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Kiesow

DLF: Herr Professor Kiesow, heute ist "Tag des Offenen Denkmals". Burgverließe, Schloßkapellen, Speicher und Glockentürme warten auf Besucher. Ca. 5.500 Denkmale sind zu besichtigen und es werden über drei Millionen Besucher erwartet. Sie sind Vorsitzender der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz. Was bedeutet es für Sie, diese Massen zu mobilisieren?

Matthias Sträßner |
    Kiesow: Ja, es bedeutet die großartigste Möglichkeit, den Denkmalschutzgedanken in der Bevölkerung noch stärker zu verankern, denn nichts ist so wirkungsvoll wie die Anschauung vor Ort. Dabei geht es ja nicht nur um das reine Besichtigen im Sinne von Sightseeing, sondern die Unteren Denkmalschutzbehörden, die vielen Vereine, die vielen Fördergruppen machen ja fachliche Führungen vor Ort und schildern dabei auch die Probleme des Denkmalschutzes, also nicht nur die schöne Seite, die jedem einleuchtet, sondern auch das, was nun mit der Erhaltung eines Denkmals an Schwierigkeiten verbunden ist.

    DLF: Wenn man sich diesen dicken Katalog anschaut mit diesem fünf oder sechs Zentimeter breiten Buchrücken, dann liest sich das Ganze als "Denkmalschutz als Erfolgsgeschichte".

    Kiesow: Ja, ich glaube, daß dieser "Tag des Offenen Denkmals" sehr stark zur Verbesserung des Denkmalschutzes beigetragen hat, denn auch die Politik kann sich ihm nicht ganz entziehen. Man wird ja bei den landesweiten Eröffnungen immer Wert drauf legen, daß zum Beispiel der jeweilige Ministerpräsident da ist oder der jeweils zuständige Minister für den Denkmalschutz. Und insofern hat es auch Einwirkungen auf die Politik.

    DLF: Wir sind ja heute und hier in Wismar. Hier ist die zentrale Veranstaltung für den "Tag des Offenen Denkmals". 5.500 Denkmale - diese Zahl ist nicht zu veranschaulichen. Aber wie viele Projekte sind es denn hier in Wismar?

    Kiesow: In Wismar sind es etwa etwas über 50 Projekte insgesamt. Nicht nur die öffentlichen Bauten, sehr viele Privateigentümer haben sich bereit erklärt, ihre Häuser zu öffnen. Die werden dann auch gekennzeichnet. Das ist in den Städten unterschiedlich, wodurch. Aber es gibt da zum Beispiel Fahnen mit dem Europazeichen, die man aus dem Fenster hängt - und dann weiß man, welches Haus an dem Tag geöffnet ist. Wismar ist ja nun eine Stadt, die ganz besonders reich mit Denkmälern gesegnet ist, vor allen Dingen eine Stadt, die noch als Ensemble komplett erhalten ist, von einigen wenigen - allerdings schmerzhaften - Kriegsschäden, wie der Marienkirche und ihrer Umbauung abgesehen. Es ist ja eine völlig intakte Stadt, die auch noch den Stadtgrundriß und alle Parzellen und die Struktur der Gebäude erhalten hat.

    DLF: Wenn man über Denkmalschutz redet, stellt man sich häufig alte Kirchen, alte Schlösser, alte Burgen, alte Giebelhäuser vor. Gibt es auch moderne Bauten aus diesem Jahrhundert, die unter die Kategorie Denkmalschutz fallen?

    Kiesow: Ja, natürlich. Da sind einmal die technischen Denkmäler oder auch Industriedenkmäler, also die Arbeitsstätten, die Stätten des technischen Fortschritts, auch die Verkehrsmittel wie die Bahn, aber auch Schiffe stehen unter Schutz, wurden auch von der Stiftung schon gefördert, ja sogar Leuchttürme. Ja, darüber hinaus gibt es natürlich auch Denkmäler von Unrechtsregimen, denn Geschichte besteht nicht nur aus den angenehmen Seiten, sondern auch aus düsteren Kapiteln, die man nicht vergessen darf und die als Mahnmal dann auch unter Denkmalschutz gestellt werden.

