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"Keine Karikatur ist ein Menschenleben wert"

Nach Einschätzung von Flemming Rose, Kulturredakteur der dänischen "Jyllands-Posten", haben die Auseinandersetzungen über die von seiner Zeitung veröffentlichten Mohammed-Karikaturen eine neue Sicht auf den interkulturellen Dialog eröffnet. Eine Mehrheit der Moslems sei der Meinung, dass religiöse Gefühle Vorrang genießen sollten vor dem Wert der freien Meinungsäußerung, sagte Rose. Darüber müsse gesprochen werden.

Moderation: Christoph Heinemann | 03.02.2007
    Christoph Heinemann: Vor einem Jahr also wurde in vielen islamischen Ländern ein Nachspiel zu einem Vorgang inszeniert, der gut vier Monate zurücklag. Im Oktober 2005 hatte die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" Karikaturen über den islamischen Propheten Mohammed veröffentlicht. Beim Freitagsgebet wurde am ersten Februarwochenende in vielen Moscheen zum "Tag des Zorns" aufgerufen. Diese Botschaft verfehlte ihre Hörer nicht. In Damaskus, Beirut und Teheran brannten die dänischen Botschaften. Gewaltsame Demonstrationen gab es auch in Pakistan und Nigeria. Rund 140 Menschen kamen dabei ums Leben. Der Karikaturenstreit ein Jahr danach, wir haben vor dieser Sendung mit Flemming Rose gesprochen, er ist Kulturredakteur der Zeitung "Jyllands-Posten" und derjenige, der die Karikaturen in Auftrag gegeben hat. Ich habe ihn gefragt, welchem Ziel diese Zeichnungen dienen sollten.

    Flemming Rose: Wir wollten auf zweierlei aufmerksam machen: auf Selbstzensur im Kulturbetrieb Dänemarks und des Westens einerseits. Andererseits hielten wir es für nicht hinnehmbar, dass einige Moslems versuchten, der Öffentlichkeit ihre religiösen Tabus aufzuzwingen, in diesem Fall das Verbot von Abbildungen des Propheten. Wir glaubten anfangs nicht daran, dass die freie Meinungsäußerung bedroht gewesen wäre. Uns ist nur aufgefallen, dass sich einige Leute im Kulturleben einer Selbstzensur unterwarfen, wenn es um den Islam ging. Beispiele: Ein Kinderbuchautor konnte keinen Illustrator für sein Buch über das Leben des Propheten finden. Derjenige, der es dann schließlich doch gemacht hat, bestand darauf, anonym bleiben zu können. Für mich handelt es sich um eine Form von Selbstzensur, wenn man nicht unter seinem eigenen Namen publizieren will. Dieses war aber nur das erste, nicht das einzige Beispiel. In London geschah etwas Ähnliches wie in Berlin: Im September 2005 entfernte die Direktion der Tate Gallery eine islamkritische Installation des avantgardistischen Künstlers John Latham mit dem Titel "Gott ist groß". Man sieht die Bibel, den Talmud und den Koran, die an einer Glasscheibe befestigt sind. Dies erinnert an die Köpfe verschiedener Religionsführer in der Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" in Berlin. Das Museum hat dieses Stück entfernt, ohne den Künstler zu fragen und ohne sich bei der Polizei zu erkundigen, ob sie wegen der Ausstellung dieses Werkes mit irgendeiner Bedrohung rechnete.

    Heinemann: Herr Rose, hatten Sie damals den Eindruck, dass das Recht der freien Meinungsäußerung in Gefahr war?

    Rose: Die freie Meinungsäußerung war nicht auf der Ebene des Gesetzes bedroht. Aber wir haben festgestellt, dass einige Leute im Zusammenhang mit dem Islam Selbstzensur übten. Ich habe damals in dem Begleittext zu den Karikaturen geschrieben, dass ich nicht weiß, ob es sich um eine tatsächliche oder eine eingebildete Bedrohung handele. Leider stellte es sich bald heraus, dass es eine tatsächliche Bedrohung gab. Die Karikaturisten und Herausgeber in Norwegen, im Nahen Osten, in Jordanien, in Jemen und anderen Orten erhielten Morddrohungen oder wurden gerichtlich belangt, weil sie diese Karikaturen veröffentlicht hatten.

    Heinemann: Haben die Reaktionen Sie überrascht?

