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Kind trotz Krise

20 Prozent der italienischen Familien leben mittlerweile in Armut. Viele junge Paare entscheiden sich gegen Kinder, aus Angst vor der ungewissen Zukunft. Nicht so Andrea und Laura aus Mailand. Sie haben sich trotz Krise bewusst für Nachwuchs entschieden.

Von Karl Hoffmann |
    Anna wird gebadet. Das mag sie. Und ihre Eltern haben auch großen Spaß dabei.

    Ein echtes italienisches Familienidyll. Andrea ist ein groß gewachsener immer gut gelaunter Norditaliener aus Bergamo. Seine Frau Laura eine bildhübsche dunkeläugige zierliche Sizilianerin. Seit fünf Monaten sind sie glückliche Eltern. Anna beschwert sich, als die Mutter ihr die Nase auswäscht. Dann geht's zum Wickeltisch. Das Windelwechseln besorgt Vater Andrea:

    "Das muss ich zugeben, Andrea ist ein richtiger Profi. Er hat eine Riesenfreude dran." - "Das ist der richtige Job für mich","

    sagt Andrea.

    Hauptberuflich ist der junge Vater allerdings Redakteur in einer Mailänder Wirtschaftszeitung. Ein großes Glück, das heute nur noch wenige Kollegen haben, denn in Italien sind Festanstellungen bei den Medien kaum mehr üblich.

    ""Verglichen mit vielen anderen Kollegen bin ich privilegiert, aber auch mein Arbeitgeber steckt in der Krise, also eine rosige Zukunft sehe ich nicht gerade vor mir." - "Gib's doch zu","

    fällt ihm Laura ins Wort,

    ""Wie oft wachst du nachts auf, weil du träumst, deinen Job zu verlieren?!" - "Es stimmt","

    sagt Andrea.

    ""Eine Zeit lang habe ich das oft gedacht. Und dann habe ich irgendwann mal beschlossen, nur noch an das Heute zu denken und mein Familienglück zu genießen."

    Die meisten ihrer Freunde, sagt Laura, seien geradezu entsetzt gewesen, als sie sich entschlossen, ein Kind zu bekommen. In Italien gibt es kein Kindergeld. Laura musste ihren Job als freie Reporterin aufgeben und viele Standarduntersuchungen während der Schwangerschaft aus eigener Tasche bezahlen. Aber Andrea schob alle Bedenken beiseite.

    "Ich dachte mir, wenn man nur an die wirtschaftlichen Verhältnisse denkt, dann dürfte man nie Kinder bekommen. Also haben wir das Schicksal herausgefordert und uns gesagt: jetzt erst recht!" - "Wir haben im Jahr 2011 geheiratet","

    sagt Laura,

    ""Da war die Krise schon auf einem ersten Höhepunkt. Und just letztes Jahr, als der Mayakalender das Ende der Welt prophezeit hatte, kam unser Kind zur Welt."

    Jetzt genießen sie ihr junges Familienglück in vollen Zügen, was aber nicht bedeutet, dass die beiden in den Tag hinein leben. Im Gegenteil. Noch geht es ihnen persönlich gut. Aber inzwischen leben mehr als vier Millionen oder fast 20 Prozent aller italienischen Familien in Armut. Das macht ihnen Sorgen.

    "Wenn man Angst vor der Zukunft hat, dann gibt man auch viel weniger aus. Um Geld zu sparen für die mageren Zeiten." - "Wir sind schon vorsichtig","

    sagt Laura.

    Was ihr manchmal durchaus schwer fällt.

    ""Ich würde auch gerne in den schicken teuren Läden einkaufen. Aber darauf verzichten wir. Den Kinderwagen haben wir gebraucht gekauft, für 180 Euro. Auch den Schrank für Anna, und ihre Kleider besorgt meine Mutter auf dem Flohmarkt. Für 50 Cent das Stück. Und darauf sind wir stolz."

    Andrea und Laura hatten Glück: Ihre Wohnung ist 90 Quadratmeter groß und kostet 1000 Euro, für Mailand ein günstiger Preis. Die Einrichtung ist schlicht und funktional, die Windeln kauft Laura im Discounter und Andrea nimmt den Bus, anstelle des Autos, ein kleiner schon etwas zerbeulter FIAT. Andreas Motto: Keine großen Sprünge machen, damit man sich später leichter einschränken kann, sollte es nötig sein.

    Anna ist in den Armen ihrer Muttereigenschlaften und Andrea hat sie ins Bettchen gelegt. Dann hat er die letzten Nachrichten im Internet abgerufen und geschimpft über die immer gleichen Politiker, die nun wieder an der Macht seien. Und über Berlusconi geraten Laura und Andrea sogar noch in Streit – natürlich nur zum Scherz

    "Die Leute mögen Berlusconi einfach, sie finden ihn sympathisch." - "Ach von wegen","

    protestiert Andrea.

    ""Die wählen ihn, weil er versprochen hat, dass er die Grundsteuern wieder zurückzahlt und die Leute das glauben. Wir haben es nicht anders verdient. Berlusconi wird uns noch alle überleben."