    DLF: Beim Denkmalschutz gibt es eine materielle und eine ideelle Seite. Beginnen wir vielleicht mit der materiellen: Wie viele vom Verfall bedrohte Kulturdenkmäler werden denn im Moment von der Stiftung betreut, wie viel Geld ist denn tatsächlich im Spiel? Wie viele private Förderer haben Sie? Wie sehen die Zahlen aus?

    Kiesow: Um mit den Förderern anzufangen, weil das eine ganz besonders erfreuliche Bilanz ist: Wir haben jetzt 100.000 Bürgerinnen und Bürger, die uns jährlich Spenden zukommen lassen in einer Größenordnung von 15 bis 16 Millionen Mark. Außerdem haben wir das Glück, als Destinatär der Glücksspirale ganz erhebliche Mittel zu bekommen. Die liegen jetzt so zwischen 30 und 35 Millionen im Jahr. Und dann erhalten wir noch von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben aus dem Altparteienvermögen der DDR jährlich 6,25 Millionen, so daß wir jährlich um die 50 bis 55 Millionen zur Verfügung stellen können. Seit 1991 werden wir bis zum Jahresende etwa 400 Millionen für den Denkmalschutz an Dritte als Zuschuß bereitgestellt haben. Das ist natürlich eine sehr stolze Bilanz, vor allem wenn man berücksichtigt, daß mit jeder Mark, die wir geben, mindestens fünf Mark anderer Gelder mobilisiert werden, seien es Bundes- oder Landesmittel oder Mittel der Kommunen, der Kirchen oder der Privateigentümer.

    DLF: Es ist ein häufiges Argument, etwa bei Festspielen, daß von einer ‚Umwegrentabilität' die Rede ist. Kann man das beim Denkmalschutz genau so sagen und ist der Faktor in der Gegend von eins zu fünf?

    Kiesow: Das haben wir jetzt vorsichtig gerechnet. In den westlichen Ländern lagen wir häufig schon bei eins zu sieben. In den östlichen möchte ich mal lieber den Faktor eins zu fünf wählen, weil das sicher realistischer ist, denn dort ist das private Geld noch nicht so reichlich vorhanden, so daß die Förderung der privaten Eigentümer und auch der Kirchen ungleich höher sein muß, als in den westlichen Bundesländern. Aber wenn man schon eins zu fünf rechnet, kommt man immerhin ja auf den stattlichen Betrag von zwei Milliarden Mark, und wenn man das umrechnet in Arbeitsplätzen, dann kommt man zu einer großen Zahl von Arbeitsplätzen im Baugewerbe, die alleine aufgrund der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gesichert werden. Dazu muß man ja nun die Mittel der Länder und des Bundes rechnen. Der Bund selbst hat ja jetzt im Bundeskanzleramt einen Etat für Denkmäler besonderer kultureller nationaler Bedeutung, und er hat einen Etat für das sogenannte ‚Dach- und Fachprogramm'. Die zusammen ergeben ungefähr auch noch einmal die Summe der Stiftung. Dann gibt es bei den Ländern Etats, die unterschiedlich hoch sind. Da sind nach wie vor Bayern und Baden-Württemberg an der Spitze, gefolgt allerdings von Thüringen - ein denkmalpflegerisches Musterland -, das auch sehr beachtliche Zuschüsse bereitstellt - so in der Größenordnung von 40 bis 50 Millionen jährlich. Und die übrigen Länder liegen meist so zwischen 10 und 15 Millionen. Es gibt allerdings auch Mecklenburg-Vorpommern mit knapp 6 Millionen, die also sehr schwach ausgebildet sind - es ist ja auch ein armes Land. Aber ein wichtiger Faktor ist der Bund - noch einmal -, und zwar im Umweg über die Städtebauförderung. Da gibt es ja allein für die östlichen Länder jährlich 520 Millionen Bundesmittel, 80 Millionen nur für die westlichen - das müßte höher werden, darauf können wir ja vielleicht noch mal zu sprechen kommen. Aber diese 520 Millionen multiplizieren sich natürlich mal drei, weil die Länder und die Kommunen jeder auch noch mal die selbe Summe bereitstellen müssen, so daß man jährlich etwa 1,5 Milliarden hat. Von denen muß man allerdings ein Drittel abziehen, die gehen unter die Erde - in Infrastrukturmaßnahmen. Also nicht alles kommt dem Denkmalschutz im direkten Sinne zugute, aber immerhin: Es bleibt so viel, daß uns die Erhaltung der Städte - der historischen Städte, es sind 129 in den östlichen Bundesländern, die damit gefördert werden - keine so großen finanziellen Sorgen macht. Es gibt andere Sorgen, die wir dort haben - darüber sollten wir vielleicht auch noch mal sprechen. Aber die finanziellen Sorgen halten sich in Grenzen, und erfreulich ist, daß der derzeitige Noch-Bundesbauminister Müntefering in Quedlinburg in Aussicht gestellt hat, daß dieser Betrag auch nicht gekürzt wird, trotz aller einschneidenden Haushaltskürzungen.

