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'Kein Grund für überhastete Maßnahmen in der Rentenversicherung'

Heuer: Mit Spannung erwartet die Republik die Rede, die Gerhard Schröder heute Früh im Bundestag halten will. Von allen Seiten hagelt es Kritik auf die rot-grüne Regierung. Wahlbetrug wird ihr vorgeworfen, weil sie nach dem 22. September doch viele Steuern und Abgaben erhöht hat. Außerdem fehlt den Kritikern ein erkennbares Konzept hinter den vielen einzelnen Beschlüssen der Koalition, ein roter Faden, dem die Bürger folgen können und an dem sie erkennen, wozu das Sparpaket taugen soll, außer zum kurzfristigen Stopfen von Löchern im Haushalt und in den Sozialsystemen. Als sei das noch nicht schlimm genug, wirkt die Koalition alles andere als geschlossen. SPD und Grüne streiten über die Notwendigkeit von Reformen und der Kanzler mahnt, die zum Teil etwas schrille Vielstimmigkeit des rot-grünen Chores müsse beendet werden. Heute nun könnte Gerhard Schröder mit seiner Grundsatzrede in der Haushaltsdebatte den Befreiungsschlag versuchen und den roten Faden, wenn es ihn denn gibt, in der Regierungspolitik endlich allen zeigen. - Am Telefon ist jetzt SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Guten Morgen Herr Scholz!

    Scholz: Guten Morgen.

    Heuer: Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin, Ihre Parteikollegin Heide Simonis von der SPD ist dafür, dass Gerhard Schröder heute im Bundestag eine Blut-, Schweiß- und Tränenrede halten soll. Schröder solle den Menschen die Wahrheit schonungslos sagen. Heißt die Wahrheit, Herr Scholz, dass wir alle unsere Ansprüche zurückschrauben müssen und mehr Eigenleistung erbringen müssen?

    Scholz: Wir brauchen keine Blut-, Schweiß- und Tränenrede, denn es geht nicht um Blut und auch nicht um Tränen. Um Schweiß geht es sicherlich ein bisschen in unserem Lande, denn wir müssen alle anpacken. Ich glaube aber das was wichtig ist, dass dargestellt wird, dass wir angesichts der nicht anspringenden Konjunktur in Europa, in Deutschland, auch weltweit Schwierigkeiten haben mit den Einnahmen auf der Staatsseite, mit den Ausgaben, die staatlich zu bezahlen sind, und dass wir deshalb jetzt Sofortmaßnahmen ergreifen müssen, die dafür sorgen, dass alles in Ordnung bleibt, und dass wir gleichzeitig wichtige Reformen bei den Sozialversicherungen anpacken müssen, wichtige Reformen im Bereich des Steuerrechts, wichtige Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes. Alles das machen wir seit 1998 und wird jetzt fortgesetzt werden.

    Heuer: Aber Herr Scholz bleibt denn alles in Ordnung? Bleibt es weiter bei der Rundumversorgung durch die Sozialsysteme und den Staat? Ist das noch zu finanzieren?

    Scholz: Die Menschen können sich auf die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland verlassen. Wir haben aber immer gesagt, dass das nur geht, wenn man bereit ist, mutige Reformen anzugehen. Bei der Rentenversicherung haben wir eine mit viel Streit entstandene Rentenreform in der letzten Legislaturperiode zu Stande gebracht. Dort sind wichtige Strukturentscheidungen gefallen, die es jetzt möglich machen, dass wir zum Beispiel geringere Beiträge zahlen als 1998 und viel geringere als die Vorgängerregierung Blüm, Seehofer und Kohl geplant hatte. Wir werden das weiter beobachten und gucken, was man machen muss, damit wir langfristig die Einnahmen auf der Beitragsseite für diejenigen, die Beiträge zahlen müssen, so noch vertretbar halten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Leistungen, die Renten vernünftig sind. Das gleiche gilt für den Bereich der Gesundheit. Dort werden jetzt wichtige Gesetze auf den Weg gebracht. Es wird im Sommer weitergehen und die entsprechende Kommission wird auch weitere Vorschläge machen. Wir können aber immer hinkriegen, dass unsere Systeme das leisten was sie sollen, nämlich vernünftige Gesundheitssicherung, eine anständige Rente und noch bezahlbare Beiträge. Allerdings geht das nur, wenn man mutig ist und die richtigen Schritte geht.

    Heuer: Das fordern ja gerade die Grünen. Sie fordern öffentlich immer wieder mutige Reformen zum Beispiel bei der Rente. Sie selbst, Herr Scholz, haben aber gesagt, eine weitere Rentenreform sei erst nach 2010 nötig. Ist dies das richtige Signal, weiter so zu machen?

