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"Keine Spielerei mit Finanztricks"

Vor dem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in München hat BDI-Präsident Hans-Peter Keitel von der Regierungskoalition mehr Engagement verlangt. Er vermisse eine Konzentration auf gemeinsame Ziele. So müsse man eine generelle Richtung finden, wie man Wachstum ohne höhere Staatsverschuldung schaffen könne.

Hans-Peter Keitel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Ein Blick in den Arbeitstag der Bundeskanzlerin. Am Vormittag trifft Angela Merkel in München Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft, etwa des Handwerks und des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Am Abend wird der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou in Berlin erwartet. Im Verlauf beider Termine wird nicht nur Erfreuliches zur Sprache kommen, voraussichtlich jedenfalls. Mit von der Partie in München wird Hans-Peter Keitel sein, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Guten Morgen!

    Hans-Peter Keitel: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Keitel, die Haushalte, viele EU-Haushalte – beginnen wir also mit dem zweiten Termin der Kanzlerin – befinden sich in einer Schieflage. Das gilt vor allem für das griechische Budget. Deshalb ist der Euro unter Druck. Wäre eine weitere Talfahrt der gemeinsamen Währung eine gute Nachricht für die Exportwirtschaft?

    Keitel: Das ist sehr zwiespältig, Herr Heinemann. Natürlich ist es so, dass mit einem sinkenden Euro die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft außerhalb des EU-Raums steigen würde. Innerhalb des EU-Raums, wo unsere größten Anteile des Exports hingehen, hat das keinerlei Auswirkung. Aber Sie haben ja selbst gesagt: Eine Talfahrt des Euro hätte einen politischen, einen finanz- und wirtschaftspolitischen Hintergrund, der uns allen nicht recht sein kann. Es würde nämlich einen problematischen Zustand im Euro-Raum reflektieren, und daran können wir alle kein Interesse haben. Auch die Wirtschaft hat Interesse an einem stabilen Euro, an stabilen wirtschaftspolitischen Verhältnissen innerhalb Europas, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

    Heinemann: Mit welcher Entwicklung des Euro rechnen Sie?

    Keitel: Wenn ich das vorhersagen könnte, dann würde ich möglicherweise mit Spekulationen viel Geld verdienen können. Der Euro ist, wenn man es insgesamt betrachtet, sicherlich im Moment noch nicht unterbewertet, aber noch einmal: uns kommt es vielmehr darauf an, dass die Währungsverhältnisse stabil sind, und daran sollten wir dann gemeinsam politisch, finanz- und wirtschaftspolitisch arbeiten.

    Heinemann: Wenn die Tendenz so weiterginge wie bisher, was bedeutete das etwa für Rohstoffkosten?

    Keitel: Sicherlich, die Rohstoffkosten werden weltweit überwiegend in Dollar quotiert. Das würde für die Rohstoffkosten bedeuten, dass sie für uns in Deutschland nach unten gehen. Es handelt sich aber nicht um diese riesengroßen Differenzen, die der deutschen Wirtschaft wirklich helfen würden. Wir müssen gemeinsam, glaube ich, eher darüber nachdenken, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise noch nicht zu Ende ist und dass bei allen hoffnungsvollen Anzeichen jetzt auch im Frühjahr – und ich denke, heute auf der Handwerksmesse werden wir Entsprechendes wieder hören -, dass es bei allen positiven Anzeichen aber noch ein weiter Weg aus der Krise ist und dass wir alle gemeinsam uns anstrengen müssen, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen.

    Heinemann: Herr Keitel, innerhalb des Internationalen Währungsfonds wird laut über Inflation, genauer gesagt über höhere Inflationsgrenzen für die Zentralbanken nachgedacht. Der IWF hat mal die Zahl vier in den Raum gestellt; wir sind jetzt deutlich unter zwei im Augenblick. Wäre das, wie Bundesbankpräsident Axel Weber gesagt hat, ein Spiel mit dem Feuer?

    Keitel: Ich sehe das ganz genauso. Es gibt niemand auf der Welt, der garantieren kann, dass Inflation, zumal noch eine absichtlich herbeigeführte Inflation, in einem ganz bestimmten Bandbreitenmaß bleiben würde. Inflation ist ein wirklich gefährliches Spiel und hinter dem, dass wir aus der Krise gemeinsam kommen, muss Leistung stecken und keine finanzpolitische Vabanque-Spielerei. Ich möchte mich vehement dafür einsetzen, dass wir an den nachhaltigen Werten arbeiten, an dem, was wir gemeinsam schaffen. Dann gehen wir auch gemeinsam aus der Krise. Das ist keine Spielerei mit Finanztricks.

    Heinemann: Wir sprechen mit BDI-Präsident Hans-Peter Keitel. Zusammen mit anderen Spitzenvertretern deutscher Wirtschaftsverbände treffen Sie also heute die Bundeskanzlerin in München und vor diesem Treffen ließ es die Wirtschaft an deutlichen Worten nicht fehlen. Eine kurze Zusammenfassung von Andreas Burmann:

    "Der Chef des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner: "Die Koalition sollte sich endlich an die Arbeit machen, statt sich mit weiteren Kindereien aufzuhalten."