    DLF: Wie sieht denn die Verteilung zwischen den neuen und den alten Bundesländern aus?

    Kiesow: Wir von der Stiftung hatten ursprünglich 86 Prozent in den östlichen und nur 14 Prozent in den westlichen, sind jetzt aber auf der Schiene ein Drittel westliche, zwei Drittel östliche, wobei wir den östlichen Ländern nichts gekürzt haben, sondern den Zuwachs, den wir Jahr für Jahr erleben - durch das Ansteigen der privaten Spenden, aber auch durch das Ansteigen der Glücksspirale -, den Zuwachs lassen wir jetzt den westlichen zukommen, weil auch hier natürlich die Probleme wachsen, seit 1989 die Etats ja zugunsten der Vereinigung Deutschlands in den Ländern doch entscheidend gekürzt worden sind.

    DLF: Sie sprachen vorhin die Förderung des Bundes an. Wo erwarten Sie denn von der politischen Seite - von der Bundesseite - mehr Hilfe als bisher, wenn Sie sagen: Es muß nicht immer nur finanzielle Hilfe sein. Wie könnte die Hilfe denn sonst aussehen?

    Kiesow: Die Hilfe könnte zum Beispiel in einer Verbesserung des Stiftungsrechtes bestehen. Das deutsche Stiftungsrecht ist nicht gerade das beste in Europa. Das fängt schon damit an, daß private Spenden steuerlich nur absetzbar sind bis 5 Prozent des Einkommens. Viele unserer Spender würden mehr spenden, wenn sie dafür von der Steuer mit diesem Betrag befreit würden. Da ist die Grenze sehr einschneidend. Es ist im Gespräch - da sind sich wohl die meisten Parteien einig -, daß es auf 20 Prozent angehoben wird. Es gibt sogar Überlegungen, überhaupt keine Grenze einzuführen, wie das in Amerika der Fall ist. Außerdem ist das deutsche Stiftungsrecht auch in anderer Hinsicht schwerfällig. Es erlaubt uns zum Beispiel nicht, Rücklagen zu machen, höchstens aus den Zinsen unseres jetzigen Kapitals, aber auch da nur 25 Prozent. Man fragt sich: Welches Interesse hat der Staat, uns da so zu begrenzen. Warum können wir nicht alle Zinsen, die wir aus unserem Kapital einnehmen, in die Rücklage, also in das Kapital legen? Denn man hat ja immer ein bißchen Angst vor Zeiten, die vielleicht noch schlechter werden - die jetzigen sind so schlecht gar nicht, aber es könnte ja sein, daß das Geld knapper wird, daß die Glücksspirale nicht mehr so einen großen Erfolg hat, oder daß vielleicht auch mal die privaten Spenden zurückgehen, was ich allerdings nicht befürchte - aber immerhin: Man hätte einen Notgroschen als Stiftung. Und da wird uns das durch das jetzige Stiftungsrecht doch sehr erschwert. Außerdem: Nach englischem Stiftungsrecht kann man Mitglied einer Stiftung sein, des berühmten "National Trust". Das geht in Deutschland nicht. Unsere 100.000 Spender würden gern Mitglied sein. Wir werden jetzt eine ideelle Mitgliedschaft einführen, ohne juristischen Hintergrund, um einfach auch die Bindung unserer Spender an die Stiftung zu intensivieren, denn wenn wir jedes Jahr neu werben müßten, hätten wir einen großen Aufwand an Kosten für Mailing oder für Anzeigenschaltung. Und so können wir natürlich alles, was unsere Spender uns zukommen lassen, in die Denkmäler stecken.

    DLF: Haben Sie denn den Eindruck, daß Ihre Anliegen in Sachen Stiftungsrecht kurzfristig oder mittelfristig Gehör finden?