    Scholz: Ich glaube das wichtige Signal für diejenigen, die Beiträge zahlen - das ist ja ein ganz langer Zeitraum des eigenen Lebens, dass man das tut -, und für diejenigen, die Renten bekommen, ist, dass sie sich auf die Rentenversicherung verlassen können. Deshalb muss man die große strukturelle Wirkung, die wir mit der Rentenreform der letzten Legislaturperiode erreicht haben, auch würdigen. Die führt nämlich dazu, dass wir, wenn keine konjunkturellen Probleme wären, über lange Sicht eine noch vertretbare Entwicklung der Beiträge und auf alle Fälle auch richtige und vernünftige Renten zu Stande bekommen. Allerdings ist es richtig, dass wir das weiter ausbauen, was wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben mit der Möglichkeit der jüngeren Menschen, sich zusätzlich privat vorzusorgen. Das tun auch, meistens in betrieblichen Absicherungssystemen, mittlerweile fast 20 Millionen Menschen. Und es ist richtig, dass wir, wenn uns die Kommission von Herrn Rürup im Herbst Vorschläge macht zur langfristigen Sicherung der Rentenbeiträge und der Renten, dann auch diese Sache angehen. Das wird allerdings, wie alle Experten sagen, Maßnahmen erfordern, die nicht jetzt dringend und aktuell erforderlich sind - man kann und soll sie auch jetzt beschließen -, aber die irgendwie greifen auf lange Sicht, denn in der Rentenversicherung muss man sich auf die lange Sicht verlassen können. Deshalb geht es jetzt um Maßnahmen, die langfristig einsetzen werden.

    Heuer: Sie bleiben also dabei, neue Schritte zu ergreifen ist vor 2010 nicht nötig?

    Scholz: Das habe ich überhaupt nicht gesagt.

    Heuer: Sie haben gesagt, es muss geprüft werden und neue Schritte greifen erst sehr spät. Das ist ja so weit verständlich, aber muss man die nicht früher einleiten als 2010?

    Scholz: Wenn im Herbst die Kommission von Herrn Rürup Vorschläge darüber macht, was wir in späterer Zeit tun sollen, dann können wir das auch gleich im Herbst auf den Gesetzgebungsweg bringen. Das ist das, was zwischen allen Beteiligten, die etwas von der Sache verstehen, unumstritten ist. Allerdings wenn Sie einmal genau hingehört und hingesehen haben, was alle Experten so gesagt haben, dann haben meistens die Experten bei den vielen unterschiedlichen Vorschlägen, die sie gemacht haben, Vorschläge gemacht für Gesetze, die wir zwar jetzt beschließen, die aber Wirksamkeit entfalten in Zeiträumen, die nach 2010 liegen. Wir warten da aber ab, was die Kommission uns vorschlägt, und wenn sie es zu Stande kriegt, einen vernünftigen konsensualen Vorschlag zu machen, dann werden wir den gleich umsetzen. Da bin ich sehr optimistisch. Ich wiederhole aber noch einmal: man darf die strukturelle Wirkung der letzten Rentenreform nicht unterschätzen. Man muss sagen, jetzt soll noch was passieren, wenn die Kommission das beschließt, und das werden alles Maßnahmen sein mit Langfristwirkung, denn bei der Rentenversicherung müssen sich die, die Beiträge zahlen, und diejenigen, die Renten bekommen, auf die Langfristigkeit des Systems verlassen können. Darüber sind wir übrigens einig mit unserem Koalitionspartner. Das haben auch einige mittlerweile genauer verstanden als zu der Zeit, als sie spontan etwas in ein Mikrophon gesagt haben, was hinterher gar nicht mit den Wirklichkeiten übereinstimmte.

    Heuer: Herr Scholz, kommen wir noch kurz zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission, Reform Arbeitsmarkt. Der "Stern" berichtet, Superminister Clement habe sich mit den Gewerkschaften geeinigt, dass für Leiharbeiter in freien Zeiten Lohn in Höhe des Arbeitslosengeldes gezahlt werden soll plus einem kleinen Zuschlag. Ist das richtig?

    Scholz: Es ist auf alle Fälle richtig, dass alles, was wir in den letzten Wochen lesen konnte, was wir angeblich nicht eins zu eins umsetzten mit dem Hartz-Konzept, völlig unzutreffend ist, denn wir haben gesagt, wir gehen den Weg, sogar über das hinauszugehen, was uns die Hartz-Kommission vorgeschlagen hat. Wir machen nicht nur eine Regelung für die Arbeitnehmer, die als länger Arbeitslose in den beim Arbeitsamt angegliederten Leiharbeitsfirmen, Personal-Service-Agenturen genannt, beschäftigt sind, sondern wir machen eine für die gesamte Branche und schaffen im wesentlichen alle bürokratischen Hürden und gesetzlichen Regelungen, die heute die Ausdehnung von Leiharbeit begrenzen, ab. Was wir aber gleichzeitig tun ist, dass wir sagen, natürlich muss jemand, der lange arbeitslos ist und dann besser vermittelt werden soll, indem wir ihm eine Chance über diese Personal-Service-Agentur schaffen, auch akzeptieren, dass er weniger verdient. Das wird durch Tarifverträge so geregelt sein. In den Zeiten, in denen man nicht eingesetzt werden kann, werden die Löhne sich eher am vorherigen Arbeitslosengeld orientieren als an einer Höhe, die sich an Marktlöhnen für beschäftigte Arbeitnehmer ausrichten kann.

    Heuer: Das war Olaf Scholz, der SPD-Generalsekretär. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Scholz.

    Link: Interview als RealAudio