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Quim Monzó: „Benzin“
„Keinerlei Leidenschaft mehr“

Wenn die Fantasie brach liegt: Quim Monzó spürt in seinem ironischen Künstler-Roman „Benzin“ den Kreativitätskrisen von zwei katalanischen Malern in New York nach.

Von Christoph Vormweg | 14.10.2022
Quim Monzó: "Benzin"

Zu sehen sind der Autor und das Buchcover, darauf ein Cafe bei Nacht
Quim Monzó, Autor von "Benzin", hat einen Hang zum Grotesken (Buchcover: Frankfurter Verlagsanstalt / Foto: Imago / Leemage)
Erfolg kann träge machen, die Inspiration baden gehen. Zu viel Suff, zu viele Liebeleien, zu viel Eitelkeit, zu viel Exzentrik: gerade in der New Yorker Kunst-Szene scheint das völlig normal.
„Seit Tagen […] ist ihm, als schliefe er wach oder lebe er schlafend.“
Der aus Barcelona stammende Maler Heribert Julià bereitet eine Doppelausstellung vor. Er soll und will seinen frisch ergatterten Ruhm bestätigen. Doch nach der Silvesterfeier zündet seine Fantasie nicht mehr.
„Er steigt die Treppe ins Atelier hoch, rührt ein paar Farben an, stellt das
Radio ein und tupft ohne große Lust weiter Schwarz auf die Leinwand, wo auf einer Kohlezeichnung ein Mann auf einem Barhocker seinen Kopf auf den Tresen stützt.“

Ein Maler in der Kreativitätskrise

Heribert ist Mitte 30. Eigentlich zu früh für eine Midlife-Crisis. Doch die Langeweile hält ihn im Würgegriff. Auch erotisch fehlt jede Anziehungskraft. Sowohl seine Lebensgefährtin Helena, die zugleich seine Galeristin ist, als auch Hildegarda, seine Geliebte, öden ihn an. Und diese trübe Grundstimmung droht auch auf die Leserinnen und Leser überzugreifen. Doch Quim Monzós ironische Untertöne haben Qualitäten. Mehr noch: Heribert zeigt mannhaft Widerstand. Erst versucht er seine nächtlichen Träume im Halbschlaf so zu steuern, dass sie spannender, unvorhersehbarer, erotischer werden. Dann beobachtet er in einer Buchhandlung eine Frau, die vielleicht ein Buch stehlen will, und verfolgt sie danach, um ihr zu sagen, dass er gar kein Detektiv des Hauses sei und sie das Buch ruhig hätte klauen können. Dieses skurrile Um-die-Ecke-Denken ist typisch für den Roman „Benzin“. Heriberts unruhige Fantasien haben die Gabe, jede Wahrnehmung zu brechen und uns auf unerwartete Assoziationswege zu entführen. So in einer Bar, wo er Trost beim Tequila-Trinken sucht.
„Schon der Gedanke an das Ritual, vor dem ersten Schluck das Salz zu lecken und die Zitrone auszulutschen, nervt ihn. Er kippt den Tequila hinunter und bestellt noch einen. Der Kellner bringt einen weiteren Tequila mit einem Zitronenschnitz. Wenn er noch mehr bestellt, wird der Tisch bald voller Zitronenschnitze sein. Und warum hat er ihm keinen neuen Salzstreuer gebracht? Er hat ja nicht nur die Zitrone nicht ausgelutscht, sondern auch den Salzstreuer nicht benutzt, also hätte er ihm auch einen neuen Salzstreuer bringen müssen. Irgendetwas passt da nicht zusammen.“

Quer durch Absurdistan

So folgen wir dem katalanischen, in New York erfolgreichen Maler durch sein ganz persönliches Absurdistan. In seiner Not besucht er sogar einen Sexshop. Doch auch dort: nichts als ausbleibende Erektionen. Quim Monzós mäandernde Prosa demonstriert das enorme, auch komische Talent des damals 31-Jährigen. Der zweite, kürzere Roman-Teil bringt dann noch die Doppelung der satirischen Note. Dort beschreibt er nach Heribert Juliàs Absturz den Aufstieg von Humbert Herrera, auch er ein katalanischer Maler. Heriberts Galeristin Helena wechselt einfach nur das Bett. Die Vermarktungsstruktur bleibt, die kriselnde Kreativkraft landet auf dem Müll. Und – so will es die Ironie: Heriberts letzte Muse Hildegarda wird auch für Humbert Herrera zum Verhängnis.
„Humbert hat ein Bild vor Augen mit einer blassen, schmachtenden Hildegarda inmitten von Bäumen, Pflanzen [...] Wie würde dieses Bild in der Tripelausstellung im Januar einschlagen! […] Wie mittelmäßig werden die Bilder von Heribert im Vergleich zu seinen aussehen, entflammt von einer unwiderstehlichen Leidenschaft! Schon stellt er sich die Schlagzeilen der Kunstkritiker vor: Auf zu einer neuen Romantik? Um dieser Schublade zu entgehen, könnte er vielleicht auch jedes Werk in einem anderen, inzwischen vergessenen oder teilweise veralteten Stil malen, der sich als neu bezeichnen könnte: Neo-Kubismus, Neo-Op-Art [...], Neo-Dadaismus […],
Neo-Klassizismus, […] Neo-Pop...“
Die Art, wie sich der Kunstmarkt immer weiter selbst zu überbieten versucht, hat sich bis heute kaum geändert. Insofern hat Quim Monzós Roman „Benzin“ mit all seinen Verrücktheiten wenig an Aktualität eingebüßt. Literarisch besonders gekonnt ist vor allem die – zuweilen ins Surreale spielende - Verkettung der Motive. Dazu gehören das spannungssteigernde Beschatten fremdgehender oder begehrter Frauen oder die immer wieder zelebrierte Wirkungswucht der Bilder Edward Hoppers.
Quim Monzó: „Benzin“
Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a M., 256 Seiten, 24 Euro.