    Kiesow: Im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung ist eine Verbesserung des Stiftungsrechtes vorgesehen. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf das Stiftungsrecht für kulturelle Einrichtungen, sondern generell für Stiftungen. Ess gibt in den einzelnen Parteien engagierte Bundestagsabgeordnete, die es vorhaben, dies auch umzusetzen.

    DLF: Die Denkmalpflege ist ja immer ein Akt zwischen etwas, zwischen einer früheren Nutzung und einer künftigen Nutzung. Wird hier nicht auch, gerade in den neuen Bundesländern, häufig - überspitzt gesagt - die denkmalpflegerische Rechnung ohne den künftigen Wirt gemacht?

    Kiesow: Ja, das ist das allerschwierigste Gebiet der Denkmalpflege, die Nutzung. Ideal ist natürlich immer die angestammte Nutzung - wenn eine Kirche weiterhin dem gottesdienstlichen Gebrauch dient oder wenn ein Schloßbesitzer, dessen Familie das Schloß einst gekauft hat, nach wie vor darin wohnt und es unterhält aus den Einkünften von Land- und Forstwirtschaft oder anderen Vermögensteilen, oder wenn eine Fabrik weiter Fabrik ist. Dann ist die Nutzung die ideale. Aber leider sind das auch seltene Fälle. Und vor allen Dingen - in der früheren DDR ist das natürlich völlig abgerissen, denn der gesamte Großgrundbesitz ist enteignet worden. Und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat man nun leider auch die Schlösser getrennt von dem Grund und Boden, der sie hervorgebracht und unterhalten hat, so daß hier die Schlösser alle praktisch herrenlos geworden sind und eine neue Nutzung suchen. Und bei den Kirchen sieht es durch den Rückgang der Kirchensteuer ebenfalls sehr düster aus, vor allen Dingen in den östlichen Bundesländern, wo ja nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung Steuern zahlt. Es sind 7 Prozent, die noch Kirchensteuer zahlen. Da fehlen die Gelder, um diesen riesigen und vornehmsten Bestand unserer Denkmäler zu unterhalten. Und hier ist die Frage: Was geschieht nun auch? Es ist nicht immer nur die Frage: Wie bringen wir die Kosten für die Instandsetzung auf? Die ist schon schwierig, diese Frage, aber eigentlich noch in allen Fällen bisher gelöst worden. Sehr viel schwieriger ist die Frage: Wie nutzen wir die Denkmäler? Denn ohne Nutzung ist die Instandsetzung deshalb sinnlos, weil dann anschließend die Kosten fehlen für die laufende Pflege. Man sollte wieder das Wort ‚Denkmalpflege' mehr betonen. Wir sind ja durch unsere zentrale Lage in Europa in zwei Weltkriege verwickelt gewesen, und die haben uns daran gehindert seit 1914, unsere Denkmäler kontinuierlich zu pflegen.

    DLF: Können Sie auf die kommende Nutzung Einfluß nehmen, oder können Sie Ihre Mittelvergabe daran knüpfen, daß die und die Nutzung eingegangen wird?

    Kiesow: Wir können zumindestens mit Überzeugung arbeiten und können natürlich auch unsere Gewährung von Zuschüssen an die Voraussetzung binden, daß über eine Nutzung und die anschließende Pflege durch die Mittel, die durch die Nutzung aufkommen, daß das gesichert wird. Zum Beispiel bei der St. Georgen Kirche hier in Wismar habe ich von Anfang an darauf gedrungen, daß diese Nutzung keine rein kirchliche ist, denn es sind noch acht Prozent der Bürger in dieser Stadt Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft, und man hat die riesige Nikolaikirche, man hat die Heilig-Geist-Kirche, die auch groß genug schon ist, man hat noch die Notkirche von Badning. Und wenn nun die Georgen Kirche auch rein kirchlichen Zwecken nur dienen würde, das heißt also am Sonntag immer mal so von 10 bis 12, dann käme ja da kein Geld rein. Und das würde bedeuten, daß die Bauten nicht unterhalten werden können, denn woher soll die Kirche das Geld zur Bauunterhaltung nehmen. Schon jetzt während der Aufbauarbeiten müssen jährlich etwa 100.000 Mark für die Pflege des Bauwerkes ausgegeben werden, denn die Dächer, die wir schon aufgebracht haben, da müssen die Dachrinnen laufend gesäubert werden. Wenn die verstopfen, gibt's wieder Wasserschäden in den Kehlen, dann geht uns wieder der Dachstuhl kaputt. Dann wiederholt sich das alles, was in 40 Jahren DDR schon zuvor ja zum Niedergang dieses Denkmals geführt hat. Deswegen muß ich darauf drängen, daß diese Kirche multikulturell genutzt wird, daß sie die Funktion einer ‚kulturellen Stadthalle' bekommt - so will ich das mal formulieren -, natürlich mit Veranstaltungen, die der Würde des Raumes auch entsprechen. Aber man kann ja viel mit so einem Bauwerk machen.

