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Keine "grundlegenden Änderungen am Sparprogramm" für Griechenland

Einen Etappensieg nennt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer, den Wahlausgang in Griechenland. Die Aussicht auf eine stabile Regierung lasse hoffen, dass die Spar- und Konsolidierungsanstrengungen ernsthaft wiederaufgenommen würden.

Michael Kemmer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Befürchtungen, sie waren gewaltig vor der Neuwahl in Griechenland. Hätte das linke SYRIZA-Bündnis den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, hätte das die internationalen Börsen auf eine Achterbahnfahrt geschickt, die uns noch Wochen beschäftigt hätte. Nachdem aber klar war, dass die konservative Nea Dimokratia die Wahlen gewonnen hat, ging ein Aufatmen durch Europa. Der Börsenabsturz, der blieb aus – zunächst zumindest. In Athen selbst haben die Gespräche begonnen, eine Regierung zu bilden.
    Am Telefon begrüße ich den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer. Schönen guten Morgen, Herr Kemmer.

    Michael Kemmer: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Kemmer, die internationalen Börsen haben mit durchaus Erleichterung auf die Wahl in Griechenland reagiert. Zugleich muss der spanische Staat sieben Prozent Zinsen zahlen, um an frisches Geld zu kommen. Das ist der höchste Wert seit Einführung des Euro. Das heißt, die Schuldenkrise in Europa ist alles andere als erledigt?

    Kemmer: Das kann man absolut so sagen, sie ist alles andere als erledigt. Aber sie hat sich natürlich schon ein bisschen stabilisiert, oder die Situation hat sich stabilisiert. Das hätte in Griechenland schon viel schlimmer kommen können und ich glaube, wir sollten alle miteinander froh sein, dass es wohl eine stabile Regierung in Griechenland geben wird, und diese Regierung muss die Zeit nutzen. Sie hat ja jetzt über die letzten Monate schon einige Zeit verloren im Reformprogramm und sie muss jetzt die Zeit wieder aufholen und muss ganz klare Schritte setzen, um die notwendigen Maßnahmen durchzuziehen. Das heißt: Konsolidierung der Staatsfinanzen, Reform des öffentlichen Apparates, Privatisierungen und, und, und. All das Programm, was man immer schon den Griechen auch ins Stammbuch geschrieben hat. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass die neue Regierung das jetzt sehr schnell und sehr kraftvoll angeht.

    Heckmann: Aber in Griechenland kommen jetzt die Parteien an die Macht, aller Voraussicht nach, die das Desaster überhaupt erst ausgelöst haben. Wie optimistisch sind Sie denn, dass die diese Probleme lösen können?

    Kemmer: Das ist das große Problem in Griechenland, dass die beiden großen Parteien beide einen Gutteil Mitverantwortung haben für die Krise. Aber es sind nun mal die großen Parteien und die Leute, die jetzt an der Macht sind, machen einen durchaus vernünftigen Eindruck und sie haben ja auch gesagt, sie wollen auf jeden Fall an dem Sparkurs festhalten. Das ist auch alternativlos. Ich glaube, es ist wichtig, dass man mit ihnen spricht. Da gibt es sicherlich auch Themen der Gesichtswahrung gegenüber den Wählern und, und, und. Es wird da sicherlich niemand auch stur sein. Aber ich glaube, es ist schon sehr, sehr wichtig, dass man auch hier nicht übermäßig Fristen verlängert und sonstige große Zugeständnisse macht, denn es muss auch eine disziplinierende Wirkung ausgehen von dieser Situation, denn die Ansteckungseffekte, Sie haben es angesprochen, sind ja unübersehbar. Das heißt, es ist schon wichtig, dass die Europäische Union hier Flagge zeigt und dafür sorgt, dass in Griechenland die Dinge weitergehen.

    Heckmann: Antonis Samaras von der Nea Dimokratia, der hat ja eine zeitliche Streckung des Sparprogramms gefordert, im Wahlkampf schon. In Berlin wird durchaus kontrovers diskutiert, auch sogar innerhalb der Regierung und innerhalb der Koalition. Werden wir denn an Änderungen des Sparprogramms überhaupt vorbeikommen?

