Donnerstag, 25. April 2024

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"Kill the audience" an den Münchner Kammerspielen
Uraufführung mit Papp-Publikum

Soll Theater das Publikum belehren oder sich ganz aus der Politik raushalten? Um diese Frage dreht sich das Stück "Kill the audience" des libanesischen Theatermachers Rabih Mroué an den Münchner Kammerspielen. Über einen interessanten Denkanstoß geht das Stück allerdings nicht hinaus.

Von Sven Ricklefs | 13.12.2018
    Schauspielerin Zeynep Bozbay ist von hinten zu sehen, wie sie mit einem Stab ähnlichen Gegenstand Holzpuppen in den Publikumsreihen attackiert
    Szene aus "Kill the audience" von Rabih Mroué an den Münchner Kammerspielen. (copy right © Judith Buss 2018 (Münchner Kammerspiele))
    Am Ende sitzen wir uns selbst gegenüber. Ein Publikum einem Publikum. Wir, die wir von Beginn an auf der Bühne Platz genommen haben, während das Spiel auf der Zuschauertribüne stattfand, wir sitzen nun am Ende einem Publikum aus Statisten gegenüber, das gerade erst gekommen ist. Das uns anschaut, als Publikum. Und wir? Wir stellen ein Publikum dar. Das etwa ist die Erfahrung, die Rabih Mroué mit seinem Stück "Kill the audience" vermitteln will: Was bedeutet es eigentlich, Publikum und Zuschauer zu sein. Und was würde passieren, würden sich die Rollen vertauschen?
    Dazu hat Mroué den "Viet Nam Diskurs" von Peter Weiss an den Kammerspielen vor 50 Jahren als Ausgangspunkt gewählt, dieses Stück, das nicht nur – ganz im besserwisserischen Stil der 68er – sein Publikum belehren wollte, sondern dieses Publikum in der Inszenierung von Peter Stein und Wolfgang Schwidrzik agitierend zum Handeln aufrief, indem es real Geld für den Vietcong spenden sollte.
    Zuschauer stehen im Mittelpunkt
    "Das ist der Skandal und das löst dann eine Debatte aus in ganz München, in ganz Deutschland, und da geht es darum, ob Theater das Publikum belehren soll, ob Theater das Publikum agitieren soll, oder ob Theater sich ganz aus der Politik raushalten soll."
    Kaum mehr als eine Stunde dauert Rabih Mroués "Kill the audience". Mal fragen sich die beiden Schauspielerinnen Eva Löbau und Zeynep Bozbay in direkter Ansprache an das Publikum, ob für das damals gesammelte Geld wirklich Waffen gekauft wurden. Sie gehen dabei der Frage nach, welche tatsächlichen Konsequenzen das Verhalten des Publikums in der Realität hatte.
    Dann wieder richten die zwei ein Massaker unter einem als Pappmaché-Silhouetten auf der Zuschauertribüne aufgestelltem Publikum an und stellen damit die Frage, ob Theater je Gewalt und Krieg adäquat auf der Bühne darstellen kann. Mal rezitieren sie im Chor Szenen aus dem "Viet Nam Diskurs" von Peter Weiss, während ein auf eine Plane projiziertes Publikum darauf reagiert. Immer also steht das Publikum im Mittelpunkt: "Also Sie haben eine sehr große Verantwortung als Publikum im Theater. Ja, das Theater ist schlecht, wenn Sie schlecht sind. Und Theater ist dann gut, wenn Sie gut sind. Ja, Sie können das Theater nämlich zu Leben erwecken oder es killen."
    Publikum als Spiegelbild
    Dass man Theater wirklich auch killen kann, diese Erfahrung machte man dann tatsächlich gestern Abend. Denn sich selbst als Spiegelbild in Gestalt eines weiteren Publikums gegenüberzusitzen, kann zwar für Momente tatsächlich ganz erhellend und auch herausfordernd sein: zu spüren, wie es ist, angeschaut zu werden und zugleich in dem anderen Publikum jeden Einzelnen in seiner Individualität wahrzunehmen und sich bewusst zu machen, dass diese jeweilige Individualität natürlich auch individuell wahrnimmt. Doch diese Erkenntnisse waren relativ schnell gewonnen.
    Danach hätte man das Theater tatsächlich aus eigener Initiative zum Leben erwecken müssen. Den Raum zu verlassen, wie es viele dann schließlich taten, ist da sicherlich keine Lösung. Und so franste "Kill the audience" am Schluss wohl ganz bewusst aus, stellte insgesamt viele Fragen, ohne sich anzumaßen, diese auch zu beantworten – und entpuppte sich damit als kleiner, kurzer Denkraum, als der es wohl auch gedacht war.