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Keine Allheilmittel gegen Armut

Eine Kernforderung der SPD ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler warnen jedoch davor, eine solche Regelung mit überzogenen Hoffnungen zu überfrachten. Aber auch die von der Union vorgeschlagene Lohnuntergrenze schützt nicht vor Dumpinglöhnen.

Von Tonia Koch | 04.10.2013
    Es ist um die Mittagszeit in der Saarbrücker Innenstadt. Sieben, acht Taxen reihen sich hintereinander auf. Um diese Zeit sind die Fahrerinnen und Fahrer froh um jeden Kunden. Denn wenn nicht gerade Wochenende ist, macht sich die Kundschaft rar. Das wirkt sich aus im Portemonnaie.

    "4,60 Euro habe ich die Stunde, das ist aber viel. Ich wäre froh, wenn ich 4 Euro bekomme. Ich krieg keine 8,50. Ich kann hier zehn Stunden drin sitzen und krieg keine 8,50."

    Auch wenn es wünschenswert wäre:

    "Das wäre prima, ich hoffe auf den Mindestlohn."

    Daran, dass in der Branche tatsächlich einmal ein Mindestlohn von 8.50 Euro gezahlt wird, daran glaubt - aller politischen Beteuerungen zum Trotz - keiner.

    "Was in der Nacht oder am Tag nicht umgesetzt wird, kann auch nicht bezahlt werden. Ich kann keinem Fahrer 100 Euro am Tag geben, wenn er nur 70 verdient hat. Ein Mindestlohn kann im Taxigewerbe niemals kommen, niemals…"

    Und wenn doch?

    "Dann bleiben vermutlich 50 Prozent der Taxen stehen."

    55.000 Taxen tummeln sich auf Deutschlands Straßen. Sie gehören in den meisten Fällen Kleinunternehmern, die selbst hinter dem Steuer sitzen und hin und wieder eine Fahrerin oder einen Fahrer beschäftigen, damit das Auto rund um die Uhr bewegt wird. In aller Regel werden sie mit 40 bis 50 Prozent des Umsatzes entlohnt. Umsätze, die in den seltensten Fällen so üppig sind, dass davon 8,50 Euro die Stunde gezahlt werden können, sagt der Vorsitzende des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes, Michael Müller.


    Taxis warten vor dem Hauptbahnhof in Frankfurt am Main.
    In der Taxibranche glaubt niemand an die Durchsetzung eines Mindestlohns. (AP)
    Taxifahrten müssten um ein Viertel teurer werden
    "Nach unserer Einschätzung - und die ist relativ belastbar - ist das Lohnniveau in Deutschland mit allen Gefällen, die es von Ost nach West noch gibt, es gibt auch ein Nord-Süd-Gefälle, aber im Schnitt kann man davon ausgehen, dass bundesweit ein Lohn zwischen 6 und 6,50 Euro zurzeit realisiert wird. Sie haben Schichten im städtischen Bereich, wo Freitag-, Samstagnacht viel los ist, da hat der Fahrer auch zwölf Euro Stundenlohn. Aber, sie haben halt genauso Situationen, wie eine Montagnacht, wo einfach das gesellschaftliche Leben relativ brachliegt, wo der Stundenlohn dann bei drei, vier oder fünf Euro sein mag."

    Der Verband kalkuliert, dass Taxifahrten um ein Viertel teurer werden müssten, um die Lohnlücke hin zu einem gesetzlichen Mindestlohn zu schließen. Und der Verbandsvorsitzende sieht daher schwierige Verhandlungen mit den Städten und Gemeinden auf sich zukommen, denn schließlich sind es die Kommunen, die die Taxitarife festlegen. Am Ende müsse es auch noch Kunden geben, die die Preiserhöhungen mitmachten, so Müller.

    "Das heißt, wir können nicht unendlich zuschlagen und sagen, was brauchen wir. Denn wenn am Ende weniger Kunden fahren, dann ist das ein Nullsummengeschäft oder gar ein rückläufiges Geschäft."

    Dass das Gewerbe jedoch eine Mindestabsicherung seiner Beschäftigten irgendwie umsetzen muss, dessen ist sich Michael Müller gewiss:

    "Wir sind der festen Überzeugung, der Mindestlohn wird kommen, gleich in welcher Ausgestaltung, ob nach dem CDU-Modell oder nach dem Modell, das Rot-Grün befürwortet. Wir müssen uns im Gewerbe darauf einstellen."

