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Keine völlige Gewaltlosigkeit
Auch Buddhisten kennen menschliche Konflikte

Der frühe Buddhismus, wie er von Buddha gelehrt wurde, hatte nicht das Ziel in der Welt eine friedliche Idealgesellschaft zu errichten, sondern sollte zur Erlösung im Nirwana führen. Die späteren verschiedenen buddhistischen Schulen wurden dann in ihren Ländern auch in die Machtpolitik und gewaltsame Konflikte verwickelt.

Von Thomas Klatt | 07.01.2015
    Blick auf Buddha-Statuen am Mahabodhi-Tempel in Bodhgaya, Indien
    Buddhisten haben sich nicht nur mit "Waffen des Geistes" bekämpft (picture-alliance / dpa)
    "Durch das Entspannen, sich nicht mehr für so wichtig nehmen, hat man mehr Flexibilität. Man ärgert sich einfach nicht, man versucht Ärger los zu lassen, indem man loslässt, an den eigenen Bedürfnissen und Wünschen so zu kleben."
    Der heute 48-jährige Tenzin Peljor hat sich schon mit verschiedenen Religionen wie zum Beispiel dem Hinduismus und dem muslimischen Sufismus beschäftigt, bevor er in der tibetischen Karmapa-Tradition des Buddhismus eine spirituelle Heimat gefunden hat, wie er sagt. Ursprünglich stammt er aus Gotha. Als Mönch lebt er heute im "Buddhistischen Zentrum für Frieden und Verständigung" Bodicharya in Berlin. 2006 ist er Dalai Lama selbst in Indien zum Mönch ordiniert worden. Tenzin Peljor hat, wie er betont, seinen Frieden gefunden. Der ist im Buddhismus Programm. Ein zentrales Ziel heißt Ahimsa, Gewaltlosigkeit.
    "Als ich gemerkt hab, diese Methoden des Buddhismus, Meditation über Liebe, über Dankbarkeit, über Mitgefühl, über die Natur des Daseins, dass Probleme ganz normal sind. Die haben mir eine Form von innerer Zufriedenheit, Freude und Erfülltheit gegeben, den ich vorher so nicht hatte. Weil nichts im Leben hat mich so reich gemacht wie diese Qualitäten, die man durch den Buddhismus in sich versuchen kann zu kultivieren oder auch die negativen Aspekte des Geistes, Aggression, Wut, Begierden, dass man daran arbeiten kann und die allmählich auch lösen, entspannen, nicht mehr so stark werden kann."
    Unterschiedliche Ausprägungen des Buddhismus
    Es gehe um "Inseln der Gelöstheit", die man vergrößern könne, um so größere innere Stabilität zu erlangen. Das bedeute aber nicht, dass Buddhisten immer umgänglich und ohne Aggressionen seien. Denn was heißt schon "der Buddhismus"? Gerade im Westen, in Europa und Nordamerika, sei der Buddhismus stark vom Wunschdenken geprägt. Man will einfach daran glauben, dass diese fernöstliche Religion friedlich und gewaltfrei ist. Der buddhistische Mönch Tenzin Peljor warnt vor jeder Naivität.
    "Nach meinem Verständnis ist es auch, was der Dalai Lama sagt, heißt Buddhismus die Welt so sehen, wie sie ist. Und die Realität ist, das es im Buddhismus genau die menschlichen Konflikte gibt wie überall auf der Welt."
    Im Kloster marschieren Kahlgeschorene in schwarzen Gewändern in Reih und Glied, Gewehr geschultert, Augen geradeaus. Japan im Zweiten Weltkrieg. Buddhistische Mönche gehen in Kasernen, um durch Zen-Meditation Offiziere für den Krieg zu stählen. Jugendliche werden als Kamikaze-Piloten in den sicheren Tod geschickt. Im Juli 1941 sammelt die Soto-Zen-Schule Spenden und schenkt der kaiserlichen Marine ein neues Kampfflugzeug mit dem Namen Soto Nr. 1. Zu diesem Zeitpunkt sind die Hauptrichtungen des japanischen Zen, Shin, Soto und Rinzai, nicht nur staatstragend und kaisertreu, sondern sie liefern auch das ideologisch-religiöse Gerüst für die tapferen Soldaten. Für den Münchner Indologen Uwe Hartmann ein besonders krasses Beispiel, wie Religion und Politik ineinander verschränkt sein können.
    "Was wir unterschätzen, wenn wir uns eine Religion anschauen, dann sehen wir die reine Lehre und wir unterschätzen völlig bei fremden Religionen, dass da genau wie bei uns jede Menge Macht und Politik dahinter steht und dass jede Religion involviert ist in das gesellschaftliche Umfeld und Machtpolitik. Und der Zen-Buddhismus hatte im 19. Jahrhundert an Bedeutung verloren auf Grund bestimmter politischer Entwicklungen in Japan und es war ein Bemühen von japanisch religiösen Führern des Zen-Buddhismus, diesen Einfluss, die frühere Bedeutung wieder zu gewinnen, indem sie sich vollständig mit dem Staat und seiner Ideologie identifiziert haben."
