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Keine parteipolitischen Manipulationen bei der Nominierung Süssmuths zu sehen - CDU muss Personalfragen souveräner behandeln und Freiheit des Geistes respektieren

27.06.2000
    Lange: Darf sie, soll sie, will sie überhaupt und wenn ja unter welchen Bedingungen? Rita Süssmuth, die ehemalige Bundestagspräsidentin, ist innerhalb weniger Tage mit in eine Diskussion geraten, in der es um etwas ganz anderes geht als um ihre Person. Die Bundesregierung hat ihr angetragen, gemeinsam mit dem ehemaligen SPD-Chef Hans-Jochen Vogel eine Kommission zu leiten, die sich über eine künftige Einwanderungspolitik Gedanken machen soll. Das schmeckt der CDU nun gar nicht. Präsidium und Bundesvorstand haben sich gestern gegen die Teilnahme von Frau Süssmuth an den Beratungen dieser Kommission ausgesprochen. Dies sei die fast einhellige Meinung der CDU-Spitze gewesen, so Generalsekretär Ruprecht Polenz. Mit einem seiner Amtsvorgänger, mit Heiner Geissler wollen wir nun über den Meinungsbildungsprozess in der Union in Sachen Ausländerrecht, Einwanderung und Asyl sprechen. Guten Morgen Herr Geissler!

    Geissler: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Geissler, verstehen Sie die Bedenken Ihrer Parteiführung?

    Geissler: Nein, das kann ich nicht verstehen, denn wir haben ja schon in anderen Fällen die Situation gehabt, dass Persönlichkeiten gebeten worden sind, Kommissionen zu leiten, die Vorschläge ausarbeiten sollen. Ich erinnere an Richard von Weizsäcker oder Roman Herzog oder den Grafen Lambsdorff wegen der Kommission für die Entschädigung von Zwangsarbeitern. Es kommt dabei nicht so sehr auf die parteipolitische Zugehörigkeit an, sondern auf die Qualität der Persönlichkeit, und ich finde, dass die Nominierung von Rita Süssmuth ein ehrenvoller Auftrag ist, unter der Voraussetzung, dass sie auch tatsächlich die Vorsitzende werden soll. Wenn es jetzt heißt, da gibt es einen Kopräsidenten, gleichberechtigt, dann würde ich das für keine gute Entscheidung halten. Dann sollte sie das auch nicht tun, denn dann wird sie mehr oder weniger zur Dekoration.

    Lange: Wie sehen Sie denn dieses Angebot an Rita Süssmuth? Ist das ernst gemeint oder nur eine taktische Finesse der Regierung in spalterischer Absicht?

    Geissler: Das kann man, glaube ich, so nicht sagen. Was heißt spalterische Absicht. Alle Parteien, auch die Regierung, auch die Union, müssen sich ja um ein Konzept bemühen, und es soll ja eine überparteiliche Kommission sein. Rita Süssmuth ist sicher nicht allein mit dem Hans-Jochen Vogel, sondern wie ich höre sollen überhaupt nur vier oder fünf Mitglieder aus den Fraktionen dabei sein und die anderen außerhalb des Parlaments, unabhängige Persönlichkeiten. Daraus kann sowieso keine parteipolitische Manipulation entstehen. Das Problem sehe ich nun gar nicht.

    Lange: Es könnte ja ganz einfach auch mit der Person Süssmuth zu tun haben, oder hätte es solche Vorbehalte auch gegeben, wenn das Angebot zum Beispiel an den bayerischen Innenminister Beckstein gegangen wäre?