    Bei den Forderungen, die der BDI, der Bundesverband der deutschen Industrie an eine neue Bundesregierung richtet, spielt der Mindestlohn keine Rolle. Das Thema werde überschätzt, glaubt der Präsident der saarländischen Unternehmensverbände Oswald Bubel.

    "Wenn bei den beginnenden Gesprächen sich abzeichnet, dass es zu einer der beiden Lösungen kommt, dann möchte ich mal wissen, was in fünf Jahren die Folge ist, ob plötzlich das soziale Klima sich ein gutes Stück geändert hat, für wie viele Leute das Einkommen signifikant gestiegen ist und wie die Zufriedenheit und die Lage dann ist. Es wird hochstilisiert - es mag sein von beiden Seiten - zu einer Causa, die über das und jenes entscheidet. Eines kann ich nur sagen: Es verbessert die Standortbedingungen nicht."

    19 Prozent würden vom Mindestlohn profitieren
    Bubel kommt aus der Elektroindustrie. Er arbeitet in einem Unternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten, das weltweit Schaltkästen herstellt und einbaut. Nach seiner Einschätzung funktionieren und reichen Tarifpartnerschaften zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Und mit der Erfahrung aus der Metall- und Elektroindustrie hat er dafür auch allen Grund. Der Einstiegslohn hier liegt für die niedrigsten Lohngruppen bei etwa 17 Euro.

    Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat ausgerechnet, dass 19 Prozent der Beschäftigten in Deutschland davon profitierten, wenn der Mindestlohn bei 8,50 Euro festgelegt wird, und selbst wenn es nur 7,50 wären, hätten immer noch 14 Prozent der Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche als jetzt. Hagen Lesch:

    "Das sind hauptsächlich Hinzuverdiener, die also in Minijobs sind. Es sind jüngere Personen am Arbeitsmarkt, teilweise auch Ältere und es sind natürlich tendenziell Berufsgruppen, die eine geringere Qualifikation haben. Betroffen nach Branchen ist natürlich der Dienstleistungsbereich, beispielsweise in der Gastronomie oder personennahe Dienstleistungen, Wäschereien oder andere Dinge, dort findet man die Begünstigten."

    Für die Bügelhilfe in den Wäschereien, die Bedienung in der Kneipe oder eben für die Taxifahrerinnen und Taxifahrer wären 8,50 Euro ein Segen. Ihre Bruttoverdienste stiegen im Schnitt um 35 Prozent. Die Frage, ob der Mindestlohn aber auch als eine Art Versicherungspolice gegen das Armutsrisiko gelten kann, muss mit einem klaren Nein beantwortet werden, sagt der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell.

    "Wovor ich warne, sind zwei Dinge, mit der Vorstellung, wenn wir einen Mindestlohn hätten, würden wir viele Folgeprobleme lösen, davon muss man sich unbedingt lösen. Zum Beispiel das Rentenproblem, denn sie bräuchten heute schon einen Stundenlohn von 11,35 Euro, um nach 45 Jahren eine Rente zu bekommen, die oberhalb von Hartz IV liegt. Nur weil er jetzt dann 8,50 Euro hätte, würde zum Beispiel Altersarmut dadurch nicht verhindert."

    IG Metall verlangt 5,5 Prozent mehr Geld
    In der Elektroindustrie wird an vielen Stellen ein Lohn von 17 Euro gezahlt. (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Keine Hilfe für Aufstocker
    SPD und Linke sind überzeugt, dass der Mindestlohn die Problematik von Aufstockern lösen kann. Zehn Milliarden Euro gibt der Staat für Menschen aus, die so wenig verdienen, dass sie zusätzliche finanzielle Hilfen vom Staat benötigen. Aber nur Menschen, die Vollzeit arbeiten, bleibt der Gang ins Jobcenter künftig erspart, wenn ein Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt wird. Für die überwiegende Zahl der sogenannten Aufstocker ändere sich nichts, so Professor Sell.

    "Über 60 Prozent der Aufstocker sind Menschen, die ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, einem 450-Euro-Job. Und auch wenn sie jetzt statt 7 Euro 8.50 Euro bekämen, lösen sie damit das Aufstockungsproblem nicht, weil sie immer noch anteilig so wenig verdienen, dass sie immer noch Anspruch haben werden auf aufstockende Sozialleistungen."

    Die zweite große Gruppe, die auf Sozialtransfer angewiesen ist, sind Familien. Auch ihnen helfen 8,50 nicht weiter, argumentiert der Sozialwissenschaftler.

