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Keine Volksabstimmung über EU-Verfassung

Remme: In einigen Tagen ist es so weit, am 1. Mai wird die EU-Erweiterung vollzogen. Jahrelange unendlich mühevolle Verhandlungen kommen dann zu einem Abschluss. Um die dann viel größere Union überschaubarer, klarer werden zu lassen, ist die EU-Verfassung geschrieben worden. Doch ob sie mehr wert ist, als das Papier, auf dem sie verfasst wurde, dass muss sich in einigen Länder auch durch eine Volksabstimmung erweisen. Hier in Deutschland ist das nicht möglich. Das Grundgesetz sieht eine solche nationale Abstimmung nicht vor. Nach der Entscheidung des britischen Premiers Blair, die Wähler in Großbritannien über die Verfassung entscheiden zu lassen, gibt es auch deutsche Politiker, die sich über einen kleinen Umweg eine Beteiligung des Volkes denken könnten. Ich begrüße nun am Telefon Peter Hintze, den europapolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Herr Hintze, reicht der schlichte Verweis auf das Grundgesetz aus, um sich dieser Thematik zu entledigen?

Moderator: Klaus Remme |
    Hintze: Das Grundgesetz hat ja in kluger Absicht sich für die repräsentative Demokratie entschieden und hat sich dafür eingesetzt, dass solche komplizierten Sachverhalte, wie die europäischen Verträge durch die Parlamente kontrolliert und ratifiziert werden. Ich finde, dabei sollten wir es auch belassen. Ich traue allerdings Bundeskanzler Schröder zu, dass er es in seiner großen Not Blair nachmacht und sich kurz vor der Europawahl doch noch in den Vorschlag einer Volksabstimmung flüchtet. Das halten wir allerdings alle für falsch und wir werden das auch im Bundestag zurückweisen.

    Remme: Eine nationale Volksabstimmung oder reden wir jetzt auch über die Idee, wie wir gerade von Edmund Stoiber formuliert bekommen haben, die Idee einer europaweiten Abstimmung im Anschluss an den Ratifizierungsprozess zum gleichen Tag aller Europäer an der Urne?

    Hintze: Auch dieser Vorschlag hat seine Tücken und ich halte ihn für falsch. Man muss sich das mal praktisch vorstellen: Die Parlamente haben die europäische Verfassung ratifiziert, nehmen wir das einmal an und dann kommt es zu einer gesamteuropäischen Abstimmung. Dann gibt es Länder, in denen aus innenpolitischen Stimmungen heraus, aus Ärger über die Regierung, das wäre in Deutschland ja sehr gut möglich, die Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern mit Nein stimmt. Ja wie soll denn dann eine solche Abstimmung gewertet werden? Die europäische Verfassung kommt ja durch völkerrechtlichen Vertrag zustande, dass heißt, jeder einzelne Mitgliedstaat muss zustimmen. Eine Abstimmung, die nur zum Schein stattfindet und die dann hinterher doch kein Gewicht hat, ruft, glaube ich, noch mehr Ärger bei den Bürgern hervor, als eine richtige Abstimmung. Aber eine Volksabstimmung, egal auf nationaler Ebene oder gesamteuropäisch, führt meiner Meinung nach in die Sümpfe der Radikalen. Das ist dann die Stunde der Stimmungsmache. Wir haben das erlebt in vielen Ländern. Das Beispiel Frankreich ist eben gezeigt worden, es war jetzt auch so in Schweden, als über den Euro abgestimmt worden ist und die Schwedische Bevölkerung sich in einem Stimmungsimpuls gegen die amtierende Regierung gerichtet hat und den Beitritt Schwedens zum Euro abgelehnt hat. Ich glaube, dass all diese Wege doch in die Irre führen.

    Remme: Unterschätzen Sie dabei nicht die mögliche Symbolwirkung eines Ja aller Europäer zu dieser Idee?

    Hintze: Ja, das ist ja schön, aber man muss doch sehen, was auf der Waage liegt. Ich glaube, dass es bei dieser Frage gar keine echte Ja-Nein-Alternative gibt. Und eine Frage, bei es keine Ja-Nein-Alternative gibt, kann man auch ganz schlecht dem Volk vorlegen. Für Deutschland, das mit der Europäischen Union zu seinem Vorteil so eng verknüpft ist, kann es ja gar kein Nein zu der Verfassung geben. Bei einer Frage, zu der alle verantwortlichen politischen Kräfte Ja sagen und nur die Radikalen Nein sagen, würde man nur den Radikalen eine große Bühne geben. Das halte ich für falsch.

    Remme: Was sagen Sie denjenigen, die dann behaupten, diese Idee der Europäischen Union, auch der erweiterten und der Verfassung, ist ein Werk von Eliten, solange man die Basis nicht befragt?

    Hintze: Ja, das sagen ja viele Politikwissenschaftler. Da muss man sagen, das ist eine richtige Analyse, aber wenn Sie zum Beispiel, was ich nicht hoffe, einer schweren Krankheit erliegen, dann entscheiden Sie sich für ein Krankenhaus, oder für einen Operateur, aber überlassen doch die fachliche Arbeit den Menschen, die davon etwas verstehen und damit lange arbeiten. Die komplizierten europäischen Verträge eignen sich nun mal überhaupt nicht dazu, zur Volksabstimmung einfach so zur Debatte gestellt zu werden, mit all den Folgerungen, die damit verbunden sind. Deutschland kann ja faktisch aus diesem wichtigen europäischen Verbund gar nicht heraus und das würde doch mit einem Nein eine ernsthafte Bedrohung sein.