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Kermani: Streit um NSU-Gerichtsprozess ist Ansehensverlust für Deutschland

Die Justiz im NSU-Prozess müsse natürlich neutral bleiben, sagt Navid Kermani. Allerdings könne sie nicht an den Opfern "preußische Verwaltungsakrobatik exerzieren". Der Schriftsteller und Orientalist sieht in den fehlenden Plätzen für türkische Journalisten im Gerichtssaal ein tief sitzendes Sensibilitätsproblem gegenüber Minderheiten in Deutschland.

Navid Kermani im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.04.2013
    Tobias Armbrüster: Irgendwas scheint nicht zu funktionieren im Zusammenleben zwischen Deutschen und Einwanderern in Deutschland. Immer wieder kochen bei uns Debatten hoch über die Frage etwa, ob der Islam ein Teil Deutschlands sei, oder, wie jetzt gerade aktuell, ob türkische Reporter Anspruch haben sollten auf einen Sitzplatz im Münchener NSU-Prozess. Viele Integrationspolitiker fordern in solchen Debatten ein klares Signal aus der Politik, dass Einwanderer bei uns willkommen sind, und in dieses Horn hat kurz vor Ostern auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime gestoßen. Er hat einen gesetzlichen Feiertag für die vier Millionen Muslime in Deutschland gefordert. - Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani befasst sich in seiner Arbeit immer wieder mit dem Zusammenleben von Deutschen und Migranten, zuletzt auch in seinem Buch "Vergesst Deutschland!", und er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Kermani!

    Navid Kermani: Guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Kermani, lassen Sie uns zunächst mal bei dieser aktuellen Forderung bleiben, die wir da kurz vor Ostern gehört haben. Brauchen die Muslime in Deutschland einen eigenen gesetzlichen Feiertag?

    Kermani: Also ich glaube nicht, dass es das ist, was den Menschen im Augenblick auf den Nägeln brennt. Ich sehe jedenfalls nicht, dass da eine wirklich dringliche Forderung bei sehr vielen Menschen ist. Das scheint mir, eher ein Nebenschauplatz, eine Scheindebatte zu sein.

    Armbrüster: Eine Scheindebatte, die von etwas anderem ablenken soll?

    Kermani: Ja, von dem wirklich wichtigen Thema. Ich will nicht sagen, dass die, die diese Debatte ins Leben gerufen haben, davon ablenken wollen, aber es gibt im Augenblick wirklich dringlichere Probleme als die Frage, welchen Feiertag nimmt man weg und ersetzt ihn durch einen muslimischen Feiertag. Denn das führt genau zu diesen Besitzstandsdebatten, die wir hier nicht gebrauchen können. Und es gibt reale Probleme und jeder weiß, wovon ich spreche, wenn ich etwa auf diesen NSU-Prozess schaue, aber auch anderes. Das ist reale Politik, darüber muss gesprochen werden.

    Armbrüster: Lassen Sie uns trotzdem, bevor wir zum NSU-Prozess kommen, kurz bei dieser Feiertagsdiskussion bleiben. Ist es denn nicht ein sehr schwaches Signal, wenn die vier Millionen Muslime in Deutschland erleben, dass die christlichen Deutschen, die Christen in Deutschland einen gesetzlichen Feiertag oder diese vielen gesetzlichen Feiertage garantiert bekommen und für diese Muslime ist kein einziger Feiertag drin?

    Kermani: Ja ich denke schon, dass sich das im Laufe der Zeit ändern wird. Aber ich glaube nicht, dass die Muslime sich daran stören, dass das hier ein christlich geprägtes Land ist. Jedenfalls meine Eltern haben sich nie daran gestört, und ich sehe das als selbstverständlich an und das wird ja auch nicht wirklich infrage gestellt. Ich glaube, es würde im Augenblick schon mal reichen, wenn Arbeitgeber Verständnis zeigen würden, wenn etwa ein Arbeitnehmer zum Opferfest frei haben möchte, oder wenn an den Schulen und Kindergärten so ein Festtag zur Kenntnis genommen würde. Das wären ja schon mal Schritte zu einer Normalisierung und das geschieht ja auch hier und dort und dann kann man irgendwann auch über Feiertage reden. Aber im Augenblick, finde ich einfach, gibt es wichtigeres.

    Armbrüster: Dann würden Sie auch nicht sagen, dass die deutsche Gesellschaft zumindest in Teilen heutzutage türkisch geprägt ist, oder muslimisch geprägt ist, um es mal so zu sagen?

    Kermani: Um dieses berühmte Wort aufzunehmen: natürlich ist der Islam ein Teil Deutschlands. Das ist ja offenkundig, wenn man sich in den Städten umschaut, in den Schulen umschaut, auf den Arbeitsplätzen umschaut, in der Nationalmannschaft umschaut. Also das ist ja ein völliges Verkennen der Realität, ein Wunschdenken, zu sagen, die gehören nicht dazu, oder nur die Muslime gehören dazu, aber nicht der Islam gehört dazu. Das finde ich eigentlich schon ein bisschen lächerlich. Nur das heißt ja noch nichts. Er ist ein Teil Deutschlands, aber wie diese Realität aussieht, das muss jeden Tag natürlich neu verhandelt werden.

    Armbrüster: Diese Diskussion um den Feiertag, die wir da erlebt haben, war ja nur die letzte Episode in einer ziemlich langen Debatte rund um das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland. Häufig geht es in solchen Debatten um türkische Einwanderer und deren Familien, und in der vergangenen Woche stand nun auf einmal die Frage im Raum, wie es eigentlich passieren kann, dass die türkischen Medien keinen festen Presseplatz beim NSU-Prozess in München bekommen. Dass sie diesen Platz nicht bekommen, ist das ein weiteres Zeichen dafür, dass die Interessen von Einwanderern bei uns in Deutschland wenig oder gar kein Gehör finden?

    Kermani: Es ist jedenfalls ein Symptom für das Verkennen der politisch-gesellschaftlichen Dimension eines Falles, auch das, was so eine Mordserie bedeutet, was sie auslöst, welche Auswirkungen sie hat auf die gesamte Gruppe von Menschen, die dort umgebracht oder gezielt umgebracht worden sind. Hier sind ja Menschen umgebracht worden völlig anonym. Es ging ja gar nicht darum, wer dieser oder jener ist, sondern es ging einfach darum, namenlos, Hauptsache es sind Migranten, Hauptsache es sind Türken. Und das beunruhigt natürlich die gesamte Gruppe von Migranten, das kann ja gar nicht anders sein. Nun möchte ich nicht von den Ermittlungspannen bei der Aufklärung der NSU-Morde kurzschließen auf die Münchener Justiz und ich glaube auch nicht an eine allgemeine Verschwörung, aber dass man anders, sensibler hätte reagieren können, regeln können, ist doch wohl offensichtlich, und das führen andere Länder, auch andere Bundesländer vor.

    Armbrüster: Wie kommt denn dieses umstrittene Akkreditierungsverfahren in München bei den muslimischen Einwanderern in Deutschland an?

    Kermani: Ich glaube, es kommt genauso an wie es bei jedem verständigen Menschen ankommt. Man fragt sich einfach, wie abgeschottet von der Welt solche Beamten leben, wie unfähig zu allem Einfühlungsvermögen. Natürlich muss die Justiz neutral sein, aber sie muss auch an den Opfern und vor allem auch an den Opfergruppen nicht preußische Verwaltungsakrobatik exerzieren. Wer sich so etwas ausdenkt wie diesen kleinen Saal, wer sich so etwas ausdenkt wie diese Platzvergabe nach Reihenfolge, dann kann man doch mit etwas Fantasie vorhersehen, dass lauter Münchener Lokalsender einen Platz bekommen, aber eben keine "Hürriyet", keine "New York Times", soweit ich sehe, und das ist schon ein bisschen unfassbar und das ist an sich auch Ansehensverlust, wenn man jetzt von den deutschen Interessen ausgeht, nicht nur in der Türkei, sondern auch in anderen Ländern. Das wird hier noch gar nicht richtig registriert.

    Und wenn ich noch einen Punkt dazu sagen kann: Die Politik kann natürlich diesem Gericht nichts vorschreiben, aber sie kann schon reagieren auf so ein Vorgehen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen und würde es mir wünschen, dass, sagen wir, zum Beispiel der Bundespräsident zum Prozessauftakt an der Seite des türkischen Botschafters erscheint. Dann wäre ich mal gespannt, ob dann immer noch kein Platz im Gerichtssaal sich finden würde.

    Armbrüster: Aber wäre denn nicht genau das so ein Zeichen dafür, dass sich die deutsche Politik in die deutsche Justiz einmischt?

    Kermani: Nein! Wieso? Er kann doch als interessierter Beobachter zu diesem Prozess gehen. Es muss ja nicht der Bundespräsident sein, es kann der Innenminister sein, es kann Herr Seehofer sein. Und dann würde ich mal gerne sehen, ob das dann immer noch so aussieht, als fände sich da kein Platz. Hier von vornherein zu sagen, es geht hier um neun türkischstämmige oder vor allem auch neun türkische Staatsbürger, die in Deutschland umgebracht worden sind, mit unglaublichen Ermittlungspannen, Fehlern, teilweise offenbar sogar mit einem Mitwirken des Verfassungsschutzes, wenn ich daran denke, dass die Eltern von den Attentätern noch gewarnt werden, dass sie beschattet werden. All solche Dinge, und dass da der türkische Staat, dass da die türkischen Medien ein Interesse haben, das finde ich vollkommen normal. Und wenn das nicht geschieht, dann kann eine Politik auch reagieren und sagen, na gut, dann sind wir hier als interessierte Seite auch dabei.

    Armbrüster: Aber wie hilfreich ist es denn, wenn sich jetzt auch der türkische Außenminister in diese Debatte einschaltet, so wie jetzt geschehen?

    Kermani: Na ja, es ist überhaupt nicht hilfreich. Aber stellen Sie sich vor, die deutsche Regierung würde sich umgekehrt in dem Fall komplett still verhalten, also wenn es um neun deutsche Staatsbürger in der Türkei gehen würde und deutsche Terroropfer in der Türkei? Dann könnten Sie sich ausmalen, was hier in den deutschen Medien, was hier im Deutschlandfunk, was auf der "Bild"-Seite, auf der Schlagzeile der "Bild"-Seite dann los wäre.

    Armbrüster: Wo sehen Sie die tiefer liegenden Ursachen für diese Akkreditierungspanne, wenn man es mal so nennen kann, in München?

    Kermani: Ich glaube, das ist ein tief sitzendes Sensibilitätsproblem, dass man nicht wahrnimmt, was so etwas bedeutet für eine Minderheit, wenn da ganz gezielt Mitglieder aus dieser Minderheit umgebracht werden, egal wo sie sind, egal wie alt sie sind, oder vor allem im gebärfähigen Alter. Darum ging es ja, es sind alles türkische Männer, die noch hätten Kinder zur Welt bringen können, die gezielt umgebracht worden sind, dass man da einfach nicht wahrnimmt, was das bewirkt, welche Ängste das hervorruft.

    Armbrüster: Kommt so etwas möglicherweise bei der Ausbildung deutscher Beamter zu kurz?

    Kermani: Das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, dass insgesamt die Gesellschaft schon viel, viel weiter ist als die Institutionen und dass so etwas auch langsamer in den Institutionen hinaufwächst an Sensibilität, an Einfühlungsvermögen. Aber es ist offenkundig nicht nur das Problem eines einzelnen Gerichtes, wenn Sie jetzt die Berichte sehen und hören vom Verfassungsschutz mit offenkundig rassistischen islamfeindlichen Äußerungen, die da kursieren. Wenn so etwas der Verfassungsschutz ist, dann fragt man sich, weshalb man eigentlich die NPD noch verbieten will.

    Armbrüster: Ist es denn vor diesem Hintergrund dann nicht eigentlich eine logische Schlussfolgerung, so wie es jetzt immer geschieht, wenn man zum Beispiel von Hausbränden hört, so wie in den vergangenen Tagen hier in Köln, wo ein Haus gebrannt hat, in dem auch türkischstämmige Bewohner leben, dass die Ermittlungsbehörden von vornherein sagen, entweder wir ermitteln in alle Richtungen, oder wir können von vornherein ausschließen, dass es einen rechtsterroristischen Hintergrund gegeben hat?

    Kermani: Ja, das ist schon ein bisschen auffällig, wie schnell das dann ausgeschlossen wird. Aber ich muss auch zugeben, dass da vielleicht auch ein bisschen aufseiten der Türken oder jedenfalls der Migranten mittlerweile auch so eine leichte Hysterie ist, aber auch vielleicht berechtigt nach dem, was vorgefallen ist im Zuge dieser NSU-Morde. Also ich kann das nicht beurteilen. Ich würde niemandem etwas unterstellen, dass er etwas vertuscht, oder irgendeinem Feuerwehrbeamten schon gar nicht. Aber auch hier zeigt sich wieder, dass man offenbar nicht verstanden hat, dass hier eine große Unsicherheit herrscht bei Angehörigen einer relativ großen Minderheit in Deutschland.

    Armbrüster: Live hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk war das der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani. Besten Dank, Herr Kermani, für das Gespräch.

    Kermani: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.