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Kernige Kollisionen

Teilchenphysik. - In Genf ist vor kurzem der größte Beschleuniger der Welt, der LHC, in Betrieb gegangen. Derzeit ruht die Arbeit, weil bei Probeläufen etwas schief ging, doch wenn sie wieder aufgenommen werden kann, erhoffen sich die Beteiligten nobelpreiswürdige Entdeckungen.

Von Frank Grotelüschen | 07.10.2008
    "Wir haben hier mehr Stahl verbaut als im Eiffelturm in Paris."

    Michael Eppard ist Physiker. Er hat an der größten Wissenschaftsmaschine aller Zeiten mitgebaut – zusammen mit 10.000 anderen Forschern aus aller Welt. Der riesige Apparat findet sich am Cern in Genf, eingebaut in einen 27 Kilometer langen Ringtunnel. Seine Mission: neue Elementarteilchen aufspüren und den Physikern verraten, aus was Materie im Innersten besteht. Sein Name: Large Hadron Collider, kurz LHC.

    Der Riesenbeschleuniger ist in einen unterirdischen Ringtunnel eingebaut, 100 Meter tief unter der Erde. Mehr als eine Minute fährt der Fahrstuhl, dann öffnet sich die Tür. Der Weg führt durch Gänge mit kahlen, nackten Betonwänden.

    "Der Tunnel ist 27 Kilometer lang, und es gibt acht Zugangsstellen."

    Michael Eppard deutet auf eine Wand. An ihr lehnen mehrere Fahrräder.

    "Unter Umständen müssen Sie viele Kilometer zurücklegen, um zu Ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Da ist die einfachste Möglichkeit, ein Fahrrad zu nehmen."

    Der Beschleuniger-Tunnel ähnelt einem U-Bahn-Tunnel. Doch statt Schienen reihen sich unzählige Röhren aus Stahl aneinander – meterdick und blau lackiert.
    "Das sind die blauen, 15 Meter langen Magnete. Davon gibt es 1232 Stück. Wir müssen diese Magneten auf 27 Kilometern auf die Temperatur von Flüssighelium runterkühlen – auf 1,9 Kelvin!"

    1,9 Kelvin, das sind minus 271 Grad Celsius. Nur bei so einer Extremtemperatur können die wuchtigen Magnetröhren funktionieren. Sie haben die Aufgabe, die Teilchen, die der LHC beschleunigt, auf ihrer 27 Kilometer langen Kreisbahn zu halten. Es sind Protonen, Wasserstoffkerne. Sie fliegen mit einer Geschwindigkeit von knapp 300.000 Kilometern pro Sekunde durch den Ring. Die Hälfte der Protonen fliegt im Uhrzeigersinn, die andere Hälfte dem Uhrzeigersinn entgegen.

    Dann, an bestimmten Stellen des Ringes in riesigen unterirdischen Hallen, treffen die Protonen mit voller Wucht aufeinander. Die Kollisionen werden von riesigen Teilchenkameras beobachtet, Detektoren genannt. Sie suchen nach neuen Elementarteilchen, die bei den Kollisionen entstehen sollen. Michael Eppard deutet auf einen Detektor – ein bunt lackierter Metallklotz, hoch und breit wie ein Bürohaus.

    "Alle Elemente in Rot und Orange, die Sie hier sehen, sind Stahl und Eisen. Das sind mehr als 7000 Tonnen. Und der Eiffelturm in Paris wird auf 7000 Tonnen geschätzt."

    CMS, so heißt das Metallmonstrum. Die wohl komplexeste Kamera der Welt, vollgestopft mit Abertausenden von Einzelsensoren. Mittendrin steckt ein Magnet, einer der stärksten überhaupt.

    "Das ist der größte supraleitende Magnet, der jemals gebaut wurde. Er hat einen Durchmesser von sechs Metern und eine Länge von neun Metern. Dieser Magnet wird gekühlt auf die Temperatur von Flüssighelium. Und dann lassen wir 20.000 Ampere Strom in diesen Magneten rein. Das ist extrem viel. Die gespeicherte Energie ist so viel, da könnte man 18 Tonnen Gold mit schmelzen."

    Im nächsten Frühjahr sollen die Messungen endlich beginnen – vorausgesetzt, man hat den LHC, der vor zweieinhalb Wochen bei einem seiner ersten Testläufe kaputt gegangen ist, bis dahin repariert. Mit handfesten Ergebnissen ist wohl frühestens 2010 zu rechnen. Mit etwas Glück sind auch sie einen Physik-Nobelpreis wert.