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"Keiner darf wegsehen"

Unter dem Motto "Darfur – Verbrechen gegen die Menschlichkeit" eröffnet das Jüdische Museum eine Aktionswoche. In diesem Rahmen sind zwei Ausstellungen zu sehen. Außerdem findet eine internationale Konferenz statt. Mit dieser Woche wolle man ein Zeichen setzen, dass diese riesige menschliche Tragödie uns alle angeht, sagte Michael Blumenthal.

Moderation Elke Durak |
    Elke Durak: Heute, am Donnerstag, soll es einen Friedensgipfel der Afrikanischen Union und der UNO geben. Und heute, am Donnerstag, beginnt das Jüdische Museum Berlin mit einer Aktionswoche unter dem Motto "Darfur – Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Sie steht unter der Schirmherrschaft des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan, und auch die Organisation Human Rights Watch gehört zu den Unterstützern. Michael Blumenthal ist Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, nun am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Blumenthal!

    Michael Blumenthal: Guten Morgen!

    Durak: Weshalb denn Darfur?

    Blumenthal: Weil es eine riesige menschliche Tragödie ist, die uns alle angeht, und weil es wichtig ist, die Öffentlichkeit darüber zu informieren und das Bewusstsein der Menschen über diese schrecklichen Ereignisse in Afrika zu unterrichten, damit mehr unternommen wird, das zu Ende zu bringen.

    Durak: Wie wollen Sie die Menschen erreichen? Was wird also in der Aktionswoche gesagt, getan, gezeigt?

    Blumenthal: Wir haben Besucher aus allen Teilen der Welt, auch aus Afrika, die über dieses Thema sehr gut informiert sind. Wir haben Repräsentanten eingeladen von den verschiedenen Ministerien, von anderen öffentlichen Organisationen, Repräsentanten der verschiedenen Kirchen, auch des Zentralrats der Juden, der politischen Parteien und viele Menschen aus der Öffentlichkeit. Wir haben eine Ausstellung im Museum mit Bildern, Fotografien über die Ereignisse in Darfur, mit Kinderzeichnungen aus den Flüchtlingslagern. Wir werden diese Bilder auch an der Außenwand unseres Museums jeden Abend projizieren, damit die Bevölkerung, die hier vorbeikommt, das alles sehen kann, und wir werden eine Woche lang Symposien und Debatten haben, um das Thema richtig zu behandeln und mögliche Lösungen zu diskutieren.

    Durak: Wie behandelt man das Thema Darfur richtig, Herr Blumenthal?

    Blumenthal: Man muss sich erstmal dafür interessieren und es verstehen. Was mich immer traurig macht, ist, dass zu wenig Menschen überhaupt davon etwas wissen oder verstehen, wie schrecklich es ist, überhaupt wissen, dass Hunderttausende Menschen ihr Leben verloren haben, unschuldige Menschen, dass Millionen obdachlos geworden sind und in Flüchtlingslagern sind, Frauen vergewaltigt worden sind, Kinder ihre Eltern verloren haben, und in unserer Geschichte, selbst im 20. Jahrhundert gibt es genug Beispiele, dass die Welt bei solchen schrecklichen Ereignissen im Grunde genommen weggesehen hat, und das darf nicht wieder passieren. Und so wollen wir hier eben ein Zeichen setzen und eben versuchen, die Menschen zu animieren, sich wirklich mit diesem Thema zu befassen.

    Durak: Woran liegt es denn, dass die Menschen so wenig davon wissen, wie Sie sagen?

    Blumenthal: Weil es in den Medien nicht genug berichtet wird, weil auch die Regierung und öffentliche Kreise mit diesem schwierigen Thema sich nicht genügend beschäftigen und weil es irgendwie für Menschen hier in diesem Land, aber auch bei mir in Amerika, in meinem Land, irgendwie das klingt so, als ob das sehr weit weg ist. Wenn einem Kind etwas passiert bei uns in der Nähe, dann ist es auf der ersten Seit der Zeitung. Wenn da Hunderttausende von Menschen umkommen und Tausende von Kindern umkommen, dann wird es oft gar nicht berichtet. Es ist einfach eine Frage des Bewusstseins und des Blicks, der nicht weit genug geht.

