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Kevin Kwan: „Crazy Rich Asians“
Viel Blingbling in Singapur

Nicholas Young will seinen schwerreichen Eltern seine neue Freundin Rachel Chu vorstellen. Die beiden fliegen nach Singapur, wo Rachel in die protzbunten Kreise des asiatischen Geldadels eingeführt wird. Ein seicht-schriller Society-Roman voller Villen, Klunker und Intrigen.

Von Katharina Borchardt | 02.08.2019
Buchcover: Kevin Kwan: „Crazy Rich Asians“ / Kevin Kwan und Michelle Yeoh bei den Annual Golden Globe Awards 2019
Kevin Kwan und die Schauspielerin Michelle Yeoh bei den Golden Globe Awards 2019 (Foto: picture alliance/dpa/Hubert Boesl, Buchcover: Verlag Kein & Aber)
Die Leute in diesem Roman sind nicht einfach nur rich – nein, sie sind crazy rich. Sie gehören zur Oberschicht von Singapur. 22 Milliardäre sollen aktuell in dem südostasiatischen Stadtstaat leben, vermeldet das Wirtschaftsmagazin "Forbes". Von den ganzen Multimillionären mal ganz abgesehen. Wobei:
"Den Forbes-Berechnungen liegt ja lediglich das Vermögen zugrunde, das man ihnen zweifelsfrei zuordnen kann, und reiche Asiaten sind in der Hinsicht äußerst diskret. Die haben immer ein paar Milliarden mehr, als geschätzt wird."
Mitten hinein in diese Welt des südostasiatischen Geldadels führt – nein: schleudert uns – der Roman "Crazy Rich Asians" von Kevin Kwan. Der weiß, wovon er schreibt, stammt er doch selbst aus einer vermögenden Singapurer Sippe. Als Kind zog er mit seiner Familie in die USA, wo er heute noch lebt.
ABC - American-born Chinese
In seiner Zweitheimat setzt der Roman nun ein. Hauptfigur Rachel Chu lehrt an der Uni in New York und lernt dort den smarten Nick Young kennen. Rachel ist Tochter einer chinesischen Einwanderin, also eine ABC, eine American-born Chinese mit Arbeits- und Migrationserfahrung. Nick hingegen ist Sprössling einer der reichsten Familien von Singapur, lässt dies aber bescheidenerweise nicht raushängen. Als sein bester Freund Colin heiratet, will Nick zu Besuch nach Singapur fliegen. Rachel soll mit, was er ihr in einem New Yorker Café vorschlägt. Dann könne er sie auch gleich seinen Eltern vorstellen. Privatsphäre? Fehlanzeige! Denn am Nebentisch sitzt zufälligerweise die Singapurerin Celine Lim, die sofort ein Handyfoto von den beiden schießt und weiterleitet.
"Nachdem Celine (Modestudentin an der Parsons School of Design) ihrer Schwester Charlotte Lim (frisch verlobt mit dem Risikokapitalanleger Henry Chiu) in Kalifornien gemailt hatte, rief diese ihre beste Freundin Daphne Ma (die jüngste Tochter von Sir Benedict Ma) in Singapur an und berichtete ihr atemlos von den Neuigkeiten."
Daphne Ma gibt die News umgehend an weitere Bekannte durch, unter ihnen eine Instantnudel-Konzernerbin, eine Zuckerimperium-Enkelin und eine ehemalige Miss Taiwan. So verbreitet sich die Nachricht…
"…rasch über den Buschfunk des asiatischen Jetsets, und innerhalb weniger Stunden wussten praktisch sämtliche Angehörige dieses illustren Kreises, dass Nicholas Young in weiblicher Begleitung nach Singapur zurückkehren würde.
Alamak! Wenn das mal keine Neuigkeiten waren!"
Aschenputtel-Verschnitt mit Tratschgehalt
"Crazy Rich Asians" ist ein Aschenputtel-Verschnitt mit hohem Tratschgehalt, eine Roman gewordene Hochglanzzeitschrift. Sehr flächig, sehr fotografisch beschreibt Kwan Interieurs, Outfits und Essen, ein Gewitter an Brands und Labels. Ein überaus phänomenologischer Text, wenn man es etwas schicker sagen will. Zugleich ist Kwans High Society ein fieser Schlangenpfuhl, in den schließlich auch die arme Rachel gestoßen wird. Schnell werden Intrigen gegen sie geschmiedet. Denn in Singapur ist man alles andere als erfreut, dass sich eine dahergelaufene New Yorker Dozentin einen der reichsten Söhne der Stadt unter den Nagel reißen will. Wobei Rachel von Nicks Reichtum ja gar nichts wusste, die Gute! Sie ist freundlich und naiv. Und ihr Liebster Nick ist es auch. Es ist schon herzig, wie flach Kevin Kwan seine beiden Hauptfiguren angelegt hat.
"Er mochte diesen Moment sehr, wenn Rachel gerade aufgewacht war. Die langen Haare fielen ihr dann immer halb sexy, halb zerzaust über die Schultern, und sie lächelte ihn so verschlafen-glücklich an.
,Wie spät ist es denn?' Rachel streckte sich ausgiebig.
,Halb zehn', erwiderte Nick und schlüpfte noch einmal zu ihr unter die Decke."
An Szenen und Dialogen dieses Kleinkalibers herrscht in "Crazy Rich Asians" kein Mangel. Kein Vergleich also zu anderen Singapur-Romanen, etwa den Werken von James Gordon Farrell oder von Anthony Burgess, die von der Endphase der britischen Kolonialherrschaft in Singapur und Malaya erzählen. Und auch kein Vergleich zu den ganz rezenten und atmosphärisch so dichten Kurzgeschichten von Amanda Lee Koe. In diesem Chor ist "Crazy Rich Asians" mit viel Blingbling die schrillste Stimme.
Geschichte aus der Sicht der Reichen
Und dennoch: Ausschließlich hohl klingt sie nicht. Denn Kevin Kwan lässt seine Singapurer Oberschicht herrlich über nur halbwegs erfolgreiche Taiwanesen sowie die vulgären Nouveaux Riches aus der Volksrepublik lästern und erzählt damit ganz nebenbei ein Stück asiatische Wirtschaftsgeschichte. Hie und da flicht er ein paar Fäden Kolonialgeschichte ein und beleuchtet das Verhältnis der Singapurer zu England und den USA. Dabei reflektiert er Geschichte konsequent aus der Sicht der Reichen, was nicht sympathisch ist, literarisch aber ungewöhnlich und in seiner Überdrehtheit auch sehr unterhaltsam. Wenn Singapurer Sprösslinge zum Beispiel nicht essen wollen, sagen die Eltern: "Schön aufessen! In Amerika verhungern die Kinder!"
Auch die eingestreuten Fußnoten, in denen sich der Autor selbst wohl am unverblümtesten zu erkennen gibt, sind zuweilen herrlich maliziöse Kommentare zum Romangeschehen. Die deutsche Übersetzung klingt fix und gewitzt, hätte aber einige englische Ausdrücke durchaus beibehalten können. Einen "look-alike contest" muss man nicht unbedingt zu einem behäbigen "Ähnlichkeitswettbewerb" machen, zumal ja auch der Romantitel ein englischer ist.
Kurzum: eine in ihrem Kern superflache Schickimicki-Geschichte, die aber viel situativen Witz hat. Ein Groschenheft, wie es im Buche steht.
Kevin Kwan: "Crazy Rich Asians"
Aus dem amerikanischen Englisch von Anna-Christin Kramer und Jenny Merling
Verlag Kein & Aber, Zürich. 576 Seiten, 20 Euro.