    DLF: Also, konkret ist hier in Wismar in der St. Georgen Kirche ein Jugendzentrum - oder was ist vorgesehen?

    Kiesow: Jugendzentrum weniger. Ich denke an Konzerte, ich denke daran, daß vielleicht das Fernsehen des Norddeutschen Rundfunks das Interesse hat, dort häufig Aufzeichnungen zu machen. Wir werden deswegen eine entsprechende Technik einbauen mit allen Lichteffekten, die nötig sind, um zum Beispiel dort auch mal ein Musical aufzuzeichnen. Es gibt ja seriöse Musicals, die man durchaus auch in einer Kirche aufführen kann. Ich denke an Theateraufführungen, ich denke auch an Kongresse. Warum soll man nicht Kongresse in Kirchen abhalten? Wir haben das schon in Mühlhausen in der Marienkirche gemacht seinerzeit, da haben wir Denkmalschutzkongresse abgehalten. Und selbst, wenn die alte Ausstattung - wie in Mühlhausen - mit drin ist, also Kruzifix und Altar und Kanzel, dann kann das ja dem Ablauf einer solchen Veranstaltung nur dienlich sein. Ich habe beobachtet, daß die meisten sich verbal etwas zurückhalten. Also, das dient der Qualität der Veranstaltung. So kann man - glaube ich - vieles lösen auf die Weise. Im Grunde gibt es schon Beispiele. Die DDR mußte ja sehr viel früher dazu kommen. In Jüterbog hat man beispielsweise aus der Mönchskirche eine Stadtbibliothek gemacht, das Gestühl rausgenommen und die Regale reingesetzt. Und derzeit läuft das in Mühlhausen für die Jacobikirche ähnlich. Wir müssen sehr viel Phantasie aufwenden, um den Kirchen - zumindestens denen, die nicht mehr rein gottesdienstlichem Gebrauch dienen können - eine neue Funktion zu geben.

    DLF: Denkmalpflege - mit und ohne künftige Nutzung: Wenn Sie das in Zahlen fassen wollten - in wieviel Prozent der Fälle wissen Sie denn wirklich, was aus dem Denkmal später mal wird und wo sind Sie einfach mit der Sicherung des Denkmals befaßt?

    Kiesow: Also, das muß man natürlich für Westen und Osten differenziert betrachten. Im Westen sind es vielleicht einmal 10 Prozent, die eine neue Nutzung suchen, im Osten ist es umgedreht. Ich will nicht sagen, daß es 90 Prozent sind, aber bei den Kirchen zumindestens ist der Prozentsatz sehr hoch und auch bei den Schlössern. Bei den Bürgerhäusern sieht es etwas besser aus. Hier haben wir allerdings die ganz ganz große Sorge, daß die Bevölkerungswanderung von Ost nach West weiterhin zunimmt. Das hängt auch mit der geringeren Bezahlung zusammen, daß die Einwohner der östlichen Bundesländer nach wie vor nur zwischen 80 und 86 Prozent der westlichen beziehen, und das führt natürlich dazu, daß gerade die Qualifizierten unter den Jugendlichen abwandern.

    DLF: Kommen wir doch mal zu den Denkmalen der deutschen Teilung. Wer auf der Autobahn von West nach Ost fährt, hat ja mitunter seltsame Erlebnisse, zum Beispiel am Übergang bei Eisenach auf dem Weg nach Weimar ist ein fast-food-Restaurant. Das heißt, die Lücken sind eigentlich nicht mehr sichtbar. Die Erinnerungsplätze sind nicht einfach geräumt, sondern sie sind einfach neu besetzt, häufig einfach auch oberflächlich besetzt, Helmstedt, die Grenzübergangsstelle Marienborn, Bahnhof Jerxheim, aber auch die Mauer in Berlin. Wie steht es denn mit diesen Denkmalen der jüngsten Vergangenheit?

