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Tibetischer Buddhismus
Umstrittene Ordination von Nonnen

Bisher können Frauen im tibetischen Buddhismus nur Novizinnen aber keine ordinierten Nonnen werden. Seit vielen Jahren setzt sich der Dalai Lama für die Gründung eines Frauenordens ein. Jetzt bekommt er Unterstützung vom 17. Karmapa, der von vielen als religiöser Führer der Tibeter für die Zeit nach dem Dalai Lama gesehen wird.

Von Ingrid Norbu | 02.09.2014
    Der Dalai Lama hält eine Rede
    Auch der Dalai Lama spricht sich für die Gleichstellung der religiösen Frauen mit den Mönchen aus. (dpa / Sanjay Baid)
    Es ist ein ungewöhnlicher Anblick: Die Frauen sitzen in langen Reihen in einer Klosterversammlungshalle in Indien. Sie tragen rote Brokathüte auf den kahl rasierten Köpfen und über die roten Roben haben sie gelbe Umhänge geschlungen. Beim ersten Glaubenstreffen nur für Noviz-Nonnen übertrug der 17. Karmapa ihnen gleich alle Aufgaben: Sie waren Vorsängerinnen, leiteten die Rituale und spielten die Instrumente. Während des Treffens baten dann die tibetischen Novizinnen zum ersten Mal in der Geschichte den Karmapa selbst offiziell um die volle Ordination. Das Oberhaupt der Karma-Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus spricht sich seit Jahren für die Gleichstellung der religiösen Frauen mit den Mönchen aus:
    "Ich unterstütze die Frauen, weil Buddha selbst erlaubt hat, dass jeder ungeachtet seines Geschlechts, alle drei geistigen Disziplinen wie moralisches Verhalten, Konzentration und Weisheit praktizieren darf. In Tibet gilt das zurzeit nur für die Mönche, nicht für die religiösen Frauen. Die Lehren des moralischen Verhaltens sind das Wichtigste dabei, aber die Voraussetzung für diese Studien nur für Eingeweihte ist eine Ordination. Wenn es in Übereinstimmung mit den Glaubensregeln, dem Vinaya, für Frauen möglich ist, dass ihnen genau wie den Mönchen alle geistigen Schulungen offenstehen, wollen wir diese Praxis wiederbeleben. Ich sehe keinen Grund, warum wir uns davor drücken sollten."
    Karmapa tritt immer häufiger an die Öffentlichkeit
    Karmapa floh Ende 1999 aus seiner Heimat, um von den chinesischen Behörden dort nicht eines Tages instrumentalisiert zu werden, wie er selbst sagt. Nach Jahren des Schweigens tritt er nun immer häufiger an die Öffentlichkeit. Warum?
    "Als junger Tibeter und Religionsführer einer neuen Generation trage ich große Verantwortung für die Zukunft Tibets. In der Tibet-Frage geht es nicht allein um Politik, sondern auch um Kultur, Religion, Umwelt und vieles mehr. Religion und Kultur sind Kern der Identität des tibetischen Volkes. Deshalb studiere ich beides gründlich. Ich sehe meine Aufgabe darin, dass die neue Generation sie lebendig erhält und fortführt."
    Nun hat sich der heute 29-Jährige mit der Nonnenordination einem der heikelsten Themen zugewendet. Es gibt im Mahayana-Buddhismus zwei Ordinationslinien: Die der Tibeter, die sich auch in Bhutan, in der Mongolei und in Indien erhalten hat, und eine zweite Linie, Dharmagupta genannt, die in China, Korea, Japan und Taiwan vorherrscht. Die weibliche Linie der tibetischen Bikshunis, also der vollordinierten Frauen, wurde vor Jahrhunderten unterbrochen. Zu ihrer Wiederbelebung fehlen die vollordinierten Nonnen, die es in der Dharmagupta-Tradition tatsächlich noch gibt. Dazu der 17. Karmapa:
    "Es gibt drei Möglichkeiten, die Voll-Ordinierung von Nonnen im tibetischen Buddhismus wiedereinzuführen: Sie könnte nur durch tibetische Mönche stattfinden, aber ein großer Vinaya-Gelehrter der Sakya-Schule des tibetischen Buddhismus spricht sich gegen die Ordination von Nonnen nur durch Mönche aus. Auch in der Gelugpa-Schule findet man Anhänger dieser Auffassung. Die zweite Möglichkeit wäre, tibetische Mönche führen sie gemeinsam mit Nonnen der Dharmagupta-Tradition durch. Oder, das ist die dritte Option, die Ordination wird nur durch die Nonnen der anderen Tradition vorgenommen. Da es keine Einigkeit gibt, verzögert sich die Wiedereinführung eines Nonnenordens im tibetischen Buddhismus."
