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Kein Krieg der Konfessionen

In Syrien versucht die Regierung ganz bewusst, dem Krieg im Land einen konfessionellen Anstrich zu geben. Assad will damit scheinbar von seinen eigenen Interessen ablenken: Geschäft und Macht.

Von Kersten Knipp | 30.07.2012
    Unter Teilen der syrischen Christen geht die Angst um: Was, wenn Assad stürzt, unter dessen Herrschaft sie nie etwas zu befürchten hatten? Schon jetzt wird gelegentlich von Gewalt gegen Mitglieder der Syrisch-Orthodoxen Kirche berichtet. Wird diese Gewalt zunehmen? Ausgeschlossen ist es nicht. Allerdings nur darum, meint die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek, weil die Regierung dem Krieg ganz bewusst einen konfessionellen Anstrich zu geben sucht.

    "Es ist dem Regime gelungen, den Christen, Alawiten und sonstigen Minderheiten einzureden, sie müssten Angst vor der sunnitischen Mehrheit haben und dass die Islamisten die Wahlen gewinnen würden. Das Regime will einen religiös gefärbten Bürgerkrieg entfachen, und darum wird die religiös motivierte Gewalt zunehmen. Wenn Assad sich hält, wird es zu einem Bürgerkrieg kommen. Für Syrien wird es dann sehr gefährlich."

    Im syrischen Bürgerkrieg lässt sich anschaulich beobachten, wie das Regime konkrete Macht- und Geschäftsinteressen kulturell ummantelt, um die eigenen Truppen bei der Stange zu halten. Der Gedanke, dass es wirklich um einen Krieg der Konfessionen geht, meint Samar Yazbek, die seit der Veröffentlichung ihres Buches "Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution", im Pariser Exil lebt, ist schon allein angesichts der Finanzierung der Regierungstruppen nicht haltbar.

    "Der syrische Staat ist ein einziger Sicherheitsapparat, der viele Geheimdienste hat. Viele seiner Truppen bestehen aus arbeitslosen jungen Leuten, die jetzt für das Regime arbeiten. Am Anfang wurden sie von sunnitischen Geschäftsleuten bezahlt. Aber inzwischen ist kaum mehr nachvollziehbar, für wen sie arbeiten. Die Shabiha-Milizen sind ein Produkt des syrischen Unterdrückungsapparats, der Bestechung und des ethnischen und religiösen Gruppendenkens."

    Und doch macht sich Baschar al-Assad das in Syrien geläufige Denken in konfessionellen Kategorien zunutzte, das sein Vater Hafez und nach dessen Tod er selbst so erfolgreich betrieben hat. Die konfessionellen Gruppen gegeneinander auszuspielen – darin waren die Assads Meister. Und darum, erklärt die Politologin Margret Johannsen vom "Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" an der Universität Hamburg, kann man den Konflikt zwar auch sozial-ökonomisch interpretieren.

    "Es ist nur so, dass die Verteilung von Privilegien und Unterprivilegierung eben auch entlang konfessioneller Linien verläuft. Insofern würde ich das nicht trennen. Es wäre wünschenswert, wenn die Auseinandersetzung über die Verteilung von Reichtum etwa nicht entlang dieser Linien verliefe. Aber das ist nicht der Fall. Die Fragmentierung hat eben auch dazu geführt, dass bestimmte Teile der Elite aus bestimmten Konfessionen rekrutiert wurden und andere das Nachsehen hatten. Analytisch kann man das trennen – in der Praxis würde ich das aber zusammen sehen."

    Und so mögen die Christen Recht behalten: In Syrien droht konfessionelle Gewalt – jedenfalls dann, wenn es nicht gelingt, die erfolgreich implantierte Ideologie der konfessionellen Spaltung zu überwinden. Dann, fürchtet die an der Universität Marburg lehrende syrische Soziologin Huda Zein, könnte de Gewalt in Syrien auch nach dem Sturz Assads weitergehen.

    "Eigentlich macht die multikonfessionelle und multiethnische Fragmentierung der syrischen Gesellschaft ja auch ihre Schönheit aus. Diese Gesellschaft ist reich an kultureller Vielfalt. Doch das Regime geht mit unvorstellbarer Brutalität gegen die Bevölkerung vor und provoziert sie sehr bewusst. Dadurch verleitet sie die Opposition zu Rache und Vergeltung. Denn es kann nur überleben, wenn die Gesellschaft sich teilt und sich in einen Bürgerkrieg treiben lässt."

    Allerdings, erklärt Huda Zein: Um diese Entwicklung zu verhindern, reichen die Kräfte der syrischen Zivilgesellschaft allein nicht aus. Es mischen zu viele andere Akteure in dem Krieg mit. Längst ist er zu einem Schauplatz der sunnitisch-schiitischen Rivalität geworden, die in Saudi-Arabien und dem Iran ihre jeweils aggressivsten Frontstaaten hat.