    "Wenn Sie beispielsweise mit ihrem Lohn eine Familie mit zwei Kindern ernähren müssen, dann müssten sie heute schon Stundenlöhne haben, die das Doppelte oder mehr von den diskutierten 8,50 betragen. Und das hängt damit zusammen, dass in Deutschland der Familienlastenausgleich so schlecht organisiert ist, dass Kinder ein Armutsrisiko wären."

    Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell
    Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Keine negativen Beschäftigungseffekte
    Die Wirtschaftsinstitute warnen davor, den Mindestlohn mit überzogenen Hoffnungen zu befrachten. Als Allheilmittel gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit könne er nicht dienen. Auf der anderen Seite mehren sich aber auch jene Stimmen, die im Hinblick auf seine möglichen negativen Auswirkungen zu mehr Gelassenheit auffordern. Denn dass ein Mindestlohn massiv Arbeitsplätze vernichten oder die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Wirtschaft infrage stellen würde, dafür fehlen die Anhaltspunkte. Der Tarifexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Hagen Lesch:

    "Schaut man auf unsere tariflichen Branchenmindestlöhne, die wir etwa am Bau oder den Gebäudereinigern haben, dann haben auch Institute festgestellt, es hat bislang keine negativen Beschäftigungseffekte gegeben."

    20 der 27 Mitgliedstaaten der EU verfügen über einen allgemeinen Mindestlohn. Großbritannien könne als Indikator dienen, glaubt Thorsten Schulten, Tarifexperte der DGB-eigenen Hans-Böckler-Stiftung.

    "Die Erfahrungen sind für uns interessant, weil Großbritannien erst im Jahr 2000 den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat. Wir sehen erst einmal da, dass die Erfahrungen mit diesem Modell in Großbritannien sehr positiv sind. Das heißt, es sind sich im Prinzip alle Parteien einig, der Mindestlohn hat dort nicht zu Beschäftigungsverlusten geführt, er hat keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gehabt."

    Von dieser gemeinsamen Sicht der Dinge sind die Parteien in Deutschland ein gutes Stück entfernt. Die CDU hält an ihrem Vorschlag der sogenannten Lohnuntergrenze fest. Sie möchte überall da, wo die Gewerkschaften nicht ausreichend organisiert sind oder die Arbeitgeber bislang an einer tariflichen Regelung der Löhne und Gehälter kein Interesse zeigten, diese gesetzlich verpflichten, sich an einen Tisch zu setzen. Beide Parteien sollen dann eine Kommission bilden, die eine tarifliche Lohnuntergrenze aushandelt. Das den Arbeitgebern nahestehende Institut der Deutschen Wirtschaft hält das für die bessere Lösung als den gesetzlichen Mindestlohn. Hagen Lesch:

    "Also, der entscheidende Vorteil, dass die Tarifparteien stärker eingebunden sind, wie es dann auch bei Lohnuntergrenzen der Fall wäre, könnte darin bestehen, dass wir keinen politischen Lohn bekommen. Wenn sie einen Mindestlohn einführen, egal ob er bei 7,50 als Kompromiss oder bei 8,50 vom Niveau her liegen wird, sie werden immer eine politische Diskussion darüber haben, ob die 8,50 angemessen sind. Das eigentliche Argument ist doch, alles, was unter 8,50 ist, ist eine unfaire Entlohnung, das sind Schmuddellöhne, solche Arbeitsplätze dürfen gar nicht entstehen."

    Das sei zwar gut gemeint, entgegnet DGB-Experte Schulten, aber leider funktioniere es eben nicht ohne gesetzliche Regelung.

    "Wir reden ja nur deshalb über einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland, weil eben in Teilen der Wirtschaft die Tarifautonomie nicht funktioniert, weil die Arbeitgeber, das muss man so sagen, nicht bereit sind, Verträge abzuschließen, die per Tarifvertrag einen Mindestlohn sichern."

    Unkooperative Fleischindustrie
    Anfang Oktober meldet das Magazin "Der Spiegel", die deutsche Fleischindustrie, allen voran der Branchenprimus Tönnies, habe keine Lust mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten, NGG über Mindestlöhne zu verhandeln. Dann, eine gute Woche später, vermeldet das Magazin, die Großschlachtereien, die dafür bekannt sind, jedes Schlupfloch auszunutzen, um Billiglöhner einzustellen, hätten es sich anders überlegt. Inzwischen gibt es einen Verhandlungstermin, den 22. Oktober. Aber was die Erfolgsaussichten angeht, ist der saarländische NGG-Vorsitzende Mark Baumeister skeptisch. Aus Sicht der Gewerkschaft wird auch das von der CDU favorisierte Modell einer an die Branche gekoppelten Lohnuntergrenze nicht viel nützen. Mark Baumeister.