    Kiesow: Ja, es ist sehr bedauerlich, daß die doch weitgehend abgeräumt sind. Erfreulich, daß die genannten Grenzsicherungsanlagen zumindestens noch optisch da sind. In Helmstedt ist es eigentlich noch recht deutlich, daß das mal ein Kontrollpunkt war, in Herleshausen nicht mehr ganz so deutlich. Aber schade ist, daß man nun auch die Grenzbefestigungsanlagen weitgehend beseitigt hat. Man hätte ja das Unmenschliche dieses Regimes doch sichtbar lassen müssen mit Todesstreifen und elektrischem Zaun und unterirdischen Bunkern, wo also über Elektronik genau festzustellen war, wo jemand den Zaun berührt hat und wo Selbstschußanlagen waren. Das ist in der ersten Begeisterung der Vereinigung und im ersten Zorn über diese Mauer beseitigt worden. Das ist schade. Sie hat im Grunde historisch die selbe Bedeutung wie der Limes seinerzeit bei den Römern. Und da macht man im Nachhinein die künstlichsten Rekonstruktionen. Ich vermute, daß es hier genau so sein wird. In 30 - 40 Jahren wird man das rekonstruieren als Touristenattraktion, während man leider in der ersten Anwandlung vieles beseitigt hat. Das gilt ja auch für die Mauer in Berlin.

    DLF: Die Mauer - der Limes: Haben Sie sich in diese Diskussion zu spät eingebracht, oder war die Entwicklung so schnell, daß nichts mehr zu retten war?

    Kiesow: Also, wir hatten ja auf westdeutscher Seite keinen Einfluß. Ich habe das versucht, als ich noch Landeskonservator von Hessen war, aber da wurde mir ganz klar bewiesen, daß die Anlagen auf thüringischem Boden liegen und ich damit mit dem hessischen Denkmalschutzgesetz hoheitsrechtlich keine Einwirkungsmöglichkeit hatte. Und die östlichen Länder hatten andere Sorgen, auch zunächst noch keine Gesetze, und der Zorn der Bevölkerung - gerade im Grenzgebiet - war so groß, daß man alles niedergerissen hat. Auch Vandalismus hat da natürlich seine Auswirkungen gehabt, also die Türme sind zerschlagen worden, diese Bewachungstürme. Das ist bedauerlich. Jetzt sollte man aber wirklich versuchen, das, was noch da ist, zu erhalten.

    DLF: Im berühmten denkmalgeschützten Park in Bad Muskau verläuft ja die deutsch-polnische Grenze mitten durch den Park. Das diesjährige Motto für den Tag des Offenen Denkmals lautet, wie in anderen europäischen Ländern auch: ‚Europa - ein gemeinsames Erbe'. Gibt es überhaupt einen europäischen Denkmalschutz, gibt es - wie jetzt im Falle von Bad Muskau - Kooperationen mit dem anderen Partner über der Grenze?

    Kiesow: Die Kooperation in Bad Muskau für den berühmten Park, die ist ja da, und es ist jetzt gesamt geschützt - auch auf polnischer Seite. Daß jetzt die Zugänglichkeit noch nicht da ist, liegt natürlich daran, daß noch eine Grenze da ist, die nach dem Schengener Abkommen natürlich noch härter geworden ist, so daß im Augenblick diese Durchlässigkeit noch nicht gegeben ist. Aber sobald Polen in die Europäische Union aufgenommen werden wird, was ja hoffentlich nicht mehr allzu lange der Fall sein wird, dann wird dieser Park von der Grenze unbeeindruckt für alle zugänglich sein in seiner ganzen enormen Größe.

    DLF: Gibt es ähnliche Beispiele für andere Länder?

