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"Keine gesellschaftliche Zustimmung" zu Schuluniformen

Der Bonner Schuldirektor Ulrich Stahnke hält Schuluniformen in Deutschland für nicht durchsetzbar. "Insgesamt gibt es keine gesellschaftliche Zustimmung zu einem solchen Verfahren", sagte der Leiter der Bertolt-Brecht-Gesamtschule. Nachdem dort zwei Schülerinnen islamischen Glaubens nahezu komplett verhüllt zum Unterricht erschienen waren und daraufhin einen Verweis erhalten hatten, hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) eine einheitliche Schulkleidung vorgeschlagen.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Man könnte meinen, das Sommerloch ist schon da, die Themenarmut, denn immer dann taucht das Thema Schuluniform regelmäßig auf. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat die Diskussion um Kleidungsformen an der Schule angeregt, dies vor dem Hintergrund eines Streits an der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Bonn. Nach den Osterferien waren dort zwei 18-jährige Schülerinnen in der Burka gekleidet zum Unterricht erschienen, also ein Stofftuch, das Kopf und Körper der Frau komplett verhüllt. Damit die Trägerin, in diesem Fall also die Schülerin, überhaupt etwas sehen kann, ist im Bereich der Augen ein Schleier oder eine Art Stoffgitter eingesetzt. Nun sagte also Frau Zypries, es gäbe eine verhältnismäßig einfache Lösung zur Konfliktvermeidung. Alle Schülerinnen und Schüler sollen "einheitliche Schulkleidung tragen".

    Am Telefon ist jetzt Ulrich Stahnke. Er ist Schuldirektor der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Bonn. Ich grüße Sie, Herr Stahnke!

    Ulrich Stahnke: Guten Morgen, Herr Remme!

    Remme: Herr Stahnke, ist es so einfach?

    Stahnke: Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Das Ganze kommt mir ehrlich gesagt ein bisschen so vor, wenn ich das mal so vergleichen darf, als wenn mitten auf einem See jemand, der ein schlechter Schwimmer ist oder ein Nichtschwimmer ist, um sein Leben kämpft und gleichzeitig von draußen jemand ruft, der Schwimmunterricht muss jetzt entscheidend verbessert werden. Ich sehe das im Moment aus meiner Sicht eher so, dass im Grunde genommen erst einmal dafür gesorgt werden muss, dass an dieser Stelle, sprich in unserem Fall, ich sage mal, die Rettung eingeleitet wird, und das Problem gelöst wird.

    Remme: Der Verweis, Herr Stahnke, kam ja nach den Osterferien. Herrscht seitdem an Ihrer Schule Ausnahmezustand, oder ist das übertrieben?

    Stahnke: Das ist sicherlich übertrieben insofern, weil wir in den letzten Tagen auch durch Gespräche mit den Schülerinnen und den Schülern dafür gesorgt haben, dass klar wird, dass es sich um ein Problem handelt, das wir jetzt lösen möchten und lösen müssen. Ansonsten glaube ich macht sich bemerkbar, dass wir vorab immer eine gute Kommunikation mit allen Schülerinnen und Schülern gepflegt haben, gerade auch mit denen, die keiner christlichen Religion angehören.

    Remme: Sie stehen also in Kontakt mit den beiden Schülerinnen und ihren Familien?

    Stahnke: Ich muss einfach sagen, der Kontakt wird vor allen Dingen hergestellt durch die muslimischen Schülerinnen an unserer Schule, die dort in ganz besonderer Weise sich engagieren, und durch eine sehr engagierte Lehrerin, die weiterhin versucht, Kontakt auch zu Gruppen zu vermitteln, die im Glauben des Islam stehen. Ich glaube, es ist ganz wichtig zu verstehen, dass eigentlich die Unterstützung und die Lösung des Problems nur kommen kann mit der Unterstützung derjenigen, die selbst in diesem Glauben sind. Das glaube ich, können keine anderen Gruppen tun, die einer anderen Religion angehören, weil sie einfach in dem Sinne auch nicht, ich sage mal, als ernsthafte Gesprächspartner in dieser Frage wahrgenommen werden.

    Remme: Herr Stahnke, wenn ich es richtig sehe, dann endet der Verweis am kommenden Donnerstag. Ist schon klar, wie es danach weiter geht?

    Stahnke: Ich gehe weiterhin davon aus, dass wir nach den Zeichen und Signalen, die wir empfangen haben, bis Donnerstag eine Lösung haben werden. Ich bin ja als Pädagoge grundsätzlich immer dazu aufgefordert, der Hoffnung einen ganz großen Raum einzuräumen, und das tue ich auch weiterhin. Sollte das nicht der Fall sein, sind weitere Maßnahmen mit der Bezirksregierung und dem Schulministerium abgesprochen. Das heißt, wir werden mit allen Mitteln versuchen, dass dieses nicht geschieht.

    Ich darf vielleicht noch kurz sagen: Es ist eine Burka-ähnliche Bekleidung, das heißt also, eine Ganzkörperverhüllung mit einem Sehschlitz. Ich habe mich inzwischen noch mal belehren lassen, weil ich da auch nicht in allen Einzelheiten drin stecke, dass es sich um eine so genannte Nikab handelt. Aber wichtig ist für uns, dass wir Unterricht durchführen können, ohne dass wir jedes Mal neu identifizieren müssen, wer da vor uns sitzt. Ich habe das an vielen Stellen ja schon gesagt: Uns ist es wichtig, dass wir Menschen ins Gesicht sehen können und diese Menschen sich auch nicht durch ihre Bekleidung selbst gefährden.

    Remme: Nehmen wir den Vorschlag von Frau Zypries noch einmal vor, Herr Stahnke. Was wären denn, wenn Sie uns das mal konkret schildern, die Folgen einer Uniform, dass heißt also, dass die Mädchen und die Jungen im Prinzip das gleiche, sagen wir Hose, Sweatshirt, was immer sich dahinter verbirgt, tragen würden?

    Stahnke: Ich denke, man könnte in vielen Bereichen auf die anderen Überlegungen und Hinweise und Vorschriften, die man in einer Schulordnung sonst zusammenfasst, verzichten. Man könnte sicherlich auch auf die jeweilige Diskussion verzichten: Ist das nun bauchfrei, ist das nicht bauchfrei, wie weit ist das noch in Grenzen dessen, was man individuell akzeptieren kann? Das heißt, die Diskussionen blieben uns an dieser Stelle sicherlich erspart, aber ich muss ganz ehrlich sagen: Für durchsetzbar halte ich solche Überlegungen eigentlich nicht. Das einzige, was vielleicht helfen könnte, wäre, wenn man es für einen längeren Zeitraum doch einzelnen Schulen selbst überlassen würde, in einer solchen Frage auch zu entscheiden, und einmal Versuche zu machen. Denn ich glaube, insgesamt gibt es keine gesellschaftliche Zustimmung zu einem solchen Verfahren.

    Remme: Es ist ja nicht nur ein Vorschlag, der im Zusammenhang mit religiösen Symbolen aufgebracht wird, sondern auch eine Methode - zumindest so sagen es die Befürworter -, dem Markenfetischismus entgegenzuwirken. Sie sind Direktor einer Gesamtschule. Das Spektrum der Schule ist entsprechend breit. Wie groß ist dieses Problem?

    Stahnke: Das ist sicherlich ein Problem. Ich weiß nur nicht, ob man es tatsächlich damit lösen kann. Ich bleibe da weiterhin skeptisch, weil wir doch große Vorteile sicherlich dadurch hätten. Aber auf der anderen Seite muss es natürlich auch etwas länger vorbereitet werden und von Familien, von Eltern, von den Schülerinnen und Schülern doch zu einer gewissen Akzeptanz kommen. Da habe ich im Moment noch meine Zweifel, ob das überhaupt möglich ist. Aber ich sage ganz ehrlich: Ich könnte mir schon vorstellen, dass Schulgemeinden sich damit auseinandersetzen und vielleicht zu einem solchen Vorschlag kommen und ihn vielleicht auch ausprobieren können.

    Remme:! Herr Stahnke Sie haben in diesem Fall der beiden Schülerinnen eigentlich von allen Seiten Unterstützung für Ihre Maßnahme erhalten, selbst vom Zentralrat der Muslime. Gab es auch Kritik?

    Stahnke: Es gibt auch Kritik. Die Kritik hält sich natürlich in Grenzen, was die Quantitäten angeht, aber es gibt natürlich immer wieder welche, die der Auffassung sind, da es sich hier um religiöse Symbole handelt, möge man die doch in einer Schule zulassen. Die Religionsfreiheit müsse so weit gehen. Ich sage ganz ehrlich: Ich sehe das ganz anders. Mir geht es auch gar nicht um das Thema Religionsfreiheit an dieser Stelle, sondern mir geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht mit offenem Gesicht uns gegenüber treten, dass man sie bewerten kann, dass man sie identifizieren kann und dass man auch im Unterricht ohne zusätzliche Gefahrenquellen mit ihnen arbeiten kann. Die Frage, die dort immer wieder in besonderer Weise überhöhend durch die Religion eingeführt werden soll, sehe ich nicht, aber insgesamt, denke ich, sind sich auch vor allen Dingen die Mitschülerinnen und die Lehrerinnen und Lehrer einig, dass dieses in einer Schule nicht möglich ist, wenn man von einem Menschen nur noch die Augen erkennen kann und ansonsten nichts mehr.

    Remme: Ulrich Stahnke, Direktor der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Bonn. Herr Stahnke, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Stahnke: Ich bedanke mich auch.