Friedbert Meurer: Wie ernst ist denn aus Ihrer Sicht diesmal die Krise in Belgien?
Karl-Heinz Lambertz: Diese Lage ist sicherlich ernst, sie ist sogar sehr ernst, aber man sollte nicht übertreiben, die Existenz des belgischen Staates steht sicherlich nicht auf dem Spiel. Tatsache ist, dass der Konflikt zwischen Wallonen und Flamen so alt ist wie Belgien selbst, er hat allerdings in diesen Jahrzehnten seit 1830 einen Wandel gekannt. Die Kräfteverhältnisse sind anders geworden und heute stehen wir da, wo sicherlich eine Vertiefung, eine Fortsetzung der Umwandlung Belgiens von einem ehemals dezentralisierten Einheitsstaat in einen Bundesstaat ansteht. Und da sind die Standpunkte zwischen Flamen und Wallonen sehr gegensätzlich, ja, unvereinbar, und es wird, wie in Ihrem Beitrag auch gesagt, am Schluss da wohl ein belgischer Kompromiss her müssen, wenn das Ganze weiter soll. Aber belgische Kompromisse haben so ihre Eigenart, sie entstehen erst nach einer ziemlich intensiven Dramatisierung.
Meurer: So ist es bisher immer gewesen, Herr Lambertz. Vielleicht gibt es diesmal ja mal keinen Kompromiss.
Lambertz: Also, das glaube ich eigentlich als jemand, der jetzt 30 Jahre in der belgischen Politik doch schon relativ an konkreter Stelle mitmischt, nicht. Es wird einen Kompromiss geben, denn es gibt auch für die Flamen, die ja die fragende Partei zum jetzigen Zeitpunkt sind, keine wirkliche Alternative zum Fortbestand des belgischen Bundesstaates.
Meurer: Ist vielleicht, Herr Lambertz, auch der Wunsch sozusagen bei Ihnen Vater des Gedankens? Die deutschsprachige Gemeinschaft möchte auf jeden Fall ein intaktes Belgien auch weiterhin haben?
Lambertz: Das stimmt für die deutschsprachige Minderheit mit ihren 74.000 Menschen und ihrem Statut. Als kleinstes belgisches und sogar europäisches Bundesland wäre das Verschwinden des Staates, in dessen Rahmen das Ganze stattfindet, besonders schlimm, aber auch hier würde das Leben dann weitergehen. Aber es ist wirklich auch eine Beobachtung der belgischen Situation, mit einem Fuß drin, mit einem Fuß raus, weil wir ja als Minderheit zwar immer dabei sind, aber nicht bestimmend sein können. Da gibt es wirklich sehr, sehr viele Gründe, warum in Wirklichkeit niemand eine andere Alternative hat, als den belgischen Staat umzubauen, aber es wird noch sehr schwierig werden. Es ist übrigens so ungewöhnlich auch nicht. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon angeschaut haben, wie lange Regierungsbildungen in den letzten Jahren - von den Österreichern oder in den Niederlanden - gedauert haben, wie lange, jahrzehntelange, in Nordeuropa mit Minderheitsregierungen regiert worden ist und wie weit Sie jetzt in der Bundesrepublik mit der Föderalismusreform II sind beziehungsweise nicht sind und auch nicht kommen werden sehr wahrscheinlich. Bei diesen Grundsatzfragen, wo die Interessengruppen zwischen den Bestandteilen eines Bundesstaates so unterschiedlich zur Geltung kommen, da ist es sehr schwer. Und in Belgien kommt erschwerend hinzu, dass es eine Bipolarisierung ist und dass es in unserem Lande hier keine nationalen Parteien gibt.
Meurer: Bei dieser Bipolarisierung, bei diesen zwei großen Kräften - wo steht da die deutschsprachige Gemeinschaft?
Lambertz: Ja, das ist die Frage, die natürlich unser tägliches Schicksal ausmacht. Wir stehen natürlich irgendwo dazwischen, ohne jetzt der Gefahr erliegen zu dürfen, zermalmt zu werden oder aber auch der Versuchung, der Verlockung nicht zu widerstehen, da eine Schiedsrichterrolle spielen zu wollen. Die Rahmenbedingungen des belgischen Bundesstaates werden von den beiden staatstragenden Volksgruppen festgelegt.
Meurer: Also, Sie können nur zuschauen letzten Endes?
Lambertz: Wir können nicht nur zuschauen. Wir müssen zuschauen, wir müssen sogar genau hinschauen um zu sehen, was sich da verändert, aber dann müssen wir im richtigen Moment an der richtigen Stelle und zu den richtigen inhaltlichen Voraussetzungen unsere eigenen Forderungen auch stellen. Wir haben auch Interessen zu vertreten, die sind zwar nicht so konfliktuell wie diejenigen, um die es jetzt in der ersten Linie geht, aber alles, was man am belgischen Staat ändert, hat auch unmittelbare, direkte oder indirekte Konsequenzen für die Rechtsstellung der deutschsprachigen Gemeinschaft. Und da sind wir schon sehr wachsam und seitdem wir - das ist schon immerhin fast ein Vierteljahrhundert her - über ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung verfügen, sind wir schon in der Lage, da uns auch zielgerecht zu melden.
Meurer: Ist dieser Streit eher gut dafür, dass Sie noch mehr Rechte bekommen, oder eher schlecht?
Lambertz: Also, Streit ist ja eigentlich nie gut. Die jetzige Situation hat auch für uns Konsequenzen, aber die Dinge, um die es uns eigentlich geht in der besonderen Konstellation dieser Minderheit im belgischen Bundesstaat mit der etwas komplexen Organisation des Staates auf (...) Ebene sind Dinge, die eigentlich mit dem jetzigen Konflikt nichts direkt zu tun haben. Aber wenn Konflikt herrscht, ist natürlich manchmal die Veränderungsbereitschaft groß, manchmal auch klein, das ist dann jeweils eine Frage der Einzelbeurteilung.
Meurer: Sie haben vorhin einmal gesagt, die deutschsprachige Gemeinschaft steht mit einem Fuß drin, mit einem Fuß draußen in Belgien. Was meinen Sie mit einem Fuß draußen? Einige sollen schon dran denken, sozusagen nach Luxemburg umzusiedeln.
Lambertz: Nein, wenn ich sage, der eine Fuß draußen, der eine drin, dann spreche ich natürlich von dem Konflikt, um den es da geht. In Belgien stehen wir schon mit beiden Füßen und sehr fest. Die Hypothese, dass Belgien zerbricht, ist, wie ich eben sagte, nach meiner tiefen Überzeugung und Beobachtung eine fiktionale Sicht der Dinge, aber selbst wenn dieser Unfall passieren würde, müsste auch in Ost-Belgien, für die Menschen hier im Osten unseres Landes, das Leben weitergehen. Und dann ist von Bedeutung, dass man in solchen Situationen möglichst viele interessante Optionen hat, aber das ist ein ganz anderes Thema.
Meurer: Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Schönen Dank, Herr Lambertz, und auf Wiederhören.
Karl-Heinz Lambertz: Diese Lage ist sicherlich ernst, sie ist sogar sehr ernst, aber man sollte nicht übertreiben, die Existenz des belgischen Staates steht sicherlich nicht auf dem Spiel. Tatsache ist, dass der Konflikt zwischen Wallonen und Flamen so alt ist wie Belgien selbst, er hat allerdings in diesen Jahrzehnten seit 1830 einen Wandel gekannt. Die Kräfteverhältnisse sind anders geworden und heute stehen wir da, wo sicherlich eine Vertiefung, eine Fortsetzung der Umwandlung Belgiens von einem ehemals dezentralisierten Einheitsstaat in einen Bundesstaat ansteht. Und da sind die Standpunkte zwischen Flamen und Wallonen sehr gegensätzlich, ja, unvereinbar, und es wird, wie in Ihrem Beitrag auch gesagt, am Schluss da wohl ein belgischer Kompromiss her müssen, wenn das Ganze weiter soll. Aber belgische Kompromisse haben so ihre Eigenart, sie entstehen erst nach einer ziemlich intensiven Dramatisierung.
Meurer: So ist es bisher immer gewesen, Herr Lambertz. Vielleicht gibt es diesmal ja mal keinen Kompromiss.
Lambertz: Also, das glaube ich eigentlich als jemand, der jetzt 30 Jahre in der belgischen Politik doch schon relativ an konkreter Stelle mitmischt, nicht. Es wird einen Kompromiss geben, denn es gibt auch für die Flamen, die ja die fragende Partei zum jetzigen Zeitpunkt sind, keine wirkliche Alternative zum Fortbestand des belgischen Bundesstaates.
Meurer: Ist vielleicht, Herr Lambertz, auch der Wunsch sozusagen bei Ihnen Vater des Gedankens? Die deutschsprachige Gemeinschaft möchte auf jeden Fall ein intaktes Belgien auch weiterhin haben?
Lambertz: Das stimmt für die deutschsprachige Minderheit mit ihren 74.000 Menschen und ihrem Statut. Als kleinstes belgisches und sogar europäisches Bundesland wäre das Verschwinden des Staates, in dessen Rahmen das Ganze stattfindet, besonders schlimm, aber auch hier würde das Leben dann weitergehen. Aber es ist wirklich auch eine Beobachtung der belgischen Situation, mit einem Fuß drin, mit einem Fuß raus, weil wir ja als Minderheit zwar immer dabei sind, aber nicht bestimmend sein können. Da gibt es wirklich sehr, sehr viele Gründe, warum in Wirklichkeit niemand eine andere Alternative hat, als den belgischen Staat umzubauen, aber es wird noch sehr schwierig werden. Es ist übrigens so ungewöhnlich auch nicht. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon angeschaut haben, wie lange Regierungsbildungen in den letzten Jahren - von den Österreichern oder in den Niederlanden - gedauert haben, wie lange, jahrzehntelange, in Nordeuropa mit Minderheitsregierungen regiert worden ist und wie weit Sie jetzt in der Bundesrepublik mit der Föderalismusreform II sind beziehungsweise nicht sind und auch nicht kommen werden sehr wahrscheinlich. Bei diesen Grundsatzfragen, wo die Interessengruppen zwischen den Bestandteilen eines Bundesstaates so unterschiedlich zur Geltung kommen, da ist es sehr schwer. Und in Belgien kommt erschwerend hinzu, dass es eine Bipolarisierung ist und dass es in unserem Lande hier keine nationalen Parteien gibt.
Meurer: Bei dieser Bipolarisierung, bei diesen zwei großen Kräften - wo steht da die deutschsprachige Gemeinschaft?
Lambertz: Ja, das ist die Frage, die natürlich unser tägliches Schicksal ausmacht. Wir stehen natürlich irgendwo dazwischen, ohne jetzt der Gefahr erliegen zu dürfen, zermalmt zu werden oder aber auch der Versuchung, der Verlockung nicht zu widerstehen, da eine Schiedsrichterrolle spielen zu wollen. Die Rahmenbedingungen des belgischen Bundesstaates werden von den beiden staatstragenden Volksgruppen festgelegt.
Meurer: Also, Sie können nur zuschauen letzten Endes?
Lambertz: Wir können nicht nur zuschauen. Wir müssen zuschauen, wir müssen sogar genau hinschauen um zu sehen, was sich da verändert, aber dann müssen wir im richtigen Moment an der richtigen Stelle und zu den richtigen inhaltlichen Voraussetzungen unsere eigenen Forderungen auch stellen. Wir haben auch Interessen zu vertreten, die sind zwar nicht so konfliktuell wie diejenigen, um die es jetzt in der ersten Linie geht, aber alles, was man am belgischen Staat ändert, hat auch unmittelbare, direkte oder indirekte Konsequenzen für die Rechtsstellung der deutschsprachigen Gemeinschaft. Und da sind wir schon sehr wachsam und seitdem wir - das ist schon immerhin fast ein Vierteljahrhundert her - über ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung verfügen, sind wir schon in der Lage, da uns auch zielgerecht zu melden.
Meurer: Ist dieser Streit eher gut dafür, dass Sie noch mehr Rechte bekommen, oder eher schlecht?
Lambertz: Also, Streit ist ja eigentlich nie gut. Die jetzige Situation hat auch für uns Konsequenzen, aber die Dinge, um die es uns eigentlich geht in der besonderen Konstellation dieser Minderheit im belgischen Bundesstaat mit der etwas komplexen Organisation des Staates auf (...) Ebene sind Dinge, die eigentlich mit dem jetzigen Konflikt nichts direkt zu tun haben. Aber wenn Konflikt herrscht, ist natürlich manchmal die Veränderungsbereitschaft groß, manchmal auch klein, das ist dann jeweils eine Frage der Einzelbeurteilung.
Meurer: Sie haben vorhin einmal gesagt, die deutschsprachige Gemeinschaft steht mit einem Fuß drin, mit einem Fuß draußen in Belgien. Was meinen Sie mit einem Fuß draußen? Einige sollen schon dran denken, sozusagen nach Luxemburg umzusiedeln.
Lambertz: Nein, wenn ich sage, der eine Fuß draußen, der eine drin, dann spreche ich natürlich von dem Konflikt, um den es da geht. In Belgien stehen wir schon mit beiden Füßen und sehr fest. Die Hypothese, dass Belgien zerbricht, ist, wie ich eben sagte, nach meiner tiefen Überzeugung und Beobachtung eine fiktionale Sicht der Dinge, aber selbst wenn dieser Unfall passieren würde, müsste auch in Ost-Belgien, für die Menschen hier im Osten unseres Landes, das Leben weitergehen. Und dann ist von Bedeutung, dass man in solchen Situationen möglichst viele interessante Optionen hat, aber das ist ein ganz anderes Thema.
Meurer: Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Schönen Dank, Herr Lambertz, und auf Wiederhören.