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"Kein Grieche ist ein Europäer zweiter Klasse"

Angesichts der Probleme in Griechenland erscheint es Martin Knapp von der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer verständlich, dass sich die Suche nach einem Regierungschef für die Übergangsregierung schwierig gestaltet. Bei einem Schulterschluss der beiden großen Parteien sei allerdings eine komfortable Mehrheit für schwierige Entscheidungen vorhanden.

Martin Knapp im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.11.2011
    Tobias Armbrüster: Griechenland befindet sich politisch gesehen an diesem Dienstagmorgen in einer Art Schwebezustand. Die Ära Papandreou ist vorbei, aber was nach ihm kommt, das ist noch immer nicht genau absehbar. Trotz langer Verhandlungen gestern Abend ist nach wie vor unklar, wer die Übergangsregierung in Athen in den kommenden Monaten leiten soll.
    In Athen kann ich jetzt mit Martin Knapp sprechen. Er leitet die Deutsch-Griechische Industrie- und Handelskammer und er ist damit zuständig für geschäftliche Kontakte zwischen deutschen und griechischen Unternehmen und er kennt sich außerdem bestens aus mit der wirtschaftlichen und politischen Lage im Land. Schönen guten Morgen, Herr Knapp.

    Martin Knapp: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Knapp, die Regierungsbildung in Athen zieht sich also hin. War das zu erwarten oder schafft das neue Unsicherheit?

    Knapp: Nun, niemand weiß genau, warum es diese Verspätung gibt. Da gibt es die verschiedensten Theorien. Man sagt zum Beispiel, dass da niemand diesen Posten haben will, was auch ganz logisch erscheinen würde, wenn man sich die Größe der Probleme vorstellt, mit der die zukünftige Regierung zu tun haben wird. Andere sagen, dass Papademos, sagen wir mal, der am meisten gehandelte Kandidat, Bedingungen stellt, die die beiden Parteiführer unter Umständen nicht annehmen können. Aber das sind alles Spekulationen. Deshalb wissen wir auch nicht, wann es nun einen neuen Ministerpräsidenten gibt.

    Tatsache ist, dass man diesem neuen Ministerpräsidenten ein ziemlich enges Programm verordnen will. Er soll also sehr kurz in seinem Amt bleiben, bis Mitte Februar, und dann soll er auch nur eine bestimmte Liste abarbeiten, ansonsten soll er dann wieder seinen Platz räumen, damit die Politiker (wahrscheinlich in einer etwas anderen Konstellation natürlich als heute) wieder Platz nehmen können auf den Regierungssitzen, denn sie haben offensichtlich Angst, wenn irgendwelche Technokraten zu erfolgreich sind, dass das griechische Volk dann anschließend sagt, warum sollen wir die alten Politiker wieder bringen, die uns die ganzen Probleme eingebrockt haben, warum behalten wir nicht gleich die Technokraten.

    Armbrüster: Was ist denn Ihr Eindruck als jemand, der die Situation vor Ort in Athen kennt? Kann es überhaupt gelingen, ob nun einem Politiker oder einem Technokraten, das Parlament zu einigen?

    Knapp: Nun, wenn sich die beiden großen Parteien einigen, dann ist eine sehr, sehr bequeme Parlamentsmehrheit vorhanden, und wenn dann der eine oder andere aufgrund von karrierebedingten Überlegungen sagt, er will dann links oder rechts ausscheren, dann ist das auch nicht so ein großes Problem. Also wenn beide großen Parteien dabei sind, dann ist eine Mehrheit sehr komfortabel.

    Armbrüster: Das heißt, Sie sind da durchaus zuversichtlich?

    Knapp: Da bin ich recht zuversichtlich. Sie müssen sich nur einigen und sie müssen natürlich auch dieser neuen Regierung Handlungsspielraum geben, denn diese Regierung muss ja schließlich über die schwierigsten Dinge verhandeln mit den Kreditgebern und das wird alles andere als einfach sein.

    Armbrüster: Die Euro-Finanzminister haben nun gestern klargestellt, dass zunächst mal kein weiteres Geld nach Athen fließen wird, zumindest bevor sich dort nicht alle Parteien hinter das Rettungspaket stellen. Gehen die Europäer vielleicht etwas zu hart mit den Griechen um?

