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"Kein sicheres Reiseland"

Nach Einschätzung des Islamismus-Experten Guido Steinberg gab es vor den Anschlägen von Dahab deutliche Anzeichen für eine Terrorgefahr in Ägypten. "Insofern war Ägypten auch dieses Jahr kein sicheres Reiseland", sagte Steinberg, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zwar gehe der Staat entschieden gegen Terroristen vor, doch habe dies in den vergangenen Jahren wenig Wirkung gehabt.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Anschlagserie im ägyptischen Badeort Dahab, gezielt auf Touristen, beabsichtigt, möglichst viel Leben zu zerstören. Alle Sicherheitsvorkehrungen konnten nichts verhindern. Das ist ja auch die Absicht des Terrors, Verunsicherung zu schaffen. Wer Ägypten wirtschaftlich schaden will, der sucht sich die Einnahmequelle Tourismus aus, der zerstört das Bild des sicheren Reiselandes mit stabilen Zuständen.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist Experte des islamistischen Terrorismus. Guten Tag, Herr Steinberg!

    Guido Steinberg: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Ägypten galt als sicheres Reiseland, bisher jedenfalls. Ein fataler Irrtum?

    Steinberg: Ja, ganz sicherlich. Es gab deutliche Anzeichen in den letzten Jahren, dass islamistische Terroristen Touristen angreifen würden. Insbesondere nach dem Anschlag von Taba im Oktober 2004 war klar, dass die Ruhe, die in Ägypten für etwa sieben Jahre geherrscht hat, kein Dauerphänomen sein würde. Insofern war Ägypten auch dieses Jahr kein sicheres Reiseland.

    Breker: Und dass auf den Tourismus abgezielt wird, das ist kein Zufall, denn man erreicht gleich zweierlei. Zum einen, man erreicht die Aufmerksamkeit der Welt, also da wo die Touristen her kommen, und man trifft Ägypten da, wo es weh tut.

    Steinberg: Ja, genau. Ich denke das ist auch in genau dieser Form beabsichtigt, und das spiegelt so etwas diese Ambivalenz im islamistischen Terrorismus wider. Zum einen möchte man den Westen treffen, die USA, Europa. Andererseits haben aber diese Gruppen auch immer ganz konkrete lokale Ziele. Angriffe auf Touristen schädigen sowohl den Westen als auch das eigene Regime. Insofern sind sie eine Art ideales Angriffsziel.

    Breker: Dass es wieder die Halbinsel Sinai getroffen hat, ist auch kein Zufall, lässt aber überlegen, ob nicht möglicherweise die Täter zugereist sind?

    Steinberg: Ja, das war auch in den bisherigen Fällen schon so. Man hat immer wieder gemutmaßt, sowohl im Oktober 2004 als auch im Juli 2005, dass die Täter doch möglicherweise von Jordanien mit der Fähre gekommen seien oder eben von Saudi-Arabien mit Booten über den Golf von Akabar gekommen sind. Das ist auch nicht auszuschließen.

    Es gibt insgesamt zwei Denkschulen, was diese Anschläge betrifft. Die einen gehen eher davon aus, dass es Ägypter sind vom Sinai selbst, die diese Anschläge verüben. Die andere Schule sagt nein, das ist eher eine Folgewirkung der Anschläge im Irak, der Tätigkeiten von El Kaida im Irak unter der Führung des Jordaniers Abu Mussab el Sarkawi. Die versuchen, ihren Kampf zu internationalisieren. Bisher gibt es keine harten Informationen, die da einen gültigen Schluss zuließen.

    Breker: Wo könnte denn in Ägypten der Nährboden für Terrorismus überhaupt liegen, denn man lebt ja vom Tourismus?

    Steinberg: Ja, aber das war bisher auch immer so. In den 90er Jahren, als es dort einen regelrechten islamistischen Aufstand gegeben hat, dass sich die damaligen militanten Gruppen die Touristen vorgenommen haben, um diesen Staat zu schädigen, ohne Rücksicht auf die Folgen für die ägyptische Bevölkerung. Und das hat ihnen auch sehr geschadet. Der Nährboden in Ägypten ist im Grunde überall vorhanden. Dass diese Anschläge jetzt auf dem Sinai durchgeführt werden, weist zumindest nach ägyptischer Lesart darauf hin, dass sie wahrscheinlich aus der einzigen Großstadt der Sinai-Halbinsel stammen, aus Al Arish. Das ist der Ort, aus dem damals im Oktober 2004 die Attentäter von Taba gekommen sein sollen.