    Rose: Ja. Und jeder, der etwas anderes behauptet, sagt nicht die Wahrheit. Ich habe im vergangenen Jahr mit dem Islamexperten Bernard Lewis gesprochen, und er hat mir gesagt, dies war das erste Beispiel dafür, dass Moslems darauf bestehen, mit dem islamischen Gesetz zu regeln, was Nichtmoslems in nichtmoslemischen Ländern tun sollen. Das hat es niemals zuvor gegeben. Jeder, der mir erzählt, wir hätten dies vorhersehen können, betreibt eine nachträgliche Vorausschau.

    Heinemann: Herr Rose, Sie sprachen eben über die "Idomeneo"-Inszenierung in der Deutschen Oper Berlin. Gibt es heute nach der Debatte über die Karikaturen mehr oder weniger Selbstzensur?

    Rose: Die Oper "Idomeneo" wurde wieder auf den Spielplan gesetzt. Die Empörung über die Absetzung bedeutet für mich, dass die Menschen für dieses Thema sensibler geworden sind. Ich sprach eben von dem Fall in der Londoner Tate Gallery, der mit dem Berliner vergleichbar war. Im September 2005 gab es in der britischen Öffentlichkeit keinen Aufschrei, als dieses Kunstwerk entfernt wurde. Ein Jahr später waren die Reaktionen in Berlin ziemlich scharf.

    Heinemann: Hat sich Dänemark durch die Debatte über die Karikaturen verändert?

    Rose: Ja, das glaube ich. Moslems werden heute vielschichtiger wahrgenommen. Vor der Debatte wendeten sich die Medien, wenn sie den Islam thematisierten, immer an Imame. Heute ist das nicht mehr so, weil die Imame nur eine Fraktion der moslemischen Gemeinde vertreten. In der öffentlichen Debatte gibt es nun mehrere Stimmen von moslemischer Seite. Außerdem verläuft die Auseinandersetzung über Integration und die echte Herausforderung, die dieses bedeutet, viel wirklichkeitsbezogener. Beispiel: Im Mai oder Juni des letzten Jahres fand in Dänemark die erste Umfrage nur unter Moslems statt, und dabei stellte sich heraus, dass die Moslems in Dänemark über das Verhältnis der freien Meinungsäußerung und religiösen Gefühlen anders denken als die dänische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Eine Mehrheit der Moslems sind der Meinung, dass die religiösen Gefühle Vorrang genießen sollten vor dem Wert der freien Meinungsäußerung, während die Dänen insgesamt genau das Gegenteil vertreten. Dies ist ein kultureller Unterschied, über den wir debattieren müssen. Dies wäre ohne die Veröffentlichung der Karikaturen nicht herausgekommen. Wir haben dadurch keine neue Wirklichkeit geschaffen, aber wir haben eine Wirklichkeit offen gelegt, die vorhanden war, die aber nur wenige wahrgenommen haben.

    Heinemann: Sind Sie in dieser Zeit persönlich bedroht worden?

    Rose: Niemand hat auf der Straße eine Pistole auf mich gerichtet. Die Drohungen waren eher virtuell, per E-Mail oder in Briefen. Es ist schwierig, wenn man es nicht mit einer erkennbaren Bedrohung zu tun hat. Das ist nicht angenehm, aber es hat mein Leben nicht beeinträchtigt. Für meine Familie war es viel schwerer.

    Heinemann: Sie sprachen eben über Selbstzensur. Würden Sie noch einmal Mohammed-Karikaturen veröffentlichen?

    Rose: Diese Karikaturen entstanden in einem bestimmten Zusammenhang, und es wäre keine besonders schöpferische Idee, das Gleiche abermals zu unternehmen. Wenn ich jetzt sagte, ja, wir würden es noch einmal tun, wird man mich für einen kalten und harten Typen halten. Menschen haben wegen dieser Karikaturen leiden müssen, einige wurden getötet. Keine Karikatur ist ein Menschenleben wert. Das sage ich auch dann, wenn ich den direkten Zusammenhang zwischen den Abbildungen und der Tötung von Unschuldigen in Nigeria oder anderswo nicht gelten lasse. Das hatte mit inneren Umständen in diesen Ländern zu tun. Wenn ich sagte, nein, wir würden dies nicht noch einmal veröffentlichen, dann würden diejenigen, die versucht haben uns einzuschüchtern und zu bedrohen sagen, dass dies doch funktioniert habe; indem man eine Zeitung und Personen bedroht, kann man etwas erreichen. Die Antwort auf diese Frage hat in jedem Fall negative Auswirkungen.

    Heinemann: Flemming Rose, Redakteur der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten".