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Kinder der Wende

Seit 18 Jahren ist die Mauer weg, und wer in diesen Tagen volljährig wird, hat die deutsche Teilung nicht mehr selbst erlebt. Die heute 18-jährige Berlinerin Hannah Schwarz etwa kennt die DDR nur aus der Schule. Ein nationales Freiheitsdenkmal hält sie jedoch für überflüssig: "Das Geld sollte lieber für die Bildung ausgegeben werden."

Moderation: Christian Schütte | 09.11.2007
    Christian Schütte: Hannah Schwarz aus Berlin gehört zu den Kindern des Mauerfalls. Sie ist in der Wendezeit in Ost-Berlin geboren, am 1. November '89, also wenige Tage vor Öffnung der Grenze. Sie ist gerade volljährig geworden, will später einmal Medizin studieren. Im Moment hat sie Unterricht. Deshalb haben wir ein Gespräch mit ihr vorher aufgezeichnet. Wie viel Aufmerksamkeit ist ihrer Mutter und ihrem Vater damals überhaupt für den Mauerfall geblieben? Schließlich hatten sie gerade eine kleine Tochter bekommen.

    Hannah Schwarz: Meine Mutter hat das mit dem Mauerfall, glaube ich, nicht ganz so mitbekommen, also nicht direkt, weil sie halt noch mit mir im Krankenhaus lag. Aber mein Papa ist mit meiner Oma halt zum Mauerfall erst mal in den Westen gegangen und hat das Begrüßungsgeld für uns abgeholt. Aber meine Mutter hat es nur im Fernsehen sehen können.

    Schütte: Und Ihr Vater hat das nachher Ihnen erzählt?

    Schwarz: Ja!

    Schütte: Welche Erinnerungen haben Sie denn an die ersten Jahre nach der Wende?

    Schwarz: Na ja, das Früheste, wo ich mich erinnern kann, ist die Kindergartenzeit. Ich kann ja nicht wirklich einen Unterschied feststellen, da ich eigentlich nur in Deutschland gelebt habe eigentlich und nicht wirklich viel von der DDR mitbekommen habe. Aber ich glaube, kurz nach der Wende war nicht so eine große Veränderung, nur dass halt das Land größer war und vielleicht mehr aus dem Westen rübergekommen ist und natürlich die Wirtschaft und so sich teilweise verbessert hat, dass man zum Beispiel Bananen jederzeit essen konnte oder Pampers-Windeln umbekommen hat.

    Schütte: Sie sagten gerade natürlich können Sie nicht wissen, was jetzt der Unterschied gewesen ist zu Generationen, die vor Ihnen geboren sind. Nun sind Sie aber gewissermaßen frei geboren. Haben Sie das damals dann in irgendeiner Form trotzdem als etwas besonderes erlebt?

    Schwarz: Nicht wirklich. Ich glaube, ich mache mir da auch zu wenig Gedanken drüber, dass ich jetzt in der DDR geboren bin, aber in Deutschland aufgewachsen bin.

    Schütte: Woher haben Sie denn Ihr Bild der DDR und der deutschen Teilung?

    Schwarz: Größtenteils aus der Schule. Zu Hause wird jetzt nicht so viel darüber geredet, aber wenn man nachfragt bei seinen Eltern, erzählen die auch schon mal was. Aber es ist eher so, dass dann Opi und Omi darüber reden.

    Schütte: Wie reden die darüber?

    Schwarz: Teilweise gut, teilweise schlecht. Es gibt glaube ich so wie heute gute und schlechte Seiten an der DDR. Komischerweise ist es so, dass auch viele Lehrer und auch die Omi und der Opi sagen, dass das Schulsystem viel besser war damals. Meiner Meinung nach ist das glaube ich nicht besser. Außerdem sind unsere Lehrer auch teilweise noch sehr ostig, und damit haben sie damals auch schon unterrichtet und haben nicht gerade sehr viel daran getan. Deswegen haben wir ja sozusagen den gleichen Standard, den die damals auch hatten mit ihrem Unterricht.

    Schütte: Sie haben jetzt den Geschichtsunterricht angesprochen. Das heißt, Sie haben vielleicht ein bisschen das Gefühl, nicht so richtig aufgeklärt oder gut aufgeklärt zu werden über diese Zeit?

    Schwarz: Es ist ziemlich einseitig. Wir betrachten die DDR nur im Geschichtsunterricht, und somit ist es, ja, sehr trockener Unterricht und ziemlich stupide, viele Zahlen. Also klar, man lernt was, aber ich finde, man sollte das auch in anderen Fächern noch behandeln, in Musik, wie die Musik in der DDR war oder warum gewisse Musik verboten wurde, oder Kunst der DDR. Kann man ja alles mit anderen Fächern auch verbinden und das wird halt nicht in der Schule gemacht.

    Schütte: Bleiben wir noch mal kurz bei dem politischen Blick. Ist die DDR aus Ihrer Sicht eine Diktatur gewesen?

    Schwarz: Meiner Meinung nach war es eine Mischung aus einer Demokratie und einer Diktatur, weil Diktatur heißt ja, dass es einen Alleinherrscher gibt. Aber es gab ja halt nur eine Partei, die man wählen konnte, und somit hatte man nicht wirklich eine Wahl. Es wurden nicht die eigenen Interessen des Bürgers vertreten.

    Schütte: Was heißt das jetzt für Ihre Einschätzung? War das Leben in der DDR dann doch nicht so schlimm?

    Schwarz: Na ja, keine Ahnung. Ich glaube, man gewöhnt sich schon daran. Wenn man in der DDR geboren ist, weiß man ja nicht, wie es ist, weil es wurde ja in der DDR nicht so viel darüber berichtet aus dem Ausland. Klar, man kann sich schon vorstellen, dass es im Westen besser war. Deswegen sind ja auch viele geflüchtet. Ich glaube jetzt aber nicht, dass es so überaus schlimm war.

    Schütte: Trotzdem können Sie nachvollziehen, dass viele damals '89 gegen die politische Führung protestiert haben?

    Schwarz: Ja, klar, weil wenn man in einem Land eingesperrt ist, sozusagen nur in den Ostblock reisen darf, ist einfach nicht so die Freiheit, die sich jeder wünscht. Außerdem will man ja auch die Welt kennen lernen. Ich bin froh darüber, dass ich frei reisen kann, überallhin wo ich will.

    Schütte: Seit 18 Jahren ist die Mauer weg. Welche Unterschiede gibt es für Sie trotzdem heute noch zwischen Ost und West?

    Schwarz: Ich denke, dass heutzutage in unserer Generation nicht mehr große Unterschiede sind. Allerdings man weiß schon so, Ost-Berlin und West-Berlin. Aber ich persönlich sehe gar nicht mehr so eine direkte Grenze. Ich weiß jetzt nicht, wo genau die Mauer war. Ein paar Stellen, klar, kennt man. Aber ich denke, es ist eher so bei den älteren Leuten, dass die sagen: Das ist ein Wessi, das ist ein Ossi. Keine Ahnung.

    Schütte: Der Bundestag stimmt heute über einen Antrag für ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal ab. Ein Denkmal, das sozusagen für Ihre Generation auch steht. Haben Sie ein solches Denkmal bisher vermisst?

    Schwarz: Ich habe darüber ehrlich gesagt noch nie so nachgedacht. Deswegen habe ich es nicht vermisst, weil ich denke, man wird schon an die Mauer auf jeden Fall erinnert und an den Mauerfall dadurch, dass ja noch Teile stehen. Das reicht auch. Das Geld sollte lieber für die Bildung ausgegeben werden.

    Schütte: Hannah Schwarz, ein Kind der Wende, geboren im November 1989.