    Kemmer: Also es wird sich sicherlich niemand der notwendigen Flexibilität verschließen, über zeitliche Streckungen wird man reden können. Grundlegende Änderungen am Sparprogramm sehe ich nicht, das kann nicht sein, denn Griechenland braucht dieses Sparprogramm. Es ist ja nicht so, dass die Griechen dieses Sparprogramm durchziehen für die Europäische Union; sie machen es für die eigene Wirtschaft, für die eigene Mobilisierung der Kräfte. Wie gesagt, es wird hier niemand stur sein, man wird sprechen. Aber viel Raum für Streckungen und sonstige Flexibilitäten sehe ich hier nicht.

    Heckmann: Wie viel Raum wäre denn da für eine zeitliche Streckung?

    Kemmer: Na gut, das kann man schwer in Wochen und Monaten beziffern. Da muss man sich die gesamte Situation noch mal anschauen. Es macht auch keinen Sinn, den Griechen irgendwelche völlig unrealistischen Auflagen zu machen. Das wird man sehr geduldig und detailliert besprechen müssen. Aber ich bin da schon dafür, auch die Reihenfolge einzuhalten, und die Reihenfolge muss zunächst mal sein, dass die Griechen das tun, was sie auch sehr kurzfristig tun können, und wenn das dann nicht so schnell wirkt, wie alle miteinander hoffen, dann wird man sicherlich auch darüber sprechen können, dass man bestimmte Rückzahlungsmodalitäten noch streckt. Aber wichtig ist, dass wir die richtige Reihenfolge einhalten.

    Heckmann: Aber aus Athen kommt schon die Forderung nach einem zweijährigen Moratorium. Ist das eine realistische Forderung?

    Kemmer: Das kann ich von außen schwer beurteilen. Wie gesagt, das Wichtige ist, dass die Sparanstrengungen und die Konsolidierungsanstrengungen aufgenommen werden. Da ist schon etwas passiert. Aber wie gesagt, es gab Stillstand über die letzten Monate wegen der politischen Situation, und ich glaube, die Europäische Union braucht hier ein klares Signal aus Griechenland, dass der politische Wille vorhanden ist, die Dinge wieder massiv in Angriff zu nehmen. Dann wird man über alles Weitere auch reden können.

    Heckmann: Eine zeitliche Streckung könnte oder dürfte zumindest auch zusätzliches Geld kosten. Wären die deutschen Banken denn bereit, auf weiteres Geld zu verzichten?

    Kemmer: Die deutschen Banken haben, wie alle oder viele Banken, schon auf einen ganz erheblichen Teil ihrer Forderungen an Griechenland verzichtet. Die Forderungsbestände deutscher Banken an griechische Unternehmen, an den griechischen Staat sind relativ gering, sie sind auch weitgehend abgeschrieben. Das heißt, Griechenland ist kein Problem mehr für die deutschen Banken, die Entwicklung in Griechenland ist kein Problem mehr für die deutschen Banken, und wie gesagt, die haben schon sehr viel zur Lösung des Problems beigetragen, sodass ich glaube, dass es wichtig ist, dass zunächst mal die Griechen in die Pötte kommen.

    Heckmann: Herr Kemmer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, hat gesagt, Griechenland werde vermutlich in fünf Jahren der Währungsunion nicht mehr angehören. Wie sehen Sie das? Kann Athen dauerhaft im Euro bleiben?

    Kemmer: Ich will darüber nicht spekulieren. Für die Griechen und auch für die Eurozone wäre es natürlich besser, wenn sie im Euroraum bleiben würden. Aber der Karren steckt schon ziemlich tief im Dreck und es sind große Anstrengungen von allen Seiten erforderlich, um den Verbleib in der Eurozone zu gewährleisten. Ich glaube, die Anstrengungen sind den Schweiß der Edlen wert, man sollte da die Flinte nicht vorzeitig ins Korn werfen. Aber es kann natürlich keiner heute sagen, was in ein, zwei, drei, vier, fünf Jahren sein wird, die Situation ist sehr unsicher. Aber wir müssen es versuchen.

    Heckmann: Aber ausschließen würden Sie einen solchen Schritt auch nicht?

    Kemmer: Wer kann heute irgendetwas ausschließen im Zusammenhang mit Griechenland?

    Heckmann: Sie haben von Anstrengungen gesprochen von allen Seiten. Gehört dazu aus Ihrer Sicht auch so etwas wie ein Marshall-Plan für Griechenland, der jetzt dazukommen müsste zu dem bisher verordneten Sparkurs?

