Elke Durak: Weg mit dem Solidaritätszuschlag, um Bürger und Unternehmen bei Abgaben und Steuern zu entlasten. Das wurde bisher im Grunde nur aus den alten Bundesländern gefordert, nun aber auch aus dem Osten. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat jetzt zur allerdings stufenweisen Absenkung des Soli aufgerufen und wird von ostdeutschen Handwerkskammern ausdrücklich unterstützt. Rund 40 Prozent der insgesamt 12 Milliarden Euro würden gar nicht mehr für den Aufbau Ost genutzt, könnten also bei den Bürgern und Unternehmen bleiben. Die könnten kaufen, investieren, Arbeitsplätze erhalten, steht im Aufruf. Was wäre denn daran so falsch? – Die Frage geht an den Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Guten Morgen, Herr Tiefensee.
Wolfgang Tiefensee: Guten Morgen, Frau Durak.
Durak: Was wäre daran so falsch?
Tiefensee: Ich denke, Frau Durak, wir müssen zwei Dinge sauber unterscheiden. Das eine ist: Wollen wir die Steuern senken, um in der angespannten wirtschaftlichen Lage gegenzusteuern? – Ich meine nein. – Und die zweite Frage ist: Brauchen wir den Solidaritätszuschlag noch, um den Osten aufzubauen? – Dazu müsste man etwas länger ausholen. Der Solidaritätszuschlag hat nämlich nur indirekt etwas mit dem Aufbau Ost zu tun. Ja, wir brauchen Geld noch, um den Osten aufzubauen. Es ist dringend nötig.
Durak: Ja und? Die 40 Prozent, die nicht für den Aufbau Ost verwendet werden – Sie haben es eben angedeutet -, wo gehen die hin?
Tiefensee: Die Information ist leider falsch. Der Solidaritätszuschlag ist erfunden worden, um die Belastungen des Bundes aus der deutschen Einheit zu finanzieren. Richtig ist aber auch, dass der Solidaritätszuschlag dem Bund zusteht zur Gesamtdeckung der Finanzierung der Bundesaufgaben. Wenn Sie so wollen, hat er also kein Etikett.
Durak: Doch! Solidaritätszuschlag, das Etikett hat er.
Tiefensee: Ein guter Titel, richtig. Aber der Solidarpakt, der ja finanziert wird, um den Osten zusätzlich zu unterstützen, der beträgt alleine im Jahr 2007 rund 15 Milliarden Euro. Sie wissen, dass der bis zum Jahre 2019 degressiv ausgestaltet ist. Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag decken also noch nicht einmal vollständig diesen Solidaritätszuschlag. Das heißt, die Information, die wir vom Handwerk bekommen, ist falsch. Aber noch einmal: die beiden Dinge dürfen nicht in gerader Linie miteinander verbunden werden.
Durak: Jetzt muss ich es aber noch mal versuchen zu verstehen. Es gibt den Solidarpakt, der 2019 ausläuft, der vor allem für den Aufbau Ost gedacht war. Diese Sonderregelungen für den Aufbau Ost wird es dann nicht mehr geben, sagt auch Ministerpräsident Böhmer aus Sachsen-Anhalt. Der Solidaritätszuschlag, der von jedem Bürger in Ost und West erhoben wird, deckt nicht die ganzen Kosten des Solidarpaktes?
Tiefensee: So ist es. Der Solidarpakt ist degressiv ausgestaltet. Es ist vereinbart worden, ab dem Jahr 2005 bis zum Jahre 2019 insgesamt 156 Milliarden zu geben, damit Infrastruktur aufgebaut werden kann, die Industrie unterstützt wird, Forschung und Entwicklung, Städte und so weiter, vieles, vieles geleistet werden kann, um 40 Jahre DDR mit den schlimmen Folgen auszugleichen. Der Solidaritätszuschlag ist, wenn Sie so wollen, eine allgemeine Steuer, die dem entgegensteht, und jetzt ist zu fragen, ob wir eine Steuersenkung insgesamt wollen und ob wir die auf dem Wege der Deckung des Solidaritätszuschlags vornehmen. Das ist aber eine ganz andere Baustelle und Sie wissen, das wird ja gerade herauf- und herunterdiskutiert. Ich bin der Meinung, keine Senkung von Steuern, kein Absenken des Solidaritätszuschlages zusätzlich zu dem, was ohnehin jetzt diskutiert wird.
