Wiese: Ist mit dem Iowa-Ergebnis schon eine Vorentscheidung gefallen?
Kornblum: Nein. Die Entscheidung ist dieses Jahr interessant, weil Kerry gewonnen hat und Dean, der fast von allen favorisiert wurde, nur an dritter Stelle war. Aber es ist ein langer Weg bis zu den Konventen im Sommer und das ist wirklich nur der ganz kleine Anfang von einem sehr komplizierten Prozess.
Wiese: Sie sagten Howard Dean galt als der Favorit der Demokraten. Hat Sie das gestrige Ergebnis insofern überrascht?
Kornblum: Ich glaube, fast alle waren überrascht. Dean hatte sozusagen einen modernen High-Tech-Wahlkampf geführt mit sehr vielen Computern, vielen Freiwilligen und Geld organisiert und hatte irgendwie doch das Momentum hinter sich. Und dass zwei traditionelle Kandidaten, Kerry und Edwards, der Nummer zwei war, die sind nicht so modern und haben gewonnen. Das zeigt, dass die alten, herkömmlichen Methoden immer noch eine Rolle spielen.
Wiese: Bis zur Wahl im November ist ja noch einige Zeit, aber kann man nicht jetzt schon sagen, dass, egal, wen die Demokraten nominieren, er oder sie gegen Präsident Bush keinerlei Chance hat?
Kornblum: Nein, das kann man nicht sagen. Bushs Chancen sind sehr gut und wenn man wetten müsste, würde man sein Geld auf Bush setzen. Aber es ist, wie Sie sagen, ein langer Weg und in Amerika gibt es immer Überraschungen, es hat sehr viel mit Stimmungen zu tun und mit Fehlern oder Stärken und die Bush-Leute sind selber nicht überzeugt, dass das Rennen schon gelaufen ist.
Wiese: Wie kommt es, dass Bush dennoch in den USA nach wie vor eine so große Anhängerschaft hat? Der Irak-Krieg kann es ja eigentlich nicht sein, denn die Lage im Irak ist ja alles andere als stabil und dort sterben jeden tag GIs.
Kornblum: Sie sehen das aus Ihrer Sicht, aus amerikanischer Sicht sehen uns die meisten Amerikaner in einem Krieg. Bush hat nach dem 11. September eine sehr starke Figur gemacht, hat sich für die Verteidigung der amerikanischen Interessen entschlossen und es ist auch Tradition in Amerika, dass wenn Krieg ist, man hinter seinem Präsidenten steht.
Wiese: Kann es sein, dass die Präsidentschaft Bushs die amerikanische Gesellschaft insgesamt konservativer, vielleicht sogar reaktionärer gemacht hat?
Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Erstens ist Bush kein Reaktionär und zweitens: wenn Sie die Umfragen sehen, haben Sie genau die Lage wie vor zwei Jahren, das heißt, das Land ist interessanterweise fast 50:50 geteilt. Die so genannten unentschiedenen Wähler, die im Endeffekt die Wahl entscheiden werden, sind vielleicht zwei, drei Prozent. Die politische Lage in Amerika ist wirklich sehr interessant geworden, es gibt viele Analysen, warum das Land so klar zwischen zwei Lagern geteilt ist, aber es ist so.
Wiese: Sie sagen, das Land ist 50:50 getrennt. Für europäisches politisches Denken ist das ja sehr ungewohnt. Demokraten und Republikaner, nur die gibt es, da fehlen uns Europäern die Zwischentöne. Woran liegt das, ist es Tradition oder Schwarzweißdenken?
Kornblum: Es gibt viele Gründe. Teilweise, weil die Presse nicht sehr tief in die amerikanische Realität geht. Amerika ist ein Kontinent, eigentlich wie die EU und es gibt so viele Strömungen, die sehr schwer zu sichten sind und über die leider in der europäischen Presse kaum berichtet wird. Man muss Amerika tatsächlich nicht als einen Nationalstaat im europäischen Sinne sehen, sondern wirklich als großen Kontinent, der zwar zusammenbleibt auf der Basis einer Verfassung und eines gewissen Pazifismus, aber innerhalb dieses Staates gibt es genau so viele Unterschiede wie zwischen den verschiedene europäischen Staaten.
Wiese: Was haben denn die Demokraten im Gegensatz zu den Republikanern als politische Alternative zu bieten? Sind sie untereinander überhaupt einig und geschlossen?
Kornblum: Ich glaube schon. Der traditionelle Unterschied zwischen den Demokraten und Republikanern ist zweierlei. Einmal, genau wie in Deutschland, sie vertreten verschiedene gesellschaftliche Gruppen wie CDU und SPD. Zweitens tendieren die Demokraten eher zum staatlichen Eingriff in die Gesellschaft, zu offenem Handel, Engagement im Ausland, sind, was man vielleicht im deutschen Sinne als rechte Sozialdemokraten sehen würde. Die Republikaner tendieren eher zu traditionellen Werten, zur Stärkung der freien Marktwirtschaft. Aber diese Unterschiede sind nur in Nuancen zu sehen und im Endeffekt wird gerade bei einer Präsidentschaftswahl in Amerika viel durch die Stimmung, die Fähigkeiten der Kandidaten und äußere Einflüsse entschieden.
Wiese: Wagen Sie eine Prognose, wird uns George W. Bush erhalten bleiben oder werden wir mit einem Demokraten rechnen können?
Kornblum: Es ist im Moment unmöglich zu sagen. Wir wir vorhin sagten, glaube ich, dass man annehmen muss, dass Bush die meisten Vorteile hat. Er ist der amtierende Präsident, hat ziemlich hohe Umfragewerte, es geht der Wirtschaft gut, der Irak-Krieg geht nicht so gut, aber man scheint es irgendwie unter Kontrolle zu haben. Und Bush entspricht ein bisschen der patriotischen Gesinnung der Bevölkerung. Deshalb glaube ich, haben Kerry und Edwards stark abgeschnitten, weil sie eher in die Richtung der soliden Mitte in Amerika gehen und nicht so ein Außenseiter sind wie Dean.
Wiese: Und würde ein demokratischer US-Präsident zu einem besseren Verhältnis zwischen Amerika und Europa führen?
Kornblum: Das kann man nicht sagen. Das hat sehr viel mit dem Präsidenten und mit den Fragen zu tun. Es ist aber falsch zu glauben, dass die Spannungen und Differenzen, die zwischen Amerika und Europa in den letzten 12 Monaten kamen, nur von Bush ausgingen. Es gibt im Moment eine große Phase der Änderungen. Die Amerikaner reagieren sehr stark und aktiv auf Veränderungen, in Europa dauert es teilweise etwas länger. Die Differenzen sind eher Differenzen von Substanz und nicht unbedingt von Persönlichkeiten.
Wiese: Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland John C. Kornblum. Vielen Dank, auf Wiederhören.
Kornblum: Herzlichen Dank.