    Der Präsident der Familienunternehmer ASU, Patrick Adenauer: "Kaum entwickelt ein Regierungsmitglied einen eigenen Gedanken, wird das in der Koalition niedergemacht. So kann man weder der Bevölkerung, noch in der Wirtschaft Verlässlichkeit vermitteln."

    Der Präsident des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven: "Im Mittelstand macht sich zunehmend Enttäuschung, ja Verärgerung über die bisherige Arbeit von Schwarz-Gelb breit."

    Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke: "Notwendig ist Planungssicherheit.""

    Heinemann: Und den BDI-Präsidenten wollen wir nicht vergessen. Sie, Herr Keitel, haben der Bundesregierung Orientierungslosigkeit vorgeworfen. Welche Orientierung vermissen Sie?

    Keitel: Herr Heinemann, es ist eines, ein kleiner Teil aus der Kritik, die ich in der Tat Anfang der Woche geübt habe, und ich glaube, wir müssen sehen, eine solche Kritik, vor allem wenn sie auch leidenschaftlich vorgetragen ist, dann kann man daraus auch erkennen, dass es um gemeinsame Werte geht, um gemeinsame Überzeugungen, um ein gemeinsames Projekt und um gemeinsame Ziele, also hier um die Zukunft. Ich glaube, das sollte man herauslesen. Wir müssen dieses gemeinsame Projekt in einer gemeinsamen Orientierung nach vorne tragen. Wir haben die schwarz-gelbe Koalition mit sehr viel Erwartungen in den ersten Wochen und Monaten begleitet und wir möchten, dass diese Erwartungen in Erfüllung gehen.

    Heinemann: Die sind bisher nicht erfüllt worden, und was fehlt genau?

    Keitel: Ich sagte bereits, dass wir in Deutschland, glaube ich, deshalb weil wir am Arbeitsmarkt eine wesentlich günstigere Entwicklung haben als in den Nachbarländern, haben wir so das Gefühl, die Krise könnte schon vorbei sein. Wir nehmen diese Krise weniger kritisch wahr. Es geht um viele, viele Punkte, wie wir Wachstum schaffen, um aus dieser Krise wieder herauszukommen. Wir dürfen uns nicht damit beschäftigen, welche Details im Einzelnen zu regeln sind, sondern wir müssen die generelle Richtung wieder finden, wie wir gemeinsam Wachstum schaffen und damit auch eine Chance, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren.

    Heinemann: Heißt Wachstum schaffen zum Beispiel Steuersenkungen auf Pump?

    Keitel: Nein, eindeutig nicht. Dazu hat sich der BDI mehrfach geäußert. Es geht uns in erster Linie um eine Steuerstrukturreform. Das wäre beispielsweise eines dieser gemeinsamen Projekte.

    Heinemann: Bundesfamilienministerin Kristina Schröder schlägt jetzt einen Rechtsanspruch auf eine zweijährige Pflegeteilzeit vor, also zwei Jahre 50 Prozent arbeiten für 75 Prozent des Gehalts und dann zwei Jahre voll arbeiten, ebenfalls für 75 Prozent des Gehalts. Sie sagt, im Beruf bleiben und pflegen können, das ist mit Blick auf die demografische Entwicklung ein Riesenthema. Ist es das?

    Keitel: Wir haben viele solche Projekte, die immer mal diskutiert werden, die alle gemeinsam einen Strauß von Möglichkeiten, Wünschen beschreiben, die in Erfüllung gehen können oder auch nicht. Aber alles dies setzt zunächst einmal voraus, dass wir etwas schaffen, was es anschließend zu verteilen gibt. Dieses gemeinsam zu schaffen, ist nach wie vor die größte Herausforderung, und hier sind wir erst am Boden der Krise angekommen. Es ist noch ein gewaltiger Weg, bis wir wieder dort sind, wo wir 2007 und 2008 gestanden sind, und darauf müssen wir uns in erster Linie konzentrieren.

    Heinemann: Herr Keitel, konkret Ihre Bewertung des Schröderschen Vorschlags.

    Keitel: Ich habe diesen Vorschlag auch bisher nur aus der Presse entnommen. Er würde, so wie ich das beurteilen kann und so wie es mir im Moment vorliegt, wiederum eine Belastung auch der Unternehmen bedeuten, die wir in dieser Phase nicht ertragen können.

    Heinemann: Also keine gute Idee aus Ihrer Sicht?

    Keitel: Ich möchte diese Idee gerne dann diskutieren, wenn ich sie auch wirklich vor mir liegen habe. Ich kenne sie seither nur aus der Presse.

    Heinemann: Kurz zum Schluss: Wer bremst in dieser Koalition?

    Keitel: Es geht nicht um bremsen, sondern es geht darum, dass wir verschiedene Vorstellungen unter einen Hut bringen müssen. Das ist im Koalitionsvertrag möglicherweise nicht in der ausreichenden Tiefe geschehen. Da müssen wir einfach ein bisschen nacharbeiten, dass dann die gemeinsamen Ziele auch wirklich klar sind und an denen gemeinsam arbeiten.

    Heinemann: Und das werden Sie heute der Kanzlerin sagen?

    Keitel: Genau so werden wir uns sicherlich äußern. Ich denke, die Kanzlerin wird umgekehrt an uns auch keine anderen Forderungen stellen.

    Heinemann: Hans-Peter Keitel, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Keitel: Sehr gerne. Wiederschauen, Herr Heinemann.