    Kemmer: Wichtig ist es natürlich, Wachstumsimpulse zu setzen, weil wir haben in Griechenland eine Negativspirale aus Sparen, aus zurückgehendem Konsum und haben deshalb eine ganz, ganz tiefe Rezession, aus der die Griechen wieder herauskommen müssen. Nur wenn man von Wachstum redet, muss man natürlich auch genau sagen, was man damit meint. Wichtig ist, dass man investive Ausgaben tätigt, die der Wirtschaft auch auf die Beine helfen, dass man nicht nur kurzfristige Strohfeuer zündet mit konsumtiven Ausgaben, und ich muss Ihnen ehrlich sagen, da fehlt mir ein bisschen die Fantasie, auf welcher Seite oder in welchem Bereich man den Griechen momentan mit investiven Ausgaben massiv helfen kann. Da gibt es sicherlich Möglichkeiten, aber da muss man sich sehr genau überlegen, was man tut. Es scheitert ja auch nicht daran, dass die Mittel nicht vorhanden wären, es gibt ja EU-Strukturfonds, die noch gut gefüllt sind, die nur abgerufen werden müssen. Das heißt, die Mittel, um ein Wachstumsprogramm zu finanzieren, sind da. Was im Moment fehlt, sind die guten Ideen, wo man sinnvollerweise das Geld investieren kann.

    Heckmann: Herr Kemmer, Griechenland ist ja bei Weitem nicht das einzige Sorgenkind. Nahezu alle EU-Länder sind überschuldet, auch Deutschland. Die Wirtschaftsweisen, die haben einen sogenannten Schuldentilgungsfonds angeregt. Ein Teil der Altschulden soll dadurch vergemeinschaftet werden. Die Bundesbank, die lehnt das zum jetzigen Zeitpunkt ab. Sie auch?

    Kemmer: Ich weiß nicht, ob das momentan wirklich der Stein der Weisen ist, denn Sie müssen sehen: Die Länder, die unter dem Schirm sind, für die würde sich nichts ändern, also für Griechenland, Portugal und Irland. Bei Spanien, das ja auch in Schwierigkeiten ist, würde der Schuldentilgungsfonds nicht viel von den Schulden wegnehmen, weil der Gesamtschuldenstand Spaniens ja gar nicht weit über dieser magischen 60-Prozent-Marke ist. Das heißt, betroffen wären die Italiener und sehr stark im Übrigen auch die Deutschen. Das heißt, es würde auch ein guter Teil der deutschen Schulden in diesen Schuldentilgungsfonds reinmarschieren, und für diesen Teil, der in diesem Fonds ist, wären dann deutlich höhere Zinsen zu zahlen, als heute für die deutschen Schulden insgesamt zu zahlen sind. Ich weiß nicht, ob der Preis, den man jetzt nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt in Europa dafür zahlen müsste, ob der wirklich auch gerechtfertigt ist, denn den Ländern, die wirklich in Schwierigkeiten sind, bringt dieser Schuldentilgungsfonds im Moment nichts. Langfristig könnte das eine vernünftige Idee sein, kurzfristig trägt es, glaube ich, nicht zu einer großen Linderung des Problems bei.

    Heckmann: Wenn wir einen Strich darunter machen, was würden Sie sagen, sind wir bei der Bewältigung der Finanzkrise in Europa einen Schritt weitergekommen?

    Kemmer: Auf jeden Fall. Die Wahlen vom Sonntag sind ein absolut ermutigendes Signal. Wir haben die Krise damit noch nicht überstanden, das ist überhaupt keine Frage, aber wir haben jetzt die Möglichkeit, mit einer stabilen Regierung in Athen Signale nach außen zu setzen, dass die Europäische Union es schafft, aus eigener Kraft ein deutliches Stück nach vorne zu kommen. Die Chance müssen wir nutzen und wenn uns das gelingt, hier ein Signal zu setzen, wird sich auch die Lage an den Finanzmärkten wieder beruhigen. Aber die Situation ist nach wie vor schwierig. Also das ist ein Etappensieg, der da jetzt am Sonntag errungen worden ist, mehr nicht. Es bleibt noch eine große, große Wegstrecke zurückzulegen, und die Gefahren, die am Wegrand lauern, die sind ganz erheblich.

    Heckmann: Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Kemmer, danke Ihnen für dieses Interview.

    Kemmer: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.