    "Ich habe berechtigte Zweifel. Wenn ich Betriebe der Fleischwarenindustrie, wie hier in Saarbrücken ein großes Unternehmen, sehe, der hat sich seit Jahrzehnten jeder Tarifbindung verweigert, jedem Gespräch als Sozialpartner und arbeitet massiv mit Werkverträgen. Was soll sich daran denn dann ändern? Deshalb hilft nur ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn, der gleiche Standards setzt."

    Darüber hinaus existierten überhaupt keine Kontrollmechanismen, die gewährleisten, dass Lohnuntergrenzen auch eingehalten würden.

    In der Backstube von Bäckermeister Schäfer sind die Brötchen schon fertig gebacken und auch das Brot bereits ausgeliefert. Eine Maschine formt süße Teiglinge.

    "Leute nicht mehr ohne Tarif abspeisen"
    "Das sind Hefeteige, da machen wir noch Zöpfchen und gefüllte Kränze mit Nussfüllung, Butter- und Streuselkuchen, wird heute alles gemacht."

    Seit der letzten Verhandlungsrunde arbeitet in saarländischen Backstuben niemand mehr, auch die Aushilfen nicht, unter 8,50 Euro. So steht es im Tarifvertrag. Und der überwiegende Teil der Betriebe hielte sich auch daran, ist Landesinnungsmeister Roland Schäfer überzeugt.

    "Sie können heute die Leute nicht mehr ohne Tarif oder einen Mindestlohn abspeisen, das funktioniert nicht."

    Der Diskussion um Mindestlöhne sieht Schäfer dennoch sorgenvoll entgegen.

    "Ich bin absolut gegen Mindestlöhne, festgeschrieben von A-Z. Das bringt nix. Ein Leistungsanreiz sollte immer da sein. Und wir als Unternehmer, wir machen dann auch nur einen Mindestlohn, weil, mehr müssen wir ja nicht. Denn wenn ich weiß, dass keiner meiner Kollegen mehr bezahlt, dann brauch’ ich meinen guten Leuten auch nicht mehr bezahlen, denn sie haben ja keine Chance. Jede Medaille hat zwei Seiten."

    Die von Roland Schäfer geschilderte Problematik ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Beispiel dafür ist die Pflegebranche. In der Pflege wurden Mindestlöhne vereinbart, in den ostdeutschen Bundesländern acht und im Westen neun Euro. Und diese Mindestlöhne hätten nivellierend gewirkt. Arbeitgeber, die sich bislang an Tariflöhnen orientiert hätten, hätten mit Hinweis auf die Konkurrenz neue Beschäftigte nur noch zu Mindestlöhnen eingestellt. Die Entwicklung sei kritisch zu betrachten, sagt der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell, verweist aber auf den seiner Ansicht nach wichtigeren Kern der Regelung:

    "Wenn Sie eine Branche haben, wo viele Arbeitgeber gar nicht tarifgebunden sind, die auch nicht beim Arbeitgeberverband sind, wo die Gewerkschaften schwach sind, dass es dort eine Tendenz gibt, die Löhne nach unten zu orientieren. Deshalb ist es so wichtig, dass man in diesen Branchen begreift, dass ein gesetzlicher Mindestlohn nur eine - und die ist allerdings wichtig - Funktion haben kann, sozusagen die letzte Lohnuntergrenze, bevor der Absturz nach unten kommt."

    Für die Gewerkschaften ist der gesetzlich festgelegte Mindestlohn das probateste Mittel, eine Lohnspirale nach unten zu stoppen. Lohnuntergrenzen, die nach dem Willen der Unionsparteien je nach Kaufkraft regional unterschiedlich ausgestaltet werden sollen, erscheinen den Gewerkschaften nicht sicher, weil sie auch Tarifvereinbarungen zulassen, die weit unter den geforderten 8,50 Euro liegen. Hinzukommt, dass immer mehr Unternehmen aus der Tarifbindung ausscheren. Karstadt oder Globus sind prominente Beispiele. In den ostdeutschen Ländern arbeiten nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit inzwischen 51 Prozent der Beschäftigten ohne Tarifvertrag, im Westen sind es 40 Prozent. Täglich kämen neue Fälle hinzu, auch aus den Reihen der tariftreuen Bäcker, sagt NGG-Geschäftsführer Mark Baumeister.

    "Die Erfahrung aus der Vergangenheit hat gezeigt, wenn wir einen Betrieb erwischt haben, der keinen Tarif bezahlt hat, dann ist er aus der Bäckerinnung ausgetreten. Folglich galten die Tarifverträge nur noch für Gewerkschaftsmitglieder, die zu diesem Zeitpunkt dabei waren. Es sind viele Hundert Fälle im Jahr, wo Mitarbeiter hier bei uns auftauchen und sagen, ich müsste doch eigentlich nach Tarif bezahlt werden und bekomme es nicht."

    Lohndumping nennt Baumeister Löhne unter 8,50 Euro.

    "Wir haben auch Betriebe, die sagen, ich kann mir den Tariflohn nicht mehr erlauben, weil einfach der Betrieb nebenan frei von Tarifverträgen arbeitet durch Ausnutzung aller möglichen Schlupflöcher. Sie verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil auf Kosten der Allgemeinheit und auf Kosten der Betriebe, die sich an die Spielregeln halten, die zu ihren Mitarbeitern fair sind und gute Löhne zahlen."

    Brot - in Kroatien derzeit knapp
    Die Bäckerinnung des Saarlandes hat sich selbst einen Mindestlohn verschrieben. (AP)
    Vorbild Großbritannien
    Im europäischen Vergleich liegt ein Mindestlohn von 8,50 Euro nicht besonders hoch. Beim Spitzenreiter Luxemburg werden 10,83 Euro gezahlt, in Frankreich 9,43 Euro, in Irland 8,65 Euro und in Großbritannien 7,63 Euro. In den unterschiedlichen Sätzen spiegeln sich Durchschnittslöhne, Kaufkraftpotenziale und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft wider. Und weil sowohl die Leistungsfähigkeit der Betriebe als auch Einkommen und Kaufkraft regional sehr unterschiedlich verteilt seien in Deutschland, mahnen Befürworter wie Gegner eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes eine intensive Diskussion über die richtige Höhe an.
    Hagen Lesch:

    "Davon abgesehen müsste man auch über eine regionale Differenzierung diskutieren, denn immer wenn man mit Menschen über den Mindestlohn spricht, dann stellen sie sehr schnell fest, in zentralen Ballungsräumern zum Beispiel wie unten in Baden-Württemberg, ist 8,50 Euro ein Problem, um Miete und Lebenshaltungskosten zu zahlen. In leeren Räumen wie im Ruhrgebiet zum Teil oder auch in vielen Regionen Ostdeutschlands kommen sie mit 8,50 komfortabel hin, mir fehlt die regionale Differenzierung."

    Für Unternehmen, die Branchenmindestlöhne ausgehandelt haben, die unter 8,50 Euro liegen, wie etwa in weiten Teilen des Wach- und Sicherheitsgewerbes wäre die Zielmarke ein Problem. Diese Situation dürfe die Politik nicht aus dem Auge verlieren, argumentiert der zu den Mindestlohnbefürwortern zählende Sozialwissenschaftler Stefan Sell.

    "Diese Zahl ist ja einfach mal so entstanden und in den politischen Raum geworfen worden. Insofern würde es eigentlich korrekter sein, wenn man sagt: Wir brauchen einen Mindestlohn, wir werden auch einen einführen, aber über die konkrete Höhe müssen wir noch einmal sachlich diskutieren."

    Großbritannien gilt deshalb vielen Experten als nachahmenswertes Beispiel. Dort gibt es eine Kommission, zusammengesetzt aus Vertretern der Arbeitgeber, Gewerkschaftern und Wissenschaftlern, die jährlich auf Basis von Studien und Analysen der Regierung eine Anpassung des Mindestlohnes nach oben oder unten empfehlen. Am Ende steht allerdings auch in Großbritannien ein politischer Lohn. Dass auch Deutschland neben der Tarifautonomie ein neues Instrument benötigt, das dort eingesetzt wird, wo Tarifparteien entweder nicht existieren oder nicht zueinanderfinden, hat auch die CDU bereits mit ihrem Modell der Lohnuntergrenze anerkannt. Und wenn keine Gegenbewegung einsetzt und die Tarifbindung der Unternehmen weiter bröckelt, wird die Politik in der Frage der Lohnfindung ihre Verantwortung übernehmen müssen.