Durak: Herr Tiefensee, es ist ja nicht so, dass Sie sich nur um den Osten kümmern, mal abgesehen vom Verkehrsministerium und allem, was dazugehört. Sie haben ja selbst gesagt, dass arme Kommunen in Westdeutschland auch Hilfe bräuchten, wenn der Solidarpakt 2019 ausläuft. Nun droht aber ganz Deutschland jetzt eine Wirtschaftskrise und den Kommunen ging es ja vorher schon schlecht. Müssten die Hilfen für den Westen - solidarisch gedacht -, nicht vorgezogen werden?
Tiefensee: Noch einmal: allgemeine Steuersenkungen, das sind wie Schüsse mit der Schrotflinte. Was wir jetzt brauchen sind ganz gezielte Effekte, ganz gezielte Maßnahmen, und die müssen gelten für die Kommunen in Ostdeutschland genauso wie für die in Nord-, West- oder Süddeutschland. Deshalb hat die Bundesregierung mit ihrem Maßnahmenpaket ja ganz gezielt zum Beispiel etwas getan, damit wir Gebäude energetisch sanieren können. Wir denken an Schulen, an Turnhallen, an Krankenhäuser. Und wir haben etwas dafür getan, dass wir wieder Großwohnsiedlungen umbauen können, dass Menschen länger in ihren Wohnungen bleiben können, wenn sie pflegebedürftig sind. Das alles gilt ja für Ost und in West. Davon abgesetzt müssen wir aber die Frage uns stellen: Braucht der Osten weiter noch zusätzliche Gelder? Da geht es um eine flächendeckende Strukturschwäche, die behoben werden muss. Wenn wir das nicht tun, dann kommt der Osten nicht auf eigene Füße und diese Transfers würden noch weit über das Jahr 2019 nötig sein, und das wollen wir nicht.
Durak: Weshalb dauert es im Osten so lange? Es ist ja nun wirklich reichlich Zeit verstrichen.
Tiefensee: Einmal haben wir ja eine Menge geschafft, Frau Durak. Wenn Sie 1990 mit dem Jahr 2008 vergleichen, dann ist mit den Händen zu greifen, dass der Aufbau Ost in vielen, vielen Bereichen gelungen ist. Zum anderen: Wir haben eine lange, lange Zeit vor 1990 gehabt, wo die Lande auf Verschleiß gefahren wurden, und deshalb brauchen wir diese Unterstützung noch. Wir haben viel geschafft bei der Infrastruktur, zum Beispiel um die Pflegeheime, Altenheime aufzubauen, besser zu gestalten. Die Umwelt ist dramatisch besser geworden. Ich bin in der DDR groß geworden und habe den Geruch noch in der Nase. Das alles ist gut gelungen. Jetzt haben wir aber immer noch nur etwa 68 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch doppelt so hoch, viel Langzeitarbeitslosigkeit. Um das zu beseitigen, brauchen wir zusätzliche Gelder. Und noch einmal: Wenn wir die nicht hätten, würde das hier so bleiben.
Durak: Herr Tiefensee, ich habe nach den Ursachen gefragt, warum dies alles so ist!
Tiefensee: Die Ursachen sind einmal die Zeit vor 1990, eine ganz schlimme Hypothek. Wer die DDR kennt, wer 1990 in die ostdeutschen Länder gereist ist, der weiß, was wir für ein Paket da auf den Rücken bekommen haben. Zum anderen braucht es einfach Zeit für eine selbsttragende Wirtschaft. Der Industriesektor ist fast vollständig zum Erliegen gekommen nach 1990 und erholt sich jetzt wunderbar. Wir kommen voran mit neuen Branchen. Es gibt einige Regionen, die schon richtige Lokomotiven sind. Aber es braucht einfach Zeit, diese Hypothek abzubauen, und es braucht weiter eine Solidarität zwischen West und Ost, und auch die Ostdeutschen krempeln ja kräftig die Ärmel auf. Ansonsten würden wir es gar nicht schaffen.