    Geissler: Da rühren Sie sicher an einem wunden Punkt, aber ich finde, die Union ist eine große Volkspartei und keine Ansammlung von Kleingeistern. Wir müssen eine solche Frage souveräner behandeln. Die Freiheit des Geistes sollte eben doch überall geachtet werden. Eigentlich sollten die Zeiten vorbei sein, wo jemand deswegen richtig gemobbt wird, weil er für sich persönlich eine Entscheidung dieses Kalibers fällt. Ich glaube, es liegt bei den Kritikern eine Fehlentscheidung zu Grunde. Manche hoffen, dass sie möglicherweise wegen des Einwanderungsgesetzes oder wegen der Einwanderungskriterien Wahlkampfmunition bekommen könnten. Das halte ich nun für völlig abwegig und hoffe sehr, dass niemand auf die Idee kommt, den nächsten Bundestagswahlkampf mit dem Ausländerthema zu bestreiten. Dass es in Hessen einmal mit der Unterschriftenaktion gelungen ist, Leute zu mobilisieren, das ist nach meiner festen Überzeugung ein einmaliger Vorgang. Wir waren uns im Bundesvorstand der CDU damals auch einig, dass das ein "Ritt über den Bodensee" war und dass man so etwas eigentlich nicht wiederholen kann. Das haben wir ja in Nordrhein-Westfalen gesehen, wo die Einwanderung auch eine Rolle spielen sollte, aber der Union nun überhaupt nicht genutzt hat. Wenn der Vorsitz von Rita Süssmuth bei dieser Kommission also dazu dienen würde, die ganze Sache aus der parteipolitischen Auseinandersetzung herauszuhalten, dann wäre das ein zusätzlich positives Ergebnis.

    Lange: Herr Geissler, Ihre Partei hat sich in Sachen Einwanderungspolitik etwas bewegt. Nun hat der Vertreter des UNO-Flüchtlingskommissars, aber auch mehrere Menschenrechtsorganisationen nachdrücklich davor gewarnt, diese Einwanderungsdiskussion mit einer neuen Debatte über das Asylrecht zu verknüpfen. Warum finden diese Stimmen in der CDU so wenig Gehör?

    Geissler: Darüber ist in der CDU ja noch gar nicht entschieden worden. Es gibt Vorschläge, aber nicht nur innerhalb der Union, sondern auch der Bundesinnenminister hat sich ähnlich geäußert. Ich halte das für völlig unvereinbar, eine Diskussion über Zuwanderung aus ökonomischen Gründen zu verbinden mit einer Reduzierung der Zahl der politischen Flüchtlinge. Man kann ja Computersachverständige nicht aufrechnen gegen Menschen, die nach unserem Grundgesetz bei uns Zuflucht suchen, weil sie politisch verfolgt werden, weil sie in ihren Heimatländern aus politischen oder religiösen Gründen gefoltert werden. Das grenzt an einen Verstoß, an einen Verrat gegenüber dem Geist der Verfassung. Das kann man ja nicht akzeptieren. Was wir brauchen - und deswegen ist die Diskussion bei uns so schwierig. Ich habe schon seit langen Jahren darauf hingewiesen, dass wir natürlich ein Einwanderungsland sind, nicht in dem Sinne wie die klassischen Einwanderungsländer, aber dass wir aus ökonomischen Gründen Zuwanderung brauchen. Das hat auch der Bundesverband der Arbeitgeber immer wieder betont. Aber man hat ja kein Gehör gefunden aus lauter Angst vor den Rechtsradikalen, die möglicherweise durch eine solche Diskussion Zulauf bekommen könnten, was natürlich völliger Quatsch ist. Deswegen ist die notwendige Diskussion unterblieben. Die ganze Diskussion um die Zuwanderung krankt auch daran, dass wir als Einwanderungsland im Vergleich zu den Amerikanern, die auch ein Einwanderungsland sind, eben folgendes Manko haben. Der Unterschied besteht darin: Die Amerikaner haben ein Konzept und die Deutschen haben kein Konzept, sondern wir kurieren mal am Asylrecht herum, dann kommt wieder die "Greencard", dann kommt wieder etwas anderes und so wird punktuell an dieser schwierigen und für unsere Gesellschaft ja wirklich wichtigen Frage herumgedoktert. Deswegen kriegen wir dauernd diese Verwerfungen in einer Diskussion, die wir notwendigerweise sehr sachlich führen sollten. Ein solches Konzept muss erarbeitet werden. Es müsste mindestens vier Punkte haben.

    Lange: Herr Geissler, aber warum verbeißt sich Ihre Partei immer so in dieses Asylrecht? Das sind noch 100.000 Leute, die im letzten Jahr über das Asylrecht hier Zuflucht gesucht haben. Ist das noch eine nennenswerte Größe?

    Geissler: Nein, es ist keine nennenswerte Größe, vor allem weil auch relativ wenige anerkannt werden. Die Prozentsätze sind ja ganz niedrig. Das Problem ist eher, dass diejenigen, die nicht anerkannt werden, eben dann doch aus anderen Gründen in einer großen Anzahl hier in Deutschland bleiben. Man muss diese Frage ganz sicher ernst nehmen, aber das Asylrecht selber darf man auf gar keinen Fall ändern. Wir müssen natürlich sehen, dass wir innerhalb von Gesamteuropa hier eine Sondersituation haben. Europäisches Recht wird in dem Zusammenhang auch neu formuliert werden müssen. So weit sind wir ja noch lange nicht, und außerdem gilt eben die Verfassung. Wir haben auch Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, aus denen hervorgeht, dass wir nicht einfach wegen Europa unsere Verfassung ändern dürfen.

    Lange: Aber dieses Grundrecht auf Asyl ist ja seinerzeit von Leuten durchgesetzt worden, die noch unter dem Eindruck der Verfolgung durch die Nazis standen und die selbst große Schwierigkeiten hatten, Asyl zu finden. Warum tut sich Ihre Partei so schwer, sich zu diesem Vermächtnis zu bekennen?

    Geissler: Die CDU tut sich da gar nicht so schwer. Ich habe auch aus der CDU selber noch keine ernsthafte Forderung vernommen. Es gibt Überlegungen, dieses Grundrecht umzuwandeln in eine institutionelle Garantie, aber das wäre eben gleichbedeutend mit der Abschaffung.

    Lange: Aber die kommen ja nicht von Hinterbänklern?

    Geissler: Nun ja, die Diskussion hat es schon vor zehn oder zwölf Jahren gegeben. In dem damals gefundenen Asylkompromiss ist dieses ausdrücklich abgelehnt worden. Die eigentliche Frage, wenn ich darauf noch mal zurückkommen darf. Die Sache mit der Grundrechtsänderung halte ich sowieso für eine relativ unerhebliche Diskussion, weil es dafür ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag bräuchte, und die sehe ich überhaupt nicht. Man soll nicht über Fragen reden, die letztendlich dann gar nicht gelöst werden. Wenn ich an den Asylkompromiss von vor zehn oder acht Jahren erinnere, dann ist dort auch ein ganz wichtiger Beschluss gefasst worden, dass man nämlich eine Gesamtkonzeption erarbeiten sollte. Dazu gehört eben nicht nur, dass man Kriterien erarbeitet für die Einwanderung, sondern dass man zum Beispiel auch die Ursachen für die Immigration beseitigt. Es hat ja keinen Sinn, ständig über die Immigration und ihre Auswirkungen bei uns in Deutschland zu jammern, wenn gleichzeitig nichts getan wird, um die Ursachen für die weltweite Migration einzudämmen. Die Ursachen für die Migration sind Bürgerkriege, sind Armut und ökologische Katastrophen. Bei den Bürgerkriegen ist in den letzten Jahren Gott sei Dank gehandelt worden. Der Einsatz der NATO und der Bundeswehr im Kosovo war ein Beitrag auch zur Eindämmung der Migration, weil wir es ja nicht akzeptieren können, dass auf der Erde Despoten mit ihren missliebigen Einwohnern gerade machen können was sie wollen und die dann zu hundert Tausenden in andere Länder flüchten müssen. Insoweit war der Einsatz der Bundeswehr und der NATO im Kosovo ein vernünftiger Beitrag zur Bekämpfung der Ursache von Migration. In der Armutsbekämpfung machen die reichen Industrieländer aber so gut wie nichts, und auch bei der ökologischen Frage sieht es nicht viel besser aus.

    Lange: Herr Geissler, jetzt muss ich Sie langsam bremsen. Gleich stehen die Nachrichten an. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio