Heuer: Die Arbeitgeber haben bis zu 1,2 Prozent mehr Lohn angeboten. Frank Bsirske hat das ausgeschlagen und spricht von einer Provokation. Hätten Sie das Angebot akzeptiert?
Mai: Nein, natürlich hätte ich das nicht akzeptiert. Das ist ein Angebot, das weit weg von dem liegt, was andere Branchen bekommen haben. Das ist auch weit weg, von dem, was auch die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst bekommen sollten, nämlich ein Inflationsausgleich und ein Anteil am Wirtschaftswachstum.
Heuer: Angeblich waren aber die Arbeitgeber vorher in der letzten Nacht zu mehr bereit, als in ihrem Angebot steht. Bei wie vielen Prozentpunkte hätten Sie denn eingeschlagen?
Mai: Ich stecke nicht mehr in den Verhandlungen. Da steht es mir nicht mehr zu, jetzt Ratschläge zu geben. Ich gebe weder Ratschläge für die Arbeitgeber noch für Frank Bsirske und Ver.di. Aber ich kenne die Verhandlungssituation und weiß, dass in solchen Verhandlungsnächten immer wieder ausgelotet wird, wo der Horizont sein könnte, mit dem beide Seiten leben können. Da werden viele Szenarien und Modelle durchgesprochen und durchgespielt, um dann zu schauen, ob wir zu einem Ergebnis am Verhandlungstisch kommen oder nicht. Ich bin sicher, dass auch in der letzten Nacht eine ganze Reihe von Szenarien diskutiert worden sind. Es sind sicherlich auch andere Varianten diskutiert worden, zum Beispiel wie man die Arbeitszeitregelung mit Tariferhöhungen koppeln kann. Dass es am Ende doch kein Ergebnis gab, lag wohl daran, dass sich eben beide Seiten nicht einigen konnten und jetzt in die Schlichtung gehen.
Heuer: Dann legen wir doch eine objektive Stellungnahme auf den Verhandlungstisch. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Köln hatte im November erklärt, anderthalb Prozent Gehaltsteigerung im Öffentlichen Dienst seien zu verkraften, und das wäre angemessen. Finden Sie das auch?
Mai: Das sehe ich insofern als problematisch an, weil man nicht nur die Gehaltserhöhungen berücksichtigen darf oder sehen muss. Sondern es kommt darauf an, dass wir auch im Öffentlichen Dienst die Chance jetzt nutzen, zu anderen Strukturen zu kommen. Das habe ich auch schon als ÖTV-Vorsitzender vertreten. Wir brauchen endlich gemeinsame Regelungen für Arbeiter und Angestellte. Die traditionelle Trennung muss tendenziell aufgehoben werden. Wir brauchen andere Regelungen über die Arbeitszeiten innerhalb des Öffentlichen Dienstes. Und wir brauchen vor allen Dingen eine Leistungsorientierung in den Tarifverträgen. Wenn man versucht, mit diesen Fragen mit einer Tariferhöhung gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, ist sicherlich auch eine Lösung am Verhandlungstisch möglich oder jetzt eine Lösung in der Schlichtung.
Heuer: Aber da stellt sich immer noch die Frage nach einer konkreten Zahl, denn daran kommen ja die Verhandlungspartner nicht vorbei.
Mai: Das ist richtig, aber in den letzten Jahren ist es immer wieder zu Einigungen gekommen, die nicht nur die nackten Zahlen betrachtet haben, sondern beispielsweise die Laufzeit oder Strukturfragen einbezogen haben. Denn am Ende muss es ja so sein, dass beide Seiten mit dem Ergebnis leben können. Beide Seiten müssen das Gesicht wahren können. Es macht überhaupt keinen Sinn, in den Verhandlungen der anderen Seite das Gesicht so zu zerkratzen, dass man am Ende auch intern mit dem Ergebnis nicht bestehen kann. Da habe ich sowohl meine Erfahrungen, als auch die Arbeitgeberseite.
Heuer: Gesichtswahrung scheint auch für Frank Bsirske ganz wichtig zu sein. Er hat ja bekräftigt, seine Forderung sei drei Prozent plus x. Jetzt geht es in die Schlichtung. Ist denn bei einer solchen Position die Enttäuschung der Arbeitnehmer auch nach der Schlichtung nicht vorprogrammiert?
Mai: Ich sehe die Gefahr und habe ja schon öffentlich geäußert, dass sich der Erwartungshorizont so hoch geschraubt ist, auch durch die Aktionen, die gelaufen sind, dass man am Ende nur ganz schwer zu einem Ergebnis kommt. Tatsache wird sein, dass in der Schlichtung die Ausgangsposition der Gewerkschaft Ver.di drei Prozent plus x ist, einschließlich der Angleichung der Ostgelder bis 2007, die Arbeitgeber maximal 1,2 Prozent angeboten haben. Dazwischen wird irgendwo eine Lösung sein. Das ist das Problem. Eine Forderung kann nicht gleich Abschluss sein. Genauso, wie auf der anderen Seite die absolute Blockade, das heißt die Nullrunde kein Ergebnis sein wird, sondern es wird irgendwo dazwischen liegen. Ob das dann im Sinne von Zufriedenheit ausgeht, das bleibt noch abzuwarten.
Heuer: Das würde heißen, Herr Bsirske war zu unflexibel.
Mai: Das will ich nicht sagen. Die Forderung war ja sehr klug. Sie war strategisch auch gut platziert. Die Problematik liegt darin: Wenn ich eine Forderung stelle, muss ich wissen, dass darüber eben verhandelt wird.
Heuer: Es werden drei Prozent plus x verhandelt. Wäre es besser gewesen, Ver.di wäre mit einer anderen Zahl ins Rennen gegangen, zum Beispiel mit sechseinhalb Prozent oder wie 2000, als die ÖTV noch verhandelte, fünf Prozent?
Mai: Hinterher ist man sicher immer klüger. Da will ich auch überhaupt kein Urteil fällen. Aber Tatsache bleibt natürlich, dass dieses Mal der Öffentliche Dienst in einer ganz schwierigen Situation ist. Ich glaube, so schwierig war es noch nie. Die Kommunen haben praktisch überhaupt keine Mittel mehr. Sie müssen ja zum Teil Haushalte zurückziehen, müssen sich weiter hoch verschulden. Das ist sicher ein Ergebnis, für das die Arbeitgeber nichts können. Aber es ist Fakt. Und ich denke, dass das in diesem Jahr so massiv auf die Tarifrunde einwirkt, dass es auch für die Schlichter ganz schwer wird, zu einer Einigung zu kommen. Ich habe vier Mal in Schlichtungen gesessen und weiß, wie schwierig dieser Prozess ist. Es muss nämlich immer ausgelotet werden, ob es ein Ergebnis gibt, das beide Seiten auch nach innen vertreten können, für das beide Seiten auch die Mehrheiten bekommen. Das ist auf der Arbeitgeberseite bei der Struktur nicht einfach und bei den Gewerkschaften mit Sicherheit auch nicht.
Heuer: Es ist schön, dass Sie auch Verständnis für die Arbeitgeberseite haben. Zu ihr gehört ja Bundesinnenminister Otto Schily. Er hat im Vorfeld gesagt, Lohnerhöhungen könnten nur durch Entlassungen gegenfinanziert werden. Das ist doch keine leere Drohung.
Mai: Nein, das ist ja leider auch Praxis, dass der Öffentliche Dienst Beschäftigung abbaut. Ich sehe allerdings nur die Gefahr, dass, je nach dem wie die Tarifrunde ausläuft, die alte Übereinkunft, die zumindest für den Westen in den letzten 50 Jahren galt und auch gehalten wurde, nämlich dass keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden, sondern dass man Anpassungen auf anderem Wege vornimmt, wenn denn abgebaut wird oder werden muss, aufgekündigt wird und dass Arbeitgeber anders handeln müssen. Ich denke, dass beide Seiten daran arbeiten müssen, dass dieser Konsens, also keine Entlassungen im Öffentlichen Dienst, gehalten wird.
Heuer: Wenn diese alte Übereinkunft tatsächlich aufgekündigt werden könnte, wenn das droht, dann würde das doch bedeuten, dass die neue Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di nicht so sehr die Arbeitnehmer vertritt, die ihren Job dann verlieren könnten, sondern die Arbeitnehmer, die dann am Ende möglichst viel Geld bekommen.
Mai: Ja, die Gefahr besteht, dass man nur die Belegschaft im Auge hat, die noch letztlich den Arbeitsplatz erhalten wird und erhalten kann, und nicht diejenigen, die draußen stehen. Aber die Stärke einer Gewerkschaft besteht ja darin, immer auch gesamtpolitische Verantwortung für den Arbeitsmarkt und für die, die noch Arbeit suchen, zu übernehmen. Das ist bisher Praxis gewesen, wird auch in den Betrieben als ein Solidaritätsansatz anerkannt. Ich hoffe, dass diese Zielsetzung von den Gewerkschaften nicht verlassen wird. Nach dem, was ich bisher höre, wird sie nicht verlassen. Aber die Gefahr besteht, wenn man zu sehr und zu einseitig die Lohn- und Gehaltserhöhungen fokussiert. Man sollte auch mit den Arbeitgebern bezüglich der Arbeitsplatzsicherheit und des Erhalts der Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst zu Vereinbarungen kommen. Ich habe es mal mit Kanther versucht. Damals war die Arbeitgeberseite nicht bereit, zu solchen Vereinbarungen zu kommen. Die Zeiten sind jetzt anders. Damals hatten wir nur zweieinhalb Millionen Arbeitslose, mittlerweile sind es vier Millionen. Es wäre an der Zeit, dass beide Seiten auch in der Frage aufeinander zugehen.
Link: Interview als RealAudio