Durak: Herr Tiefensee, Sie haben es selber gesagt: Sie sind Ostdeutscher. Fühlen Sie sich als Bürger zweiter Klasse?
Tiefensee: Ich weiß, Sie spielen auf eine neue Umfrage an. Nein, ich fühle mich nicht als Bürger zweiter Klasse.
Durak: Und auch nicht gegenüber dem Westen benachteiligt?
Tiefensee: Nein, aber ich kann verstehen, dass jemand, der hoch qualifiziert ist und jetzt nicht arbeiten darf, weil in seiner Region keine Arbeitsplätze vorhanden sind, seine Biographie entwertet findet. Ich denke, das Problem der Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit führt viele Menschen in die Resignation. Deshalb müssen wir dort ansetzen. Wir haben dort eine ganze Reihe getan. Sie wissen: wir haben 500.000 Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise weniger Arbeitslose. Das ist eine hervorragende Bilanz in den letzten drei Jahren, aber es reicht immer noch nicht. Die Arbeitslosenquote ist immer noch doppelt so hoch in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland, und das drückt natürlich die Stimmung. Das ist doch klar.
Durak: Wir beziehen uns auf eine Studie der Universität Bielefeld, wonach 64 Prozent der Ostdeutschen sich als Bürger zweiter Klasse fühlen und 73 Prozent dieser Ostdeutschen sich gegenüber den Westdeutschen benachteiligt sehen. Herr Tiefensee, kann es sein, dass die Parteien (und allen voran auch Ihre) es versäumt haben, in den Köpfen und mit den Köpfen der Menschen auch zu arbeiten?
Tiefensee: Lassen Sie mich zwei Antworten geben. Die eine ist: Ich halte von diesen Durchschnittsbetrachtungen nicht allzu viel. Wenn man jetzt die Statistiken genauer anschaut, stellt man fest, dass auch in Ostdeutschland große Zufriedenheit ist, wenn es um die eigene Situation geht, im Unterschied zur Betrachtung der gesamtgesellschaftlichen Lage. Da ist oftmals die Zufriedenheit wesentlich geringer. Das muss man bedenken dabei. Es gibt auch große regionale Unterschiede.
Das andere ist: Noch einmal, ich denke, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten in großer Solidarität immens viel geleistet haben, dass die politischen Parteien viel dazu getan haben, dass die Stimmung sich verbessert, also das, was mit Emotionen, mit subjektiver Betrachtung zu tun hat. Aber wir werden die Fakten nicht wegdiskutieren können. Und wenn es eben so ist, dass die Wirtschaft nicht trägt, dass die kleinen Mittelständler wackeln, sobald ein Wind weht, oder wenn die Arbeitslosigkeit so hoch ist – in nahezu jeder Familie gibt es jemanden, der arbeitslos ist oder arbeitslos war ...
Durak: Das kommt doch aber nicht von ungefähr, Herr Tiefensee. Das hat doch alles Gründe und Verantwortlichkeiten.
Tiefensee: Die Gründe sind – und ich kann mich noch einmal wiederholen – in einer schweren Hypothek in der Zeit vor 1990, einer nationalen, einer europäischen Anstrengung, den Osten heranzuholen wie übrigens auch die osteuropäischen Staaten, und wir brauchen eben nicht nur, wie wir jetzt wissen, 20 Jahre, um das auszugleichen. Die Versprechen aus 1990, blühende Landschaften im Handumdrehen zu schaffen, die haben dafür gesorgt, dass die Erwartungen hochgeschraubt wurden. Wir brauchen Zeit und ich muss an die Solidarität appellieren von West nach Ost, an die Kräfte in Ostdeutschland. Wir brauchen bestimmt noch 10 Jahre bis 2019, bis wir diese schlimmen Folgen der DDR-Zeit ausgeglichen haben.