    Breker: Man weiß noch nicht genau, inwieweit es sich hier tatsächlich um Selbstmordanschläge gehandelt hat, oder ob möglicherweise mit Zeitzündern gearbeitet wurde. Welchen Unterschied würde denn dies machen?

    Steinberg: Ich glaube, dass das keinen entscheidenden Hinweis gibt. Ich glaube auch nicht, dass das ein entscheidender Unterschied ist. Es hat innerhalb dieser internationalen islamistischen Netzwerke, innerhalb der El Kaida immer wieder Gruppen gegeben, die nicht zum Selbstmord bereit waren. Das waren lange Zeit die Nordafrikaner. Nun hatten wir das Beispiel in Madrid bei den Anschlägen, dass dort auch keine Selbstmordattentate verübt wurden, trotzdem sich diese Organisation als zugehörig zu diesen internationalen Netzwerken fühlt. Das ist im Grunde eine taktische Entscheidung der jeweiligen Gruppe, ob sie Selbstmordattentäter einsetzen will, gibt aber keinen Aufschluss über ihren weltanschaulichen Hintergrund und vor allem keinen Aufschluss darüber, ob sie nun an eine größere Organisation angebunden sind.

    Breker: Taktische Entscheidung, sagen Sie. Gibt es diese internationale Verbindung? Ist denkbar, dass jemand im Irak sitzt und die Befehle gibt, ihr müsst jetzt den Anschlag machen, oder ist es tatsächlich so, dass El Kaida Nester hat in jedem einzelnen Land?

    Steinberg: Ich glaube, dass beides der Fall ist. Es gibt in sehr, sehr vielen verschiedenen Ländern Gruppen, die sich eigeninitiativ bilden und auch auf eigene Rechnung solche Anschläge durchführen. Wir haben das in Europa mehrfach gesehen. Es gibt gleichzeitig aber auch das Phänomen, dass die größeren Gruppen von Pakistan, vom Afghanistan, vom Irak aus versuchen, solche Anschläge zu planen und zu organisieren. Die große Frage in den letzten Monaten ist, ob es El Kaida im Irak beispielsweise gelingt, solche Anschläge in Ägypten vom Irak aus zu planen. Ich würde das nicht ausschließen. Die Tendenz geht allerdings in den letzten Jahren insgesamt eher zu Anschlägen auf eigene Rechnung, die dann unabhängig von einer größeren Organisation geplant, organisiert und auch durchgeführt werden.

    Breker: Und die dann auch schwieriger aufzufinden sind. – Was bedeutet denn dieser Anschlag jetzt für die Entwicklung in Ägypten selber? Man war ja vorsichtig auf dem Weg zu ein bisschen mehr Demokratie. Wird das jetzt einen Rückschlag erfahren? Wird der Geheimdienst jetzt aktiver werden müssen?

    Steinberg: Ich glaube nicht, dass die ägyptischen Sicherheitsbehörden noch aktiver werden können, als sie das bisher schon waren. Es gab nach den Attentaten von Taba Berichte über massenhafte Verhaftungen in Al Arish im Norden der Halbinsel. Dort sollen über 5000 Einwohner der Stadt zunächst einmal inhaftiert worden sein. All diese Maßnahmen der ägyptischen Sicherheitsbehörden haben in den vergangenen zwei Jahren ganz offensichtlich keinerlei Resultate gehabt. Sie haben die Sicherheitslage nicht verbessert. Das ist im Grunde das Besorgniserregende. Die Ägypter tun all das, was sie können. Sie gehen sehr brutal gegen vermutete, gegen mutmaßliche Dschihadisten vor. Trotzdem können sie solche Anschläge nicht verhindern. Insgesamt bin ich allerdings der Meinung, dass die Anschläge militanter Gruppen nicht oder kein Stabilitätsrisiko für den ägyptischen Staat darstellen, sondern dass der ägyptische Staat Stabilitätsprobleme in Zukunft eher im Umgang mit der nichtmilitanten Opposition, den Muslimbrüdern, entwickeln wird.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist Experte für den islamistischen Terrorismus. Herr Steinberg, danke für dieses Gespräch.

    Steinberg: Danke Ihnen.