    Durak: Den Blick wollen Sie öffnen, mit Kinderzeichnungen auch, Sie haben es erwähnt. Ich habe hier einen Prospekt in der Hand, da wird gezeigt ein Bild, eine Strichmännchenzeichnung, ein, zwei große Flugzeuge, daraus fallen Bomben, darunter die Personen, Strichmännchen, und Blut. Dazu schreibt Taha, 13 oder 14 Jahre alt, ich weiß nicht einmal, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist: "Am Nachmittag, als wir aus der Schule kamen, sahen wir Flugzeuge. Die erste Bombe fiel in unseren Garten, dann vier weitere. Sechs Leute wurden dabei getötet, darunter befanden sich ein kleiner Junge, ein Baby, das von seiner Mutter getragen wurde, und ein Mädchen." Auch dies wird zu sehen sein an Ihrem Gebäude. Woher haben Sie diese Kinderzeichnungen? Aus Flüchtlingslagern, schon, aber wer hat Ihnen die zur Verfügung gestellt?

    Blumenthal: Es gibt verschiedene wunderbare Organisationen, Nichtregierungsorganisationen. Human Rights Watch ist eine, die mit uns kooperiert, Ärzte ohne Grenzen, Darfur Darfur. Es gibt auch Fotografen, die dort gewesen sind, und Hilfsorganisationen für Flüchtlinge, und durch diese Organisationen sind diese Bilder gesammelt worden und zustande gekommen, und die benutzen wir. Das ist schon einmal gezeigt worden, und zwar im Holocaustmuseum in Washington D.C. in Amerika, und für die große Projektion hier an der Außenwand unseres Museums benutzen wir dieselben Bilder.

    Durak: Und wie waren die Reaktionen damals?

    Blumenthal: Die Reaktionen waren beklemmend. Die Menschen erkennen auf einmal, was für eine schreckliche Tragödie sich da abspielt, und werden dadurch animiert, sich mehr zu informieren und mehr Druck auszuüben auch auf ihre eigene Regierung, mehr zu tun.

    Durak: Beklemmung, Sorge, Angst, Betroffenheit, vielleicht auch Mitleid, sollten auch umschlagen in Aktion, Herr Blumenthal. Ich denke, dass Ihre Aktionswoche auch dazu dienen soll. Sie haben verschiedene Konferenzen erwähnt, es wird auch ein Konzert mit Daniel Barenboim und seinem East-Western Divan Orchestra geben. Wie viel politische Unterstützung haben Sie bereits und wollen Sie erreichen?

    Blumenthal: Ich kenne keinen auch aus politischen Kreisen, der oder die diese Aktionswoche, die wir hier organisieren, nicht begrüßt. Wir werden auch Repräsentanten von den verschiedenen Ministerien und aus politischen Kreisen hier haben. Was sich daraus ergibt, wird sich zeigen. Wir wollen ja nur das Forum sein, auf dem diese Debatte vertieft und ausgelöst wird. Den Menschen muss ja auch jetzt gleich geholfen werden, auf menschlicher Basis, mit Lebensmitteln und Geld und Kleidung und so weiter. Vielleicht wird sich aus dieser einen Aktionswoche etwas Konkretes ergeben, vielleicht ein Netzwerk von interessierten Menschen und Organisationen hier in Deutschland, die weiter helfen wollen danach, die das weiter verfolgen wollen, das Thema. Das wird sich alles erst im Laufe der Woche zeigen. Auf alle Fälle wollen wir hier im Jüdischen Museum nur beweisen, dass für uns diese Menschenrechtsverletzungen gegen jede Minderheit, egal wo es ist, gegen unschuldige Menschen, etwas ist, das wir nicht tolerieren dürfen und wo keiner wegsehen darf.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.