Durak: Womit wir den Bogen wieder geschlossen haben. Das Handwerk fordert "weg mit dem Solidaritätsbeitrag". Minister Tiefensee bittet um Solidarität aus dem Westen. – Besten Dank, Wolfgang Tiefensee (SPD), Bundesverkehrsminister und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder. Danke schön, Herr Tiefensee, für Gespräch und auf Wiederhören.
Tiefensee: Ja, bitte schön. Auf Wiederhören!
Wolfgang Tiefensee: Guten Morgen, Frau Durak.
Durak: Was wäre daran so falsch?
Tiefensee: Ich denke, Frau Durak, wir müssen zwei Dinge sauber unterscheiden. Das eine ist: Wollen wir die Steuern senken, um in der angespannten wirtschaftlichen Lage gegenzusteuern? – Ich meine nein. – Und die zweite Frage ist: Brauchen wir den Solidaritätszuschlag noch, um den Osten aufzubauen? – Dazu müsste man etwas länger ausholen. Der Solidaritätszuschlag hat nämlich nur indirekt etwas mit dem Aufbau Ost zu tun. Ja, wir brauchen Geld noch, um den Osten aufzubauen. Es ist dringend nötig.
Durak: Ja und? Die 40 Prozent, die nicht für den Aufbau Ost verwendet werden – Sie haben es eben angedeutet -, wo gehen die hin?
Tiefensee: Die Information ist leider falsch. Der Solidaritätszuschlag ist erfunden worden, um die Belastungen des Bundes aus der deutschen Einheit zu finanzieren. Richtig ist aber auch, dass der Solidaritätszuschlag dem Bund zusteht zur Gesamtdeckung der Finanzierung der Bundesaufgaben. Wenn Sie so wollen, hat er also kein Etikett.
Durak: Doch! Solidaritätszuschlag, das Etikett hat er.
Tiefensee: Ein guter Titel, richtig. Aber der Solidarpakt, der ja finanziert wird, um den Osten zusätzlich zu unterstützen, der beträgt alleine im Jahr 2007 rund 15 Milliarden Euro. Sie wissen, dass der bis zum Jahre 2019 degressiv ausgestaltet ist. Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag decken also noch nicht einmal vollständig diesen Solidaritätszuschlag. Das heißt, die Information, die wir vom Handwerk bekommen, ist falsch. Aber noch einmal: die beiden Dinge dürfen nicht in gerader Linie miteinander verbunden werden.
Durak: Jetzt muss ich es aber noch mal versuchen zu verstehen. Es gibt den Solidarpakt, der 2019 ausläuft, der vor allem für den Aufbau Ost gedacht war. Diese Sonderregelungen für den Aufbau Ost wird es dann nicht mehr geben, sagt auch Ministerpräsident Böhmer aus Sachsen-Anhalt. Der Solidaritätszuschlag, der von jedem Bürger in Ost und West erhoben wird, deckt nicht die ganzen Kosten des Solidarpaktes?
Tiefensee: So ist es. Der Solidarpakt ist degressiv ausgestaltet. Es ist vereinbart worden, ab dem Jahr 2005 bis zum Jahre 2019 insgesamt 156 Milliarden zu geben, damit Infrastruktur aufgebaut werden kann, die Industrie unterstützt wird, Forschung und Entwicklung, Städte und so weiter, vieles, vieles geleistet werden kann, um 40 Jahre DDR mit den schlimmen Folgen auszugleichen. Der Solidaritätszuschlag ist, wenn Sie so wollen, eine allgemeine Steuer, die dem entgegensteht, und jetzt ist zu fragen, ob wir eine Steuersenkung insgesamt wollen und ob wir die auf dem Wege der Deckung des Solidaritätszuschlags vornehmen. Das ist aber eine ganz andere Baustelle und Sie wissen, das wird ja gerade herauf- und herunterdiskutiert. Ich bin der Meinung, keine Senkung von Steuern, kein Absenken des Solidaritätszuschlages zusätzlich zu dem, was ohnehin jetzt diskutiert wird.