    Gleichstellung mit den Mönchen schon länger gefordert
    Viele Tibeter sperren sich gegen die Übernahme einer fremden, noch dazu der chinesischen Tradition. Ein anderer Grund, dass tibetische Geistliche nur zögerlich an dieses Thema herangehen, sind die Frauen selbst. Viele Westlerinnen haben sich dem tibetischen Buddhismus zugewendet, unterzogen sich dem langjährigen Studium der Texte und fordern nun schon seit 30 Jahren, die Möglichkeit einer Gleichstellung mit den Mönchen bei gleichwertiger Bildung zu bekommen. Lhündup Damchö ist Amerikanerin und wurde 1999 Noviznonne. Sie lebt mit anderen Frauen aus dem Westen in einem Kloster in Indien und war beim 1. Glaubenstreffen der Noviznonnen mit dem Karmapa dabei.
    "Wir Frauen aus dem Westen hatten vor unserem Novizgelübte beruflich Karriere gemacht. Nie betrachteten wir uns in unseren Herkunftsländern als Bürger zweiter Klasse. Wir wollen in den Sangha, die Gemeinschaft der Geistlichen, aufgenommen werden und nun hindert uns eine Art gläserne Decke daran. Ich denke für viele Westler, nicht nur für uns Nonnen, ist das sehr entmutigend. Das könnte dazu führen, dass wir das Vertrauen in die Lehre Buddhas verlieren, in der es heißt, dass dieser Weg gleich für alle mit gleichen Möglichkeiten ist. Wir haben uns auf den von Buddha vorgegebenen Pfad gemacht, der gesagt hat, dass wir alle die gleichen Fähigkeiten besitzen, erleuchtet zu werden."
    Die tibetische Gesellschaft sei einfach noch nicht so weit, Geschlechtergleichheit zu akzeptieren, meint der 17. Karmapa.
    "Es liegt vor allem an der Art und Weise, wie die Frauen aus dem Westen ihr Anliegen vorbringen. Sie scheinen mit der tibetischen Kultur, den Ansichten der Tibeter und ihren Verhaltensweisen wenig vertraut zu sein und das wirkt auf viele fremd. Über Frauenrechte und Frauenwürde gibt es bekanntlich unterschiedliche Ansichten in verschiedenen Gesellschaften. Ich dagegen denke aber, es geht nicht um Mann oder Frau, sondern um die Rechte von Menschen, die gleichermaßen Glück und Leid empfinden. Als Buddhisten müssen wir uns deshalb meiner Meinung nach um die Freiheit und die Rechte der Frauen kümmern."
    Es war wichtig, dass beim ersten Glaubenstreffen mit dem 17. Karampa auch Tibeterinnen selbst um die Vollordination gebeten haben, nicht nur Noviznonnen aus dem Westen. Ungeduldig ließen sich viele von dort nach der chinesischen oder koreanischen Tradition bereits voll ordinieren. Nun müssen sie damit leben, von vielen tibetischen Mönchen nicht als ebenbürtig angesehen zu werden. Für die Tibeterinnen käme solch eine Ordination nach einer fremden Tradition kaum in Frage, denn das könnte nicht nur zu einer Spaltung der Geistlichkeit führen, sondern solche Nonnen gälten als Fremdkörper in der Gesellschaft. Daher scheint die Lage ausweglos. Noch einmal der 17. Karampa.
    "Heute kommen die Oberhäupter der verschiedenen Schulen unter der Leitung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama häufiger zusammen und das stärkt die Eintracht unter ihnen, auch wenn die Situation noch besser werden könnte. Wir dürfen es uns nicht erlauben, dass eine Glaubensschule die andere diffamiert, denn Buddha selbst hat prophezeit, dass seine Lehre dem Untergang geweiht ist, wenn sich die Halter dieser Lehre untereinander streiten. Wir befinden uns als Exiltibeter, getrennt von unseren Glaubensbrüdern in der Heimat, im Moment in einer sehr schwierigen Situation was die Politik und die Religion betrifft, deshalb sollte sich Eigeninteresse dem Allgemeinwohl, also der religiösen Einheit, unterordnen."
    Die Mehrheit tendiert gegenwärtig dazu, dass die Ordinationen der ausgebildeten Noviznonnen durch tibetische Mönche und vollordinierte Nonnen der Dharamgupta-Tradition durchgeführt werden. Dies könnte ein gangbarer Weg sein, meint der 17. Karmapa.