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Kindbettfieber
Eine einst gefürchtete Krankheit

Lucrezia Borgia ist daran gestorben, Jane Seymour, eine der sechs Ehefrauen von Heinrich VIII, auch – so wie unzählige Wöchnerinnen vor und nach ihnen: am Kindbettfieber. Heute gilt es als besiegt. Zu verdanken ist das Ignaz Phillip Semmelweis.

Von Ulrike Burgwinkel | 04.11.2014
    Eine schwangere Frau hält ihren Bauch.
    Heute ist das Kindbettfieber kein Grund mehr zur Sorge. (dpa/Fredrik von Erichsen)
    "Das Schlimmste war: Am dritten Tage lag Elke im hellen Kindbettfieber, redete Irrsal und kannte weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die unbändige Freude, die Hauke beim Anblick seines Kindes ergriffen hatte, war zu Trübsal geworden; der Arzt aus der Stadt war geholt, er saß am Bett und fühlte den Puls und verschrieb und sah ratlos um sich her."
    Theodor Storm beschreibt in seiner Erzählung vom "Schimmelreiter", wie des Deichgrafen Haukes Frau Elke am Kindbettfieber erkrankt. Damals, 1888, war die tödliche Wöchnerinnenkrankheit noch nicht gebannt.
    "Das Kindbettfieber heißt auch Puerperalsepsis. Sepsis meint Fäulnis, deutet auf einen Vorgang hin, der im Körperinneren stattfindet, auf zersetzende Vorgänge oder eben durch eine Infektion bedingt."
    Der Medizinhistoriker Dr. Hans-Georg Hofer lehrt derzeit am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Münster:
    "Eine sehr gefürchtete Krankheit, die seit dem Altertum bekannt war. Man hatte schon relativ genaues Wissen, was die Krankheit im Körper anrichtet, aber man wusste die Ursache nicht. Erst später wurde dann klar, im ausgehenden 19. Jahrhundert, dass es spezifische Erreger waren. Es gibt freilich nicht den einen Erreger des Kindbettfiebers, sondern das konnten ganz unterschiedliche Keime sein: Staphylokokken, Streptokokken, die Neisseria."
    "'Wasser! Das Wasser!', wimmerte die Kranke. 'Halt mich!', schrie sie; 'halt mich, Hauke!' Dann sank die Stimme; es klang, als ob sie weine: 'In See, ins Haff hinaus.' O, lieber Gott, ich seh ihn nimmer wieder!'" Da wandte er sich und schob die Wärterin von ihrem Bette; er fiel auf seine Knie, umfaßte sein Weib und riß sie an sich: 'Elke! Elke, so kenn mich doch, ich bin ja bei dir!' Aber sie öffnete nur die fieberglühenden Augen weit und sah wie rettungslos verloren um sich."
    Die Sterblichkeit bei Wöchnerinnen, die mit Hebammen auf geburtshilflichen Stationen entbunden hatten, betrug um 1800 nur ein Prozent. Erst die als medizinische Neuerung gepriesene Einrichtung von Krankenhäusern mit verschiedenen Abteilungen unter einem Dach führt zu einem drastischen Anstieg der Todesfälle.
    "Warum? Weil man mehrere Abteilungen einrichtete, wo zum einen Hebammen tätig waren, und zum anderen Ärzte, Medizinstudenten, die aus der Anatomie kamen, die Obduktionen vorgenommen hatten, sich nicht die Hände gewaschen hatten, und dann aber auf die geburtshilflichen Stationen kamen, um Untersuchungen vorzunehmen."
    Semmelweis entdeckte die Bedeutung der Hygiene
    Erst ein junger ungarischer Assistenzarzt, der in den 1840er-Jahren aus Budapest ans "Allgemeine Krankenhaus" in Wien kam, erkannte den Zusammenhang. Ignaz Semmelweis.