    Religion und Politik auch im Buddhismus häufig verschränkt
    Es geht im "Soldaten-Zen" um innere Sammlung, Selbstbeherrschung und Schlagkraft. Der Krieg wird im "Buddhismus des Kaiserlichen Weges" zum Akt des Mitgefühls erklärt. Russland, später China und dann die USA wurden nicht nur zu Feinden Japans, sondern auch zu Feinden Buddhas erklärt.
    Selbst im vermeintlichen Musterland des friedlichen Buddhismus, in Tibet, gab es innerhalb der religiösen Institution immer wieder heftige Kämpfe. Im 17. Jahrhundert gelang es den Gelugpas, Anhängern einer Richtung innerhalb des tibetischen Buddhismus, mit Hilfe der Mongolen, ihre innertibetischen Gegner auszuschalten. Ein Widerspruch in sich, haben sich doch gerade die Mönche zur absoluten Gewaltfreiheit verpflichtet. Der Indologe und Buddhismusforscher Uwe Hartmann:
    "Wenn man von Armee spricht, denkt man an reguläre Truppen und das hat es im tibetischen Buddhismus nicht gegeben. Aber es hat immer wieder den Fall gegeben, dass auch Mönche mit Waffen ausgerüstet wurden und die Anliegen ihrer Schule vertreten haben. Es gibt im tibetischen Buddhismus verschiedene Schulen, verschiedene Schulrichtungen und die haben sich in ihrer Geschichte öfters mal auch nicht nur mit den Waffen des Geistes bekämpft."
    Für den Indologen Uwe Hartmann liegt ein Erklärungsversuch darin, dass es immer schon eine Diskrepanz zwischen einem radikalpazifistischen Anspruch und einer buddhistischen Realpolitik gab und gibt.
    "Was der Buddha selbst gelehrt hat, das wissen wir nicht, weil da Hunderte von Jahren zwischen seinem Leben und den ersten Aufzeichnungen, die für uns zugänglich sind, liegen. Die älteste Form der Überlieferung ist absolut klar gegen Gewalt positioniert. Und zwar etwas stärker noch als im Christentum, im Buddhismus wird das Tötungsverbot auch auf Tiere ausgeweitet und es gibt eine weitere Aufforderung von Berufen Abstand zu nehmen, die anderen Lebewesen Leid verursachen, also beispielsweise Jäger, Fischer oder auch Soldat."
    Uwe Hartmann bezweifelt, dass es je eine völlige Gewaltfreiheit im Buddhismus gegeben hat. Ein Erfolg der Ausbreitung des Buddhismus in Asien erkläre sich letztlich auch darin, dass sich Buddha selbst in die Politik gar nicht erst eingemischt hatte.
    "Der frühe Buddhismus ist keine diesseitige Utopie, kein Versuch eine Idealgesellschaft auf unserer Welt zu begründen oder einzurichten. Es ist ein Angebot, wie man aus dem leidvollen Geburtenkreislauf rauskommt. Es gibt genügend Dialoge, in denen der Buddha mit Fürsten, mit Königen spricht, mit Ministern und auch mit Soldaten. Ich glaube, das ist ein Grund gewesen für den Ausbreitungserfolg des Buddhismus, dass gesellschaftliche Verhältnisse nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das schließt ein einen Herrscher, der dafür sorgt, dass sein Herrschaftsgebiet unbeschadet erhalten und bleibt und dass seine Untertanen in seinem Gebiet leben und dafür ist es notwendig, dass ein Herrscher straft. Und da gibt es etliche Dialoge des Buddha, in denen deutlich wird, dass das akzeptiert ist."
    Das Ideal des Einzelnen aber bleibt die Gewaltlosigkeit, um den ewigen Kreislauf des Lebens eines Tages vielleicht endlich hin zum Nirwana verlassen zu können. Durch Gewalt hingegen würde der Einzelne schlechtes Karma ansammeln, das einer wirklichen Erlösung im Nirvana entgegen wirkt.
    Da stellt sich die Frage, ob man nicht gerade dadurch, dass man denjenigen, die in Not und Bedrängnis sind, notfalls auch mit Gewalt zur Hilfe kommt, um gutes Karma anzusammeln. Dazu gibt es, so scheint es, keine befriedigende Antwort, sagt Indologe Uwe Hartmann.
    "Mit aller Vorsicht, ich kenne keine friedensethischen Debatten, die zu solchen Überlegungen führen würden. Ich als Wissenschaftler bekenne da meine Hilflosigkeit. Ich sehe nicht in buddhistischen Ländern Denkansätze, die dabei weiterhelfen würden, wie wir mit solchen Phänomenen umgehen sollen."
    Der Buddhismus in seiner gut zweieinhalbtausendjährigen Geschichte hat sich in viele Zweige und Schulen ausgebreitet. Wer im Buddhismus also eine Lösung für den Weltfrieden sieht, der sitzt für Uwe Hartmann einem gewaltigen Religionsirrtum auf.
    "Das ist das Grundproblem, dass wir etwas in den Buddhismus hinein mystifizieren, was in dieser Weise nicht drin ist. Die Menschen in buddhistischen Ländern, die sind so anständig, so brav, so gut wie die Menschen in christlichen Ländern auch. Unsere Vorstellung vom Buddhismus im Westen, das ist nicht der Buddhismus, wie er in asiatischen Ländern gelebt und praktiziert wird. Das ist ein Mythos."