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Kein Schlager-Boom

In Deutschland spaltet das Musik-Genre Schlager vermutlich wie kein zweites die Lager in Fans und in Verächter. Und zu den Fans gehören auf keinen Fall die ARD-Hörfunkwellen – auch wenn das die Schlagerindustrie beträchtlich irritiert.

Von Benedikt Schulz | 28.09.2013
    "Der deutsche Schlager hat Konjunktur." Schreibt nicht irgendwer, schreibt die "Zeit". Bei "Deutschland sucht den Superstar" gewinnt eine Schlagersängerin, Andrea Berg dominiert mit ihren Platten die Albencharts, Andreas Gabalier nennt sich selbst Volks-RocknRoller und spielt regelmäßig vor ausverkauften Hallen.

    "Man kann eigentlich nicht von nem Schlagerboom sprechen, weil der Schlager nie tot war. Also die Protagonisten haben sich geändert, aber dieses Genre, dieser Musikgeschmack bei der breiten Masse, der war immer schon da."

    Ken Otramba, Gründer und Inhaber des Schlagerlabels: "Was sich geändert hat, ist das Igitt-Image von Schlager und Volksmusik."

    Während der Schlager offenbar salonfähig wird, nehmen ihn andere sukzessive aus dem Programm. In praktisch allen ARD-Hörfunkwellen heißt es seit einigen Jahren: Weniger Schlager – mehr internationales.

    "Ich mach jetzt fast 25 Jahren Radio und seit 25 Jahren wird mir erzählt, der deutsche Schlager startet jetzt nochmal richtig durch. Ich bin jetzt seit 2000 hier und wir haben uns im Laufe der Zeit musikalisch immer weiter modernisiert, wir haben im Jahre 2011 den Schlager endgültig aus dem Programm genommen."

    Sagt Volker Schulz, Musikchef von NDR1 Welle Nord, ein Sender, einst für sein Schlagerprogramm von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager ausgezeichnet. Was ist passiert?

    "Wir wollen uns ganz speziell an die Hörergruppe 40+ wenden und wir haben im Verlauf der vergangenen Jahre immer wieder entsprechende Studien über die Musikpräferenzen unserer Zielgruppe durchgeführt. Und was man dort ganz deutlich sieht, ist, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen mit deutschem Schlager nicht mehr so verwachsen ist, wie das noch in den Generationen davor der Fall war. Das ist eine Musik, die nicht mal mehr toleriert wird, sondern die führt direkt zum Abschalten des Programms. Und das ist etwas, das kann ich so nicht gutheißen, das ist klar."

    So oder so ähnlich arbeiten alle öffentlich-rechtlichen Hörfunkwellen. Man verlässt sich auf Marktforschung. Bei NDR1 Welle Nord etwa wird zunächst nach der Beliebtheit bestimmter Musikstile gefragt, wobei Schlager nochmals unterteilt wird, etwa in Discofox-Schlager oder klassischer Schlager. Das ist nicht unumstritten.

    "Haben sie gefragt: Mögen Sie Schlager, oder hat man ihnen Beispiele vorgespielt? Denn wenn wir einfach hergehen auf der Straße und fragen: Mögen Sie Schlager, bekommen wir eine große Ablehnung erstmal, spielen wir aber bestimmte Schlager vor, die auch qualitativ hochwertiger sind, würde man aus meiner Sicht eine definitiv deutlich geringere Ablehnung bekommen."

    Sagt Martin Lücke, Musikwissenschaftler aus Bochum, der sich in seiner Arbeit viel mit Schlagermusik und ihrer Geschichte beschäftigt hat. Ken Otramba sieht das ähnlich. Es fehle einfach an Mut.

    "Ich befürchte, dass das auch aufgrund einer Angst, was falsch zu machen oder aus dem Druck heraus die Quoten hoch zu halten, das Programm so gleichförmig zu machen, dass auch ja niemand umschaltet. (…) und wenn ich Simon and Garfunkel und danach die Beatles und danach ABBA spiele dann bin ich auf der sicheren Seite, weil das dudelt dann einfach so durch. "

    Ein Vorwurf, den Musikchef Volker Schulz so nicht gelten lässt.

    "Das ist ja auch ne sehr gute Lobby-Arbeit. Bei mir hat sich zum Beispiel noch nie einer beschwert, dass wir zu wenig Heavy Metal spielen. Die Schlagerfans sind eine – in Anführungszeichen – laute Gruppe, die sich da Gehör verschafft."

    Was den Erfolg von Schlagermusik angeht, erzählt eben jeder seine eigene Geschichte. Künstler und Labels suchen inzwischen andere Wege zum zahlenden Publikum, etwa durch verstärkte Präsenz in Shoppingkanälen und auch im Internet: Schlagerkönigin Andrea Berg versammelt immerhin über 200.000 Facebook-Fans.