    "Semmelweis ist eine der faszinierenden Gestalten nicht nur der Medizingeschichte im Allgemeinen, sondern im Besonderen in der Geschichte des Kindbettfiebers. Semmelweis versucht, neue methodische Techniken in Einklang zu bringen mit dem, was er beobachtet hat."
    Er arbeitet selbst in der anatomischen Pathologie, obduziert Frauen, die am Kindbettfieber gestorben sind. Und er zieht nicht nur Schlüsse aus seinen Beobachtungen, dass "die an der Hand klebenden Cadavertheile" die Ursache der Infektion seien, sondern formuliert ganz konkrete Vorschläge zur Abhilfe:
    "Ärzte und Medizinstudenten, die aus der Anatomie kommen, und dann auf die geburtshilfliche Station wechseln, mögen sich bitte und unbedingt die Hände waschen. Und zwar mit Chlorkalk. Das war damals ein sehr probates Mittel, um dann eben die Untersuchung der Frauen vorzunehmen. Diese Kontaktinfektion der Gebärmutter war wirklich ein sehr ernsthaftes Problem, was sich mit den Chlorwaschungen in den Griff bekommen ließ."
    Hygiene ist heute selbstverständlich: sterile Kleidung, Waschen mit aseptischen Lösungen, Einmalhandschuhe, Mundschutz. Damals aber war noch nicht einmal das für uns ganz selbstverständliche Händewaschen an der Tagesordnung. So klangen die Maßnahmen des jungen Ignaz Semmelweis, zur Vermeidung der "alleinigen, ewig wahren Ursache" des Kindbettfiebers recht rigide in den Ohren der erfahrenen Kollegen.
    "Die darüber hinaus gehende Empfehlung war, nach jeder einzelnen Untersuchung von Frauen, sich die Hände zu waschen, weil eine bereits infizierte Wöchnerin eben auch die Gefahr barg, eine Weiterinfektion zu verursachen. Das stieß natürlich auf Widerstand in seinem Kollegenkreis."
    Selbst Autoritäten wie Rudolf Virchow wandten sich gegen die Semmelweisschen Erkenntnisse und Vorschriften; noch 1897 ist von "Fremdstoffen" im Körper der Frau zu lesen, die durch den Geburtsvorgang zu gären begännen. Semmelweis hat sich allerdings, so Hans-Georg Hofer, die Skepsis der Kollegen auch selbst zuzuschreiben. Er habe sich als mißverstandenen gleichwohl hochbegabten Außenseiter inszeniert. Doch nicht nur das.
    "Ein Teil des Problems lag darin, dass Semmelweis seine neuen Erkenntnisse nicht publiziert hat. Das ist heute natürlich ein Kardinalfehler in der Wissenschaft und war es schon damals. Erst 1861, also mehr als ein Jahrzehnt nach den von ihm gemachten Entdeckungen, hat er ein großes Werk publiziert. Aber darin ging es in erster Linie darum, seine Zweifler zu benennen und in teilweise polemischen Attacken in die Schranken zu weisen. Er fühlte sich im Besitz der Wahrheit, hatte auch eine sehr exzentrischen sozialen Charakter und das ist Teil des Problems, warum er mit seinen neuen Erkenntnissen nicht durchzudringen vermochte."
    Heute ist Semmelweis' Wahrheit Standardwissen und das Kindbettfieber kein Grund mehr zur Sorge oder gar für eine "Gassengeburt", aus lauter Angst, im Krankenhaus infiziert zu werden.
    "Der alte Arzt kam wieder, kam jeden Tag, mitunter zweimal, blieb dann eine ganze Nacht, schrieb wieder ein Rezept, und der Knecht Iven Johns ritt damit im Flug zur Apotheke. Dann aber wurde sein Gesicht freundlicher, er nickte dem Deichgrafen vertraulich zu: 'Es geht! Es geht! Mit Gottes Hülfe!' Da zog der alte Doktor sein seiden Schnupftuch aus der Tasche, fuhr sich damit über Stirn und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer."