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"Kernkraft liefert preiswerte und sichere Energie"

Die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Katherina Reiche hat das Festhalten der Union an der Atomenergie verteidigt. Es gehe darum, die Energiepreise in Deutschland halbwegs stabil zu halten und die Energieversorgung sicher und sauber zu gestalten, sagte Reiche. Sie rief die SPD auf, sich über eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten Gedanken zu machen.

Moderation: Christian Schütte | 30.06.2008
    Christian Schütte: Die Große Koalition hat sich mit Zoff in die parlamentarische Sommerpause verabschiedet. Politiker von SPD und Union beschuldigten sich gegenseitig, dafür verantwortlich zu sein, dass die Koalition bei ihren Projekten kaum noch voran komme. Die Schärfe der Äußerungen erinnert bereits an Bundestagswahlkampf, obwohl der offiziell ja noch gar nicht begonnen hat. Eines der Streitthemen: die Zukunft der Atomkraft in Deutschland. Darüber sprechen wir mit Katherina Reiche von der CDU. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Bildung, Forschung, Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Guten Morgen, Frau Reiche.

    Katherina Reiche: Guten Morgen, Herr Schütte.

    Schütte: Wie verantwortlich handelt die Union, indem sie eine Risikotechnologie verharmlost und damit auf Wählerfang geht?

    Reiche: Es geht darum, die Energiepreise in Deutschland halbwegs stabil zu halten und unsere Energieversorgung sicher, sauber und sozial zu gestalten - nicht nur in den nächsten zwei, drei Jahren, sondern bis weit über 2020 hinaus. Und in diesem Dreiklang sauber, sicher und sozial spielt die Kernkraft eine ganz wichtige Rolle, denn die Kernkraft ist CO2-frei und die Kernkraft ist eine Technologie, die wir hier in Deutschland mit den sichersten Kernkraftwerken der Welt beherrschen. Wenn man weiß, dass Kernkraft 30 Prozent am Stromanteil liefert, so ist dieser Anteil nicht einfach eben so zu ersetzen, schon gar nicht preiswert. Deshalb sagen wir als Union, muss die SPD umdenken und sich mindestens über eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke Gedanken machen.

    Schütte: Mit dem jetzigen Koalitionspartner SPD ist der Ausstieg vom Atomausstieg aber nicht zu machen. Also geht es der Union im Moment nur um die Aufmerksamkeit?

    Reiche: Wenn die SPD so weiter macht, auch in Gestalt ihres Bundesumweltministers, dann wird sie zum Strompreistreiber Nummer 1. Die Kernkraft liefert heute preiswerte und sichere Energie. Wer die Verbraucherinnen und Verbraucher beobachtet - und das kann man täglich an der Tankstelle oder im Gespräch mit den Nachbarn tun -, so sollte doch der Staat wenigstens im Strombereich dafür sorgen, dass nicht auch dort noch die Preise dramatisch ansteigen. Wir haben als Union gesagt, wir wollen die erneuerbaren Energien fördern. Wir müssen definitiv Effizienz stärker fördern - insbesondere im Haus- und Wohnungsbereich. Aber dort wo wir es können, nämlich durch einen klugen Energiemix in Deutschland die Preise so zu halten, dass sie nicht dramatisch ansteigen, dort sollten wir das tun. Deshalb plädiere ich dafür, einen Mix aus Kohle, Kernkraft und erneuerbaren Energien hier in Deutschland zu halten. Unsere europäischen Nachbarn machen uns das vor.

    Schütte: Also Atomkraft gewissermaßen als Wunderwaffe gegen steigende, explodierende Energiepreise. Allerdings Wohnungen werden weder mit Atomkraft beheizt, noch fahren Autos mit Atomkraft.

    Reiche: Das ist richtig. Zu einem klugen Mix gehört, die einzelnen Sektoren auch anzuschauen. Im Wärmebereich ist es in der Tat so, dass wir mit Effizienz, mit Wärmemaßnahmen, auch durch den Einsatz erneuerbarer Wärme, aber auch mit moderner Brennwerttechnologie weiter kommen. Im Spritbereich ist es so, dass wir auf effizientere Automobile setzen müssen und auch auf völlig neue Konzepte, wenn ich an den Einsatz von Brennstoffzellen denke. Wenn man aber an den Strombereich denkt - das ist halt der dritte Sektor -, dann haben wir die Aufgabe, einen Energiemix so zu gestalten, dass er zukunftsfähig ist. Wir wollen bis 2020 um die 30 Prozent erneuerbaren Strom am Gesamtstromverbrauch erzeugen. Das heißt aber, 70 Prozent müssen immer noch aus anderen Energiequellen kommen. Das kann die Kohle sein, das wird auch die Kohle sein, aber auch mit modernen Technologien. Aber es wird auch die Kernkraft sein. Und dann dient eben auch ein Blick über die europäischen Grenzen, wo alle unsere Nachbarn beginnen umzudenken. Ich finde Deutschland kann es sich nicht leisten, sich aus diesem europäischen Konzert zu verabschieden.

    Schütte: Wirtschaftsminister Glos von der CSU und Umweltminister Gabriel von der SPD haben beide einmal gemeinsam nachgerechnet, wie viel der Klimaschutzbeitrag von Atomkraftwerken beträgt. Das ist ja auch ein Argument der Union. Das Ergebnis hören wir uns einmal an von Sigmar Gabriel:

    "Wir kamen für beide überraschend, für Herrn Glos und für mich und sicher auch für die Kanzlerin überraschend, zu dem Ergebnis, dass der Klimaschutzbeitrag etwa vier Prozent ist. Wir haben alle vermutet, dass er höher wäre. Er ist natürlich deshalb nicht höher, weil Atomstrom, wie der Name schon sagt, zur Stromerzeugung herangezogen wird. Der Bereich der Wärmeproduktion, wo wir am meisten CO2-Verluste haben, ist davon nicht betroffen und natürlich auch bei den Kraftfahrzeugen nicht."

    Schütte: Frau Reiche, das hört sich so an, als ob das Argument Kernkraft gleich Klimaschutz scheinheilig ist.

    Reiche: Nein, das ist es nicht. Wir haben ja den europäischen Emissionshandel, der Deutschland, natürlich auch andere europäische Länder in den nächsten Jahren dazu zwingt, dramatisch CO2 einzusparen. Das ist von allen gewollt, weil wir effizienter und CO2-freier generell produzieren können. Das gilt ja für alle Industrien, die wir in Deutschland haben.

    Verabschieden wir uns jetzt allerdings aus der Kernkraft, so müssen bis 2012 noch einmal über 50 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Und wer sich schon jetzt anschaut, wie hoch die CO2-Vermeidungskosten sind, dem wird deutlich, dass wir innerhalb dieser kurzen Zeit durch ein Abschalten der Kernkraftwerke zu deutlichen Strompreiserhöhungen kommen, die wiederum ja andere Industrien - ich sage Stahl, ich sage Chemie - belasten. Das hat wiederum Weiterungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

    Wissen Sie, mich wundert, dass die SPD in dieser ideologischen Falle, in diesem ideologischen Graben sitzen bleibt. Anstatt darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam einen klugen Mix machen können, wo wir die Erneuerbaren definitiv stärken und auf saubere Kohle setzen können, muss es erlaubt sein, in einer Zeit, wo sich die Ressourcen dramatisch verknappen, auch darüber nachzudenken, wie wir eine Quelle, die wir hier im Lande besitzen, weiter nutzen können.

    Schütte: Frau Reiche, Atomkraft ist auf den ersten Blick CO2-neutral. Auf den zweiten Blick sieht man aber: das benötigte Uran muss zuvor energieintensiv gewonnen werden. Dabei entsteht eine Menge schädliches Kohlendioxid. Weiß das Ihre Partei?

    Reiche: Auch Uran als Stoff, den man natürlich für die Kernkraft braucht, ohne den die Kernkraft eben nicht funktioniert, muss gewonnen werden. Das ist richtig. Es spricht auch keiner in der Union davon, dass die Technologie komplett CO2-frei ist. Sie ist aber die deutlich CO2-ärmste Technologie unter denen, die preiswert und in großen Mengen und sicher und vor allem konstant Strom erzeugen kann. Noch einmal: Es geht nicht der Union darum, die Kernkraft als einzige Energiequelle hochzuhalten. Nein! Es geht um einen Mix, und das vermisse ich bei der SPD, wenn sie über einen zukünftigen Mix in Deutschland und in Europa spricht, dass sie ausblendet, dass nur, wenn man sich auf möglichst viele Felder verlassen kann ... Jedes kluge Unternehmen hat ein breites Portfolio und ich sehe nicht ein, wieso wir in Deutschland uns ohne Not aus einer wichtigen Quelle verabschieden sollen.

    Schütte: Die SPD will weiterhin raus aus der Atomkraft, ebenso Bündnis 90/Die Grünen. Wenn die Union an ihrer Position festhält, dann engt das die Koalitionsmöglichkeiten für 2009 stark ein. Ist das klug?

    Reiche: Zunächst geht es uns darum, die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen. Es geht darum, ein Angebot an die Bürgerinnen und Bürger zu machen, den Strom bezahlbar zu halten. Und dann geht es irgendwann auch darum, sich um Koalitionspartner zu bemühen. Für die Union ist klar, dass unser Wunschpartner die FDP ist. Soweit ich das überblicke, hat die FDP auch kein Problem mit der Kernkraft. Noch mal: es geht nicht nur um eine Technologie. Es geht um einen breiten Mix, der von den erneuerbaren über die Kohle alles enthält. Für uns ist es wichtig, einen verantwortlichen Beitrag zur Energiedebatte zu leisten, und das tun wir.

    Schütte: Katherina Reiche, stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich danke für das Gespräch!

    Reiche: Danke auch.