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Kiel beschließt Klimanotstand
"Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen, müssen wir noch schneller werden"

Kiel hat als erste Landeshauptstadt den Klimanotstand ausgerufen. Binnen vier Wochen soll Oberbürgermeister Ulf Kämpfer Kilmaprojekte benennen, die schneller als geplant umgesetzt werden sollen. Die Bewegung Fridays for Future habe mit ihrer Vehemenz bei der Entscheidung eine Rolle gespielt, sagte Kämpfer im Dlf.

Ulf Kämpfer im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 17.05.2019
Der Kieler Bootshafen mit dem Rathaussturm im Hintergrund.
Kiel hat den Klimanotstand ausgerufen und will seine Klimaschutzpläne schneller umsetzen. (Johannes Kulms)
Jessica Sturmberg: In Kiel wurde gestern Abend im Rat der Stadt beschlossen, den Klimanotstand auszurufen. Darüber habe ich kurz vor der Sendung mit dem Oberbürgermeister Ulf Kämpfer von der SPD gesprochen und zunächst gefragt, wenn jetzt in Kiel Klimanotstand herrscht, was läuft ab heute anders?
Ulf Kämpfer: Na, wir sind schon seit vielen Jahren eine Klimaschutzstadt, aber ich habe gestern von der Ratsversammlung den Auftrag bekommen binnen vier Wochen darzustellen, welche unserer Konzepte und Projekte man vorziehen, damit so ein Beschluss eben nicht reine Symbolik ist, sondern tatsächlich auch sag ich mal Fridays for Future in den Rathäusern ankommt und die Dringlichkeit auch in Taten umgemünzt wird.
Sturmberg: Und was genau wollen Sie dann vorziehen?
Kämpfer: Wir haben vor zwei Jahren als eine von 40 Modellkommunen in Deutschland ein 800-Seiten 100 Prozent Klimaschutz Kiel entwickelt. Da sind über 200 Maßnahmen drin und einige sind in der Umsetzung und einige werden wir uns jetzt anschauen, die man vorziehen kann. Paar Ideen haben wir schon. Das könnte im ÖPNV, also im öffentlichen Nahverkehr könnten das Dinge sein. Wir sind zum Beispiel gerade in den Haushaltsplanungen für das kommende Jahr und da werden wir uns jetzt schon überlegen, wo können wir vielleicht auch noch Mittel umschichten, die zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr oder die Fahrradfreundlichkeit in der Stadt verstärken.
Klimapolitik aus vielen Mosaiksteinen
Am Ende entsteht eine Klimapolitik aus ganz vielen kleinen, einzelnen Schritten und Mosaiksteinen und dem Bild würden wir dann noch ein paar Mosaiksteine hinzufügen wollen. Also da gibt es sehr, sehr unterschiedliche Dinge, die man tun kann. Aber ich habe ja jetzt gerade erst den Beschluss bekommen vor wenigen Stunden. Insofern – ein bisschen Zeit brauche ich sicher noch um mir konkrete Vorschläge zu überlegen."
Sturmberg: Notstand ist ein Begriff, der impliziert jetzt ist es richtig akut, ganz dringend, da hat man so symbolisches Bild vor Augen, wie das Wasser steigt und alles unterzugehen droht. Welches Verständnis von Notstand haben Sie denn?
Kämpfer: Ich bin Jurist und war auch mal Richter und deswegen finde ich den Begriff Notstand nicht so richtig gut, deswegen kommt der auch gar nicht vor in dem Beschluss, sondern es wird einfach Bezug genommen auf diesen "Climate Emergency". Emergency kann sehr, sehr vieles bedeuten, aber er hat sicherlich so was wie ein Notfall oder Dringlichkeit in seiner Bedeutung und genau darum geht es ja zu sagen: Naja, Beschlüsse haben wir viele gemacht, aber in der Umsetzung hapert es. Und es gibt ja viele wissenschaftliche Untersuchungen, die sagen, das Fenster schließt sich auch langsam. Im Grunde, all das, was Fridays for Future tut, ist uns Politikerinnen und Politikern nur daran zu erinnern, was wir selbst beschlossen aber noch nicht umgesetzt haben.
Nach Fridays for Future noch weitere Bürgerbewegung
Sturmberg: Hat dann die Fridays for Future-Bewegung ihre Planungen, ihre Ziele, die sich mit dem Zeithorizont 2050 gesetzt haben, jetzt beschleunigt?
Kämpfer: Zumindest ist das ja die Diskussion, die wir gerade führen, dass wir entschlossener uns dieser Bedrohung stellen müssen. Also dass überhaupt das Thema Klimawandel, Klimaschutz auf die politische Agenda wieder so gekommen ist, das hat sehr stark mit der Fridays for Future-Bewegung zu tun. Mittlerweile hat sich hier aber in Kiel zum Beispiel auch eine große Bürgerinitiative aus ganz verschiedenen Gruppierungen gebildet, die dem jetzt Nachdruck verleihen, mit denen wir in Kontakt sind und das war ja wahrscheinlich genau das Ziel und der Wunsch der jungen Leute, dass das dann Kreise zieht und sich andere von dieser Vehemenz und dem Herzblut der Bewegung anstecken lassen und in Kiel scheint das der Fall jedenfalls zu sein.
Sturmberg: Welche Klimaziele – wenn Sie das nochmal so zusammenfassend sagen können, ergeben sich daraus?
Kämpfer: Also wir haben unseren Masterplan, der sich an die globalen und internationalen Ziele andockt, also klimaneutral bis zum Jahr 2050. Die nächste Schwelle ist das nächste Jahr 2020. Dort werden wir als Stadt Kiel unser Einsparziel minus 40 Prozent seit 1990 erreichen. Der nächste Schritt bis 2030 wird schon deutlich schwieriger werden und eigentlich müssten wir sogar noch schneller werden, wenn wir nämlich das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen. Denn auch mit zwei Grad werden wir schon sehr, sehr deutliche Folgen spüren. Wir in Deutschland vielleicht gar nicht zuerst, sondern in vielen anderen Ländern, wo es heute schon sehr warm ist und deswegen sind wir glaube ich in einer ganz globalen Verantwortungsgemeinschaft, jeder an seiner Stelle das zu tun und da brauchen wir nur das umzusetzen, was auf allen staatlichen Ebenen längst beschlossen wurde.
Wandel aus den Städten heraus
Sturmberg: Würden Sie sich freuen, wenn auch andere Städte diesem Beispiel folgen?
Kämpfer: Sehr! Unbedingt! Wenn nur wir in Kiel unsere Ziele erreichen, das hilft dem Weltklima spürbar gar nicht. Denn nur aus der Summe vieler Städte, Länder und politischen Gemeinschaften kann nachher der Wandel entstehen, den wir dringend brauchen.
Sturmberg: Kiel ruft den Klimanotstand aus, das war der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer.