daraus können wir schon schließen, ob sie sich daran halten, und Sie können sich darauf verlassen, wenn sie das nicht tun, dass ich dann mit ihnen schon auch noch mal deutlich ins Gericht gehen werde.

    Armbrüster: Mal angenommen, Google würde nun nach zehn oder Hunderttausenden von Einsprüchen bekannt geben, wir ziehen uns mit Street View aus Deutschland komplett zurück, wir gehen nicht ans Netz, würde Ihnen das gefallen?

    Aigner: Nein. Erstens glaube ich nicht, dass sie das tun werden, weil sie ja wirklich über viele Jahre jetzt schon hier sich eingesetzt haben und sie darauf setzen, dass der Nutzen des Dienstes dann auch die Kritiker überzeugt. Aber trotzdem bleibe ich dabei: wir müssen die Rechte, die manche auch sich wünschen, auch einhalten beziehungsweise gewährleisten.

    Armbrüster: Ilse Aigner. Vielen Dank für das Gespräch!

    Aigner: Vielen Dank und einen schönen Tag.