    Kiesow: Bei den anderen Ländern gibt es diese Situation eigentlich nicht, daß ein Kulturdenkmal sich auf zwei Staaten erstreckt. Die Zusammenarbeit in Europa war eigentlich schon immer gut. Und was Denkmalschutzgesetzgebung anbetrifft, so hat ja Frankreich hier zunächst den Reigen im 19. Jahrhundert eröffnet und die anderen Länder sind ihm gefolgt, so daß wir schon von einem europäischen Denkmalschutz sprechen können. Es gibt natürlich unterschiedliche Bindungen. Zwischen Österreich und Deutschland war sie immer sehr eng, zwischen den Niederlanden und Deutschland, zwischen Dänemark und den anderen skandinavischen Ländern. England ist etwas anders organisiert - aber man kann schon von einem europäischen Denkmalschutz sprechen, und ich denke, die Europäische Union wird sich das auch als Schwerpunkt nehmen. Ich glaube, daß das kulturelle Zusammenwachsen - und dazu gehört natürlich auch der Denkmalschutz - eine ganz wichtige Voraussetzung ist. Ehe man ein politisches Zusammenwachsen erreichen kann, muß man zunächst mal sich auf die gemeinsame Kultur besinnen. Und es ist ja eine europäische Kultur. So war es, als die deutschen Länder sich zusammenschlossen im vorigen Jahrhundert nach den Freiheitskriegen. Sie sind erst kulturell zusammengewachsen mit der Besinnung auf die eigene Kultur im Historismus, und erst 1871 kam die politische Vereinigung. 1866 haben sie noch Kriege miteinander geführt. Also Zollschranken und Kultur - das scheint mir der wichtige Fall zu sein. Wir bemühen uns von der Stiftung ganz besonders um ein gutes Verhältnis zu Polen. Wir haben unser Fortbildungszentrum absichtlich nach Görlitz gelegt, weil wir dann sozusagen das ‚Sprungbrett' nach Polen und Tschechien haben. Und so, wie die Aussöhnung mit Frankreich kulturell erfolgt ist, muß sie jetzt auch mit Polen erfolgen.

    DLF: Sie haben ja das Stichwort ‚Geschichte des Denkmalschutzes' schon gegeben, und wir haben ja ein Goethe-Jahr. Goethes Schrift "Von Deutscher Baukunst", 1774 geschrieben, kann ja fast als Gründungsdokument des Denkmalschutzes gelten und wird auch häufig so gesehen. Und dann gab es eine absolute Hochzeit im 19. Jahrhundert. Wie kommt denn der Denkmalschutz ins 21. Jahrhundert? Wo sind da Ihre Perspektiven, wo sind Ihre Planungen?

    Kiesow: Wir müssen uns vor allen Dingen der kommenden Generationen annehmen, und das mit Mitteln, die von den bisherigen konventionellen Mitteln deutlich abweichen. Beispielsweise müssen wir uns der modernen Medien bedienen. Man weiß, daß die Jugend sehr stark vom Computer geprägt ist, und hier geht es darum, über CD-Rom und über Echtzeitsimulationen und Internet die junge Generation anzusprechen. Außerdem haben wir vor, eine Jugendbauhütte zu gründen. Die erste wurde am 1. September in Quedlinburg schon eröffnet, und wir wollen allerdings eines Tages Hunderte solcher Jugendbauhütten haben. Dafür brauchen wir en Gesetz des Bundes. Auch das ist schon in Vorbereitung zu meiner Freude. Hier sollen 20 Jugendliche in Gruppen in verschiedenen Städten der Bundesrepublik mit ausländischen zusammen - immer ein Drittel ausländische, zwei Drittel deutsche - ein Jahr lang sich dem Denkmalschutz widmen, so wie das ökologische oder das soziale Jahr es vorsieht und dabei mit dem Gedanken des Denkmalschutzes vertraut gemacht werden - nicht mit dem Ziel, sie alle zu Denkmalpflegern auszubilden, sondern hauptsächlich vielleicht auch ein bißchen praktische Lebenserfahrung zwischen Schule und Hochschule zu gewinnen, oder Jugendliche, die noch keine Lehrstelle haben als Überbrückung eines Jahres. Aber insgesamt hat natürlich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Hintergedanken: Wer mit Gleichaltrigen ein Jahr verbracht hat, gemeinsam auch im Wohnheim untergebracht war und dabei praktische Erfahrungen gemacht hat, entsinnt sich später vielleicht des Denkmalschutzes in seiner Jugend, zumal wenn da Freundschaften mit ausländischen Jugendlichen entstanden sind. Und wenn die dann in die Vorstandsetagen der deutschen Wirtschaft sitzen, verspreche ich mir für die Zukunft etwas.