    Knapp: Also sicher nicht alle Parteien, denn es gibt ja in Griechenland eine große starke linke Opposition, die immer größer wird. Inzwischen sind schon ein Viertel der Wähler bei diesen beiden Parteien gelandet, nach den Umfragen zumindest. Und dazu gibt es auch noch eine rechtsnationalistische Opposition, die liegt auch bei etwa zehn Prozent, sodass ein Drittel der griechischen Wähler sich in einer Position befindet, die auf keinen Fall jemals irgendwie so etwas wie ein europäisches Spardiktat akzeptieren wird.

    Armbrüster: Gehen die Europäer denn zu hart mit den Griechen um?

    Knapp: Nun, zu hart? Ich meine, wir müssen eines überlegen oder eines im Kopf behalten. Die Europäische Union ist, egal wie viel Schulden einer hat, ein Verein von Gleichberechtigten und die Bürger der Europäischen Union sind auch gleichberechtigt. Auch ein Berliner ist kein Deutscher zweiter Klasse, nur weil Berlin 62 Milliarden Schulden hat. So ist auch kein Grieche ein Europäer zweiter Klasse. Insofern ist natürlich der Ton, der da oft angeschlagen wird, schon etwas unpassend.

    Armbrüster: Auch von den Finanzministern?

    Knapp: Auch von den Finanzministern. Ich meine, man darf nicht vergessen, wie ich vorhin schon sagte: Es ist eine Union von gleichberechtigten Mitgliedern, die dadurch ihre Rechte nicht abgegeben haben, dass sie Schulden haben.

    Armbrüster: Wir haben, Herr Knapp, hier in Deutschland in den vergangenen Wochen vor allem von den Protesten gegen die Sparpläne der Regierung Papandreou gehört. Sind das Proteste, an denen sich auch Unternehmer und Geschäftsleute beteiligen?

    Knapp: Ja, durchaus. Es hat ja auch beim letzten Generalstreik dazu geführt, dass die kleineren Geschäfte zugemacht haben, die großen nicht, aber die kleinen. Die sehen sich schon auch als Opfer der Krise, und das sind sie auch, wenn man überlegt, wie viele Tausende von diesen kleinen Geschäften inzwischen zugemacht haben.

    Armbrüster: Die Opposition beklagt, dass jetzt vor allem Griechen mit geringem Einkommen unverhältnismäßig hart getroffen werden. Ist das auch Ihr Eindruck?

    Knapp: Das ist völlig richtig, denn es passiert im Prinzip Folgendes, damit man das mal etwas klarer sieht. Die griechische Regierung, oder die griechischen Regierungen der letzten zehn Jahre, wenn nicht mehr, haben fleißig Geld geliehen und haben das auf irgendeine Weise praktisch verteilt: an Unternehmen, mit denen man zusammengearbeitet hat (auch deutsche sind darunter), auch an gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer in den Staatsbetrieben und so weiter. Diese Verteilung war alles andere als gerecht. Nun geht es darum, dieses Geld wieder einzusammeln, um es den Kreditgebern zurückzugeben. Man muss also die Schulden wieder privatisieren, wenn man so will. Und das geht wiederum auf eine sehr ungerechte Art und benachteiligt sind wieder die Leute, die bei der Verteilung ursprünglich nichts mitbekommen hatten. Die werden jetzt also zur Kasse gebeten, und das führt natürlich zu diesen sozialen Verwerfungen, die wir jeden Tag erleben.

    Armbrüster: Müsste aber dieses harte zur Kassebeten dann nicht als Erstes geändert werden von der neuen Übergangsregierung?

    Knapp: Das müsste eigentlich so sein, aber da genau wird die Kompetenz dieser Regierung wohl von ihren beiden Paten, wenn man so will, erst mal doch sehr, sehr begrenzt sein. Also sie werden der keine weitgehenden Vollmachten zugestehen. Diese neue Regierung wird ja hundertprozentig abhängig sein von diesen Parteien.

    Armbrüster: Herr Knapp, an Sie als Geschäftsmann eine Frage. Ist Griechenland zurzeit ein guter Ort, um Geschäfte zu machen?

    Knapp: Nun, Geschäfte "business as usual" gibt es hier immer noch und wer kontrazyklisch denkt und sagt, na ja, wenn man in einer schwierigen Phase irgendwo hingeht, dann hat man auch Chancen, das gilt natürlich auch in Griechenland wie überall auf der Welt.

    Armbrüster: Martin Knapp war das, der Geschäftsführer der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen, und dieses Gespräch haben wir vor etwa einer halben Stunde aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.