Durak: Herr Tiefensee, es ist ja nicht so, dass Sie sich nur um den Osten kümmern, mal abgesehen vom Verkehrsministerium und allem, was dazugehört. Sie haben ja selbst gesagt, dass arme Kommunen in Westdeutschland auch Hilfe bräuchten, wenn der Solidarpakt 2019 ausläuft. Nun droht aber ganz Deutschland jetzt eine Wirtschaftskrise und den Kommunen ging es ja vorher schon schlecht. Müssten die Hilfen für den Westen - solidarisch gedacht -, nicht vorgezogen werden?
Tiefensee: Noch einmal: allgemeine Steuersenkungen, das sind wie Schüsse mit der Schrotflinte. Was wir jetzt brauchen sind ganz gezielte Effekte, ganz gezielte Maßnahmen, und die müssen gelten für die Kommunen in Ostdeutschland genauso wie für die in Nord-, West- oder Süddeutschland. Deshalb hat die Bundesregierung mit ihrem Maßnahmenpaket ja ganz gezielt zum Beispiel etwas getan, damit wir Gebäude energetisch sanieren können. Wir denken an Schulen, an Turnhallen, an Krankenhäuser. Und wir haben etwas dafür getan, dass wir wieder Großwohnsiedlungen umbauen können, dass Menschen länger in ihren Wohnungen bleiben können, wenn sie pflegebedürftig sind. Das alles gilt ja für Ost und in West. Davon abgesetzt müssen wir aber die Frage uns stellen: Braucht der Osten weiter noch zusätzliche Gelder? Da geht es um eine flächendeckende Strukturschwäche, die behoben werden muss. Wenn wir das nicht tun, dann kommt der Osten nicht auf eigene Füße und diese Transfers würden noch weit über das Jahr 2019 nötig sein, und das wollen wir nicht.
Durak: Weshalb dauert es im Osten so lange? Es ist ja nun wirklich reichlich Zeit verstrichen.
Tiefensee: Einmal haben wir ja eine Menge geschafft, Frau Durak. Wenn Sie 1990 mit dem Jahr 2008 vergleichen, dann ist mit den Händen zu greifen, dass der Aufbau Ost in vielen, vielen Bereichen gelungen ist. Zum anderen: Wir haben eine lange, lange Zeit vor 1990 gehabt, wo die Lande auf Verschleiß gefahren wurden, und deshalb brauchen wir diese Unterstützung noch. Wir haben viel geschafft bei der Infrastruktur, zum Beispiel um die Pflegeheime, Altenheime aufzubauen, besser zu gestalten. Die Umwelt ist dramatisch besser geworden. Ich bin in der DDR groß geworden und habe den Geruch noch in der Nase. Das alles ist gut gelungen. Jetzt haben wir aber immer noch nur etwa 68 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch doppelt so hoch, viel Langzeitarbeitslosigkeit. Um das zu beseitigen, brauchen wir zusätzliche Gelder. Und noch einmal: Wenn wir die nicht hätten, würde das hier so bleiben.
Durak: Herr Tiefensee, ich habe nach den Ursachen gefragt, warum dies alles so ist!
Tiefensee: Die Ursachen sind einmal die Zeit vor 1990, eine ganz schlimme Hypothek. Wer die DDR kennt, wer 1990 in die ostdeutschen Länder gereist ist, der weiß, was wir für ein Paket da auf den Rücken bekommen haben. Zum anderen braucht es einfach Zeit für eine selbsttragende Wirtschaft. Der Industriesektor ist fast vollständig zum Erliegen gekommen nach 1990 und erholt sich jetzt wunderbar. Wir kommen voran mit neuen Branchen. Es gibt einige Regionen, die schon richtige Lokomotiven sind. Aber es braucht einfach Zeit, diese Hypothek abzubauen, und es braucht weiter eine Solidarität zwischen West und Ost, und auch die Ostdeutschen krempeln ja kräftig die Ärmel auf. Ansonsten würden wir es gar nicht schaffen.
Durak: Herr Tiefensee, Sie haben es selber gesagt: Sie sind Ostdeutscher. Fühlen Sie sich als Bürger zweiter Klasse?
Tiefensee: Ich weiß, Sie spielen auf eine neue Umfrage an. Nein, ich fühle mich nicht als Bürger zweiter Klasse.
Durak: Und auch nicht gegenüber dem Westen benachteiligt?
Tiefensee: Nein, aber ich kann verstehen, dass jemand, der hoch qualifiziert ist und jetzt nicht arbeiten darf, weil in seiner Region keine Arbeitsplätze vorhanden sind, seine Biographie entwertet findet. Ich denke, das Problem der Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit führt viele Menschen in die Resignation. Deshalb müssen wir dort ansetzen. Wir haben dort eine ganze Reihe getan. Sie wissen: wir haben 500.000 Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise weniger Arbeitslose. Das ist eine hervorragende Bilanz in den letzten drei Jahren, aber es reicht immer noch nicht. Die Arbeitslosenquote ist immer noch doppelt so hoch in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland, und das drückt natürlich die Stimmung. Das ist doch klar.
Durak: Wir beziehen uns auf eine Studie der Universität Bielefeld, wonach 64 Prozent der Ostdeutschen sich als Bürger zweiter Klasse fühlen und 73 Prozent dieser Ostdeutschen sich gegenüber den Westdeutschen benachteiligt sehen. Herr Tiefensee, kann es sein, dass die Parteien (und allen voran auch Ihre) es versäumt haben, in den Köpfen und mit den Köpfen der Menschen auch zu arbeiten?
Tiefensee: Lassen Sie mich zwei Antworten geben. Die eine ist: Ich halte von diesen Durchschnittsbetrachtungen nicht allzu viel. Wenn man jetzt die Statistiken genauer anschaut, stellt man fest, dass auch in Ostdeutschland große Zufriedenheit ist, wenn es um die eigene Situation geht, im Unterschied zur Betrachtung der gesamtgesellschaftlichen Lage. Da ist oftmals die Zufriedenheit wesentlich geringer. Das muss man bedenken dabei. Es gibt auch große regionale Unterschiede.
Das andere ist: Noch einmal, ich denke, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten in großer Solidarität immens viel geleistet haben, dass die politischen Parteien viel dazu getan haben, dass die Stimmung sich verbessert, also das, was mit Emotionen, mit subjektiver Betrachtung zu tun hat. Aber wir werden die Fakten nicht wegdiskutieren können. Und wenn es eben so ist, dass die Wirtschaft nicht trägt, dass die kleinen Mittelständler wackeln, sobald ein Wind weht, oder wenn die Arbeitslosigkeit so hoch ist – in nahezu jeder Familie gibt es jemanden, der arbeitslos ist oder arbeitslos war ...
Durak: Das kommt doch aber nicht von ungefähr, Herr Tiefensee. Das hat doch alles Gründe und Verantwortlichkeiten.
Tiefensee: Die Gründe sind – und ich kann mich noch einmal wiederholen – in einer schweren Hypothek in der Zeit vor 1990, einer nationalen, einer europäischen Anstrengung, den Osten heranzuholen wie übrigens auch die osteuropäischen Staaten, und wir brauchen eben nicht nur, wie wir jetzt wissen, 20 Jahre, um das auszugleichen. Die Versprechen aus 1990, blühende Landschaften im Handumdrehen zu schaffen, die haben dafür gesorgt, dass die Erwartungen hochgeschraubt wurden. Wir brauchen Zeit und ich muss an die Solidarität appellieren von West nach Ost, an die Kräfte in Ostdeutschland. Wir brauchen bestimmt noch 10 Jahre bis 2019, bis wir diese schlimmen Folgen der DDR-Zeit ausgeglichen haben.
Durak: Womit wir den Bogen wieder geschlossen haben. Das Handwerk fordert "weg mit dem Solidaritätsbeitrag". Minister Tiefensee bittet um Solidarität aus dem Westen. – Besten Dank, Wolfgang Tiefensee (SPD), Bundesverkehrsminister und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder. Danke schön, Herr Tiefensee, für Gespräch und auf Wiederhören.
Tiefensee: Ja, bitte schön. Auf Wiederhören!